Om B Rezension

Grit Krüger Liest 3 Ccu

© Corinna Uhlrich

Eine Rezension zu Grit Krüger "Unser Job" Die Gleichförmigkeit des Schreckens

(von Birthe Kolb)

Die 1989 in Erfurt geborene Autorin Grit Krüger widmet sich in ihrer Erzählung Unser Job einem sehr aktuellen Thema: Im Mittelpunkt des Textes stehen die Löschmechanismen von sozialen Netzwerken sowie die Menschen dahinter, die täglich gemeldete Beiträge auf Online-Plattformen auf Darstellungen von Gewalt, Hetze oder Pornografie überprüfen. Im Zuge einer großen medialen Debatte über die Verantwortung von sozialen Netzwerken für die dort von Nutzer*innen veröffentlichten Beiträge sind diese Löschmechanismen in den letzten Monaten verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen, die solche Beiträge überprüfen müssen sowie die psychischen Auswirkungen der täglichen Konfrontation mit expliziten Inhalten, sind Gegenstand zahlreicher Artikel, die sich mit der Arbeit hinter den Kulissen von sozialen Netzwerken beschäftigen. So berichteten beispielsweise mehrere Zeitungen im September 2018 unter Berufung auf eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur von einer US-Amerikanerin, die das Netzwerk Facebook verklagte, da sie durch ihre Arbeit in einem sogenannten Löschzentrum unter eine posttraumatischen Belastungssyndrom leiden soll.

Auch die Protagonistin in Krügers Erzählung geht dieser Arbeit nach. In einer Agentur durchforstet sie gemeinsam mit ihren Kolleg*innen Jagica, Ana und Mimo Beiträge auf einem nicht näher genannten sozialen Netzwerk, die von Nutzer*innen als unpassend oder anstößig gemeldet wurden. Schon zu Beginn der Erzählung findet Jagica drastische Worte für diese Art von Arbeit, bezeichnet sie als „Scheißesieben“ (S. 70). Dem gegenüber stellt Krüger direkt die Einschätzung einer Zeitarbeitsfirma, welche die Tätigkeit als „verantwortungsvolle Aufgabe“(ebd.) bezeichnet. Schon dieser Kontrast verdeutlicht, dass die wahre Natur dieser Arbeit in der Selbstdarstellung der sozialen Netzwerke oft hinter beschönigenden Worten versteckt wird.

Krüger hingegen bedient sich sehr drastischer Bilder, um diese Arbeit zu beschreiben: Bereits zu Beginn der Erzählung werden Jagica und die namenlose Ich-Erzählerin mit einem Foto konfrontiert, das ein Kind mit einem phallusförmigen Lutscher zeigt. Aus dem folgenden Dialog geht hervor, dass dieses Bild nicht gegen die Richtlinien des Netzwerks verstößt, da der Lutscher regenbogenfarben ist, die Farben Lila und Rot jedoch gemäß der den Mitarbeiter*innen vorliegenden Liste ein Grund zur Löschung gewesen wären. Eine Begründung wird nicht genannt, wodurch Krüger die Absurdität einer solchen Regel betont. Auch im weiteren Verlauf der Geschichte wird die Protagonistin mit weiteren Darstellungen von Gewalt und Ekel konfrontiert, die Krüger sehr bildhaft beschreibt: Das Gesicht eines Mannes, der in einem Video aus den heißen Quellen des Yellowstone-Nationalparks gezogen wird, ist „schinkenrot“ (S. 72), das Eiweiß der Hornhaut an seinen Augen ist „milchig“(ebd.), weil denaturiert. Jagica behauptet, dass es möglich sei, auf einem Foto eines toten Menschen zu erkennen, mit welchem Messer dieser getötet wurde („Küchenmesser sind oft stumpf, mehr Druck, mehr Blut“, S. 70). Krügers Text versammelt eine Vielzahl solcher Beschreibungen, hinter denen ihre Figuren oft zurücktreten. Die Leser*innen erfahren nur wenig über ihren Hintergrund, dafür umso mehr über die Belastung, die der Arbeitsalltag in der Agentur darstellt. Die Quoten, die Krüger sowohl am Anfang als auch am Ende des Textes erwähnt – 1,5 Sekunden für die Prüfung eines Textes, acht Sekunden für Videos, zweitausend Beiträge pro Tag – wirken in diesem Zusammenhang besonders zynisch, Gewalt und Ekel werden zum Arbeitsalltag, Witzeleien der Figuren zum Schutzmechanismus. „Humor ist uns wichtig. An den Richtlinien ändert das jedoch nichts“ (S. 70), behauptet die Anleiterin der Gruppe. Humor ist bei Krüger also ein Mittel, um den Alltag überhaupt bewältigen zu können. Der Widerspruch zwischen Außendarstellung und Realität spiegelt sich auch in den Gedankengängen der Protagonistin wider, die überhaupt häufig monologisiert: Die Netzwelt, in der sie nach Inhalten fischt, gleicht für die Protagonistin einer „eiterweiße[n] See“ (S. 71), die aber nicht etwa nach den Ausdünstungen einer eitrigen Wunde riecht, sondern über der ein „Milchundhonigkunstgeruch“(ebd.) liegt. Den Alltag teilt Krüger durch ständige Wiederholungen in zwei Worte ein – „lassen“ und „löschen.“ Diese zwei Worte ziehen sich durch den gesamten Text, unterbrechen sogar die Sätze und werden von der Autorin bei ihrem Vortrag mit mechanischer Stimme vorgelesen. Die Mitarbeiter*innen sollen funktionieren, damit die sozialen Netzwerke den Anschein wahren können, ihre Plattformen verantwortungsvoll aufzuräumen und die Nutzer*innen nicht mit bestimmten Inhalten konfrontiert werden. „Ich entscheide, was du siehst.“(ebd.). Krüger spricht ihre Leser*innen hier explizit mit Du an und spricht später von einem „wir“ – gemeint sind „alle, die ein Handy halten können“(ebd.). Die Botschaft des Textes wird hier noch einmal explizit hervorgehoben.

Am Ende hinterlässt die Arbeit Spuren, besonders bei Jagica, die sich während einer Toilettenpause zunächst vor dem Spiegel die Haare rauft (ebd.) und später alle Beiträge durchlässt, ob nun aus völliger Gleichgültigkeit, wie ihre Aussagen nahelegen („Wir sind doch schließlich alle nichts als Schlamm und Atem. Sollen sie doch schreiben“, S. 73) oder aus dem Wunsch, sich gegen die Selbstzensur des Netzwerkes aufzulehnen, wie sie später der Teamleiterin erklärt, wird nicht ganz deutlich. Jagica wird zunächst abgemahnt und kommt dann nicht mehr wieder. Krüger lässt offen, ob ihr gekündigt wird oder ob sie den Job von selbst aufgibt. Auch hier deutet sich ein Widerspruch an: Den Mitarbeiter*innen der Agentur wird zugetraut, zweitausend Beiträge mit teils sehr verstörenden Inhalten an einem Tag durchzuarbeiten, gleichzeitig muss Jagica ihr Handy nach der Abmahnung abgeben und wird dadurch entmündigt.

Jagicas Schicksal bewirkt jedoch kein Umdenken bei der Protagonistin: Sie hat kaum erfahren, dass Jagica nicht mehr kommt, da wiederholt Krüger auch schon die am Anfang des Textes geschilderte Situation, der Satz „Unser Job: 2000 Beiträge pro Tag“(S. 70, S. 74)taucht formelhaft wieder auf, auch die Gruppe wird noch einmal vorgestellt, nur aus „Jagi und Ana und Mimo und ich“ (S. 70) ist „Ana und Mimo und Patrick und ich“(S. 74) geworden; die Mitarbeiter*innen sind also austauschbar. Die Protagonistin erklärt ihrem neuen Kollegen Patrick noch einmal die Quoten, später klebt sie genau wie ihr Kollege Mimo Kalender aus Schockfotos zusammen. In Krügers Szenario gibt es keine Veränderung, nur den Arbeitsalltag und die Gleichförmigkeit des Schreckens, die durch die vielen Wiederholungen im Text deutlich wird. Am Ende träumt die Protagonistin davon, gemeinsam mit Jagica aus dem Alltag auszubrechen, doch selbst in diesem Traum spiegelt sich ihre unausweichliche Situation wider: Sie möchte ausgerechnet in den Yellowstone-Nationalpark fahren, um die Quellen zu sehen, die sie bereits aus dem Video kennt, „so prächtig, dass du schon allein vom Hinsehen das Schwimmen lernst“ (S. 72, S. 75). Auch in dieser Formel, die gleichzeitig den Schlusssatz des Textes bildet, versteckt sich Stillstand, denn das Schwimmenlernen bleibt schließlich eine Illusion, die über der realen Gefahr, die von den heißen Quellen ausgeht, liegt. In Verbindung mit der deutlichen Botschaft des gesamten Textes können die prächtigen Quellen somit als Metapher für die gesamte soziale Netzwelt gelesen werden, die eine benutzer*innenfreundliche Illusion vermittelt, aber gleichzeitig eine Plattform für menschliche Abgründe sein kann.

Grit Krüger: Unser Job. In: 26. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2018. S. 70 – 75.