Eine Rezension zu Levin Westermann "Lyrik" Starke Bilder versinken in scheinbarer Willkür

(von Anna Marsula)

Levin Westermann ist mit seinem Text „Schimmelpilz als Zwiebelmuster" der Gewinner des open mikes 2010 in der Kategorie Lyrik.

Ein Grundton der deutschen Gegenwartsliteratur scheint die Melancholie zu sein. So wird man gerade auch in lyrischen Texten oft von einer düsteren, beklemmenden Atmosphäre umspült, die uns aber auf den ersten Blick ihren Ausgangspunkt vorenthält. Diese Art, die Welt zu umschreiben, scheint man auch in Westermanns Gewinnertext wieder zu finden. Auch wenn durch so manche starke Bilder die Stimmung des Textes greifbar gemacht wird, ist das Thema des Textes durch seine chaotische Anordnung, seine (nur) selten nachvollziehbaren Zeilenumbrüche und die schier unendlich erscheinenden Leerstellen nur schwer zu begreifen. Erst nach intensiver Auseinandersetzung bestätigt sich das Gefühl, dass es in dem Text um den Tod einer Person und die dadurch aufkommende Leere geht. Dabei bezieht sich der Titel des Textes „Schimmelpilz als Zwiebelmuster" nicht nur auf den körperlichen Zerfall, er thematisiert damit auch den Verfall von Erinnerungen und die Vergänglichkeit unseres irdischen Seins. Letzteres wird bereits in der Überschrift des ersten Abschnittes aufgegriffen (unbekannt verzogen) und zieht sich als Beschreibung einer leeren Wohnung weiter durch den Text: „...im flur liegt eine kalte spur aus stille und an die nase dringt ein hauch von unbekannt verzogen.../ ...ein halber spiegel über einem loch mit armatur und die wanne, bis zum rand gefüllt mit schutt und damals.". Diese Leere wird durch die vielen Leerstellen verstärkt, die trotz der detailreichen Umschreibung der Außenwelt entsteht. Dieser Widerspruch spiegelt sich auch in der Struktur wider: Die Zeilenumbrüche erschweren das Lesen, ohne eine offensichtlich tiefgründigere Bedeutung zu haben. Nur an wenigen Stellen scheint es eine gut durchdachte Überstrukturierung zu geben. Die dadurch entstehende Verwirrung macht es einerseits sehr schwierig, sich dem Inhalt des Textes zu nähern. Andererseits könnte sie aber auch für den geistigen Zustand eines Sterbenden stehen, der zwischen Körper und Geist, zwischen Leben und Tod wankt und umherirrt. Unter die möglicherweise eingeschränkte Wahrnehmung eines am Bett gefesselten Kranken mischen sich zunehmend Bilder, die von Natur und Freiheit geprägt sind. Immer wieder wird der Blick auf ein kleines Detail gerichtet, damit es sofort wieder aus der Ferne betrachtet werden kann. So scheint sich der Geist auch immer mehr von seinem gebrechlichen Körper zu lösen und wie außen stehend auf ihn zu blicken. Dieses Spiel mit Nähe und Distanz wird außerdem durch Wechsel der Perspektive weitergeführt. Durch die Wir-Perspektive ist man zu Beginn des Textes ganz nah bei den Personen, wird aberzeitweilig auf die Sicht eines Dritten verwiesen: „...und wenn man annimmt, dass es blumen gab in dieser bleibe - und warum nicht - so künden die dielen auch vom fehlen dieser blumen, ..." . Dabei ist die Anrede mit „du" die vorherrschende Sicht. Die zahlreichen Bilder, die für das Sterben und den Tod stehen könnten, werden im Verlauf des Textes immer deutlicher und enden schließlich mit einer überstrukturierten Verabschiedungsfloskel:

gute nacht, gute

nacht, gute

nacht

Die (ausnahmsweise) gut gewählten Zeilenumbrüche geben uns zwar die Gewissheit, dass der Tod nun letztlich gesiegt hat, doch bleibt ebenfalls viel Spielraum für unterschiedliche Deutungsmuster. So könnte man diese letzten Zeilen nicht nur als Verabschiedung vom Leben sondern auch von einer Geliebten oder Partnerin lesen. Die Frage, ob der Tod aber nun als das Verlieren eines leidvollen Kampfes oder doch als Erlösung von Schmerz und Qualen gesehen wird, lässt sich letztendlich nicht beantworten. Fakt scheint nur, dass jeder Tod eine Leerstelle für alle hinterlässt, die im Leben zurück bleiben. Doch vielleicht soll uns wenigstens der Umstand „trösten", dass auch die Erinnerungen vergänglich sind. Levin Westermann hat zumindest mit seiner Stimmung den Zeitgeist eingefangen. Ob die strukturelle Gestaltung den sprachlichen Bildern wirklich gerecht wird, lässt sich nur in einer ausführlichen Analyse feststellen und dürfte somit strittig bleiben. 

Bibliographische Angabe:
Levin Westermann: Schimmelpilz als Zwiebelmuster. In: 18. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2010. S. 155-162.