Eine Rezension zu Maren Kames "Halb Taube, halb Pfau" Von Perlen pickenden Raben und Kotze im Trapez

(von Jörn Breburda)

Maren Kames, eine der PreisträgerInnen des diesjährigen open mike in Berlin, schafft es, in ihren Gedichten aus der Sammlung Halb Taube, halb Pfau Musikalität und Sprachgefühl zu verbinden und lässt uns in rhythmische, symbolische Welten aus Kindheitserinnerungen, Natur- und Welterfahrungen eintauchen. Jedes ihrer Gedichte liegt wie eine sanfte, manchmal aber auch scharfe Melodie in den Ohren, die gleich eines exzellent verfugten Musikstücks nachhaltige Bildsequenzen  erzeugt. Dabei inszeniert Kames ihre Welten in „prosahafter Erzählstruktur“ (Ankündigungsrede der einladenden Lektorin Julia Graf) und benetzt diese mit eindringlichen „Wortspielen und Reimfacetten“ (ebd.). Die Sensibilität und Perfektion, mit der sie Sprache einsetzt, machen ihre Kompositionen zum persönlichen Erlebnis, das uns ihre Gedichte bisweilen wie Gedankenfetzen unserer eigener Erinnerungen vorkommen lassen.

Die Bildhaftigkeit und prosahafte Erzählweise ihrer Gedichte offenbart sich im dreizehnstrophigen Dass es taut, dass es rauscht. (S. 88f.) „Ich höre das kleine Geräusch das deine/ Zunge beim Aufwachen in der Mundhöhle/ macht deine Hand wie sie sich neben mir auf/ dem Kopfkissen bewegt ich höre die Straße/ unter uns lauter werden ich höre den/ Flusslauf vor dem Haus unserer Eltern.“ (ebd.)

 Durch die Ohren („Ich höre...“) des lyrischen Ichs erfährt der/die LeserIn naturalistische Eindrücke aus geteilten Kindertagen, verbracht im vertrauten Kreis der Familie. Diese Eindrücke sind teils nebulös, scheinen aber gleichzeitig durch eine ihnen innewohnende Kälte von nüchterner, durchsichtiger Klarheit zu sein. Erzeugt durch die sprachliche Präzision und die variierten Wiederholungen („Ich höre das kleine Geräusch...“, S. 88; „Ich höre Tau...“, ebd.; „Ich höre den Richtungswechsel...“, S. 89; „Ich höre Steine...“, ebd.; „Ich höre die Hände“, ebd.), erscheinen uns die Eindrücke vor unserem inneren Auge wie lebendige, immerzu wiederkehrende Kurzfilmsequenzen. Die Plastizität des Gedichts zeigt sich in den großartigen Bildern, die Kames in einer Anordnung zu inszenieren weiß, die sie in ihrer stillen Intensität wirken lassen. Sie verbindet Bilder von Familienfiguren, wie die des auf der Bank vor dem Haus sitzenden Großvaters, der „mit dem Stock Linien in die Erde kratzt“ (ebd.) oder des Vaters, der mit dem Bruder oder der Schwester gemeinsam Steine über den Stausee „flippt“ (vgl., S. 89) mit Bildern aus der Natur, in denen Tau von den Simsen tropft, der Nebel sich in einem Tal sammelt und Krähen Perlen picken. (vgl., S. 88f.) In ihrer verspielten, aber nie verworrenen Erzählweise führt sie uns zu einem Bild, lässt es fallen, fügt ein neues hinzu, greift das vorherige wieder auf, um sie später wieder nebeneinander wirken zu lassen. Damit verschafft sie dem Gedicht ein Repertoire an Bildern, die in ihrer sensiblen wie auch präzisen Komposition Gefühle und Sehnsüchte womöglich über unsere eigene Kindheit oder frühere Welterfahrungen hervorrufen.

Auch durch ihre grandiosen Einzeiler vermag Maren Kames es mit wenigen Worten hundert Bilder und Eindrücke zu erzeugen. Dabei geschehen ihre Gedichte nie ohne eine gewisse Art von Wortwitz, wo  nach teils ekstatischen Sprachspielen an dessen Ende immer auch eine Pointe steht.

Davon zeugt in besonderer Weise das Gedicht Shutter Island (S. 95), in dem Kames, in zungenbrecherischer Manier, Alliterationen, unreine Reime, Frikative und Plosive kombiniert („Schippst Schrot in/Schaufeln übern First bis' flattert...“, ebd.)  und sie zu einer scharfen, ja fast aggressiven Komposition zusammenfügt, die sich am Ende doch nicht ihres (gewollten?) humoristischen Anklangs erwehren kann. Dabei ließ sich ihr lyrisch-musikalisches Talent besonders bei der Lesung im Heimathafen in Berlin-Neukölln erkennen. Kames reizte hier mit einer in Teilen zwar nüchternen, aber immer dem lyrischen Duktus der Gedichte angepassten Intonation, bei der sie mit innerer Sicherheit an den richtigen Stellen Pausen und Akzente zu setzten  wusste, um somit die Aussagekraft ihrer Bilder am Besten wirken zu lassen. Der Rhythmus in der Lesung ihrer Gedichte begegnete einem wie ein frischer Wind, auf dem die Gedanken von einem zum anderen Bild getragen wurden. Durch Kames' Gedichte zieht sich der Topos der Natur, den sie immer in Verbindung mit Welt- und auch Selbsterfahrung setzt. Hier sind es Bilder von Tieren, dort ist es die Inszenierung der Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer; jedoch immer in Beziehung zum Menschen.

Dabei war es wohl der selbstbewusste, aber auch verschmitzte Eindruck Maren Kames' in Verbindung mit ihrem feinen und präzisen Gefühl für Sprache und deren musikalischer Inszenierung, der ihr, neben dem Jurypreis des open mike 2013, auch den taz-Publikumspreis einbrachte. Und ja, zurecht hat Julia Graf, das Publikum und auch die Jury mit Jenny Erpenbeck, Raphael Urweider und Ulrich Peltzer in Maren Kames eine Sprachkünstlerin und -komponistin gefunden, die das Innerste in uns anzusprechen und uns in Welten einzuladen vermag, in denen wir uns mit all den Sehnsüchten und dem Zweifel an unserem Selbst und der Erfahrung der Welt wiederfinden können. Wer sich also nicht davor scheut, sich an die Hand nehmen und tragen zu lassen, sondern ganz im Gegenteil sogar offen für eine Einladung in naturalistische Welten ist, in denen er sich selbst, seinen Erinnerungen und seinem Befinden in teils humoristischer, teils kühl-präziser Weise begegnen kann, sollte sich mit der Gedichtsammlung „Halb Taube, halb Pfau“ vertraut machen – oder besser noch – in den Genuss eines Live-Vortrags Maren Kames' kommen.

Bibliographische Angabe:
Maren Kames: Halb Taube, halb Pfau. In: 21. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2013. S. 88-104.