Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen

Neue Studie

Immer unflexibler: der Übergang in die Rente

[04.06.2013] Den flexiblen Start in die Altersruhe haben mehrere Rentenreformen stark eingeschränkt. Nur teilweise kann dies durch Regelungen in Tarifverträgen oder im Betrieb ausgeglichen werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Prof. Dr. Ute Klammer. Die Folge: Immer weniger Beschäftigte haben noch eine Chance auf einen flexiblen Übergang in den Ruhestand – und das bei verlängerter Lebensarbeitszeit.

Fast zwei Drittel aller Neu-Rentner gingen 2011 vorzeitig in den Ruhestand, lediglich neun Prozent haben bis zur Regelaltersgrenze durchgearbeitet. Vorzeitig oder gleitend das Erwerbsleben abzuschließen wird gesetzlich immer weiter eingeschränkt, so Klammer und ihre Forscherkollegen Nobert Fröhler und Dr. Thilo Fehmel. Der Verlust an Flexibilität ist nach Analyse der Forscher ein Effekt der Reformen, mit denen verschiedene Bundesregierungen die Alterssicherung grundlegend umgestaltet haben. Ihr Ziel: Staatliche Ausgaben zu begrenzen, die Sozialabgaben stabil zu halten und angesichts des demografischen Wandels sicherzustellen, dass es genügend Arbeitskräfte gibt.

Mit den Reformen wurde der vorzeitige Erwerbsausstieg zunehmend erschwert: Die Altersgrenzen für eine vorgezogene Altersrente wurden angehoben und der vorzeitige Rentenbezug mit dauerhaften Abschlägen versehen. Die Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit, nach Altersteilzeit sowie der frühere Renteneintritt von Frauen wurden gänzlich abgeschafft und die Regelaltersgrenze schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Hinzu kommen die Abschaffung des Arbeitslosengeldes unter erleichterten Voraussetzungen ("58er-Regelung") Anfang 2008 und der geförderten Altersteilzeit Anfang 2010. Parallel dazu wurde mit den Hartz-Gesetzen der Erwerbsdruck gerade auf Ältere massiv erhöht, so die Forscher. Schließlich führten die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus und die Notwendigkeit verstärkter betrieblicher und privater Altersvorsorge dazu, dass sich die für die Finanzierung eines vorzeitigen oder gleitenden Erwerbsausstiegs zur Verfügung stehenden Mittel stetig verringern.

Nach Vorstellung der Politik sollen tarifliche oder betriebliche Regelungen den Rückzug des Staates kompensieren. Bislang "hat die ,Entflexibilisierung' des staatlichen Rentenübergangs jedoch keine ,Re-Flexiblisierung' auf kollektivvertraglicher Ebene nach sich gezogen", resümieren Fröhler, Fehmel und Klammer. Stattdessen haben immer weniger Beschäftigte überhaupt die Chance auf einen flexiblen Übergang in die Rente. Und selbst innerhalb dieser kleiner werdenden Gruppe sind die nun praktizierten Lösungen äußerst unterschiedlich.

Leistungskürzungen können nicht aufgefangen werden

Die Forscher sehen darin eine Gefahr: Wenn das so bleibt, drohe sich die Lage künftiger Rentner deutlich zu verschlechtern, da betriebliche und tarifliche Lösungen gar nicht oder zu selten die Leistungskürzungen auffangen können. Für ihre Untersuchung haben die Forscher die tariflichen und betrieblichen Übergangsinstrumente analysiert, Betriebsräte befragt sowie einzelne Branchen und Betriebe in Fallstudien untersucht.

Ein wesentliches Problem liegt der Studie zufolge darin, dass die gesetzlichen Regelungen zum flexiblen Rentenübergang zu einer Zeit verschlechtert wurden, in der sich auch "Deregulierungstendenzen im System der industriellen Beziehungen" stärker auswirkten: Immer weniger Beschäftigte fallen unter einen Flächentarifvertrag, gleichzeitig nimmt auch die Vertretung durch Betriebsräte ab. Insgesamt bewege sich nur noch rund ein Drittel der Beschäftigten "in der ,Kernzone' des dualen Verhandlungssystems aus Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung", schreiben die Wissenschaftler. Die Mehrheit kann daher von tariflich oder betrieblich ausgehandelten Regelungen gar nicht profitieren.

Ungleichheit verstärkt sich: Sozialpolitik gefragt

Während Unternehmen Personalanpassungen früher vor allem über den Vorruhestand gestalteten, greifen sie heute auf andere Strategien wie Ausgründungen, Verkauf oder Schließung von Unternehmensteilen zurück. Daher sei ihr Interesse an einer Gestaltung des flexiblen Rentenübergangs generell gesunken, so die Forscher. An einem Ausgleich der staatlichen Leistungseinschränkung seien sie mehrheitlich nicht interessiert.

Strategische Zielperspektive der Arbeitgeber sei vielmehr eine stärkere Ausrichtung der Übergangsgestaltung an den personalpolitischen Bedürfnissen des einzelnen Unternehmens. Dies umfasse insbesondere die Senkung der Kosten für den Vorruhestand sowie die einseitige Auswahl der Beschäftigten, denen ein Übergangsangebot unterbreitet wird, durch das Unternehmen. Der staatliche Rückzug aus der Regulierung komme diesen Interessen entgegen.

Die Position der Beschäftigten wird dagegen geschwächt: Um den Abbau des Vorruhestands, die Rente mit 67 und das mangelnde Interesse der Arbeitgeber auszugleichen, müssten Gewerkschaften und Betriebsräte in den Verhandlungen andere Forderungen – etwa nach mehr Lohn – zurückstellen, so die Forscher. Unter den Mitgliedern beziehungsweise den Beschäftigten würde dies auf erhebliche Widerstände stoßen.

Selbst in jenen Branchen, in denen die Gewerkschaften noch vergleichsweise stark sind, seien sie tendenziell damit überfordert, den staatlichen Rückzug angemessen auszugleichen. Das zeige sich beispielsweise daran, dass arbeitgeberfinanzierte Instrumente wie Altersteilzeit, Vorruhestandsregelungen oder Abfindungen zunehmend von Langzeitkonten, Teilrenten- oder Betriebsrentenmodellen ersetzt würden, für die vor allem die Beschäftigten finanziell aufkommen müssen.

In der Folge steigt die Ungleichheit: Die Studie zeigt auch, dass die Nutzung tariflicher und betrieblicher Übergangsinstrumente immer stärker vom Einkommen, der Qualifikation und der Arbeitsfähigkeit abhängt. Benachteiligt seien somit ausgerechnet jene Beschäftigtengruppen, die auch von den staatlichen Leistungseinschränkungen besonders betroffen sind: Geringverdiener, Geringqualifizierte, Frauen und Beschäftigte mit einem hohen Invaliditätsrisiko.

"Neben der Gesetzgebung verlieren somit auch die Tarifpolitik und die betrieblichen Arbeitsbeziehungen zunehmend ihre verteilungspolitische Funktion", so Fröhler, Fehmel und Klammer. Die Folgen der staatlichen Entflexibilisierungspolitik würden so noch verstärkt. Die Schlussfolgerung der Forscher: "Da Arbeitgeberverbände und Unternehmen einerseits nicht willens, Gewerkschaften und Betriebsräte andererseits größtenteils nicht dazu in der Lage sind, dieser Entwicklung entscheidend entgegenzuwirken, muss die Regulierung des Rentenübergangs auch in Zukunft vornehmlich Aufgabe staatlicher Sozialpolitik bleiben."

Weitere Informationen:
• Buchpublikation: Norbert Fröhler, Thilo Fehmel, Ute Klammer, Flexibel in die Rente: Gesetzliche, tarifliche und betriebliche Perspektiven, Edition Sigma, Berlin 2013
http://www.boeckler.de/hbs_showpicture.htm?id=42612
http://www.boeckler.de/hbs_showpicture.htm?id=42611

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