Die Vorträge und die Diskussion haben gezeigt, dass noch viel zu tun ist, wenn es darum geht, dass Differenzen zwischen Individuen, vor allem in Bezug auf Geschlecht, zu unterschiedlichen Bewertungen und Lebenschancen führen. Hochschulen sind wichtige Teile im gesellschaftlichen Gefüge. Die in ihnen wirkenden AkteurInnen können viel bewegen. Wie das geschehen kann, zeigte die Tagung auf. Vor allem ist der Austausch über bestehende Maßnahmen in der Lehre, der Personal- und Hochschulentwicklung wichtig: Wie werden sie erfolgreich? Wo sind ihre Fallstricke? Was erzeugt Widerstände? Im Folgenden werden die zentralen Diskussionsergebnisse zusammengefasst.

Gleichheit mit wem?

Was kann Gleichstellungspolitik verändern? Was impliziert der Begriff Gleichheit? Vor allem im Hinblick auf die Frage "Gleichheit mit wem"? Welche Bedeutung soll der analytischen Kategorie "sex" zukommen? In der Praxis der Gleichstellungsarbeit wird meist von Frauen und Männern gesprochen. Vor allem wenn es darum geht, Geschlechterverteilungen quantitativ zu fassen um daraus hochschulpolitische Forderungen und Maßnahmen abzuleiten. Gleichzeitig wird aber der Begriff "gender" verwendet, der, wie im Beitrag von Lisa Mense deutlich wurde, mehr umfasst als Frauen und Männer. Die Verwendung des Begriffes Gender mag verschiedene Gründe haben: Er klinge und verkaufe sich besser, beispielsweise in Förderanträgen oder bei der Suche nach Verlagen für Publikationen.

Darüber hinaus ist strittig, wie viel sich seit den 1980er Jahren im Hinblick auf Gleichstellung positiv verändert habe und woran sich Erfolge messen lassen. Die Herausforderung ist es, die Art und Weise wie und von wem Macht ausgeübt werde, im Blick zu behalten und zu intervenieren. Ein zentraler Aspekt sind hierbei Normierungen. Welche Normen gelten für wen und in welcher Reichweite? Werden nicht nach wie vor Normen von „Männlichkeit" im Hochschulkontext als erstrebenswert aufgefasst? Welchen Stellenwert hat "Weiblichkeit"? Hier ist jedoch zu reflektieren von welcher Weiblichkeit, von welchen Frauen in welchen Zusammenhängen die Rede ist und welche neuen Ein- und Ausschlüsse mit der Frage verbunden sind. Demnach sind auch hier mögliche Normierungsprozesse zu hinterfragen - auch inwiefern Geschlecht die zentrale Ungleichheitsdimension ist. Soziale Ungleichheit, so zeigten der Vorträge von Friederike Reher und Sabrina Schramme, ist das Produkt der Wechselwirkung verschiedener weiterer Ungleichheitsdimensionen. In wie weit das Konzept „Diversity" ein Gewinn für die Gleichstellungsarbeit an Hochschulen ist, bleibt zunächst eine offene Frage.

Machtstrukturen und die Rolle der Hochschulen

"Frauenfördermaßnahmen gibt es seit einigen Jahren an unserer Fakultät, jedoch haben sich die Studentinnenanteile nicht wirklich erhöht." Was antworte ich dem Dekan in der Physik, der an der Reichweite von Frauenfördermaßnahmen in seinem Fach zweifelt? – diese Frage wurde nach dem Beitrag von Bernhard Ertl im Plenum gestellt. Eine mögliche Antwort hierauf wäre, das Selbstkonzept von Frauen zu stärken. D. h. junge Frauen benötigten mehr Selbstvertrauen in die eigenen mathematischen oder technischen Fähigkeiten als junge Männer. Die Ursache hierfür liegt in der Sozialisation und damit in aufgeschichteten Lernprozessen. Mädchen und Jungen verinnerlichen Zuschreibungen in Bezug auf vermeintlich weibliche und männliche Stärken bereits früh in der Kindheit. Diesen einseitigen Attributionen gelte es daher früh mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen.

Hierauf, so der Einwand, dürfe nicht folgen, dass sich Akteurinnen und Akteure an Hochschulen aus der Verantwortung ziehen. Sozialisationsprozesse sind in Machtstrukturen eingebettet und Hochschulen sind wichtige Sozialisationsinstanzen und zugleich Bestandteile von Machtstrukturen. Was aber zeichnet diese Strukturen aus? Welche Rolle haben dabei Institutionen wie etwa Hochschulen? Barbara Thiessen und Inken Tremel verwiesen in ihrem Vortrag darauf, institutionelle Logiken weiter, also im Kontext gesellschaftlicher Strukturen zu denken. Das Steuerrecht setze beispielsweise durch das Ehegattensplitting Anreize für das Ernährermodell etc.

Hochschulen als Teile dieser Strukturen sind in der Lage, auf die Strukturen selbst einzuwirken. Sie bilden beispielsweise angehende Lehrkräfte aus. Viele Studierende von heute sind die Eltern von morgen. Sie werden auf die Lernprozesse ihrer Kinder einwirken. Was in Elternhaus und in der Schule von vielen Studierenden und Lehrenden an einseitigen Zuschreibungen erfahren wurde, muss sich an der Universität nicht wiederholen und damit auf spätere Generationen auswirken.

Ansätze in der Lehre

Die positiven Erfahrungen von Kristin Probstmeyer mit dem Online-Kurs Gender und Diversity im Berufs- und Privatleben zeigen, dass E-Learning-Angebote ein guter Weg sind, Inhalte der Frauen- und Geschlechterforschung hochschulweit und interdisziplinär zu verankern. Die Hemmschwelle einen Kurs zu diesem Thema zu besuchen, sei möglicherweise geringer, als sich in einer Präsenzveranstaltung mit seinem Interesse zu „outen". Welche Möglichkeiten und Wege im virtullen Bereich Lehrenden offen stehen, zeigte auch der Beitrag von Friederike Reher.

Der Sensibilisierung im Rahmen der hochschuldidaktischen Weiterbildung und Lehramtsausbildung kommt ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu. Wie können aber Lehrende an Hochschulen hierfür gewonnen werden? Gute Erfahrungen, so die Hochschuldidaktikerin Ingeborg Stahr, wurden mit interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen gemacht. In fachheterogenen Gruppen herrsche eine offeneres Gesprächsklima, die Teilnehmenden seien neugierig auf die Perspektiven der KollegInnen anderer Fachbereiche.

Ein kontroverser Punkt ist die Debatte um die Nachwuchsgewinnung in natur- und technikwissenschaftlichen Fächern: Sind die MINT-Fächer der Königinnenweg zu mehr Gleichstellung? Leistet nicht vielmehr die Betonung der (vermeintlichen) Wichtigkeit der weiblichen Nachwuchsgewinnung einen Beitrag zu einseitigen Zuschreibungsprozessen? Darüber hinaus sei 'MINT nicht gleich MINT' - die Anteile von Studentinnen und Studenten in den einzelnen Fächern unterscheiden sich deutlich voneinander. So ist der Anteil der Mathematikstudentinnen in den letzten Jahren auf nahezu 50% gestiegen. In der Biologie sind männliche Studierende in der Minderheit. Der Vortrag von Sabrina Schramme zeigte, dass hohe Studentinnenanteile wie etwa in den Rehabilitationswissenschaften, nicht automatisch dazu führen, dass sich die hohen Anteile in den nächsten Karrierestufen niederschlagen.