"Aneignungskonflikte in mischungsorientierten Stadtentwicklungsprozessen"

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Stellungnahme zum Statement von Stadt und Polizeipräsidium Essen zum Vorwurf
rassistischer Kontrollen in Altendorf

Als Wissenschaftler/innen der Universität Duisburg-Essen, die gegenwärtig im Stadtteil Altendorf forschen, haben wir das Statement der Stadt und der Polizei Essen vom 25.02.2020 mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Dies gilt auch für den Kommentar dazu in der WAZ vom 26.02.2020.
In der Pressemitteilung weisen Stadt und Polizei die Aussage eines Vertreters des Bündnisses „Essen stellt sich quer“, der Stadtteil Altendorf sei „immer wieder Ziel rassistischer Kontrollen durch die Polizei“, scharf zurück. Die Polizei handele ausschließlich auf „Grundlage von Recht und Gesetz“ und Kontrollen erfolgten keineswegs aus „rassistischen Gründen“. Angekündigt wird eine Strafanzeige wegen Beleidigung. Dieses Vorgehen irritiert uns doppelt: Es zeugt von einem zweifelhaften Demokratieverständnis, wenn eine Institution wie die Polizei sich des Strafrechts bedient und damit Kritiker/innen potenziell einschüchtert. Alternativ hätte die Polizei die entsprechende Äußerung auch zum Anlass nehmen können, das eigene Handeln zu hinterfragen. Zudem zeigt das Statement, dass bei Stadt und Polizei offenbar Unklarheiten darüber bestehen, was mit Rassismus gemeint ist. Denn: Rassismus hat viele unterschiedliche Erscheinungsformen, ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und betrifft daher selbstverständlich auch die Institution Polizei.
Wenn etwa polizeiliche Kontrollen als rassistisch beschrieben werden, dann bedeutet das keineswegs, dass diese zwangsläufig auf rassistische Motive von einzelnen Polizist/innen zurückgehen müssen. Handlungen können auch rassistisch sein und so empfunden werden, wenn sie nicht entsprechend beabsichtigt sind. In der Soziologie wird etwa von „nicht-intendierten Handlungsfolgen“ gesprochen. In der Rassismusforschung ist wiederum der Begriff des „institutionellen Rassismus“ etabliert. Er bezeichnet Strukturen und Handlungsmuster in Organisationen und Gesellschaften, die dazu führen, dass Menschen aufgrund ihrer Haut- oder Haarfarbe, Religionszugehörigkeit oder weiterer Merkmale als homogene Gruppe wahrgenommen werden. Diesen konstruierten Gruppen werden bestimmte, zumeist negative Eigenschaften zugeschrieben. Und einzelne Personen werden dann nicht mehr als Individuen, sondern als bloße ‚Exemplare‘ einer solchen Gruppe behandelt. Die Folgen davon zeigen sich im Alltag der betroffenen Personen als systematische Benachteiligungen.
Besonders eindrücklich lässt sich institutioneller Rassismus an den Morden durch das NSU-Netzwerk verdeutlichen. Diese waren rassistisch motiviert, dennoch wurden die Opfer und ihre Angehörigen durch die Ermittlungsbehörden zunächst selbst verdächtigt, Straftaten begangen zu haben. Den Ermittlungsbehörden kam es offenbar aufgrund typischer Arbeits- und Denkweisen zuerst gar nicht in den Sinn, dass die Morde aus rassistischen und faschistischen Motiven begangen wurden. Ein weiteres Beispiel sind polizeiliche Kontrollen, die in der internationalen Forschung als „Racial Profiling“ bezeichnet werden. Es ist wissenschaftlich sehr gut belegt, dass Personengruppen, denen bestimmte kulturelle oder ethnische Merkmale zugeschrieben werden, häufiger anlasslos kontrolliert werden. Dasselbe gilt für polizeiliches Handeln in unterschiedlichen Stadtteilen: sich ähnelnde Phänomene oder Verhaltensweisen werden von der Polizei unterschiedlich bewertet und behandelt, je nachdem ob sich diese Geschehnisse in einem Stadtteil mit „gutem“ oder „schlechtem Ruf“ ereignen.
Auf Basis unserer Forschung in Altendorf können wir solche Befunde zu institutionellem Rassismus – und damit auch die medial zitierte Aussage des Vertreters von „Essen stellt sich quer“ – bestätigen. Wir haben zahlreiche und detaillierte Schilderungen von interviewten Bewohner/innen über selbst erlebte oder beobachtete Polizeikontrollen, die sich vor allem gegen Personen richten, die ein vermeintlich nicht-deutsches Aussehen haben. Auch unsere Beobachtungen im Stadtteil bestätigen entsprechende Kontrollpraktiken. Unsere Forschung hat zudem zeigen können, dass die starke Polizeipräsenz im Stadtteil rassistische Einstellungen mancher Bewohner*innen verstärken oder bestätigen können: Weil die Polizei in Altendorf so häufig als nicht-deutsch wahrgenommene Personen kontrolliert, werden diese von anderen auch als „krimineller“ wahrgenommen.
Neben der „Strategie der Tausend Nadelstiche“ gegen vermeintliche „Clan-Kriminalität“, die bei Kiosken, Shisha-Bars, Imbissen, Friseursalons schlicht den Alltag vieler Stadtteilbewohner/innen betrifft, können Zusammenhänge mit den Bestrebungen, Altendorf als Stadtteil aufzuwerten, als Hintergründe angenommen werden. Dies gerade auch, weil die Essener Polizei selbst bestätigt, dass Altendorf in Bezug auf „Kriminalität“ gar nicht besonders auffällig ist.
Dass unmittelbar nach den rassistisch motivierten Morden in Hanauer Shisha-Bars in der genannten Pressemitteilung eben diese Treffpunkte problematisiert werden und zeitgleich der Innenminister von NRW medial zitiert wird, die Polizei würde nun Shisha-Bars zum Schutze ihrer Besucher/innen verstärkt bewachen, verdeutlicht die ganze Komplexität und Ambivalenz entsprechender Aktivitäten – und eben, dass es in den Behörden an einer notwendigen Auseinandersetzung mit Sensibilität für institutionellen Rassismus mangelt.


Essen, den 28.02.2020
Prof. Dr. Jan Wehrheim, Dr. Moritz Rinn, Lena Wiese

Projektbeschreibung

„Aneignungskonflikte in mischungsorientierten Stadtentwicklungsprozessen“

Projektlaufzeit: Mai 2018 bis Oktober 2020

Finanzier: Deutsche Forschungsgemeinschaft

Projektbeteiligte: Moritz Rinn, Jan Wehrheim, Lena Wiese.

Das geplante Forschungsprojekt setzt an der thematischen Schnittstelle von stadtpolitischen Strategien der sozialen Mischung und Gentrifizierungsprozessen in innerstädtischen Wohngebieten an. In der Stadtforschung wird kontrovers diskutiert, ob Mischungspolitiken in benachteiligten Innenstadtquartieren die soziale Teilhabe statusniederer Gruppen verbessern oder aber zu deren Verdrängung führen und Gentrifizierung verstärken. Im Projekt wird davon ausgegangen, dass solche Entwicklungen immer interaktiv und damit potentiell konflikthaft verlaufen, und auch nicht von einem eindimensionalen (Verdrängungs-)Prozess ausgegangen werden kann. Gefragt wird insofern, welche Konflikte aus unterschiedlichen Perspektiven in verschiedenen Gebietskontexten entstehen, wie dabei die Aneignung städtischer Ressourcen durch Interaktionen hindurch ausgehandelt und realisiert wird, und wie insbesondere statusniedere Bewohner_innen solche Prozesse erfahren und welche Umgangs- und Bleibestrategien sie in Bezug auf unterschiedliche Formen von Verdrängung entwickeln.

Das Projekt verfolgt drei Ziele: Erstens sollen systematisch Konfliktfelder aus unterschiedlichen Per-spektiven erfasst und typologisiert werden. Zweitens sollen die Erfahrungen, Deutungen und Hand-lungsrepertoires statusniederer und damit besonders von unterschiedlichen Formen von Verdrängung bedrohter Gruppen analysiert werden. So sollen drittens Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob und ggf. wie sich entsprechende Konflikte, Deutungen und Umgangsweisen in stadtentwicklungspolitischen Aufwertungsgebieten mit unterschiedlichen Wohnungsmarkt- und Bevölkerungsdynamiken unterscheiden, um daraus Schlussfolgerungen über die Wirkungen von Politiken sozialer Mischung in unterschiedlichen Gebieten zu ziehen und somit einen Beitrag zur Frage nach den Bedingungen von Teilhabe und Ausgrenzung im Kontext von Stadtentwicklung zu leisten.
 

 

Projektpublikationen

  • Moritz Rinn, Lena Wiese: "Politiken sozialer Mischung und die Produktivität von Rassismus im „gefährlichen Viertel“ ", in: Geographica Helvetica, 75 (1), 23-36, online unter https://doi.org/10.5194/gh-75-23-2020
     
  • Moritz Rinn, Jan Wehrheim, Lena Wiese: "Kein Einzelfall. Über den Tod von Adel B., der während eines Polizeieinsatzes in Essen-Altendorf erschossen wurde", in: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 8 (1/2), Vorabveröffentlichung, online unter: https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/556/754