Eine Rezension zu Christina Böhm "Platzanweisung" Platzanweisung – Der Titel ist Programm

(von Melanie Bischkowski)

Das Kompositum aus Platz und Anweisung im Titel beinhaltet, dass es mindestens einen gibt, der bestimmt, wo alle anderen ihren Platz haben. Es entstehen Assoziationen, wie Platzordnung und Platzmangel. Dieses beinhaltet einerseits, dass das Individuum als Mitglied einer Gesellschaft bemüht ist, seinen persönlichen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, ihn zu verteidigen bzw. sich neu zu positionieren. Andererseits wird jedem Mitglied unserer Gesellschaft ein bestimmter Platz zugewiesen. Dadurch wird einem der persönliche Handlungsspielraum bzw. der Einfluss auf seine Positionierung innerhalb der Gesellschaft, unabhängig seiner Bestrebungen und Mühen eine Platzveränderung erreichen zu wollen, genommen.

Christina Böhm beschreibt sehr detailliert diesen Positionierungsversuch mit all seinen Schwierigkeiten und Problemen eines Individuums innerhalb der Gesellschaft, allerdings aus Sicht einer abgelehnten Künstlerin.Der Ich-Erzähler in dem Text  ist namen- und geschlechtslos, dadurch entsteht eine hohe Identifikationsrate seitens der Rezipienten.Das Ich zieht den Leser hinein in seinen Gedankenstrom, d.h. er wird den Erinnerungen, Gefühlen und Ansichten des/der Hauptfigur ausgesetzt. Der Rezipient wird nicht nur mit der Krise und den Schwierigkeiten einer Autorenexistenz konfrontiert, sondern auch mit den gesellschaftskritischen, zynischen Gedanken, Anmerkungen und der Wut des literarischen Ichs: „[...]Kein Platz. Die Jungen sind zu viele und die Alten werden zu alt. Wenn du einen Job suchst, werden Stellen abgebaut, wenn du in Pension gehst, sind die Staatskassen leer. Deine Praktika sind unbezahlt und trotzdem überlaufen, du hast deine Lehrstelle nicht bekommen und studieren darfst du nur in Graz. Für dein Baby gibt es im Zug kein Stillabteil, am Samstagabendabend ist dein Lokal immer zu voll [...].“(Platzmangel, Rücksichtslosigkeit, Oberflächlichkeit, Egoismus, Wirtschaftlichkeit stehen markant dem Versuch gegenüber nicht nur stumpf vor sich hin zu leben, sondern auch seinen Platz als Mensch in der Gesellschaft bzw. in der Welt finden und einnehmen zu wollen.)

Der Leser fährt mit dem Ich im Zug, findet sich nach einer kurzen Einführung in dessen „stream of consciousness“ wieder und erlebt ebenfalls die Demütigungen seitens der Dramaturgin, des rücksichtlosen Sitznachbarn und der Gesellschaft mit. Durch den Sprachgebrauch Christina Böhms wird man hierbei immer stärker Teil des Gedankenstroms: aus dem Ich wird ein Wir. Als Konsequenz der Demütigungen folgt die gewaltvolle, grausame, gedankliche Rache an all jenen, die das Ich zurückgesetzt haben. Am Ende bleibt, nach durchlebter Wut und ausgeschmückten Rachegedanken, nur noch das Gefühl der Resignation. 

Platzanweisung ist nicht nur ein wunderbarer, bitter-komischer Text über Kummer und Wut einer Autorin. Inhaltlich hebt sich Christina Böhm von anderen jungen Autoren, welche die schwierige Lebenssituation junger Schriftsteller im Literaturbetrieb thematisieren und kritisieren, ab. Bei ihrem Text Platzanweisung findet sich nicht nur die Kritik an den Lebensumständen junger Autoren, sondern vor allem auch die Spiegelung der Missstände unserer heutigen Gesellschaft und die Schwierigkeiten, die ein Individuum hat, sich in der Gesellschaft zu platzieren, wieder. Der Text kann also auch als Spiegel der Zeit, eines bestimmten Zeit- und Lebensgefühls gesehen werden.

Diese Spiegelung und die Tatsache, dass jeder Mensch letztendlich ersetzbar ist, die Gesellschaft nicht extra auf jemanden wartet, findet sprachlich auf sehr gelungene, zynische, bittersüße, kuriose und brutal ehrliche Weise statt, so dass sich der Rezipient des Öfteren trotz des Ernstes und durch den bitteren Wirklichkeitsbezug, zu einem zustimmenden Schmunzeln hinreißen lässt. Der Text ist, den Gebrauch der Sprache betreffend, präzise, kreativ und wortstark gestaltet. Ferner nimmt die Wirkung des Textes auch nach wiederholtem Lesen nicht ab, sondern lässt neue Entdeckungen zu. Christina Böhm beherrscht die Kunst mit der Sprache zu spielen, ohne das Gewicht der Worte zu mindern. Es herrscht beispielsweise in dem Text von Beginn an eine besondere Dynamik. Das heißt, Böhm erzeugt in ihrem Text Geschwindigkeit, welche phasenweise erhöht und wieder reduziert wird. Damit spiegeln sich die Emotionen der Hauptfigur wider.

Oberflächlich betrachtet scheint „Platzanweisung“ eine kuriose, herbe, komische Abrechnung mit dem Literaturbetrieb zu sein. Genauer betrachtet, wurde jedoch ein nachdenklich stimmender Text mit versteckter, tiefgründiger Gesellschaftskritik verfasst, welcher den Nerv der Zeit trifft: Wo ist unser Platz? Christina Böhm erhielt eine zweifache Auszeichnung bei dem internationalen Literaturwettbewerb deutschsprachiger Lyrik und Prosa, dem 19. Open Mike: sie erhielt völlig zu Recht den ersten Platz in der Kategorie Prosa. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis der taz zugesprochen. Dieses ist auf die Qualität ihres Textes und auf die authentische Lesung zurückzuführen.

Bibliographische Angabe:
Christina Böhm: Platzanweisung. In: 19. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2011. S. 10-17.