Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen

INEF und das Friedensgutachten 2005

Substanz statt Symbolik gefragt

[14.06.2005] Die Reform der UNO ist ein inhaltlicher Schwerpunkt des diesjährigen „Friedensgutachtens“. Erstellt wurde es von den fünf führenden deutschen Instituten für Friedens- und Konfliktforschung, darunter das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität DuE.

Weitere Themen sind aktuelle Krisenherden wie Irak, Afghanistan, Tschetschenien und Sudan.

Das Jahresgutachten wurde von den fünf Instituten (BICC, FEST, HSFK, IFSH, INEF) dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, überreicht und am 14. Juni in der Bundespressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf der Grundlage der Einzelanalyse, die am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen zu den aktuellen Reformvorschlägen von Kofi Annan und anderen erstellt wurde, empfehlen die Herausgeber des Friedensgutachtens der Bundesregierung:

Jetzt ist nicht ein permanenter Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat bedeutsam, sondern die substanzielle Reform dieser Organisation. Das Engagement der Bundesregierung sollte sich darauf richten, die Vorschläge für eine UN-Kommission und ein Büro zur Koordinierung von Friedenskonsolidierung (Peace Building Commission) sowie für einen neuen Menschenrechtsrat zu stützen und ihnen zur Umsetzung zu verhelfen. Außerdem lässt es die Bundesregierung an den Mitteln mangeln, mit denen langfristig wirksamere Maßnahmen zur Krisenprävention unternommen werden könnten. Die Forderung, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf die versprochenen 0,7% des BIP zu erhöhen, muss Jahr für Jahr wiederholt werden.

Jetzt die UN-Reform voranbringen!

Die Herausforderungen bei Gewaltkonflikten, bei der Stabilisierung von Nachkriegsgesellschaften sowie bei der inter- und transnationalen Krisenprävention verlangen bessere Instrumente der Friedenssicherung und neue politische Strategien. Vor diesem Hintergrund hat UN-Generalsekretär Kofi Annan Reformvorschläge für zentrale Gremien der UNO gemacht, über die die UN-Vollversammlung im Herbst 2005 beim Millennium+5-Gipfel zu befinden hat. Der Bericht „Eine sicherere Welt“ einer hochrangigen Beratungsgruppe des UN-Generalsekretärs sowie dessen im März 2005 vorgelegtes Programm „In größerer Freiheit“ zeichnen sich durch realitätsnahe Bedrohungsanalysen und umsetzbare Handlungsempfehlungen aus.

Wir begrüßen, dass der High-Level-Panel Report seinen Schwerpunkt auf die zivile Krisenprävention legt, militärische Interventionen aber nicht ausblendet. So werden Kriterien für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts festgelegt. Dieses Recht darf dem Bericht zufolge auch ausgeübt werden, wenn ein bewaffneter Angriff noch nicht erfolgt ist, aber unmittelbar bevorsteht. Abgelehnt wird dagegen die Selbstverteidigung gegen einen Angriff, der nur mittelbar droht.

In einem solchen Fall wird empfohlen, die Sache dem UN-Sicherheitsrat vorzulegen. Diese Empfehlung ist an die Adresse der USA gerichtet, die für sich ein Recht zur präventiven Selbstverteidigung in Anspruch nehmen, wenn sie sich durch Massenvernichtungswaffen, und sei es auch nur mittelbar, bedroht fühlen.

Wir stimmen dieser Kritik zu. Ein solches Präventionsrecht schafft erhebliche Rechtsunsicherheit und öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Im Blick auf zivile Handlungsoptionen fordern die Experten eine Konzentration auf die Aufgabenbereiche der Krisenprävention und Konfliktnachsorge und schlagen die Einrichtung einer Peace-Building-Commission vor. Das verdient nachhaltige Unterstützung, entspricht den Prioritäten des “Aktionsplans Zivile Krisenprävention” und sollte vergleichbare Kooperationen im Rahmen der GASP anregen. Überzeugend finden wir auch Kofi Annans beherzten Vorschlag, die bisherige Menschenrechtskommission durch einen Menschenrechtsrat zu ersetzen. Er hat den Vorteil, dass mit dem vorgeschlagenen Auswahlverfahren Staaten ausgeschlossen werden können, die die Menschenrechte mit Füßen treten.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht in Deutschland die Reform des UN-Sicherheitsrats. Der High-Level-Panel Report hat hierzu zwei detaillierte Optionen vorgeschlagen. In beiden Modellen ist eine Erweiterung des bisher 15 Sitze umfassenden Sicherheitsrats auf 24 Mitglieder vorgesehen. Im Modell A würde der Sicherheitsrat um sechs ständige und drei temporäre und im Modell B um acht semi-permanente Mitglieder (je zwei Staaten aus Asien, Afrika, Europa und Amerika) und ein temporäres Mitglied erweitert. In beiden Modellen ist kein Vetorecht für die neuen Mitglieder vorgesehen. Modell B, obwohl gegenwärtig weniger aussichtsreich, scheint uns eher als Modell A geeignet, die Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrats und die Legitimität seiner Entscheidungen zu erhöhen. Durch die semi-permanente Mitgliedschaft mit einem Wahlturnus von vier Jahren bekommen die Staaten außerdem einen Anreiz, sich in möglichst vielen Bereichen als good performer für eine Wiederwahl zu empfehlen.

Das von der Bundesregierung verfolgte Ziel, als ständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat aufgenommen zu werden, ist nachvollziehbar, aber noch zu sehr von nationaler Kirchturm- und Machtperspektive geprägt.

„Friedensgutachten 2005“, hrsg. von Ulrich Ratsch, Reinhard Mutz, Bruno Schoch, Corinna Hauswedell und Christoph Weller; Münster: Lit-Verlag, ISBN: 3-8258-8592-5; 12,90 €

Das Friedensgutachten 2005 widmet sich der drängenden Frage nach einer Deeskalation des internationalen Konfliktgeschehens unter drei verschiedenen Perspektiven. Im ersten Kapitel wird nach der Eindämmung spezifischer Konfliktherde gefragt. Welche Rolle spielen die beteiligten Akteure in so verschiedenen Konfliktregionen und -staaten wie z.B. dem Nahen und Mittleren Osten, Afghanistan, Liberia, dem Balkan, Tschetschenien und im Sudan. Welche Deeskalationspotenziale gibt es? Was macht Erfolge und Misserfolge externer und interner Krisenintervention aus? Wie vertragen sich lokale, regionale und internationale Konzepte?

Im zweiten Themenfeld fragen die Autoren nach dem künftigen Umgang mit Massenvernichtungswaffen angesichts neuer (militär-) technischer Herausforderungen und Bedrohungen. Die machtpolitischen Asymmetrien in vielen internationalen und innerstaatlichen Konflikten erfordern neue (präventive) Kontrollsysteme. Wie kann eine weitere Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindert werden? Besteht ein realistisches Bedrohungspotenzial durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen? Wie sollen sich die USA und Europa gegenüber Iran und Nordkorea verhalten? Das letzte Kapitel geht von der Beobachtung aus, dass sich die Balance zwischen militärischer und ziviler Konfliktbearbeitung verschiebt. Gibt es ein neues Selbstverständnis von Streitkräften? Welche Handlungsoptionen und Strategien sind für die UN angemessen? Welche Chancen eröffnet die Reformdiskussion? Wenn innergesellschaftliche, ökonomische und ökologische Konfliktursachen an Bedeutung gewinnen: Wächst die Rolle der Zivilgesellschaft als Friedensakteur?

Das Friedensgutachten ist das gemeinsame Jahrbuch der fünf wissenschaftlichen Institute für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Es wird im Auftrag des Bonn International Center for Conversion (BICC), der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und des Instituts für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF) herausgegeben von Corinna Hauswedell, Reinhard Mutz, Ulrich Ratsch, Bruno Schoch und Christoph Weller.

Das jeweils im Juni erscheinende Friedensgutachten enthält Einzelanalysen von mehr als dreißig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen zu aktuellen Problemen der Friedenspolitik. Konflikte werden analysiert und Friedensstrategien entworfen. Auf diese Beiträge stützt sich die Stellungnahme der Herausgeber. Sie zieht Bilanz, pointiert Ergebnisse und formuliert Empfehlungen für die friedens- und sicherheitspolitische Praxis in Deutschland und Europa.

Redaktion: Beate H. Kostka, Tel 0203/379-2430

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