Eine Rezension zu Susan Kreller "My Huckleberry Friend" Kammerstück der Einsamkeit

(von Carla Gottwein)

Einer unserer Favoriten für einen der zwei Prosapreise des open mike 2010 war die Erzählung „My Huckleberry Friend" der Bielefelder Autorin Susan Kreller. Dem Text zum Verhängnis wurde wahrscheinlich, dass gleich drei Autorinnen das Thema des vereinsamten älteren Mannes in der Abgeschiedenheit seiner vier Wände geschildert haben. Martina Bögls Text „der Fuchs" und Jasmin Seimanns Erzählung „Herr Peichel" bieten ein sehr ähnliches Szenario.

Trotzdem hob sich Krellers Geschichte hervor durch sehr genaue Beobachtungen und einen Erzählton, der ruhig und verstörend zugleich war. Es geht um Herrn Kemmerlan, dessen Name an das Wort Kämmerlein erinnert. Kemmerlans Frau Ingrid ist seit „vier Monaten und zwei Wochen tot" und er sehnt sich nach einem Freund. Ingrid, die „aufgehört hat, auf die Fünfzig zuzugehen", hat er zuvor zwei Jahre lang gepflegt. Nun erlebt er einerseits neue Freiheiten: „Er muss zum Rauchen nicht mehr auf den Balkon gehen, er kann auf dem Sofa sitzen und  sich das Fenster gegenüber ansehen oder das Mittagsmagazin im Fernsehen." Auf der anderen Seite beginnt er vor lauter Alleinsein sich einem imaginären Freund zu öffnen. Nur einmal kurz sieht er in der Wohnung gegenüber einen der neuen Mieter, einen alten Mann. Ansonsten sieht man nur einen Infusionsständer. Daher denkt sich Kemmerlan diesen Mann als ebenso krank und schwach wie er seine Frau in Erinnerung hat. Es beginnt ein intensiver, einseitiger Austausch. Kemmerlan vertraut sich wohl dosiert diesem Fremden an, deckt für ihn den Tisch mit und trinkt am Ende des Abends an dessen Stelle „ein Gläschen". Denn: „die vielen Stunden, die zu überstehen sind, eine so lang wie ein Jahr, die vielen Gläschen, die zu trinken sind, weil man die Stunden ohne Gläschen garnicht aushalten würde, die vielen Gedanken, die sich breit machen in den viel zu kleinen Köpfen,..." Eines dieser Gläschen zerdrückt Kemmerlan in dem Moment, in dem er beim Blick aus dem Fenster zu entdecken gezwungen wird, dass der alte Mann von gegenüber garnicht krank ist; dass er theoretisch zu ihm in die Wohnung hätte kommen können. Doch zu so einer Art von Freundschaft ist Herr Kemmerlan nicht mehr fähig.

Die Erzählung ist aus der Perspektive eines personalen Erzählers geschrieben. Das heißt, der Leser weiß genausoviel oder genausowenig wie der Antiheld der Geschichte. Susan Krellers Erzählung „My Huckleberry Friend" ist ein in sich abgeschlossenes, überzeugendes Kammerstück über Einsamkeit.

Bibliographische Angabe:
Susan Kreller: My Huckleberry Friend. In: 18. open mike Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2010. S. 46-52.