Eine Rezension zu Kristin Höller "Im Imbiss, im Mai" Frauen-Power und hoffnungslose Liebe?

 

(von Katharina Schuster)

 

Als jüngste Teilnehmerin des 24. open mike präsentiert Kristin Höller mit Im Imbiss, im Mai einen Text, den ihr Lektor Rainer Götz in seiner Einführung als „auf die angenehmste Art frei von Aktualitäten […] und zeitgenössischen Trends“ beschreibt. Nicht nur er, sondern auch das Publikum sind von der analytisch-dynamischen Erzählweise und dem Witz, der sich aus der unverblümten, ungefilterten Art des Protagonisten ergibt, begeistert. Die Zuhörer belohnen die Jungautorin am Ende ihrer Lesung mit langanhaltendem Applaus.

Ihr Text zeichnet sich durch konzeptuelle Mündlichkeit und einen raschen und unmittelbaren Erzählton aus. Das beschleunigende Präsenz sowie der parataktische Satzbau geben ihrer Erzählung die erfrischende Dynamik.

Kristin Höller entwirft einen männlichen Erzähler, der seine geliebte blaue Wildlederjacke in einem Falafel-Imbiss im Mai wiederentdeckt, nachdem sie ihm im Oktober zuvor im Pendel, einer Dresdener Kneipe, gestohlen worden war. Der Diebstahl der Lederjacke, die in der Literatur klassischer männlicher Fetisch und Motiv für sexuelle Fantasien ist (man denke nur an Marlon Brando und Nicolas Cage in Wild at Heart), beschreibt den Beginn einer Liebesgeschichte, die sich zwischen dem Protagonisten und Isi, welche er bei dieser Gelegenheit kennen lernt, entwickelt.

Der namenlose Ich-Erzähler ist vollkommen auf Isi, das Objekt seiner Begierde, fixiert, wobei er sie ebenso wie seine Umwelt permanent beobachtet und analysiert. Der schüchterne Protagonist sehnt sich nach Anerkennung und Bestätigung und danach, dass seine Liebe zu ihr erwidert wird. Zugleich ist er sich jedoch der Chancenlosigkeit seines Bestrebens bewusst: „weil ich will, dass sie nicht nur Veränderung braucht, sondern auch mich, nur mich, aber das ist unmöglich wohl“ (S. 69). Denn Isi ist eine Frau, die allen weiblichen Konventionen und Erwartungen widerspricht: „Isi mag Bier und Mett“ (S. 67), lieber „zweihundert […] [als] hundertfünfzig Gramm“ (S. 65), woraus sie dann manchmal „kleine nasse Mettbällchen“ formt, die sie auf Fußgänger spuckt (ebd.). Isi ist immer mittendrin: „Jeder kennt Isi“ (S. 64). Sie ist der Inbegriff von Protest; Isi rebelliert gegen „Komplettsanierungen und Kündigungen, […] [gegen] steigende Bierpreise und Loftwohnungen in Hinterhöfen, in denen letztens noch Fabriken standen“ (S. 68). Sie wendet sich inbrünstig und voller Wut gegen ihre unfairen, prekären Lebensumstände und gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, weshalb es nur logisch erscheint, dass sie es ist, die den nun zufällig im Imbiss stehenden Lederjacken-Dieb zur Rede stellt. Dabei eröffnet der Text eine höchst gesellschaftskritische Perspektive auf die Welt, indem er aus der Sicht einer niederen soziökonomischen Gesellschaftsschicht heraus erzählt wird. Der Text nimmt durch den Protagonisten sowie durch Isi als VertreterInnen des Prekariats eine Gegenwartsanalyse vor, wobei die gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Lebensverhältnisse angeklagt. Isi und der Erzähler leben an der Armutsgrenze, während er Lederjacken-Dieb wohlhabend zu sein scheint: „und er [der Dieb, K.S.] steht da und isst einen verdammten Dönerteller mit allem drauf, für zehn Euro, für zehn Euro im Stehen und ich hasse den Wichser, weil ich nicht mal Halloumi drin hab wegen fünfzig Cent mehr“ (S. 66).

Der Dieb im Imbiss wird im weiteren Handlungsverlauf zur Projektionsfläche für „all das, was Isi hasst“ (S. 68). In ihrem Zusammentreffen entlädt sich all ihr angestauter Frust auf die Welt, auf das „verschissene Kacksystem“ (S. 69). Die Begegnung artet in einer handfesten Schlägerei aus, in die sich Isi entschlossen und mit vollem Körpereinsatz stürzt und aus der sie schließlich als Siegerin hervorgeht. Der Erzähler, der das sich im Imbiss darbietende Szenario aus sicherer Distanz genau beschreibt, ist von ihrer Unerschrockenheit beeindruckt und nennt Isi „eine Kriegsgöttin“ (S. 69). Ihr Sieg markiert ein Hoch auf die starke, unabhängige Frau, die die Dinge für den Mann in die Hand nimmt. Doch nicht nur Isi kann als Gewinnerin der Auseinandersetzung bezeichnet werden. Auch der Protagonist gewinnt, da er während der abschließenden polizeilichen Befragung zur Prügelei eine Erwiderung seiner Gefühle durch Isi erfährt. Noch „nass und blutig“ (ebd.) vom unmittelbar zu Ende gegangenen Gefecht bezeichnet sie ihn als ihren Freund und schaut ihn dabei durchdringend an. Der Erzähler kann das Gehörte kaum glauben, ist sprachlos und völlig überwältigt: „und da ist plötzlich ein Zittern, hat sie das wirklich gesagt, wirklich, mein …“ (ebd.). Er verfällt in einen euphorischen Zustand, nachdem er nun endlich das erlösende Wort hört, auf das er doch die ganze Zeit gewartet hatte: „und ich muss aufstehen, weil ich zu voll bin, voller Funken, weil ich nicht glaube, dass sie wirklich…“ (ebd.). Vielleicht ist die Liebe zwischen den beiden also doch nicht so aussichtlos, wie sie einleitend schien?

 

Bibiliographische Angabe:
Kristin Höller: Im Imbiss, im Mai. In: 24. open mike. Wettbewerb für junge Literatur - Die 22 Finaltexte. München: Allitera Verlag 2016. S. 64-70.