Eine Rezension zu Robert Stripling "Prosagedichte" Ein persönlicher Spaziergang in die Endlichkeit des Seins

(von Jörn Breburda)

Wenn der 1989 in Berlin geborene und Frankfurt lebende Robert Stripling, der Gewinner des Lyrikpreises des diesjährigen open mike, seine Prosagedichte liest, fühlt man sich wie auf einer weichen Welle getragen und an die Sehnsucht nach der Leichtigkeit der Kindertage erinnert; sanft und irgendwie zerbrechlich trägt Stripling souverän seinen zehn Gedichte umfassenden Zyklus vor. Dabei bedient sich der Lyriker einer gebundenen Form, für die die zahlreichen Enjambements und die Einstrophigkeit der Gedichte kennzeichnend sind. Im Zentrum der Erzähltechnik steht eine Art Bewusstseinsstrom des lyrischen Ichs, das uns mit Hilfe von Assoziationsketten einen Einblick in seine Umwelt gewährt. Diese Außenwahrnehmung wird jedoch stets von introvertierten Denkvorgängen unterbrochen. In diesem Spiel von Intraversion und Extraversion leiten (unbeantwortete) Fragen den Aufmerksamkeitsfokus. Weil das lyrische Ich uns keine Antwort auf die Fragen gibt (oder geben kann?), werden wir dazu verleitet selbst Assoziationen zu schaffen. Uns werden dadurch Szenarien eröffnet, in denen man – in der Versuchung selbst eine Antwort zu finden – einige Sekunden innehält. Wir werden so in einen Prozess eingebunden, mit dem es Stripling schafft, seine Lyrik zu einer persönlichen Erfahrung zu machen. In welchem Einklang die sprachliche Komposition Striplings mit der Stimmung der Gedichte steht, wird erst in der tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dem Inhalt deutlich.

Der Lyriker offenbart eine städtische Welt, in der sich Eindrücke von einer eben urbanisierten Natur wiederfinden lassen. Diese Welt wird dem/der LeserIn in einer Art Spaziergang des lyrischen Ichs näher gebracht. Dessen Wahrnehmung findet dabei über alle Sinne statt: es hört, sieht, riecht und fühlt. Ausgangspunkt ist der Blumenladen (vgl. S. 182) – ein Ort mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ausgehend von diesem Mikrokosmos entfaltet sich eine Assoziationskette, die über Bilder aus Natur und Stadt verfügt, die von Reflexionen über Kindheitserinnerungen bereichert werden. So weich und sanft das lyrische Ich seine Außenwelt wahrnimmt und Gedanken über sie formuliert, so zerbrechlich und verletzlich scheint es zu sein, wenn sich die Belastung der Instabilität des Seins über es legt. In dem Spaziergang durch die urbanen und naturalistischen Welten manifestiert sich gleichzeitig auch ein Spaziergang durch die Gemütsfassung des lyrischen Ichs. Stripling thematisiert die zutiefst existenziellen Fragen über die Unsicherheit des Daseins und der Zweifel an der Selbstbestimmung des Individuums. Nicht zuletzt deswegen verspürt das lyrische Ich zu Beginn des Zyklus eine große Sehnsucht nach unbeschwerten Kindertagen. („Wie im Kopf sich die Kindheit regt; ein seltenes Bild, als schellten Sehnsüchte.“ (S. 182)) Wo sich Zweifel an der eigenen Existenz hinter den ständigen Fragen des lyrischen Ichs verbergen, da macht sich im weiteren Verlauf der Schmerz über die Vergänglichkeit des Lebens unter anderem im Blumenladen bemerkbar, wo die Blüten, als Abfall auf dem Fliesenboden verwelken. („Es geht abwärts, sage ich zu Ampere; wie Fliesen mit Blüten & feinen Blättchen bereits berieselt liegen.“ (S. 184)) Dabei findet der melancholische Zustand des lyrischen Ichs eine Art Katharsis in der völligen Leere der Gefühlswelt. („Es entsteht keine Wehmut mehr, wo Entrückung mich spürt. Es beißt keine Traurigkeit, ich verfehle die Last, notwendigerweise.“ (S. 185)) Nach einem klaren Bruch im achten Gedicht, das die positive Stimmung des lyrischen Ichs („EINE ANDAUERNDE FRÖHLICHKEIT, (...)“ (S. 190), „(..) ich atme sorgenfrei.“ (ebd.)) thematisiert und in Anbetracht des folgenden Gedichtes wohl eher als eine ,walking-ghost' Phase des lyrischen Ichs eingeordnet werden kann, folgt im neunten Gedicht ein Rückfall bzw. die Ernüchterung angesichts der existenziellen Problematik. („Eine einfache Leere. Ein leises Lachen, getragen, das mich meint, vor mir selbst. Dabei habe ich keine Hoffnung.“ (S. 191))

Robert Stripling hat es mit seinem einfühlsamen, persönlichen und greifbaren Gedichtzyklus Prosagedichte zurecht geschafft, sich gegenüber seinen Mitstreitern im Bereich Lyrik durchzusetzen. Auch wenn Stripling ein zerbrechliches und melancholisches Verhältnis zur Welt vermitteln mag, lässt sich dabei eine abschließende – vielleicht erheiternde – Erkenntnis zum Ende der Lektüre mitnehmen: Jeder erfährt seine (Lebens-)Geschichte anders. Nur wer sich mit ihr wirklich auseinandersetzt, kann sie bewältigen, auch wenn unsere Aufgabe am Ende doch nur darin bestehen sollte, „die Schranke zu bedienen; an abgelegenem Bahnübergang, viermal täglich, wenn's reicht.“ (ebd.)

Bibliographische Angabe:
Robert Stripling: Prosagedichte. In: 22. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2014. S. 182-192.