Lehre

Sommersemester 2010

Künstlerische Freiheit und soziale Norm: Ernst Cassirer

Seminar Di 16-18 A87 (Hauptstudium, Studiengänge: KP, Master. Module: Ästhetik, Kunstwissenschaft, Medien, Kunst und Gesellschaft) Beginn: 20. April

Die Wirkungsgeschichte des Neukantianers Ernst Cassirer lässt sich von Bourdieu über Blumenberg bis zu Richard Sennett verfolgen, wobei das Hauptwerk, die „Philosophie der symbolischen Formen“ in einer erkenntnistheoretisch orientierten kunsttheoretischen Diskussion ebenfalls ein festen Platz einnimmt. Als einer der bedeutendsten Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts ist Cassirer in den letzten Jahren aber vor allem wiederentdeckt worden, weil sein Denken eine unvergleichlich klare kategoriale Orientierung bei der Grenzbestimmung zwischen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Geltungsebenen liefert. Gerade vor dem Hintergrund einer sich zunehmend an naturwissenschaftlichen Befunden orientierenden Kunstproduktion geben seine Schriften Auskunft darüber, was den ästhetischen konstituierten Raum von jenem der wissenschaftlichen Erkenntnis trennt – freilich auch darüber, was beide miteinander verbindet.

In der Veranstaltung mit dem Rahmenthema „Künstlerische Freiheit und soziale Norm“ ist es üblich, dass über mehrere Sitzungen gemeinsam an einem Text gearbeitet wird, wobei die in den jeweiligen Sitzungen behandelten Abschnitte jeweils von einer Teilnehmerin bzw. einem Teilnehmer im Sine spezifischer Fragestellungen gesichtet werden. Eine gründliche Lektüre ist für alle Beteiligten verpflichtend. Leistungsnachweise werden für gesonderte schriftliche Ausarbeitungen vergeben.

Behandelt werden sollen zunächst folgende Texte: “Form und Technik“(1930); „Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum“ (1931. In: Ernst Cassirer: Form, Technik, Sprache. Felix Meiner Verlag) Hamburg 1985

Modemagazine: Zur Fotografie der feinen Unterschiede

Seminar Di 14-16 A87 (Grund- u. Hauptstudium. Studiengänge: KP, Master. Module: Designwissenschaft, Kunstwissenschaft, Medien, Kunst und Gesellschaft) Beginn: 20. April

In den zwanziger Jahren entwarf der Soziologe Siegfried Kracauer in seiner Schrift Die Angestellten eine Typologie der modernen Dienstleistungsgesellschaft, auf deren Bühne die Akteure in einem sachlich-funktionalen Kleidungsstil auftreten. Mehr oder weniger luxuriöse und bizarre Inszenierungen, wie sie um die Jahrhundertwende noch Thorstein Veblen als Distinktionsmerkmal der „feinen Leute“ herausgestellt hatte, erschienen insofern als Randphänomen, als die calvinistisch geprägten Geld-Eliten ebenfalls dezente Zurückhaltung pflegten.

Auf den ersten Blick eröffnet sich uns heute ein anderes Bild. Wir sprechen von einer in vielfältige Lebensstile ausdifferenzierten Kultur und einem breiten Spektrum ästhetischer Selbstinszenierung. Um als Individuen überhaupt wahrgenommen zu werden, würden die Menschen in den entwickelten Industriegesellschaften nach Originalität und Expressivität streben – sozusagen im Wettlauf mit einem kommerziell oktroyierten Massengeschmack. Die augenfällige Demonstration sozialer Ungleichheit – so hatte der Soziologe Pierre Bourdieu es bereits in den siebziger Jahren nahegelegt – würde abgelöst von der Pflege der sogenannten feinen Unterschiede. Wenn solch feine Unterschiede sich durch genaue Beobachtungen auch bestätigen mögen – das Straßenbild selbst in den Metropolen deutet eher auf eine Nivellierung der Ausdruckformen. Ganz anders verhält es sich mit den Print- bzw. Bewegtbildmedien, die sich der Generierung und Kreation von Lebensstilen verpflichtet haben, den sogenannten Mode- und Lifestyle-Magazinen. Sie sind es, welche jene Bühne ästhetisch-kultureller Differenzierung bereitstellen, die wir mit der lebensweltlichen Realität zu verwechseln neigen. So kann man durchaus sagen, dass die Gesellschaft ihre habituellen Unterscheidungswünsche weitgehend an die fotografischen Bilder delegiert hat. So wie sich die Vorstellung über die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts in den Fotografien August Sanders codiert finden, so liefern die Magazine den Code des wandelbaren, bzw. mit Richard Sennett gesprochen. flexiblen Menschen.

In dem Seminar sollen zunächst einige wichtige Kategorien aus der Soziologie der Mode und der Kommunikationstheorie bereitgestellt werden. Den Schwerpunkt bildet die Analyse fotografischer Inszenierungen im redaktionellen Zusammenhang der Print- und Bewegtbildmedien

Film- und Videowerkstatt: Heimat zusammen mit Peter Liffers

Übung/Seminar Mi 16-18 A87 (Grund- u. Hauptstudium. Studiengänge: KP, Master, Module: Medien, Kunst und Gesellschaft, Fachpraxis) Beginn: 22. April

Wenn die beiden Wörter „Heimat“ und „Film“ in unmittelbare Nachbarschaft gerückt werden, provoziert dies bis heute negative Reaktionen. Der Heimatfilm ist überwiegend negativ konnotiert durch die Blut- und Boden-Ideologie des Nationalsozialismus und die mit „Kitsch“ durchsetzten Film-Idyllen der fünfziger Jahre. In den TV-Serien und „Soaps“ unserer Tage leben die Grundmotive des Heimatfilms – freilich den sozialen und kulturellen Wandel berücksichtigend – durchaus weiter. In Serien wie „Lindenstraße“ oder „Marienhof“ haben intrigante Yuppie-Frauen und rücksichtslose Machos die Rolle des bösen Mühlenbesitzers im Silberwald übernommen.

Auf  höherem Niveau ist es Filmautoren wie Edgar Reitz gelungen, das Heimat-Genre zu entrümpeln und anspruchsvolle fiktionale Sozialdokumentationen zu schaffen. Ebenso wie die Kulturwissenschaften relativieren Dokumentar- und Spielfilm einen überkommenen Heimatbegriff und thematisieren – oft die weltweite Migrationsproblematik einbeziehend – das ambivalente Verhältnis von regionaler Identität und Entwurzelung, welch letzteres den Heimatbegriff wiederum zum Gegenstand städteplanerischer Reflexion macht. 
Die Vorstellung von Heimat löst sich überdies immer mehr von konkreten Orten und wird als emotionale Bedürfnisse bedienendes personales Netzwerk etwa im Sinne einer familienähnlichen Community verstanden oder gar als eine Art „eins sein mit sich selber“. Also begegnen wir auch in zahlreichen Video-Performances – wie etwa denen von Marina Abramovic – dem Heimat-Thema wieder.

Die Veranstaltung bietet neben der filmanalytischen Behandlung des traditionellen Heimat-Genres Platz für die Entwicklung eigner Projekte im Bereich des auf dieses Thema zugeschnittenen Dokumentarfilmes und performativen Videos. Die im WS 2009/10 im Rahmen des interdisziplinären Heimatprojektes begonnen Arbeiten, werden in Anbindung an das Seminar weiter betreut.

Maler des modernen Lebens

Vorlesung Do 14-16 (Grund- und Hauptstudium; Module: Kunstwissenschaft, Ästhetik, Kunst und Gesellschaft, Medien) Beginn: 22. April

„Maler des modernen Lebens“ lautet der Titel eines 1863 verfassten Textes von Charles Baudelaire. Gewidmet ist er dem französischen Künstler Constantin Guys (1802-1892), den die Kunstgeschichtsschreibung nicht zum Kern der Impressionisten zu zählen pflegt. Und so hat die Schrift zu einigen Irritationen geführt. „Verdient nicht eher Manet dieses Prädikat?“, fragen sich bis heute viele Kunsthistoriker. Dennoch berufen sich von Picasso bis zu Jeff Wall nicht wenige Künstler und Kunstschriftsteller auf den Text Baudelaires. Das hat seinen Grund darin, dass Baudelaire das Werk von Constantin Guys zum Anlass nimmt, grundsätzlich über die Rolle des Künstlers in der Moderne nachzudenken und eine soziologische Ästhetik entwirft, die zwischen Traditionsbeständen und den Herausforderungen einer neuen gesellschaftlichen Dynamik vermittelt. Georg Simmel, die Frankfurter Schule und vor allem Walter Benjamin, haben die Grundkonstellation der Schrift in den Diskurs des 20. Jahrhunderts übertragen.

Ausgehend von den Problemstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts möchte ich in der Vorlesung anhand künstlerischer, literarischer und kuns­t­philosophischer Beispiele zeigen, in welchem Kontext sich das Anliegen der klassischen Moderne herausgebildet hat und wie es zu der bis heute oft unverstandenen Dichotomie von Mimesis und Abstraktion gekommen ist. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch auf aktuelle Kunst gerichtet sein, deren Protagonisten sich vielfach auf die klassische Moderne und ihre Begriffe berufen, ohne deren komplexe Entstehungszusammenhänge ausreichend zu berücksichtigen.