Charaktersitika des Werks

Und käme schwarzer Sturm gerauscht

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu Und käme schwarzer Sturm gerauscht [ ↑ ]
Der 76 Seiten umfassende Text Und käme schwarzer Sturm gerauscht mit einem Nachwort von Christian Steinbacher hat die Form fragmentarischer Tagebucheintragungen, die mit Zitaten durchsetzt sind. Auch der Titel Und käme schwarzer Sturm gerauscht ist ein Zitat und stammt aus dem Gedicht Ich würd es hören von Conrad Ferdinand Meyer. Außerdem finden sich Hommagen an Dietrich Fischer-Dieskau. In den Tagebucheinträgen, die aus verschiedenen Jahren von 1992 bis 2000 stammen, schreibt ein Erzähler ohne die Chronologie der Ereignisse einzuhalten von unterschiedlichen Orten und Begebenheiten.
Er gibt in seinem Tagebuch Einblicke in seine Lebenswirklichkeit, wozu seine Homosexualität ebenso gehört wie verschiedene Orte wie Berlin, Salzburg, Moskau und München, aber auch dort angesiedelte Kneipen und Lokalitäten. Bei den Lokalitäten handelt es sich auch um Etablissements, die Gäste abseits des Mainstreams aufsuchen, z.B. Fetischpublikum. Dabei wird genauestens differenziert, sodass einige Lokalitäten mit Codes versehen sind (z. B. „MAN’S PARADISE (AC CC DR G MA p pi sa sb sol VS wh)“, S. 53), zu denen es folgende Erklärung gibt: CC steht beispielweise für „wichtigste Kreditkarten akzeptiert“, DR bedeutet „Darkroom“, MA meint „Gemischte Altersklassen“, pi steht für „Swimmingpool“ und sa bedeutet „Finnische Sauna“ (S. 66). Außerdem berichtet der Erzähler detailliert von seinen intimen Erlebnissen in den Clubs und Szenelokalen.
Die Zitate im Text, deren Herkunft nicht gekennzeichnet ist, knüpfen inhaltlich an die Eintragungen an. Dennoch bleiben die Einträge jeder für sich genommen fragmentarisch und scheinen nicht im Zusammenhang zueinander zu stehen. Lediglich das immer wiederkehrende Thema Sexualität schafft inhaltlich eine textübergreifende Kohärenz.
So wie die inhaltliche erscheint auch die formale Gestaltung des Textes als nicht einheitlich und zusammenhängend. Einige Tagebucheintragungen sind mit Ort und Datum gekennzeichnet („Berlin, 4.3.2000“, S. 15), andere nicht. Die Zitate sind jeweils kursiv und stets ohne Quellenangabe in den Text eingefügt. Dabei wechseln sich Zitate und die Eintragungen des Autors miteinander ab. Beide Komponenten des Textes sind auch immer unterschiedlich lang, manchmal machen die Zitate nur ein Wort aus („Versunken“, S. 36), an anderer Stelle sind sie mehrere Zeilen lang („Wie schnell einer diese verschiedenen Stadien durchläuft, ist von Mann zu Mann anders und wird von verschiedenen Faktoren beeinflußt“, S. 22).
Dem Werk Und käme schwarzer Sturm gerauscht beigefügt sind am Ende vier Huldigungen Dietrich Fischer-Dieskaus, die jeweils mit römischen Ziffern nummeriert sind und mit Ort und Datum versehen sind. Die Hommagen bestehen aus Schriften Fischer-Dieskaus sowie aus vonRobert Schumann vertonten Gedichten.
Leseprobe aus Literaturhaus Wien

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Pressespiegel zu Und käme schwarzer Sturm gerauscht [ ↑ ]
Die Rezension (2014) von Christian Steinbacher auf der Homepage des oberösterreichischen Stifterhauses gibt einen allgemeinen Überblick zum Werk Florian Neuners. Ohne zu werten, gibt er einen kurzen inhaltlichen und formalen Überblick zur Charakteristika der sieben Prosawerke und versucht die Werke hinsichtlich ihres Stils zu vergleichen. Des Weiteren zeigt er Entwicklungen von und käme schwarzer Sturm gerauscht bis Ruhrtext auf: „Das Wanderer-Motiv seines Debüts findet nun ein Pendant im Umherschweifen, dem eine Abfolge von Wahrnehmungen und unmittelbaren, von trockenem Humor und melancholischer Ironie gefärbten Kommentaren korrespondiert.”

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Forschungsspiegel zu Und käme schwarzer Sturm gerauscht [ ↑ ]
Die literaturwissenschaftliche Forschung schenkt Florian Neuner bisher kaum Beachtung. Die wenigen Aufsätze über ihn und sein Werk nähern sich Autor und Werk auf unterschiedlichen Wegen. Silvana Steinbacher führte für ihren Aufsatz ein Interview mit Neuner, über welches sie dann schrieb und der Artikel von Thomas Ernst befasst sich mit den Montagetechniken innerhalb der Werke und beinhaltet ein Interview mit dem Autor über aktuelle Entwicklungen in der Literatur und die Sicht Neuners auf seine Arbeit. Christian Steinbacher befasst sich explizit mit Und käme schwarzer Sturm gerauscht und Ralf B. Korte nähert sich in seinem Aufsatz Neuners Texten über das Medium Film, in dem er Montagetechniken beim Film beschreibt, Montage als ein Element des Films nennt und dies dann in Beziehung setzt zu Neuners Texten. Des Weiteren verfasst Neuner selbst in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Idiome die Editorials. In diesen äußert er sich zur geringen öffentlichen Wahrnehmung von Autoren wie ihm im Literaturdiskurs und zu aktuellen Entwicklungen in der Literatur.

Montage
In den Arbeiten zu Neuners literarischem Schaffen werden einige wesentliche Aspekte hervorgehoben. Einerseits findet seine Technik der Textmontage häufig Erwähnung (bei Thomas Ernst, Christian Steinbacher, Silvana Steinbacher und Ralf B. Korte) andererseits Themen wie Homosexualität und eine damit verbundene Subkultur (bei Thomas Ernst, Christian Steinbacher, Silvan Steinbacher und Ralf B. Korte) sowie Reisen und alltägliche Erlebnisse der Protagonisten (bei Thomas Ernst, Christian Steinbacher und Silvana Steinbacher) und die Reflexionen über Sprache und Literatur (bei Thomas Ernst, Christian Steinbacher und Silvana Steinbacher).
Die Montagetechnik wird nicht nur von Thomas Ernst, sondern auch von Silvana Steinbacher, Ralf B. Korte und Christian Steinbacher als wichtiges Merkmal in Neuners Prosa erachtet. Neuners Texte werden „von der Montage von Fundstücken und Erlebtem bestimmt“ und sind „eine kunstvolle Montage von vorgefundenen Zitaten aus sehr verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und von autobiografischem Sprachmaterial“ (Ernst 2010, S. 174). Dies beschreibt auch Christian Steinbacher: der Text sei kunstvoll zusammenmontiert, sodass „sich eben Disparates unter einer gemeinsamen Färbung findet“ (Steinbacher 2001, S. 69). Die Herkunft der Zitate bleibe mitunter unklar, sodass die exakte Rekonstruktion der Montage, d. h. welches Zitat aus welcher Quelle wie in den Text eingearbeitet wurde, nicht möglich ist. Dies sei von Neuner intendiert: „Neuner […] verunmöglicht die Rekonstruktion des Autors als einen 'genialischen und souveränen Arrangeur' des Montierten […] Das Autorbewusstsein bleibt eine Black Box“ (Ernst 2010, S. 175). Auch Silvana Steinbacher erkennt in der Montage Neuners wesentliche Arbeitstechnik:„ Sein literarisches Prinzip ist die Montage“ (Steinbacher 2008, S. 90), bei der einzelne Textbausteine zu „literarischen Kompositionen verwoben“ werden (ebd.). Charakteristisch für Neuners Textmontage Und käme schwarzer Sturm gerauscht ist nach Christian Steinbacher auch, dass der Text zwar als Montage zu orten sei, aber nicht im „herkömmlichen Sinn“ (Steinbacher 2001, S. 67).
Ralf Korte geht den Weg über filmische Montagetechniken, um Neuners Techniken zu beschreiben. So charakterisiert Korte Montage als filmisches Gestaltungselement, die für eine filmische Realität sorge. Diese Realität stehe oft im Widerspruch zu der Wirklichkeit außerhalb des Films. So nennt er als Bespiel spezielle Geräusche der Fernsehserie Raumschiff Enterprise, die vorgeblich im Weltall erzeugt werden, in der Realität physikalisch aber nicht möglich seien (Korte 2004, S. 113). In diesen Beispielen bezieht er sich zwar nicht konkret auf Textpassagen Neuners, doch er stellt fest, dass Neuner allgemein „unbeirrt“ am Montageprinzip festhalte (Korte 2004, S. 112). Zudem nutzt Korte die Techniken Neuners, um diese zu veranschaulichen. So sind in seinem Text kursiv gekennzeichnete Zitate eingefügt und der Text scheint konkreten Aussagen zu Neuners Texten auszuweichen. Darauf werden die Leser*innen dann auch hingewiesen: „ärgert es Sie, noch immer darauf warten zu müssen, den text florian neuners zu hören? Vielleicht hören Sie längst den text florian neuners, […] vielleicht geht das hier in den text neuners gleitend über“ (Korte 2004, S. 113).

Homosexualität
Auf Homosexualität als zentralen thematischen Aspekt in Neuners Textwelten verweisen sowohl Thomas Ernst als auch Christian Steinbacher. Ernst beschreibt die „fragmentarische Darstellung der schwulen Subkultur“ (Ernst 2010, S. 174) und Steinbacher erkennt in Und käme schwarzer Sturm gerauscht die „Konstruktion einer homosexuellen Identität“ (Steinbacher 2001, S. 68). In beiden Fällen wird die Thematik der Homosexualität mit den Reisen und Bewegungen der Protagonisten in Zusammenhang gesetzt. So stehen nach Ernst die von Neuner häufiger erwähnten Kneipenbesuche und Darkroom-Erlebnisse der Erzählerfiguren mit einem romantischen Wanderer-Motiv in Zusammenhang. So durchschreiten die Protagonisten Kneipen und Clubs, wobei die Erlebnisse und Zitate widersprüchlich seien und als „Movens” wirkten, gleichzeitig aber auch Verlustängste und Auflösung hervorriefen (Ernst 2010, S. 175).

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Jena Paradies

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu Jena Paradies [ ↑ ]
Das Werk Jena Paradies umfasst ca. 180 Seiten und hat in erster Linie Homosexualität zum Thema. Neben diesem Hauptthema verarbeitet Neuner in den Kapiteln unter anderem die Aspekte Alkoholkonsum und Städteerfahrungen. Zeitweise wirkt der Text wie eine Art Reise- oder Party-Tagebuch, in dem die Kneipen und Reiseerlebnisse des Ich-Erzählers geschildert werden. Die Reisestationen gliedern den Text; mit einem Ortswechsel ist meist ein Themenwechsel verknüpft. Die einzelnen Themenkomplexe werden vorwiegend mit einem Zitat abgeschlossen. Die den gesamten Text durchziehenden Zitate, die dem Text seinen Rhythmus verleihen, sind durch Kursivsetzung gekennzeichnet und selten in den Fließtext eingebettet, meistens jedoch vom restlichen Text durch Absätze abgetrennt. So zum Beispiel folgt auf das Zitat, „Beim heraufziehen der Nacht.“ (S. 26), eine Zeile später: „Die Zeit schien Still zu stehen und zugleich erfüllt zu sein“ (S. 26).
Für jedes Kapitel gibt es dabei bestimmte Bücher und Texte, aus denen zitiert wird. Um welche Texte oder AutorInnen es sich dabei handelt, wird im Anhang des Buches aufgezeigt. Neuner nennt hier beispielsweise Ilse Aichinger, Heiner Müller, Fritz Gruber, Hermann Burger, Péter Nádas oder Wolfgang Hildesheimer. Als konkrete Texte können an dieser Stelle Michail Bachtins Rabelais und seine Welt oder Imre Kertész Fiasko angeführt werden.
Eine Besonderheit des Stils bzw. des Erzähltons ergibt aus den Zitationen und auch in der Anonymisierung der Personen, die das Ich trifft. Diese werden nicht mit vollem Namen genannt, sondern durch einen Buchstaben abgekürzt: „Ich suche mir also im Kopf Zugverbindungen zusammen, die mich zu N.‘s Begräbnis bringen sollen, wenn ich schon zu N.‘s Lebzeiten so viele Gelegenheiten versäumt habe, mit ihm zusammen zu sein“ (S. 43). Dem gegenüber werden die Namen von Orten wie Hotels oder Kneipen besonders hervorgehoben: „Es ist heiß in der BERLINER BIERKATAKOMBE.“ (S. 45).
Erzählt wird das Ganze von einem Ich, das zwischenzeitlich so spricht, als wäre es der Autor des Buches. So schreibt es davon, wie es Zitate oder anderes für das Buch notiert: „Im CAFE SEMADENI schreibe ich auf den Meldezettel, daß ich mich auf der Reise von Venedig nach Laa an der Thaya befände.“ (S. 7).
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Formale Aspekte zu Jena Paradise  [ ↑ ]
Florian Neuners Schaffen umfasst neben Prosawerken außerdem journalistische Texte für unterschiedliche Fachzeitschriften sowie Radiobeiträge.

Sprache
In seinen sieben Prosatexten werden die unterschiedlichen Zugriffe des Autors auf Sprache und Schreiben deutlich. Experimentelles Schreiben (u.a. Montage von Zitaten) und der essayistische und reflexive Umgang mit Sprache stehen in unterschiedlicher Ausprägung nebeneinander. Ein dominantes Merkmal von Florian Neuners Texten ist die Intertextualität und das Spiel mit Zitaten, die er in die Texte einfügt, deren Herkunft aber oft unklar ist, z. B. in Jena Paradies, Zitat: Ende oder Und käme schwarzer Sturm gerauscht.

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Pressespiegel zu Jena Paradies [ ↑ ]
Florian Neuners Text Jena Paradies wird wie auch seine anderen Werke in der Presse eher spärlich beachtet. Die wenigen Kritiken sind meist positiv. So beschreibt Christian Steinbacher den Inhalt des Buches als „ein Bemerken und Sichten von Zusammenhängen, begleitet und grundiert von Betrachtungen von und zu Kneipen, Zügen, Schreiben, Saufen, Homosexualität, Kunst, Überdruss“ (Kulturbericht Oberösterreich Nr.10 2004). Michael Hammerschmid findet in seiner Rezension für die Zeitschrift Wespennest (März 2006) mögliche Kritikpunkte: „Der genussvollen Lektüre des Werks schadet es eher, sich länger mit dem vom Autor bereitgestellten, vollkommen überflüssigen Anhang zu beschäftigen“. Doch er stellt auch heraus, dass das Buch insgesamt gelungen und grundsätzlich positiv zu bewerten sei: „Denn es bleibt, so scheints, eine wichtige Sache ungesagt, etwas, das in den Lötstellen zwischen Zitat und Bericht eingeschmolzen ist. Etwas, das nur hier und dort wie unter einer Eisschicht durchscheint. Dies ließe sich als Vorwurf gegen Text und Autor ausarbeiten, es ist aber das, was dieses Buch so großartig macht“. Weiter hebt er den Humor des Textes hervor: „Humor ist auch die Leichtigkeit, in der der Text eine Brücke an Land schlägt“. Auch Georg Renöckls Kritik ist vorwiegend positiv, so heißt es dort zwar: „’Jena Paradies’ ist ein Text, der es seinen Lesern nicht leicht macht. Einsamkeit bis zur Depression, Trinken bis zum Blackout und Sexszenen bis zur Piss-Orgie dominieren das Buch“ (Stand 07.07.2014). Dennoch konstatiert er: „Ist man aber bereit, sich auf das intertextuelle Spiel mit den verschiedenen Sinnebenen einzulassen und den Fährten, die der Autor legt, zu folgen, lohnt sich die Mühe – und bei aller Depression und Einsamkeit sorgt Neuners ungewöhnlicher Reisebericht dann auch für wachsendes Lesevergnügen“.

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China Daily

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu China Daily [ ↑ ]
Die ca. 55 Seiten umfassende Prosapublikation China Daily versammelt Eindrücke und Erlebnisse von einer Reise nach China, aber auch konkrete Zustände und Probleme, die Teile Chinas oder China als Ganzes betreffen. Diese stehen mit der Reise des nicht näher benannten Ich-Erzählers aber nicht direkt in Zusammenhang. In das Werk eingefügt sind 19 Farbfotografien, die allesamt verfremdet sind und Personen vor Gebäuden, Plakaten und in anderen Situationen zeigen.
Der Erzähler berichtet in zwölf Kapiteln von seinen Reiseeindrücken und Erlebnissen in Chinas Hauptstadt Bejing. Er schildert, wie er die Stadt und das Land wahrnimmt und erzählt auch von den kulturellen Eigenarten und spezifischen Verhaltensweisen der Chines*innen. Dabei erwartet der Erzähler zu Beginn seiner Reise einen „Kulturchok“ (S. 3): „Ich hätte Bücher lesen können, die mich auf den Kulturchok vorbereitet, ihn vielleicht abgemildert hätten. […] Ich erwarte also so etwas wie einen Kulturchok“ (S. 3f.). Unter die Reiseerlebnisse mischen sich immer wieder Berichte über aktuelle Probleme und Zustände in China, z. B. über die Umwelt oder die Ausrüstung der chinesischen Polizei. So heißt es beispielsweise: „Überweidung, Kahlschlag in den Wäldern sowie der Bau von Fabriken, Zechen & Transportwegen haben im Norden & Nordosten Chinas eine rasch voranschreitende Wüstenbildung ausgelöst. Mehr als 500 Hektar Ackerland sind durch Regenfälle verwüstet“ (S. 10). An anderer Stelle wird ausgeführt: „Das Ministerium für öffentliche Sicherheit plant, weitere zehn Helikopter anzuschaffen“ (S. 39). Diese Berichte fließen scheinbar zusammenhanglos in den Text ein, sind gelegentlich mit Erlebnissen des Erzählers verknüpft und an Erzählungen von Gesprächspartnern gebunden.
Im gesamten Text werden wiederholt kulturelle Unterschiede und der Umgang mit anderen Kulturen thematisiert. So berichtet der Erzähler von verschiedenen Eigenschaften der Chinesen, die ihm als dem kulturell Fremden besonders erscheinen, erzählt aber auch davon, wie die Chinesen mit dem zunehmenden Fremden in ihrer Kultur umgehen, z. B. die Verbreitung von westlichen Fast-Food-Ketten. So meint er, dass die Chines*innen „zwar neugierig auf Fremdes“ seien, „es aber keineswegs [tolerieren]“ (S. 8) und fügt an, dass Chines*innen nichts an Streitereien gelegen sei: „Chinesen vermeiden Konflikte am liebsten“ (S. 8). Ebenfalls thematisiert er die tabuisierende Wahrnehmung von Homosexualität in China: „Noch immer bestreiten sowohl Regierungsbeamte wie Ärzte, daß es in China überhaupt Homosexuelle gibt“ (S. 9).
Verschiedenste Eindrücke, Beobachtungen und Erlebnisse verbinden sich in diesem absatzlosen Prosatext zu einem Ganzen. Häufig werden Textteile scheinbar zusammenhanglos aneinandergefügt, dennoch ist über die Sprache und die stete inhaltliche Rückkehr zu den Reiseerlebnissen ein satz- und kapitelübergreifender Erlebniszusammenhang gegeben.
Der nicht namentlich genannte und nicht näher bestimmte Erzähler nimmt häufig die Rolle eines Ich- Erzählers ein, der stark von persönlichen Eindrücken geprägt ist, agiert bei seinen Berichten über die Zustände in China und die Probleme des Landes hingegen als heterodiegetischer Erzähler, der sich selbst zurücknimmt und hier nicht als Ich, nicht als Teil der Textwelt, in Erscheinung tritt.
Bei den eingefügten verfremdeten Fotografien lassen sich inhaltliche, z.T. kontrastierende Bezüge zum Text erkennen. So folgt der Beschreibung der Situation Homosexueller in China (S. 9) auf der nächsten Seite ein Bild, das zwei Männer zeigt, die sich küssen (S. 10).
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Zitat Ende

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu Zitat Ende [ ↑ ]
Zitat Ende umfasst ca. 170 Seiten und befasst sich – wie der Titel anklingen lässt – in erster Linie mit den Themen Sprache und Schreiben. Außerdem werden wie in anderen Neunertexten die Aspekte Alkoholkonsum und Homosexualität beleuchtet. Die Themenfelder Sprache und Schreiben werden dabei in den meisten Fällen in einer Art Diskussion des Ichs mit sich selbst dargestellt. Bei den anderen Themen wie Homosexualität entsteht der Eindruck einer Erzählung von authentischen Vorkommnissen. Der Wechsel zwischen einzelnen Themengebieten geschieht teilweise recht sprunghaft, sodass ein Zusammenhang nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Alkohol und Homosexualität treten häufig in Zusammenhang auf, so berichtet der Erzähler mehrfach von Bars oder SM-Partys. Durch unterschiedlichste Orte oder auch Zitate angeregt lässt der Erzähler häufig seine Gedanken schweifen, kommt auf das Schreiben dieses Buches und auch auf sein Material, die Sprache, zu sprechen und teilt seine Meinung dazu mit.
Der gesamte Text ist durchzogen von meist ungekennzeichneten Zitaten. Nur in wenigen Fällen ist ein Zitat markiert; entweder kursiv mit der Quelle in Klammern: „Alkohol ist auch keine Lösung. (Harald Juhnke)“ (S. 40), durch Anführungszeichen mit der Quelle in Klammern: „Von der >>Konstruktion einer Welt aus sprachlich konstruierbaren Sachverhalten<< (H.G. Wienefeldt)“ (S. 86-87) oder nur durch Angabe einer Quelle: „Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen. (Walter Benjamin)“ (S. 56). Das Zitieren wird im Text zudem selbst zum Gegenstand der Reflexion: „Zitate werden aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst, um mit- oder gegeneinander einen neuen Kontext auszubilden“ (S. 6).
Das einzige Gliederungsmerkmal im Werk sind die Kapitel, da es in den einzelnen Kapiteln keinerlei Absätze gibt. Ein weiteres besonderes Merkmal sind die in Klammern gesetzten Sätze, die in den normalen Fließtext eingebaut sind und selten einen erläuternden Charakter besitzen.
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Formale Aspekte zu Zitat Ende [ ↑ ]

Ich-Erzähler
In jedem Text wird aus der Sicht eines Ich-Erzählers berichtet, der zeitweise aber auch in einer auktorialen Erzählsituation auflöst bzw. dahinter verschwindet. Die Erzähler erwecken häufig den Eindruck, mit dem Autor Neuner identisch zu sein. So heißt es in Zitat: Ende: „Das Autobiografische wird als Material betrachtet, das gleichberechtigt neben anderen Materialien steht“ (S. 22.).

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Pressespiegel zu Zitat Ende [ ↑ ]
Zu Zitat Ende finden sich zwar kaum Kritiken beziehungsweise Rezensionen, doch wenn, sind sie positiv. Martin Kubaczek zeigt in seiner Rezension in erster Linie die Aspekte des Textes auf: „Der Text zerbricht schon im Entstehen, er stellt sich selbst in Frage, breitet Szenarien des Abwegigen aus, testet die Ekelgrenzen, erhebt utopische Forderungen, konnotiert furios zwischen den Etagen der sozialen Schichten, stellt die philosophischen Überbau-Diskurse auf eine Ebene mit den Erfahrungen im Untergrund der Schwulenszene“ (Stand 23.06.2014). In Neuners Text sei „Irritation […] mitprogrammiert“, dies sei jedoch kein Problem, denn „zugleich werden (zumeist in unausgewiesener Zitatform) Verfahrensweisen transparent gemacht und Interpretationsmöglichkeiten (auch ironisch) mitgeliefert“. Crauss äußert sich in seinen beiden Kritiken auf poetenladen.de deutlich expliziter und auch positiver. In seiner ersten Rezension (23.06.2014) verwendet er bei seiner Charakterisierung des Inhalts nur lobende Worte: „zitat ende, Neuners zweites buch im ritter verlag, ist eine postromantische reise ins innere der dichterseele und ein ausgezeichneter führer durch städte, städtchen und gegenden, die von baedeckertouristen allzu leichtfertig übersehen werden“. Im weiteren Verlauf äußert er sich auch kritisch, indem er das Fehlen von Absätzen bemängelt. Doch für ihn ist Zitat Ende „ein gelungener nachfolger von Neuners venedig-roman jena paradies, und das in einer endlos langen zeile, denn zwar bilden die satzzeichen in gewisser weise haltepunkte, aber es gibt ja keine absätze, leerzeilen, gliedernde zäsuren“. Die fehlenden Haltepunkte seien aber unproblematisch, denn „Neuner [bekommt] es hin, dass man ihm als leser alles erlaubt. alles“. In seiner zweiten Rezension (ebenfalls vom 23.06.2014) zeigt er, dass Zitat Ende für ihn ein „prachtvoller choral auf die unbestimmtheit der sprache“ ist. Das Werk ist seiner Meinung nach durchaus zur Unterhaltung gedacht. Er empfiehlt, man solle „zitat ende als roman verstehen, als unterhaltungsprosa lesen“. Zitat Ende schaffe es nicht nur „seelenstände zu illustrieren und atmosphäre zu schaffen“, sondern auch in „tiefere sphären“ einzudringen. Abschließend stellt er zu dem Buch fest: „vor allem aber macht es glücklich“.

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Ruhrtext: eine Revierlektüre

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu Ruhrtext: eine Revierlektüre [ ↑ ]
In dem 500 Seiten-Band Ruhrtext mischen sich Beschreibungen, Gedanken, Fakten und Eindrücke, die ein nicht konkret bestimmtes Ich auf seiner Reise durch das Ruhrgebiet sammelt und dokumentiert. Dabei wird die Art der Reise beschrieben: „Das Umherirren in der Stadt ist ja ein häufiges Motiv in der Literatur“ (S. 31). Die Gegenstände der Beobachtungen und Beschreibungen werden im Vorwort, das den Titel „Auffahrten, Aufschließen. Einfahrt“ trägt, vorgestellt: Zwischen Emscher und Ruhr „[gleiten] Städte […] vorüber: Oberhausen, Gelsenkirchen, Herne, Gladbeck, Bochum, Witten [...] zerschnitten von Eisenbahnen, Autobahnen& Rohrleitungen. Schlacken, Mauerreste, Bahndämme, Stahlträger, Absetzbecken. [...] Massive Schönheit& abrupte Häßlichkeit. Einfamilienhäuser, Gewerbegebiete in der erstaunlichsten Mischung aus Werkstätten, Villen, aufgegebenen Hallen& Schuppen, wilde Kleingärten& Brachflächen, Discotheken & Billigmärkte. Krankenhäuser, Reiterhöfe, Reste von Landwirtschaft. [...] Das Ruhrgebiet ist ein urbanes Planetensystem ohne Zentralgestirn. Eine polyzentrische Stadtlandschaft mit fünf Millionen Einwohnern“ (S. 9).
Insgesamt 28 Orte, die in Dérive I- XXVIII als Kapitelüberschriften gegliedert sind, beschreibt Neuner in seinem Ruhrtext. „Dérive – man findet diese Definition in Anm. 150 eines kleinen Organons – kann verstanden werden als antizipatorische Forschungs- & Lebensweise in Zeiten einer Windstille der Klassenkämpfe“ (S. 100). Ruhrtext ist eine Mischung aus Reiseerzählungen und historisch-politischen Essays. Zwei Bilderserien (I. S. 163-178 und II. S. 329-344) von Jörg Gruneberg veranschaulichen Orte des Ruhrgebiets. So stehen Kapitel über die Dérives neben Berichten und Essays. Diese tragen z.B. die Kapitelüberschrift „Bermuda“. Dort wird von Erfahrungen des offenbar homosexuellen Ich-Erzählers in einer Schwulenbar im Bermuda3eck in Bochum berichtet. In einem anderen Kapitel „Die Mobilisierung der Orgel“ ist die Rede von einem Organisten, der auf der besonderen Schuke-Orgel in Essen Rellinghausen spielt. Das Verweben von Essays, die ganz unterschiedliche sozio-kulturelle Aspekte aufzeigen, verknüpft mit den kollagenartigen Dérive-Texten und Fotoserien über die Orte des Ruhrgebiets bildet das schillernde Spektrum der Region geradezu ab bzw. evoziert es.
Ähnlich wie beim Streetview von Google Maps führt ein Erzähler den Leser in den Dérive Kapiteln durch die Straßen des Ruhrgebiets. Neben Häuserfassaden greift die nicht näher bestimmte Erzählerfigur unterschiedlichste Texte (Kneipenbeschriftungen, Plakattexte, Zeitungsausschnitte, Straßennamen, Graffity u.v.m.) im Leseakt auf: „Irgendwo die Aufschrift Union Stahl. Lesewut Blicklenkung, Entzifferungszwang, wie Bodo Hell schreibt. Wie man davon abhängig ist nicht nur in fremder Umgebung: Was steht denn da? Wie ich von mir sagen würde, daß meine Aufmerksamkeit sich in erster Linie auf buchstäbliches lesbares richtet und dann erst auf Bilder& Symbole“ (S. 108). Dabei entlarvt der Text auch Vorfindliches wie etwa einen Friseursalon mit dem freundlichen Namen „Rapunzel der Märchenhafte Friseur“, bei dem jedoch hinter der Fassade die dort „lauernde“ Realität beschrieben wird.
Die Texte der Stadt verbinden sich mit Gesprächsfetzen, Ausschnitten aus Kneipendialogen und Notizen, durchsetzt mit Zitaten von Situationisten wie Guy Debord, zu einer Textcollage in einem Layout ohne Absätze. Während in den Dérive-Kapiteln auf Absätze verzichtet wird und eine fragmentarische Sprache den Stil des Textes prägt, zeigt sich stärkere Kohäsion in den historisch-politischen Essays sowohl in der Sprache als auch im Layout.
Hin und wieder tritt der nicht näher bestimmte Beobachter als homodiegetischer, dann wieder als heterodiegetischer Erzähler in Erscheinung, bei manchen Essays rückt er komplett aus dem Blick und gelegentlich entsteht der Eindruck eines unzuverlässigen Erzählers, da er in diversen Kneipensituation reichlich Alkohol zu sich nimmt und in einem Kapitel heißt es: „Wenn man eine Stadt zu beschreiben vorgibt& dabei in Wahrheit über eine andere spricht. Wenn Ähnlichkeit subjektiv empfunden wird& Gegensätzlichkeit ja auch als eine Form von Ähnlichkeit verstanden werden kann“ (S. 61).
Leseprobe Ruhrtext: Auffahren, Aufschließen. Einfahrt

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Formale Aspekte zu Ruhrtext: eine Revierlektüre

Selbstreferentialität
Mehrfach wird in den Werken auf jene Einflüsse und Konzepte, die den Texten zugrunde liegen, hingewiesen, so z. B. in Ruhrtext: eine Revierlektüre. „Ja, alles ist fragmentarisch, der Text ist zusammenmontiert aus Fragmenten. Aus Ausschnitten, wahrgenommen in Bottrop-Boy, aufgelesen auf der Straße“ (S. 40). So spiegelt die Form der Texte den behandelten Gegenstand, indem der aus unterschiedlichen Elementen zusammengesetzte Gegenstand in dieser Form der Collage auf der Textebene dargestellt wird.

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Pressespiegel zu Ruhrtext: eine Revierlektüre [ ↑ ]
Matthias Fallensteiner rezensiert Ruhrtext: Eine Revierlektüre als ein absolut gelungenes Werk neuer Prosa, während Jens Dirksens Votum zu Ruhrtext in der WAZ 2010 ambivalent ausfällt. Fallensteiner gibt seine Eindrücke der Lektüre von Ruhrtext wieder, indem er einerseits Sujets der Erzählung beschreibt: „die geschilderten Traumfahrten waren die eines verlorenen Ich [...] in obsessivem Suff und Sex [...]. Die Wege und die Stationen dieser Reisen folgten einem diffusen Verlangen, sie trieben den Erzähler durch Kneipen, Klappen, Parks und die dreckigen Dunkelräume einschlägiger Etablissements [...] bis an die Grenzen des auch für den Leser noch Erträglichen.“ Andererseits fragt der Rezensent, was den Autor dazu bewege, solch „raffinierte Prosa“ zu schreiben, die „alle Arten von Assoziationen mit gezielt montierten Zitaten aus fremden Texten verknüpfte, so lange, bis man zwischen Zitat und Text kaum einen Unterschied mehr zu erkennen vermochte“. Der Ruhrtext biete eine große Fläche und viel Raum, um die Imganination der Leser*innen zu entfalten und zeichne sich deshalb als ein guter Roman aus: „In Florian Neuners Lektüre der Stadtlandschaft wird genaue Beobachtung auf eine ebenso imaginäre Ebene entrückt, man verliert sich in Träumen oder Alpträumen [...] von wirtschaftlichem Aufschwung und Verfall, von künstlerischer Vitalität und Industriebrachen, die zu Museen werden, von Stadtplanung und ihren mannigfaltigen Grenzen: alles Geschichten, alles Text.“ Dass es die Leser*innen Überwindung kosten mag, diesen Text zu rezipieren, verschweigt Fallensteiner nicht, verweist aber auf das spezifische Erleben, dass die Lektüre bewirken kann: „Die Revierlektüre ist nicht schwerer als eine Fußreise durch das Ruhrgebiet: Man muss sie ja nicht auf einmal erledigen. Aber es lohnt sich, sie zu unternehmen“. Abschließend zieht Fallensteiner den Vergleich zum französischen Naturalisten Émile Zola, denn Neuner sei es gelungen, den Text des Ruhrgebiets in naturalistischer Manier in eine experimentelle Prosa zu transferieren: „keine Indifferenz von Text und Zitat: vielmehr Text und Text, ununterscheidbare Einheit zweier Sprachen“.
Dass Ruhrtext das einzige Werk Neuners ist, das in einer regionalen Zeitung in NRW Erwähnung findet, mag damit zusammen hängen, dass der Text anlässlich Ruhr.2010 – Kulturhauptstadt Europas erschienen ist und somit mehr öffentliche Beachtung gewann als die anderen Werke. So konstatiert Dirk Jensen in der WAZ 2010 den Mut Neuners, der es „wagt, unter dem Titel ‚Ruhrtext‘ einen 500-Seiten-Band über diesen Ballungsraum mit Herz, aber ohne Mitte vorzulegen“. Aus Jenens Sicht sei es Neuner gelungen, dieses Vorhaben in eine passende Form zu bringen: „Hier spiegelt sich tatsächlich das Ruhrgebiet in der erzählerischen Struktur, die Form ist dem Gegenstand auf den Leib geschrieben“. Als Lesevergnügen sei Ruhrtext aus Dirksens Sicht jedoch nicht geeignet: Was dem Buch fehle, sei „eine übergeordnete Dramaturgie, der Spannungsbogen, den ein Roman durch die Entwicklung von Ich und Gesellschaft entwickelt“. Dennoch sei Ruhrtext ein Werk, das – ohne „allzu privatistische, allzu hermetische Chiffren und Bilder zu gebrauchen“ – einen sprachlichen Zugang zum Ruhrgebiet vermittele.

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Satzteillager

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu Satzteillager [ ↑ ]
Satzteillager, das ca. 150 Seiten umfasst, ist eine Sammlung von Eindrücken, Erlebnissen und Gedanken eines nicht näher benannten Erzählers, der seine Eindrücke in Form einer Collage aus grammatikalisch unvollständigen Einzelsätzen festhält. Inspiriert wurde Florian Neuner zu diesem Werk durch das Musikstück Schubert Teilelager von Rolf Riehm, das im Titel anklingt.
Ursprünglich mit dem Ziel angereist, einen Text über Gelsenkirchen- Ückendorf zu verfassen, bringt der Erzähler stattdessen Erlebnisse und Eindrücke seiner Reise an die Ostsee und später nach Italien zu Papier. Mit Hilfe von insgesamt 16 Konjunktionen, die auch als Kapitelüberschriften dienen, wird von unterschiedlichsten Gedanken und Erlebnissen berichtet. Die Geschehnisse, von denen die Rede ist, sind jedoch nicht ausschließlich mit der Ostsee oder Italien verknüpft, sondern beziehen sich auch auf andere Ortschaften sowie verschiedene Personen, die er dort getroffen und Gaststätten, die er dort aufgesucht hat.
Die Struktur des Textes folgt dem Prinzip der assoziativen Gedanken- und Erlebnisschleifen, sodass es sich dem Titel folgend tatsächlich um eine Art Lager für Satzteile handelt. Dazu ein Beispiel: „weil ich seit mehr als zehn jahren nicht mehr im Aargau gewesen bin, & warum auch? weil ich manchmal an seinen tractatus logico – suicidalis denken muß weil ich das wortgeklingel seiner romane schon genießen kann, aber nicht glaube, daß das ein weg ist, der weiterführt“ (S. 21). Sieben Zeilen darunter heißt es weiter: „weil ich mit jedem ins bett gehe weil ich nicht mit jedem ins bett gehe“ (S. 21).
Wiederkehrende Elemente sind z.B. Orte an der Ostsee, wie ein Leuchtturm und die Kneipe „Kap der guten Hoffnung“. Ab dem Kapitel „nachdem“ wird hauptsächlich auf Orte in Italien Bezug genommen, u.a. Vicenza. Beiden Abschnitten des Satzteillagers gemein ist die häufige Erwähnung von Kneipen und Lokalen. Die inhaltliche Zäsur durch den Ortswechsel gliedert das Buch in zwei Teile: die Kapitel „wenn“ bis „ehe“, in denen Orte an der Ostsee Hauptbezugspunkte sind, und die Kapitel „nachdem“ bis einschließlich „was“, in denen hauptsächlich Orte in Italien wiederkehrende Bezugspunkte sind. Dieser Einschnitt ergibt sich daraus, dass der Erzähler „monatelang nicht weitergeschrieben hatte an diesem text” (S. 78).
Eindrücke und Ereignisse verbinden sich im Satzteillager zu einer Textcollage, die durch die Verwendung des gleichen Anfangsworts in jedem nach diesem Anfangswort benannten Kapitel eine übergeordnete Struktur erhält („weil ich auf eine erklärung warte weil ich keine erklärung abgebe weil ich mir das nicht erklären kann“, S. 17).
Jede Kapitelüberschrift wird zugleich auch als Beginn jedes Satzfragments im jeweiligen Kapitel gebraucht, d. h. in jedem Kapitel sind die Anfänge der Satzfragmente immer identisch, je nach Kapitelüberschrift. Übersichtlich wird es durch die Parallelität der Satzteile und dadurch, dass jedes Satzteil aus einem Absatz besteht. Jeder Satz bleibt aber fragmentarisch; z.B: „solange man die geduld nicht verliert“ (S. 45) oder „als alles umsonst war“ (S. 68).
In Bezug auf sich selbst und die berichteten Ereignisse nimmt er in einigen Kapiteln die Rolle des Ich-Erzählers ein, in anderen Kapiteln jedoch wird das Personalpronomen ‚ich‘ gemieden, stattdessen wird ‚man‘ gebraucht, so dass der Erzähler eine Distanz zwischen sich und dem Erzählten schafft.

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Moor (oder Moos). Eine den Inseltexten vorgelagerte Textinsel

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Inhaltsangaben und Intepretationsansätze zu Moor (oder Moos). Eine den Inseltexten vorgelagerte Textinsel [ ↑ ]
Im 43 Seiten umfassenden Text Moor (oder Moos). Eine den Inseltexten vorgelagerte Textinsel ist wiederum ein selbstreferentielles Sprachspiel, in dem ein nicht näher bestimmter Erzähler sein Verhältnis zum Alkohol und zu verschiedenen Kneipen auf einer nicht genauer benannten Insel beschreibt. Die Inseltexte, denen Moor oder Moos vorgelagert ist, werden am14. September 2014 erscheinen.
„Diese Prosa hat ja gar keine durchgängige Handlung!! Wie soll man da eine Inhaltangabe zu machen?!“ (S. 16), fragt der Erzähler, der von Beruf Schriftsteller ist. Der Text folgt demnach keinem klar erkennbaren Handlungsstrang, vielmehr setzt sich der Text aus vielen einzelnen Ereignissen, Begegnungen und Kneipenbesuchen zusammen. Zentrale Themen sind neben dem Alkohol, dessen Auswirkungen und Ursachen, auch die Frage, inwieweit bei Schriftstellern Schreiben und der Genuss von Alkohol zusammenhängen ebenso wie das Spiel mit der Sprache.
Schriftsteller*innen gehören einer Berufsgruppe an, die dem Erzähler zufolge für Alkoholismus sehr anfällig sei. So hält er Feststellungen, wonach „31 Prozent der Dichter & 54 Prozent der Dramatiker Alkoholiker seien“ (S. 8) für „recht niedrig geschätzt“ (S. 8). Immer wieder mischen sich im Text Eindrücke von Kneipenbesuchen und Alkoholgenuss mit kurzen Betrachtungen über Sprache und Literaturwissenschaft undFragen zur Feststellung von Alkoholsucht, bei denen nicht erkennbar ist, ob sie von einem Unbekannten an den Erzähler gestellt werden oder ob der Erzähler hier die Leser*innen direkt adressiert. So heißt es: „Neigen Sie dazu, sich einen Vorrat an Alkohol anzulegen?“ (S. 30) und „Haben Sie durch Ihr Trinken im vergangenen Jahr zeitweise Ihre Arbeit versäumt?“ (S. 25). Letztere Frage wird aber vom Erzähler sogleich selbst beantwortet („Eine knifflige Frage, wenn man den Alkohol als Treibstoff für das Schreiben betrachtet & also von einem Ineinander von Trinken & Schreiben ausgeht“, S. 25).
Diese in unregelmäßigen Abständen in den Text eingefügten Fragen sind es auch, die ihm eine übergeordnete inhaltliche Kohärenz verleihen; die Kneipenberichte und Begegnungen hingegen beziehen sich inhaltlich nicht aufeinander, sondern stehen als einzelne Fragmente im Text.
Dieser ist nicht durch Absätze oder Kapitel untergliedert. Der Erzähler ermuntert die Leser*innen jedoch, den Text nach ihren Vorstellungen zu bearbeiten, ebenso wie das im Text mit durchgestrichenen Passagen getan wurde (S. 37). Die Leser*innen werden ausdrücklich aufgefordert, „mit diesem Text“ (S. 28) zu spielen, „ganze Worte oder ganze Sätze“ (ebd.) zu streichen oder „Seiten heraus“ (ebd.) zu reißen. Auch „um- oder weiterschreiben“ (S. 29) sei eine Option.
Leseprobe aus Literaturhaus Wien

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Formale Aspekte zu Moor (oder Moos). Eine den Inseltexten vorgelagerte Textinsel [ ↑ ]

Selbstreferentialität
In Moor oder Moos spielt der Erzähler mit dieser scheinbaren Zusammenhanglosigkeit. Er fragt, ob das „absatzlose Fließen nicht bloß ein fauler Trick [sei], um die Zusammenhanglosigkeit zu kaschieren“ (S. 20). Allerdings erklärt er dann, dass das, „was nebeneinander steht, […] nun mal einen Zusammenhang [bildet]“ (S. 20).

Leser*innen
Außerdem fordert der Erzähler die Leser*innen auf, den Text nach ihren Vorstellungen zu gestalten und zu verändern. Nicht nur Moor oder Moos, sondern auch andere Werke Neuners stehen somit für sich, losgelöst von einem Autor und eröffnet den Leser*innen so neue Möglichkeiten, die Texte wahrzunehmen und zu deuten: „Oder brauchen Sie wirklich immer noch einen Autor, der Ihnen sagt, wo es langgeht?“ (S. 29).

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