Projektergebnisse

Verbreitung von stressbezogenen Gefahren und Gestaltungswissen

In den von uns untersuchten Unternehmen erwiesen sich die Wissensbestände zu den arbeitsbedingten Ursachen von Stress ebenso wie Kenntnisse zu Maßnahmen der Stressprävention als eher gering ausgeprägt. So wissen beispielsweise 92 Prozent der Befragten, dass chronischer Stress das Herzinfarktrisiko ungünstig beeinflusst und 48 Prozent, dass das Risiko von Rückenschmerzen durch chronischen Stress erhöht ist. Nur 28 Prozent wussten dagegen, dass chronischer Stress das Demenzrisiko im Alter erhöht und nur etwa jede_r zehnte Befragte (11 Prozent), dass chronischer Stress die Wundheilung verzögern kann. (Gerlmaier & Geiger 2018)
In einem Wissens-Ranking hatten beim stressbezogenen Gefahrenwissen die betrieblichen Arbeitsschutz-Akteure wie Betriebsrät_innen, Arbeitsmediziner_innen, HR-Verantwortliche und Sicherheitsfachkräfte sowie Wissensarbeitende die (relativ) besten Werte, während die Führungskräfte zusammen mit angelernten Mitarbeitenden im unteren Wertebereich lagen.

Ingemo - Abbildung 1 Projektergebnisse
Abbildung 1: Ranking beim stressbezogenen Gefahrenwissen in Abhängigkeit von der Akteursgruppe (Antwortrichtigkeit in Prozent)

Da präventive Maßnahmen ohne die Entwicklung von Gefahrenbewusstsein und Gestaltungswissen kaum angegangen werden, stellen flächendeckende betriebliche Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema Stress und psychische Belastung eine elementare Voraussetzung für nachhaltige Präventionskonzepte dar.

Verbreitung präventiver Handlungskompetenz

Das präventive Handlungsrepertoire von Beschäftigten und Führungskräften stellte einen weiteren Untersuchungsgegenstand dar. Hier zeigte sich, dass präventive Verhaltensweisen wie etwa die frühzeitige Information des Vorgesetzten über persönliche Überlastung mit 52 Prozent Zustimmung relativ weit verbreitet sind. Andere arbeitsbezogene Handlungskompetenzen wie etwa das Einplanen von Kurzpausen führt dagegen nur jeder fünfte systematisch aus. Analysen zeigten, dass sich verschiedene Aspekte arbeitsbezogener Handlungskompetenz positiv auf das Befinden der Erfragten auswirkten (siehe Abbildung 2). Die Förderung präventiver Handlungskompetenz stellt damit eine bedeutsame Erfolgsgröße im Umgang mit psychischen Beanspruchungsfolgen dar.


Ingemo - Abbildung 2 Projektergebnisse
Abbildung 2: Zusammenhang von arbeitsbezogener Handlungskompetenz und dem individuellen Wohlbefinden (Signifikanz: * p <0.05, ** p < 0.01 , Skalenmittelwerte, Wertebereich 1 bis 5, hohe Werte = hohe Ausprägung, unter Berücksichtigung der Kovariaten „Bildung“, „Geschlecht“ und „Alter“)

Individuelle arbeitsbezogene Handlungskompetenz und subjektives Ressourcenerleben

Das eigene präventive Handlungsrepertoire hat einen Einfluss auf das Erleben von Gestaltungspotenzialen in der Arbeit: Personen mit gering und hoch ausgeprägter arbeitsbezogener Handlungskompetenz unterschieden sich bedeutsam im Hinblick auf das Erleben sozialer Unterstützung von Vorgesetzten und Kollegen dem Erleben von Zeitsouveränität und Gestaltungsspielraum, den Qualifizierungsmöglichkeiten sowie den kapazitätsbezogenen Ressourcen. Personen mit hoch ausgeprägter arbeitsbezogener Handlungskompetenz weisen auch eine signifikant geringere erlebte Arbeitsintensität auf.

Einfluss der Gestaltungskompetenz von Führungskräften auf das individuelle Ressourcen-Erleben von Beschäftigten

Die arbeitsbezogene Handlungskompetenz von Führungskräften und Arbeitsschutzakteuren hat einen Einfluss auf die erlebten Gestaltungspotenziale von Beschäftigten. Beschäftigte erlebten in unserer Stichprobe mehr Qualifizierungsmöglichkeiten, Gestaltungsspielräume und soziale Unterstützung von Vorgesetzten, wenn diese über ein hohes Niveau an präventiver Handlungskompetenz verfügten.

Instrumente für die betriebliche Prävention

Es wurden im Rahmen des Verbundvorhabens verschiedene praxistaugliche Instrumente zur Verbesserung der organisationalen Gestaltungskompetenzen, der Analyse von Gestaltungspotenziale in Arbeitsbereichen sowie zur Verbesserung der Belastung-und Stresssituation entwickelt:

Stress-Quiz

Bei dem Stressquiz handelt es sich um ein webbasiertes Lern-Tool, mit dem Nutzer_innen ähnlich einem Ratespiel überprüfen können, was sie über Stress und die Vermeidung psychischer Belastung wissen und welche Handlungskompetenz sie selbst besitzen, um mit Stress und psychischen Belastungen besser umgehen zu können. Mit einem von der Benutzerführung her identisch gestalteten webbasierten Fragebogen mit Datenspeicherungsfunktion werden Unternehmen in die Lage versetzt, das stressbezogene Gefahrenwissen, Gestaltungswissen, die Gestaltungsmotivation sowie die arbeitsbezogene Handlungskompetenz in ihrem Betrieb zu ermitteln. Anwendungsgebiete für die beiden Tools stellen die Stresssensibilisierung im Betrieb, Unterweisungen oder Qualifikationsbedarfsanalysen dar.

Gestaltungspotenzialanalyse (Gepia)

Mit dem Instrument der ressourcenorientierten Gestaltungspotenzialanalyse (Gepia) können Organisationen bzw. Organisationseinheiten (Teams) erkennen, wo sie im Bereich der organisatorischen und sozialen Ressourcen (z.B. Regenerations- und Kooperationsmöglichkeiten, zeitliche Aufgabenbemessung) bisher wenig genutzte Arbeitsgestaltungspotenziale besitzen. Darüber hinaus können Ressourcenmängel und -stärken der jeweiligen Organisationseinheiten erfasst werden. Das Instrument ermöglicht eine Betrachtung bestehender Arbeitsressourcen aus verschiedenen Perspektiven (Mitarbeitende, Führungskräfte, Arbeitsschutz-Akteure), was die Erarbeitung von Gestaltungsmaßnahmen im Dialog fördert.

Qualifizierungskonzept SePIAR für mitarbeitende und Führungskräfte

Mit dem Qualifizierungskonzept SePIAR wurde ein integratives Workshop-Konzept für Teams und ihre Führungskräfte entwickelt, in dessen Rahmen Gestaltungskompetenz durch arbeitsimmanente Lernprozesse auf verschiedenen betrieblichen Akteursebenen aufgebaut werden soll. Das Workshop-Konzept kann unter anderem nach der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen helfen, sich aufbauend auf Analyseergebnissen Gestaltungswissen für ihre Arbeitstätigkeit anzueignen, Gestaltungsideen zu entwickeln und diese im konkreten Arbeitsfeldern umzusetzen. Das Workshop-Konzept basiert auf parallel verlaufenden Mitarbeiter-und Führungskräfte Workshops eines Arbeitsbereiches. SePIAR steht für ein stufenweises Vorgehen, das aus einer Stress Sensibilisierung (Se), einer Priorisierung relevanter Problemschwerpunkte (P), der Initiierung von Gestaltungsideen (I), der Aktivierung von Führungskräften und Mitarbeitenden zur Umsetzung (A) und der gemeinsamen Festlegung vom Umsetzungsmaßnahmen und Reflexion des Gesamtteams basiert (R). Das modular aufgebaute Workshop-Konzept verfolgt das Ziel, für jeden Einzelnen, aber gemeinsam im Team Lösungswege zu weniger Belastungen und Stress, einem besseren Arbeitsklima und mehr Zufriedenheit in der Arbeit zu finden (Gerlmaier & Geiger, 2018). Wirksamkeitsanalysen im Rahmen der betrieblichen Erprobung ergaben, dass bei einer konsequenten Umsetzung des Verfahrens Belastungen reduziert und psychische Erschöpfung bei den Beteiligten substantiell vermindert werden können.

Projektpartner und Förderer