Eine Rezension zu Juan S. Guse „Pelusa“ Wenn Autoren den Text mit ihrer Stimme zum Leben erwecken

(von Marie Döring)

Ich-Erzähler und Autor sind niemals derselbe, Ich - Erzähler und Autor sind niemals derselbe, Ich - Erzähler und…

Dies ist das Mantra tausender deutscher Schüler vor ihren Abiturklausuren und unzählige Studentinnen berücksichtigen es etwa zehn Semester ihres Studiums.

Und dann kommt so ein Junge daher, 1989 geboren, und lässt mein Mantra in sich zusammen bröckeln wie einen Jenga-Turm.

Als erster Leser im Wettbewerb schleicht Juan S. Guse mehr als dass er den Weg von seinem Sitzplatz hoch auf die Bühne geht. Sein Blick auf den Boden gerichtet, auch die Körperhaltung eher scheu, von Selbstbewusstsein kann nicht gerade die Rede sein. Eine schwarze Brille sitzt auf seiner Nase, die Kleidung in schlichtem Beige-Schwarz gehalten. „Harry Potter!“, schießt es mir durch den Kopf.

Doch dann beginnt er zu lesen, seine Stimme zieht mich hinein in den Text, ich höre gebannt zu. Keine Regung durchfährt den Autor, monoton fast könnte man es nennen, doch gerade das beeindruckt mich und stellt den perfekten Einklang mit dem Werk dar. Eine karge und düstere Landschaft ist es, die Juan S. Guse zeichnet mit einem melancholischen Protagonisten, der nach einem Streit mit seiner Frau darauf wartet, dass diese doch wieder heimkehrt, mit Hunden, zunächst wild kämpfend, dann doch zahm, einem Grab sowie einem Fahrradhändler, der aber nie kommt…

Der Ich-Erzähler des Textes sowie die Zuhörer im Saal wissen nicht, wo in dieser Geschichte der Traum aufhört und die Realität anfängt, kann nicht auch der Traum die Realität sein? Die Stimmung spiegelt die Geschichte eines depressiven Mannes mit eventuellem Wahn.

Ich erahne das Werk als etwas Apokalyptisches, so viel Tod, Schwarz, Blut, nahezu flehendes Warten nach menschlichem Leben und abgetrennte Finger auf acht Seiten. Dieses Bild wird perfekt, als der vorgetragene Textauszug mit der Selbsterrettung des Mannes auf dem Dach des Wohnhauses endet, so wie Noah sich auf die Arche rettet, um nicht in den Fluten unterzugehen…

Mit einem einfachen Kopfnicken steht Juan S. Guse auf und kehrt unter dem Applaus der Zuschauer auf seinen Platz zurück, so als wäre es ihm unwohl unter all den Blicken und als wäre ihm nichts verhasster, als aufzufallen und gesehen zu werden.

Ich-Erzähler und Autor sind wirklich niemals derselbe?

Eine Rezension zu Juan S. Guse „Pelusa“ „Danke, das ist freundlich“

(von Julia Schemme)

Auf diese vier Worte beschränkte sich die Dankesrede des 23-jährigen Gewinners Juan S. Guse. Wenn er schreibt, geizt er jedoch nicht mit Worten. Sein Text Pelusa nimmt den Leser mit in die raue, ungastliche Lebenswelt eines namenlosen Ich-Erzählers, welcher irgendwo am Fuße der Anden lebt. „Es ist nicht sicher draußen“, stellt dieser fest und eine unheilvolle Stimmung macht sich breit. Gefährliche Schluchten säumen die Wege und wilde Hunde streunen dort umher, an welche Pelusa, seine Ehefrau, bereits die Finger ihrer rechten Hand verlor. Guse versteht es, mit eindrücklichen Bildern ein Unbehagen im Leser heraufzubeschwören, das noch lange nachklingt: So findet sich beispielsweise die verbrannte Marmelade, die sich im Topf „eingenistet“ hat, die Glut im Kamin, die der Erzähler „aushungert“, die Käfer, welche in das Haus „einfallen“ könnten oder auch der Tau, der in die Hausschuhe „eindringt“.  

Die Leserin erfährt auch von einem Kind. Ein Erdhügel im Garten des Hauses markiert die Stelle, an dem das Paar es begraben musste. Immer wieder platziert Guse geschickt Leerstellen in der Erzählung, die von der Leserin gefüllt werden müssen. Er erfährt nicht, wie das Kind gestorben oder ob Pelusa erneut schwanger ist, wie es ihr „praller Bauch“ vermuten lässt. Auch erfährt man nicht, ob Pelusa jemals wieder zurückkehrt, denn nach einem Streit in der Küche verlässt sie überstürzt das Haus. Zuvor fragt sie den Erzähler, ob dieser den Verstand verloren habe. Eine Frage, mit der sich auch der Leser im Laufe der Geschichte konfrontiert sieht, denn der Verlassene scheint immer mehr den Bezug zur Realität zu verlieren. So fällt es auf der Textebene zunehmend schwerer zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Beispielsweise ist da ein Fahrradverleih, bei welchem der Protagonist ein Fahrrad in Auftrag gibt und fortan auf dessen Lieferung wartet. Ein Fahrradhändler? Mitten in der bergigen Einöde? Und wo will der Protagonist mit dem Fahrrad hin?

Zum Ende hin spitzt sich die Erzählung dann zu einem „surreal-kunstvollen Schlussbild“ zu, wie es Juror Thomas von Steinaecker in seiner Laudatio treffend beschreibt. Überhaupt ist es die Fähigkeit Guses, eben solche eindrucksvollen Bilder zu erschaffen, die den Text so unverwechselbar macht und die Geschichte im Kopf der Leserin lebendig werden lässt. Tausende Hunde stehen da vor dem Haus, die dem Erzähler nun plötzlich freundlich gesinnt scheinen. Er fühlt sich von ihnen gerufen, verlässt das Haus und steigt aufs Dach „als käme die Flut“. Umringt von Hunden, wie Moses auf der Arche, steht er dann dort oben und wartet. „Ich warte auf Pelusa und auf den Fahrradmann.“

Pelusa ist zu Recht ein Gewinnertext. Er ist spannend, ein Text der Fragen aufwirft, der dem Leser ein Urteil abverlangt und ihn mitnimmt in eine Welt, in der nichts so ist, wie es scheint.

 

Bibliographische Angabe:
Juan S. Guse: Pelusa. In: 20. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2012. S. 59-66.