Eine Rezension zu Janko Marklein "Wir stellen uns nicht dumm an" Über stinkende Fische, ein hässliches Entlein und die hemmungslose Gewalt einer gelangweilten Dorfjugend

(von Thomas Stachelhaus)

Er ist nicht nur einer der letzten, der am qualitativ eher durchwachsenen ersten Wettbewerbstag vor das Mikrofon tritt, sondern zugleich auch noch der jüngste Teilnehmer beim 18. open mike in Berlin. Sprachgewaltige Texte gab es bis dahin schon zu genüge, immerhin hatte das Los zuvor entschieden, dass vier der fünf Lyrikteilnehmer bereits am Samstag ihre literarischen Ergüsse vortragen dürfen. Dagegen wirken Janko Markleins schonungslose Soziotopschilderungen fast simpel und marginal.

Auf Hypotaxen weitestgehend verzichtend, erzählt die Kurzprosa beeindruckend aus dem Leben pubertierender Jugendlicher, die nichts Besseres zu tun haben, als ein Waldgebiet zum Revier zu markieren, es zu bewachen und von unangenehmen Eindringlingen zu befreien. Paul und ein Ich-Erzähler gründen einen Verein und etablieren einen geradezu rücksichtslosen und bisweilen entwürdigenden Unterdrückungsapparat: Gleichaltrige Jungs, „denn Frauen werden im Verein nicht geduldet“, müssen in einer Art Agon gegeneinander antreten, um Mitglied des Clans werden zu können. Die Aufnahmeprüfung ist dabei stereotyp männlich: „Auf ihre erigierten Geschlechtsteile müssen sie sich die alten Fische stecken […]. Der, dessen Fisch als erster runterfällt, hat verloren.“ Damit noch nicht genug: Der Verlierer erhält ein paar Schläge in den Bauch und ins Gesicht, der Gewinner hingegen wird aufgenommen. Während Paul und das erzählende Ich eine fast homoerotisch anhauchende Einheit bilden, immerhin onanieren sie gemeinsam, reinigen sich die mit Bier betränkten Gesichter gegenseitig mit einem Stofftaschentuch und halten über Nacht den Kopf des anderen, damit dieser nach einem Alkoholexzess nicht an der eigenen „Kotze“ zu ersticken droht, ist der Schulkamerad Ole vielmehr ein Außenseiter. Die Wortwahl des Erzählers ist dabei eindeutig: Der „fette“ Ole „frisst“ seinen Fisch mit Gräten und Kopf, während Paul und er Kotzgeräusche machen. Zudem widerstrebt es den beiden Jungs, dass Ole ein hässliches Entlein, das weniger liebevoll denn abgrundtief böse als „Fischauge“ bezeichnet wird, indem von ihnen besetzten Gebiet zu beschützen und zu lieben gedenkt. Vielleicht schon neidvoll, immerhin ist Ole derjenige, der sich einer Frau annähert, haben sich Paul und der Erzähler der würdelosen Verbannung und Unterdrückung der beiden Eindringlinge verschrieben. Es wird gespuckt, geschlagen, in den Teich geworfen und brutal gehandelt, und das bisweilen ohne direkte Initialzündung. Das Mädchen wird schlussendlich in die Güllegrube geworfen und auch das ‚blöde Zappeln des Fischauges‘ löst in den beiden Jungs kein Erbarmen aus. Und weil Ole den Anweisungen der beiden Unterdrücker nicht Folge leisten will – immerhin ist es seine Aufgabe, das Mädchen schnellstmöglich aus dem Gebiet zu vertreiben – wird auch er Opfer von Handgreiflichkeiten. Somit ist auch das Verheimlichungsspiel wenig überraschend: Ole zieht sich aus dem bisherigen Sozialkontakt weitestgehend zurück, schützt das Mädchen, in dem er sie heimlich trifft und beginnt in der Schule Worte auf einen Zettel zu schreiben, die er ebenso zu verstecken gedenkt. Dumm nur, dass ihn das erzählerische Ich dennoch durchschaut und mit Paul eine Strategie entwickelt hat, das gehasste Fischauge aus dem Gebiet zu vertreiben: Sie stellen sich eben nicht dumm an!

Was Janko Marklein in seiner mikrokosmischen Geschichte abzubilden vermag, ist wohl nicht mehr und nicht weniger als die Darstellung grausamer Langeweile einer in Tristesse und Einöde lebenden Jugend fernab großer Städte, die sich händeringend auf die Suche nach Aufgaben und Verantwortungen zu begeben scheint und dabei vor Grausamkeiten und Gewalt nicht zurückschreckt. Die einfache, schnoddrig und norddeutsch anklingende Sprache, die bis auf einige Ausnahmen der Jugendsprache entlehnt ist, passt dabei hervorragend zu den antipfadfinderischen und heldenhaften Taten einer einsamen und verlassenen Jugend. Allein Ole ist es noch, der die Aufmerksamkeit seiner Eltern genießen darf, während sich Pauls Eltern im Schlafzimmer vergnügen, Pornofilme und Alkohol zur freien Verfügung stellen und nur durch materielle Geschenke zu trumpfen wissen. Man könnte sich fast fragen, was die geschilderte Dorfjungend denn sonst auch anders machen sollte: Gleichsam dürfte jedoch kritisch angemerkt werden, dass gerade deshalb die Erzählung mit bisweilen zu dick aufgetragenen gesellschaftlichen Klischees spielt und dabei auf ein weit verbreitetes Bild einer vernachlässigten, gelangweilten, brutalen und amoralischen Jugend rekurriert. Romantisch und idyllisch ist hier nichts mehr und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zeit dahin rinnt und der Sommer auf einer so kurzen Erzählstrecke dem Herbst zu weichen hat. Originell ist das alles nicht, aber dennoch passend unpathetisch, nicht dumm konstruiert und bisweilen, trotz der Grausamkeiten, erfrischend.

Bibliographische Angabe:
Janko Marklein: Wir stellen uns nicht dumm an. In: 18. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2010. S. 63-69.