Eine Rezension zu Dmitrij Gawrisch "Schaukelgestühl ganse en bräun" Wittgenstein, Searle und Derrida hin und her kippend in einem Schaukelgestühl...

(von Marc Breburda)

„...zu halde darsob abras schaukelgestühl ganse en bräune.“ (S. 64) – Wer eine klassische Erzählung mit stringenten narrativen Strukturen sucht, wird bei Dimitrij Gawrisch Schwierigkeiten haben diese zu finden. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist Schaukelgestühl ganse en bräune ein außergewöhnlich sinnschärfendes Leseerlebnis. Die kurze Erzählung ist ein einziges Sprachspiel.

Der erste Lesedurchgang ist irritierend. Der zweite Lesedurchgang ist erhellend. Der dritte Lesedurchgang schließlich ist einleuchtend. Und zuletzt kommt man aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus, ob der vielen spitzfindigen Wortneuschöpfungen und versteckten Verweise. Der Inhalt lässt sich bruchstückhaft folgendermaßen wiedergeben: Der/Die Protagonist/in, ein/e Schriftsteller/in, erzählt seine/ihre Erlebnisse des Alltags. Dazu zählen das Leben in einer einfachen Wohnung, das Beseitigen von Ungeziefer oder das Treffen mit Verlegern. Zwischenzeitlich reflektiert er/sie auf ironische Art und Weise immer wieder das Literatendasein, wozu das Schreiben und der Literaturbetrieb selbst gehören: „Und hat enzyklopädiert wie ein kommunistischer Großvater, dass meine neuen Lektüren meinen Lektürern nicht mehr in die Hirne wollen, dass meine Lektürer über meine Lektüren sogar noch die Hirne schwenken und meinen Lektüren den Rücken zeigen.“ (S.62)

Die narrative Technik der Erzählung erinnert an einen Bewusstseinsstrom, was einerseits durch die kryptischen Bilder auf semantischer Ebene und den hypotaktischen Satzbau auf  syntaktischer Ebene deutlich wird: „Wie dieses Schaukelstuhlgedings meine Traumkammer erlangt hat, kann ich mit festem Wünschen nicht beauskunften. Gerd? Vielleicht hat Gerd es da hinein gelüpft. Das würde Gerd zu Gesicht stehen, wenn er mir nichts, dir nichts so einen Schaukelstuhl auf einem Schreihandel in Augenschein nimmt und Hand daran legt, um ihn dann ins Haus zu schleppen und in meine Kammer zu platzen, weil die Kammer, in der er seine Träume hat, voll ist von Enge.“ (S. 59) Durch eben diese Sprachverwendung erscheint das Werk auf den ersten Blick fast lyrisch-unzugänglich.

Bei näherer Betrachtung der sprachlichen Form offenbart sich jedoch die dahinter verborgene Meisterleistung. Gawrischs Art mit Sprache zu jonglieren ist merklich beeinflusst von den Avantgardebestrebungen der DADA-Bewegung und verarbeitet die sprachkritischen Überlegungen eines Hofmannsthals, Nietzsches oder Wittgensteins. Durch die Darstellung des ‚Schöpfungsprozesses' des Schaukelstuhls, der durch seine Benennung erst richtig greifbar wird (oder auch nicht), auf der ersten Seite der Erzählung, weist Dmitrij Gawrisch auf ein zentrales Thema seines Textes und der Sprachkritik im Allgemeinen hin: die Arbitrarität der Sprache.

Der Text steckt voller sonderbarer rhetorischer Mittel, die ihre Wirkung im Bruch mit der Erwartungshaltung des/der Lesers/Leserin entfalten. Man muss auf der Hut vor Textpassagen sein, aus denen man von komischen Neologismen („engledernde törrecht schnipfentisierten“, S.61) oder ungewöhnlicher Wortwendungen („Hirnkammer“, S.61; „geborener Fingerzeig“, S. 57; „schneidiger Schnitzler“, S. 58)  angesprungen werden könnte. Der Text offenbart einen Wortwitz, der zu einem Balanceakt zwischen Verständnis und Unverständnis führt und so nicht theoretisch und mit langweiliger Deutlichkeit, sondern  literarische, phantasievoll-verspielt die Verwirrungen der Sprache aufdeckt.

Der gebürtige Ukrainer Dmitrij Gawrisch lässt seine Erfahrungen im Schreiben von Prosa- und Theaterstücken in seine Erzählung einfließen. Besonders interessant ist bei ihm der außenstehende Blick des/der ‚Fremdsprachlers/in' auf die deutsche Sprache, da gerade als ‚Nicht-Muttersprachler/innen' in höherem Maße sensibel für die linguistischen Eigenheiten der jeweiligen neu erworbenen Sprache sind. Auch wenn Gawrisch die Sprache als allgemeines Konstrukt aufs Korn nimmt, legt er in seinem Text vor allem die sprachlichen Besonderheiten der deutschen Sprache dar. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Art des Vortragens, die durch den leichten schweizerischen Akzent die ironisch-reflektierende Botschaft des Textes vortrefflich einzufangen wusste.

Schlussendlich erscheint der Schaukelstuhl als Symbol für die Sprache selbst, die am Ende doch zerstört wird und in dadaistischer Manier wieder neu aufgebaut werden kann. Somit ist Dmitrij Gawrischs Text ein sprachlich-exotisches Leckerbisschen, das mit ironischem Beigeschmack, spitzbübisch serviert, die Schriftstellerei und ihr Werkzeug einer kritischen, jedoch nie langweiligen Prüfung unterzieht.

Dmitrij Gawrisch gewinnt mit seinem Werk den Jurypreis für Prosa. Die Lobesrede von Jenny Erpenbeck betont den „jugendlichen Spieltrieb“ des Autors und die ausgefeilte Konstruktion einer „hochartistischen Sprache“. Gawirschs erfrischender Text sticht als einziger heraus, der dem Publikum durch seine ironische Art einige Lacher und Schmunzler entlockte.

In diesem Sinne: Suchen Sie sich ein Schaukelgestühl, setzen Sie sich hinein, wippen sie so lange „hin und her“ (S. 60), bis Ihnen „Türme aus Bazolit“ (S. 64) erscheinen.

Bibliographische Angabe:
Dmitrij Gawrisch: Schaukelgestühl ganse en bräune. In: 21. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2013, S. 57-64.