Eine Rezension zu Gerasimos Bekas "Feierabend" Dem Tod ein Fließband

(von Andreas Merschmann)

„Manche Leben haben Überlänge“ (S. 41.). Gerasimos Bekas braucht in seinem Text Feierabend, einem Auszug aus einem größeren Werk, nur einen Satz, um die LeserInnen zu fesseln, wenn er das Älterwerden und Sterben mit einem überlangen Kinofilm vergleicht. Sein im Hospiz arbeitender 22-jähriger Protagonist Lev begegnet dem für ihn alltäglichen Leid mit einem Pragmatismus, der aus moralischer und ethischer Sicht auf den ersten Blick in höchstem Maße unangemessen wirkt. Da werden Klienten als „Scheintote“ (S. 42) betitelt, das Hospiz mit „Guantanamo“ (S. 43) verglichen und die eigene Arbeit als „Fließbandjob“ (S. 43) deklariert, bei dem die Alten per Knopfdruck gewaschen und durch eine Falltür entlassen werden, an deren Stelle dann ein Teelicht erscheint. Der Mensch ist für Lev ein Produkt, ein Arbeitsmaterial, das schrittweise weiterverarbeitet wird. Bekas malt zahlreiche einprägsame Bilder wie diese, die zwar schonungslos jede Würde im Tod vermissen lassen, für den Pfleger Lev jedoch einen Schutzwall bedeuten. Dieser distanziert sich über seinen Zynismus emotional von dem für ihn alltäglichen Kommen und Gehen der Hospiz-Klienten. Dies wiederum ist eine nachvollziehbar menschliche und authentische Reaktion, die Bekas mit eindeutigen Worten klar und ehrlich zu beschreiben weiß. So gut die emotionale Abschottung für Lev in seinem Beruf auch funktioniert, so hinfällig wird diese in seinem Privatleben, wenn ein plötzlicher Anruf seiner Mutter den Tod zum Teil seiner inneren Welt macht.

Lektor Gunnar Cynybulk stellte als Stärke des Textes heraus, dass die Figuren über ihr Reden zu „echten Personen, zu echten Typen“ würden. Dem kann man zustimmen, allerdings mit Einschränkungen. So erscheint gerade die Figur des 72-jährigen Klienten Günni im Eingangsdialog (S. 41) mit Lev nicht durchgängig glaubwürdig und in sich logisch. Günni kennt zwar Kurt Cobain und die Umstände seines Todes, hat aber im direkten Anschluss nie zuvor von Britney Spears gehört. Zudem scheint in Günnis Sprachstil oftmals die Stimme des 27-jährigen Autoren durch, die vielmehr an Jugendsprache erinnert als an die eines älteren Mannes. Diese kleinen Fehler sind aber verzeihlich, da Bekas auf inhaltlicher Ebene den Leser herausfordert und zum Nachdenken anzuregen versteht. Darüber hinaus erweist sich Feierabend im Kontext der aktuellen Diskussion um Sterbehilfe als politisch und gesellschaftlich höchst relevant. Zu Recht gab es dafür beim 22. open mike, einem internationalen Wettbewerb für junge deutschsprachige Prosa und Lyrik, den Publikumspreis der taz. In ihrer Begründung lobte die Jury besonders die „realistische Sprache, von der sie begeistert war.“

Manche Texte haben Überlänge. Diesen möchte man gerne weiterlesen.

Bibliographische Angaben:
Gerasimos Bekas: Feierabend. In: 22. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2014. S. 41-47.