Eine Rezension zu Philip Krömer "der eine der andere" Schreiber versus Schlächter

(von Johanna Haars)

„Allein eine Minute auf der Zeitmaschine kann ein ganzes Leben dauern, weil ja die Rückkehr abgepasst werden kann, wann immer sie beliebt“ (S. 73f.). In seiner Erzählung der eine der andere lässt Philip Krömer den österreichischen Autoren Hans Carl Artmann mit einer Zeitmaschine ins Jahr 1924 reisen und dort den als Vampir von Hannover bekannt gewordenen Massenmörder Fritz Haarmann bei einer seiner grausamen Taten zu beobachten. Die Geschichte klingt so spannend, ungewöhnlich und surreal, wie sie geschrieben ist.

Den Rahmen bildet ein mechanischer Erzähler, der nach einem Münzeinwurf zu sprechen beginnt, und zum Schluss wieder in eine Starre verfällt. Er unterbricht den Geschichtsverlauf dann und wann mit einer Reihe biologischer Fakten, die das Beschriebene noch grausamer, aber gleichzeitig absurd-amüsant erscheinen lassen. So garniert er seine Ausführungen zur Tat des mordenden Vampir-Menschen mit der faktischen Information, welche Menge Blut der menschliche Magen verdauen kann, bevor dieser revoltiert. Gleichzeitig kommentiert er das Verhalten Artmanns, der sich seinerseits selbst als Erzähler bekennt und  Einfluss auf den Verlauf der Geschichte nehmen will. Auf diese Weise kommt neben der vordergründigen Handlung in Krömers Text der Frage nach der Autorschaft eine besondere Bedeutung zu.

Krömer bemüht sich den Schreibstil des österreichischen Schriftstellers, dessen Werke von einem sprachlichen Surrealismus geprägt sind, zu imitieren. Mit einem Augenzwinkern lässt er dieses Verfahren im Text von seinem naiven Protagonisten Artmann scheinbar ad absurdum führen: „Da müsste schon einer kommen und mich dreist kopieren, um meine Stellung einzunehmen“ (S. 78). Für den Leser, der nicht mit den Texten Artmanns und beispielsweise dessen Hang zur Lautmalerei vertraut ist, gibt ein vor die Erzählung gestelltes Zitat aus dessen Werk „Der handkolorierte Menschenfresser“ einen Hinweis darauf: „krach schleif schneid brat schmalz! – und der liebe bauch ist lecker sonne“ (S. 73).

In Krömers Text tummeln sich rhetorische Stilmittel auf engstem Raum und in allen erdenklichen Formen: von Onomatopoesie über Neologiosmen, Alliterationen und Vergleichen bis hin zum Contradictio in adjecto – es fehlt an nichts. So beißt in „vergangene[r] Zukunft“ (S.74)  der „wütende[] Würger“ „SCHNAPPSCHNAPP“ (S.74)  in den Hals seines Opfers, dessen Akne auf der Stirn „wie ein Dornkronen-Wundmal“ (S.74) aussieht, und saugt „SCHLAPPSCHLAPP“ (S.74) das Blut aus den Adern des Jungen, um später in einer Zelle zu landen, in die ein Wächter herein „schweinsäugelt“ (S. 78). Die Überdosis ist zwar fraglos beabsichtigt, aber nur schwer verdaulich. Die Entscheidung, ob man darüber in Be- oder Verwunderung verfallen möchte, bleibt dem Leser selbst überlassen.  Die Test-Publikumsjury hat der Text jedenfalls überzeugt…

Bibliographische Angaben:
Philip Krömer: der eine der andere. In: 23. Open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. Die 20 Finaltexte. München: Allitera Verlag 2015. S. 73-81.