Eine Rezension zu Chrsitian Hödl "Baumgrenze" "Bleib mal so stehen" - Baumgrenze von Christian Hödl

(von Laura Schraven)

In seiner Einführung attestiert der Lektor Jan Valk Christian Hödl sowohl eine „präzise Blickführung“ als auch eine „sehr feine Sprache“, mit deren Hilfe es ihm gelingt auf „extrem nuancierte“ Weise Gefühle, Gedanken und Details zu beschreiben.

Der Debüttext Baumgrenze von Christian Hödl, aktuell Student am Deutschen Literaturinstitut, thematisiert die komplizierte, unangenehme und dann doch wieder liebevolle Beziehung dreier Figuren zueinander sowie ihre hilflosen Versuche dem Gegenüber angemessene Zuneigung auszudrücken. Inhaltlich behandelt die Erzählung den Roadtrip eines homosexuellen Ich-Erzählers, den dieser mit seinem Freund und seiner Mutter durch Australien unternimmt. Doch auch der nach schwerer Krankheit verstorbene Vater scheint präsent – aufgrund dessen was unausgesprochen bleibt und der daraus resultierenden spürbaren Abwesenheit. Dass sein Sohn homosexuell ist, hat der Vater nie erfahren und auch die Mutter kann mit der Liebe ihres Sohnes zu Aaron nicht umgehen.

Dabei erscheint die Liebe der beiden ernsthaft und aufrichtig und Aaron agiert als Initiator der Reise einfühlsam, sensibel und empathisch. Er schenkt der Mutter nach dem Verlust Abwechslung und seinem Freund Halt. Vielleicht hat Aaron sich erhofft, die Beziehung zu der Mutter seines Freundes zu verbessern. Trotz seiner guten Vorsätze und Bemühungen auf die Mutter zuzugehen, gelingt dieses Vorhaben zunächst jedoch nicht. Anstatt die Konfrontation bzw. das Gespräch zu suchen, werden Augenbrauen hochgezogen, Einladungen zum Mittagessen ausgeschlagen und auf Wanderwegen die Flucht ergriffen.

Auch der Mutter, eine unsichere, nervöse, zurückhaltende Frau, die sich penibel an Vorschriften hält, ist es unmöglich, ein offenes Gespräch mit dem schwulen Paar zu führen. Durch eine Erinnerung des Sohnes wird deutlich, dass die Mutter am zurückliegenden Weihnachtsfest ihren Sohn eindringlich darum gebeten hatte, dem Vater keine Fotos von sich und seinem Freund zu zeigen. „Das  kannst du ihm doch ersparen. Das regt ihn bloß auf.“ (vgl. S. 44) Die Familie lebt seit diesem Zeitpunkt ein Tabu: Das Verschweigen der Homosexualität. In ähnlicher Weise wird der Tod ihres Mannes nicht angesprochen, obwohl der Verlust schwer auf ihr lastet. „Dieses nervöse Kratzen in ihrem Hals, wenn da was raus will. […] doch dann knicke ich ein. ‚Hm?‘ […] ‚Ach nichts.‘“

Der Ich-Erzähler ist ebenfalls in großer Trauer um seinen Vater, Erlebnisse während des Roadtrips vermischen sich mit Kindheitserlebnissen. Beide, Mutter und Sohn, sind vereint in der Sprachlosigkeit ihrer Trauer, die sich mit der tabuisierten sexuellen Orientierung des Erzählers vermischt. So werden Gesten der Zärtlichkeit des homosexuellen Paares nur heimlich ausgetauscht. Jede Berührung im Beisein der Mutter gleicht einem Nervenkitzel.

Eine Wanderung bringt für alle Beteiligten eine einschneidende Wende. Aaron gibt das Tempo vor, die Mutter trödelt demonstrativ und der Ich-Erzähler ist hin- und hergerissen zwischen beiden. Er entscheidet sich dann schlussendlich, zu seinem Freund aufzuschließen.

Die Mutter unternimmt daraufhin - tatsächlich und im übertragenen Sinne - alle Anstrengung, ihrem Sohn nachzufolgen. Die Entscheidung des Erzählers hat für die Mutter zur Folge, dass auch sie die Position der Verdrängung verlassen muss und sich zu ihrem Sohn und seinem Lebensentwurf verhalten muss. Am Ende sind alle drei Figuren an einem Aufsichtspunkt in Nähe der Baumgrenze vereint. Als der Erzähler sich Aaron in liebevoller Geste zuwendet, wendet die Mutter sich erstmalig dem Paar zu, zückt ihr Handy und meint: „Bleibt mal so stehen.“ (vgl. S. 48) Das familiäre Tabu wird an dieser Stelle durch die Mutter gebrochen und sie beginnt, die Beziehung des Paares zu akzeptieren.

Christian Hödl: Baumgrenze. In: 26. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2018. S. 42 – 48.