Teilprojekt

Die Produktion von Herkunft. Die Wettiner als familia wittikindea im 16. und 17. Jahrhundert

Bearbeiter: Olav Heinemann M.A.


Projektbeschreibung


Die Bedeutung, welche das Geschlecht der Wettiner der Gestalt Widukinds beimaßen, und ihr Selbstverständnis als familia wittikindea hängen eng mit dem Aufstieg der Dynastie zusammen. Nach dem Erwerb der Markgrafschaft Meißen im Jahre 1089 und der Landgrafschaft Thüringen seit 1247, wurden die Wettiner im Jahre 1423 von König Sigismund mit dem Herzogtum Sachsen-Wittenberg und der damit verbundenen Kurfürstenwürde belehnt.

Der politische Bedeutungszuwachs brachte ein Bedürfnis nach historischer Legitimation ihrer herausragenden Stellung hervor, welches sich nach zeitgenössischem Verständnis vorwiegend durch glaubwürdige Darlegung der Altehrwürdigkeit des Geschlechtes befriedigen ließ. Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts hatte dies zur Erstellung von Genealogien geführt, in denen eine Verbindung des Geschlechts der Wettiner zu Wittekind, wie Widukind inzwischen genannt wurde, etabliert worden war. Aber erst im Zuge des Erwerbs der Kurwürde wurde zunächst von der älteren ernestinischen, sodann seit 1547 auch von der albertinischen Linie der Wettiner diese Verbindung zu ihrem Spitzenahn forciert genutzt. Die letzte und höchste Stufe der Anforderungen an die Abstammungsqualität der Wettiner ergab sich schließlich beim Erwerb der polnischen Krone durch August den Starken, der dabei vielfach auf die Würde Widukinds als angeblicher König der Sachsen rekurrierte, um so die eigene Idoneität für das polnische Königtum zu begründen.

Vom späten 15. bis weit ins 18. Jahrhundert reißt die Kette der Publikationen aus der Feder von Gelehrten nicht ab, die sich den Wettinern unter Nutzung der Widukind-Tradition mit Werken zur sächsischen Geschichte und zur Genealogie ihres Hauses andienten. Als besonders markante Beispiele seien die Chronica und Herkommen der Churfürsten und Fürsten zu Sachsen (Wittenberg 1541) aus der Feder des reformatorischen Humanisten, sächsischen Politikberaters und Prinzenerziehers Georg Spalatin genannt, sowie das New Stammbuch und Beschreibung des uhralten kurfürstlichen ... Hauses zu Sachsen (Leipzig 1602) von Petrus Albinus.

Die dynastischen Geschichtswerke und Genealogien wurden nicht zuletzt für die Prinzenerziehung genutzt, denn in einer Adelsgesellschaft, in der das eigene Herkommen nicht nur einen ideellen, sondern in vielen Situationen auch einen konkreten politischen Wert hatte, war die Aneignung des entsprechenden Wissens für die künftigen Träger der Herrschaft unentbehrlich. Auch für das Konnubium innerhalb des fürstlichen Adels war dieses Wissen von großer Bedeutung: Heiratsprojekte konnten nur dann in Betracht kommen, wenn durch die genealogische Überprüfung der Vorfahren die Gleichrangigkeit beider Parteien nachgewiesen worden war. Weitere politische Allianzen, z.T. über die Reichsgrenzen hinaus, belegen die Bedeutung der Abstammung von Wittekind bzw. Widukind. So beanspruchte auch das Geschlecht der Savoyer seit Beginn des 15. Jahrhunderts Widukind als Stammvater. Diese genealogische Gemeinsamkeit mündete in eine "transalpine Allianz", die sich u.a. in dem Projekt einer Sukzessionsvereinbarung niederschlug.

Ziel des Teilprojektes ist es, das Selbstverständnis der Wettiner als familia wittikindea im 16. und 17. Jahrhundert umfassend zu untersuchen. Im Zuge dieser Untersuchung sollen die Inhalte und Formen höfischer Sinnproduktion, die Potentiale und inhärenten Grenzen der Widukind-Erzählung erfasst werden. Nicht zuletzt sollen die Produktionsbedingungen höfischen Sinns durch die Rekonstruktion des Zusammenspiels von politisch Handelnden, Gelehrten, Künstlern und Unternehmern exemplarisch herausgearbeitet werden.