Eine Rezension zu Mareike Schneider "Die Holzmieten" Die zynisch überlagerte in Klopapier gerollte Wartemanövertorte, oder besser gesagt: Der Ort der Besinnung

(von Yeliz-Melike Demir)

Der Alltag besteht aus vielen Dingen, die an einem nur so vorbeirasen. Meist unauffällig, manches harmlos und bescheiden, einiges dennoch prägend.

Leben, Tod, Erinnern, Zeit, Warten, Schuld und Enttäuschung sind ungreifbare und unfassbare Bestandteile aus dem Alltag. Sie begegnen einem überall und sind so gegenwärtig. Sie werden wahrgenommen, aber dann wieder vergessen – ausgenommen der Tod. Der ist mit Furcht, Trauer und Abschied verbunden. Was übrig bleibt, ist vielleicht ein Foto, das an die Vergangenheit und die Verstorbenen erinnert.

„Ein Foto riefen wir alle, ein Foto, von dir, nein von euch, auf der Hollywoodschaukel, da. Er setzte sich steif, lächelte verkrampft in die Kamera, und seine Frau trug einen Kranz aus gelben Hundeblumen“ (S. 171). Das ist das letzte Foto vom „Opa“, das noch vor seinem Tod gemacht wurde. Ein Abbild, das an die Vergangenheit erinnert. Vergangenheit und Erinnerung sind wichtige Bestandteile des Lebens, ohne die ist das gar nicht vorstellbar, und das thematisiert die diesjährige Preisträgerin Mareike Schneider in Die Holzmieten. Sie setzt die alltäglichen Elemente in ihrer Prosa ein und konfrontiert den LeserInnen bzw. den ZuhörerInnen mit dem ganz Einfachen. Der Tod, die Ausnahme, wird als etwas ganz normales mit einer geduldig sinnlichen aber dennoch nüchternen Sprache vermittelt. An Emotionen ist dabei gar nicht zu denken. Das verhindert der Text ganz bewusst, und bringt dadurch das Menschliche authentisch zur Geltung. Was draußen in der Welt passiert, interessiert nicht. Der Schauplatz ist lediglich das Haus mit Garten und den Holzmieten. Sonst geschieht nichts, außer, dass jemand stirbt. Der Tod ist eine Art Warteprozess. Die Familie – ohne die Großeltern – besteht aus sieben Personen, die auf den Tod des Opas warten, als wenn man auf einen verspäteten Zug wartet, der einfach nicht kommt, dabei in der Kälte friert und sich nicht aufregt, sondern einfach ungeduldig wird. Es besteht keine große dramatische Handlung voller Emotionen und Schmerzen, es ist alles linear in einem Einklang und ohne Höhepunkte. Es wird gewartet. Und während sie auf seinen Tod warten – natürlich nicht sehnlich –  erfüllen sie ihm seinen Geburtstagswunsch, indem sie, nicht sehr erfreut darüber, das Holz umschichten. Das erscheint ihnen so paradox, da der Tod in ihren Augen nicht mehr weit entfernt liegt. So recht sie mit ihrer Vorahnung doch haben: „Mein Opa, den ich immer so nenne, weil ich es immer so getan habe, starb knapp zwei Stunden nach seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und ziemlich genau zwei Wochen vor seiner goldenen Hochzeit“ (S. 167). Der Tod war zu erwarten, sogar spekuliert wurde darüber und so ironisch sind die ganzen Vorbereitungen im Gegensatz zu den Gedanken: „Warum nicht, es sei doch die Wahrheit. Mit dem Tod eines Menschen zu spekulieren, vor allem wenn es darum gehe, ihm seinen Geburtstagswunsch zu erfüllen, sei zynisch und ein recht unwürdiges Verhalten“ (S. 170). Aber dabei führt gerade der Geburtstagswunsch die Familie zusammen. Die innere Furcht ist, was die Familie nach dem Verlust noch zusammenhält, da das einzige Bindeglied nicht mehr existiert.

Themen wie Familie, Erinnerung  und Tod sind in der Literatur nichts Innovatives, seit dem Realismus behandeln literarische Werke diese Themen. Was macht also diese Prosa so besonders? Stilistisch betrachtet funktioniert der Text sehr gut, das Verfahren der Autorin spiegelt den Inhalt sehr gut wider. Sprache und Inhalt sind im Einklang. Der Text ist in sich geschlossen und gut strukturiert. Außerdem lebt der Text von Details und genauen Beobachtungen. Die Erzählung beginnt mit der Gegenwart, die verbindenden Objekte sind das Grab und der Friedhof, die an die Vergangenheit knüpfen, bzw. Auslöser der Erinnerungen sind. Die Erinnerung führt an den Tag der Beerdigung. Der Protagonist war zu dem Zeitpunkt 15 Jahre alt und beschreibt seine emotionale Lage nach dem Verlust seines Opas. So endet die Geschichte, wie sie angefangen hat: mit dem Tod. Was übrig bleibt sind Reue und Schuld.

Mehr geschieht nicht.

Eine Rezension zu Mareike Schneider "Die Holzmieten" Weil sie es kann

(von Sandra Kozok)

Mareike Schneider trägt eine weiße Schürze über dem Kleid. Ihre offenen, dunklen Haare fallen in leichten Wellen über die Schultern. Ihre Stimme ist selbstbewusst, klar. Ihre Sprache authentisch. So müsse sie doch sein, eine Schriftstellerin. So müsse sich das doch anhören, ansehen, anlesen. „Warum schreiben Sie?“ - „Weil ich es kann“, beantwortet Schneider die obligatorische Sinnfrage auf dem Blog des 22. open mike. Zumindest stünde das so auf ihrem Diplom, fügt sie hinzu. Mareike Schneider ist 1981 in Leipzig geboren. Sie ist diplomierte Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin. Und sie ist die Gewinnerin des zweiten Prosa-Preises beim wichtigsten Wettbewerb für deutschsprachige Literatur-Neuentdeckungen in Berlin.

Mit ihrem Romanauszug Die Holzmieten berührt Schneider ein privates Thema, entblößt das Ohnmachtsgefühl einer Familie im Angesicht des Todes. Opa erliegt seinem zweiten Herzinfarkt – stirbt knapp zwei Stunden nach seinem 75. Geburtstag und zwei Wochen vor seiner goldenen Hochzeit. Die Familie war zusammengekommen, um ihm seinen Geburtstagswunsch zu erfüllen: Das Umschichten der Holzmieten im Garten. Aus der lästigen Aufgabe wird schließlich bitterer Ernst, Opa überlebt die Nacht nicht. Zurück bleiben Hilflosigkeit und Reue. Und das letzte gemeinsame Foto: „Ein Foto, riefen wir alle, ein Foto von dir, nein von euch, auf der Hollywoodschaukel, da. Er setzte sich steif, lächelte verkrampft in die Kamera, und seine Frau trug einen Kranz aus gelben Hundeblumen.“ (S. 171)

Ohne Rührseligkeit und Pathos inszeniert Schneider ein Drama über die großen und kleinen Tragödien des Familienlebens. Sie lässt den/die Leser/in schmunzeln über Klopapierrollentorten und faule Cousins, lässt ihn/sie schlucken über den Schmerz, den der Verlust in Schneiders Protagonisten auslöst. Der Ich-Erzähler erinnert sich zurück an den letzten Tag des Großvaters, beschreibt die Geschehnisse mit sezierendem Blick und agiert selbst in der Geschichte nur als stiller Beobachter. Schneider lässt dabei völlig offen, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Erzähler handelt und betont das menschliche Gefühl jenseits geschlechtlicher Stereotype. Ohnmächtig beobachtet der Protagonist die Mutter bei ihren vergeblichen Wiederbelebungsversuchen: „Die Luft ging ihr aus und sie fragte sich, wie lange es wohl noch dauerte, bis einer käme, um ihr zu helfen, einer nur“ (S. 172). Doch die Hilfe kommt zu spät.

Ihre erzählerische Kraft schöpft Schneider aus der Authentizität ihrer Sprache. Der Text zeigt sich naturverbunden, situiert die Tragödie auf einem Friedhof, in einem Garten, unter Bäumen. „(...) Zwischen der Erde in meiner Hand finde ich die frische, leblose Hälfte eines Regenwurms. Die andere befindet sich vermutlich in den Mundwerkzeugen einiger Ameisen auf dem Weg durch  die geleckten Nachbarparzellen, vorbei an geometrisch genormten Steinen und geklontem Efeu“ (S. 167). Sowohl die Bilder als auch die Sprache der Geschichte sind organisch, schlicht und beobachtend. Ihr Text drängt sich nicht auf, will nicht zu viel auf einmal und füllt sieben Normseiten mit einer Geschichte, die – obwohl es sich um einen Romanauszug handelt – in sich geschlossen ist. „Daraus haben wir nichts gelernt“, resümiert Schneiders Ich-Erzählerin. Der Leser aber schon.

Andreas Maier lobt in seiner Laudatio Schneiders „gefundene, sehr bewegliche Sprache“ und attestiert ihrem Erzählen eine „erdige, menschengebundene Weise“. Mit Holzmieten konnte sich Schneider u. a. gegen Johanna Beckers Molicure Moss und Nora Linnemanns Jackie-Olé durchsetzen. Fraglos, Mareike Schneider weiß, wie Literatur und Bühne zusammen funktionieren: Auf ihrer Webseite finden sich multimediale Literaturperformances neben Terminen für Lesungen und Unterhaltungsabende.

Seit 2011 leitet Schneider an der Universität Hildesheim eine Lehrveranstaltung über die literarische Lesung als eigenständige Kunstform. In Berlin zeigte sie nun, wie diese Kunst aussehen, wie sie klingen kann. Und den ewigen Kritikern der Schreibschulen möchte man erwidern: Schaut her, wie wunderbar das ist! Mareike Schneider ist für Die Holzmieten zurecht von der Jury ausgezeichnet worden. Und sie schreibt natürlich weiter. Weil sie es kann.

Bibliographische Angaben:
Mareike Schneider: Die Holzmieten. In: 22. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. Die 22 Finaltexte. München: Allitera Verlag 2014. S. 167-173.