Eine Rezension zu Kyrill Constantinides Tank "alles ὕλη nix είδος" Durchdachte Oberflächlichkeit

(von Gwendolin Lennartz)

Als Kyrill Constantinides Tank am 18. November die Bühne des 26. open mikes betritt, begegnet dem Publikum ein kühler, fast abweisender Jungautor. Sich und seinen Gedichten gibt er bei seiner Lesung genügend Zeit; er trägt langsam und mit fester Stimme vor.

Thematisch behandelt der von Tank vorgestellte Gedichtzyklus alles ὕλη nix είδος (zu Deutsch: alles Stoff/Materie, nix Art/Ware) mit den Gedichten Tods Photos, Gedicht für sich, An das Wetterleinchen, La Fraga tedesca, Aus: Das weinende Echo und Troilos besiegen und dennoch wimmern die Großstadt, die Arbeitswelt samt ihrer hierarchischen Strukturen, Deutschland und Migration nach Deutschland, Wetter, Geld, Technik, Verbrechen, Zeit und Schmerz. All diese Aspekte blitzen jedoch nur auf, werden durch Schlagwörter als Themen aufgeworfen und erhalten in den Gedichten einen weiten Assoziationsraum.

Die open mike-Bloggerin Lara Sielmann kritisiert in ihrer Rezension diese Eigenschaft an Tanks Gedichten: „[…] inhaltlich kommt es mit eher so vor, als würde Tank mehr an der Oberfläche von Großstadt und Gesellschaft kratzen, als sich tief in ihre Risse fallen zu lassen.“ Jedoch ist gerade die Oberflächlichkeit die Essenz der von Tank dargestellten Welt.

Dass es sich bei dem Verzicht auf Tiefgang bzw. dem Fehlen von expliziten Ausdeutungen nicht um ein Unvermögen des Dichters handelt, sondern dass dies gewollt ist, zeigt sich an der Vielzahl der zum Einsatz kommenden rhetorischen Mittel. So bedient sich Tank eines elliptischen Satzbaus, der das auslässt, was vielleicht ein tieferes Verständnis des Satzes erleichtern, ihn aber auch auf eine Eindeutigkeit festlegen würde. In der Kombination mit Parallelismen werden Zusammenhänge so behauptet, dass sie keine Erzählung präsentieren, sondern nur Verhältnisse darstellen: „Ich Chef, Du Urlaub!“ (S. 12). Durch diesen Stil, aber auch durch konkrete Anzitationen, werden hier zum einen Werbeslogans der Unterhaltungsindustrie und zum anderen Sprichwörter, Phrasen und Floskeln der Alltagskommunikation aufgegriffen, auf die die zwischenmenschliche Kommunikation in den Gedichten reduziert wird. Das von Steffen Popp in seiner Laudatio angesprochene „Sparring von Sätzen“ und die „Satzzerstörung“ Tanks lassen sich auf die Hörererwartung beziehen, die aufgrund der andersartigen Vervollständigung der verinnerlichten Slogans enttäuscht und irritiert wird: „eins kann mir keiner, eins kann mir keiner … […] / eins kann mir keiner nehmen: Raub.“ (S. 14) Hier wird  „Raub“ anstelle von „und das ist die pure Lust am Leben“ ergänzt, wie der Satz im zitierten Popsong von Geier Sturzflug eigentlich endet. Die Intertextualität wird somit aufgebrochen und ironisiert, indem der Unterhaltungscharakter des Zitats mit Kriminalität und der Realität in Straffvollzugsanstalten kontrastiert wird.

Zuflucht sucht das lyrische Ich in Tods Photos daher bei der sprachgesteuerten Assistentin von Apple: „- Siri, wie weh tut eine Mausefalle?“ und richtet sich hierbei paradoxerweise mit einer Frage zum Schmerzempfinden an eine Software. Die Mausefalle verweist darüber hinaus auf den in den Medien diskutierten Suchtfaktor der zeitgenössischen Multimediatechnologie.

Neben der Paradoxie solcher Situationen stellt Tanks Lyrik über bestimmte Sprachbereiche einen starken Gegenwartsbezug her. Englische Begriffe, die den Duktus des modernen ‚Businessspeaks‘ imitieren, werden deutschen Komposita gegenübergestellt. Interjektionen, die die Schriftsprache erst seit dem Aufkommen der Internetkommunikation kennt, werden mit Fachbegriffen aus allerlei Bereichen kontrastiert. Markennamen stehen Naturbegriffen entgegen. Indem all diese Sprachbereiche nebeneinanderstehen, indem ein Gedichtzyklus die Wörter competition, Sparmaßnahmenkörper, höhö, Oxytocin, Lieferando und Kaninchen aufgreift, stellt er die tatsächliche sprachliche Wirklichkeit des zeitgenössischen, ausdifferenzierten Großstadtlebens unter dem Einfluss des globalisierten Kapitalismus bzw. Neoliberalismus dar.

Und so begleiten wir beispielsweise in La Fraga Tedesca ein lyrisches Ich, wie es auf der Suche nach einer Heimat „um Ulm herum“ „zufrieden geboxt“ wird und sich unter der Lohnarbeit für 9,20 Euro pro Stunde der Dienstleistungsbranche beugt (S. 13f.). Die Sprache ist hierbei gemäß des Titels die Materie, über die keine Ware, sondern die Zusammenhangslosigkeit der heutigen Welt transportiert wird. Es ist somit nicht verwunderlich, wenn sich den Rezipierenden von Tanks Gedichten spontan kein tieferer Sinn erschließt, es ist beabsichtigt. Da auch die Jury dieses Potential erkennt, gewinnt Kyrill Constantinides Tank als dritter Lyriker an diesem Abend einen Preis beim 26. open mike.

Bibliographische Angaben:

Kyrill Constantinides Tank: alles ὕλη nix είδος. In: 26. open mike: Wettbewerb für junge Literatur. Die 20 Finaltexte. München 2018: Allitera, S. 9-20.