NEST | Educational Research and Schooling

NEST (2021-2024)Novice Educator Support and Training – Mentoring für beginnende Lehrkräfte an Schulen in sozial benachteiligter Lage

Ein policy experiment in sieben europäischen Bildungssystemen

Der Bildungssektor verändert sich rapide und grundlegend als Reaktion auf technologische Fortschritte, soziale Veränderungen (z.B. Einwanderung, Einkommensungleichheit) und weitere politische Notwendigkeiten (z.B. COVID-19 Pandemie, Klimawandel). Die somit erforderlichen Anpassungen betreffen auch beginnende Lehrkräfte, die ihre grundlegenden Fähigkeiten im Beruf noch entwickeln. Dabei sind insbesondere Lehrkräfte betroffen, die mit Kindern in sozial benachteiligten Kontexten arbeiten. An Schulen in sozial benachteiligter Lage benötigen Lehrkräfte von Beginn an zusätzliche Fähigkeiten, um Kinder und Jugendliche in einem Umfeld zu unterstützen, das weniger förderliche oder sogar widrige Bedingungen für sie bereithält.

Trotz des eindeutigen Bedarfs an Unterstützung und Begleitung bei der Einführung beginnender Lehrkräfte sind strukturierte Einführungsprogramme für Schulen in sozial benachteiligter Lage nach wie vor selten; d. h. nur wenige beginnende Lehrkräfte haben Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Begleitung durch einen qualifizierten Mentor oder eine Mentorin (EACEA, Eurydice, 2013). Gefordert ist ein adaptives Mentoring-System, das beginnende Lehrkräfte effektiv unterstützt, auf ihre Aufgaben vorbereitet und sie in die Lage versetzt, auf die Bedürfnisse ihrer Schüler*innen einzugehen.

Allgemein ist die Relevanz von Mentoring für beginnende Lehrkräfte empirisch gut belegt (OECD, 2018; Kraft et al., 2018). Schon Ingersoll & Strong (2011) fanden in den meisten der von ihnen untersuchten Studien Belege dafür, dass Mentoring das Engagement von Lehrkräften und deren Verbleiberate im Beruf, ihre Unterrichtspraxis und die Schülerleistungen positiv beeinflusst. Dieses Potenzial wird umso mehr ausgeschöpft, je besser die Mentor*innen geschult sind und ihre Fähigkeiten adaptiv und bewusst einsetzen. So weisen Richter et al. (2013) darauf hin, dass die Qualität des Mentorings und nicht die Häufigkeit der Interaktion über den erfolgreichen Start einer Lehrerkarriere entscheidet.

Das NEST-Projekt ist ein policy experiment, das von der Europäischen Kommission im Rahmen der Leitaktion 3 von ERASMUS+ kofinanziert wird. Es ermöglicht die Entwicklung und Implementierung eines zielgenauen Mentorentrainings sowie die Bereitstellung von adaptivem Mentoring für beginnende Lehrkräfte an Schulen in sozial benachteiligter Lage. Die Umsetzung und die Auswirkungen des Mentorentrainings sowie des adaptiven Mentorings erfolgt in fünf Mitgliedsstaaten der EU (Österreich, Belgien, Bulgarien, Rumänien und Spanien). In Spanien und Belgien nehmen jeweils zwei Bildungssysteme an dem Projekt teil, so dass die Wirkung des Mentorentrainings (Intervention I) und des adaptiven Mentorings für beginnende Lehrkräfte (Intervention II) in insgesamt sieben Bildungssystemen untersucht wird. Die Evaluation von NEST erfolgt durch die Universität Duisburg-Essen.

Evaluation

Die Evaluation von NEST baut auf dem „Vier-A-Schema“ auf, das grundlegende Prinzipien des Rechts auf Bildung definiert: Verfügbarkeit (Availability), Zugänglichkeit (Accessibility), Akzeptanz (Acceptability) und Anpassungsfähigkeit (Adaptability) (Tomasêvski, 2001). Im Rahmen des NEST-Projektdesigns werden diese Kategorien auf das Mentoring für beginnende Lehrkräfte angewandt und ergeben ein innovatives Modell, um nationale Mentoringstrukturen und -praktiken eingehender zu vergleichen und so den europäischen Diskurs über Mentoring und Unterstützung für beginnende Lehrkräfte zu befördern.

Wie aus der Forschung hervorgeht, reichen Verfügbarkeit und Zugänglichkeit häufig nicht aus, um eine effektive Mentoring-Praxis zu gewährleisten. Im Sinne der Availability betrachtet die Evaluation zunächst, inwiefern ein Bildungssystem die Grundlagen für ein Angebot an Mentoring und Unterstützung von beginnenden Lehrkräften schafft. Das Projekt soll sodann einen Beitrag leisten, die Verfügbarkeit von Mentoring zu erhöhen. Dazu gehören unter anderem die Rekrutierung und Qualifikation von Mentorierenden.

Im Sinne der Accessibility betrachtet die Evaluation die Zugänglichkeit des Mentorings. Dazu wird analysiert, in welchem Zeitrahmen beginnende Lehrkräfte Mentoring erhalten. Das Projekt soll diesen Zeitrahmen erweitern und stabilisieren. Im Sinne der Acceptability analysiert die Evaluation die Qualität des Mentorings und seiner Methoden. Im Rahmen des Projekts soll die begleitende Ausbildung der Mentoren und deren Supervision die Qualität sichern.

Schließlich konzentriert sich die Evaluation auf die Adaptability des Mentorings. In NEST richtet sich hierbei der Fokus auf den Grad der Anpassungsfähigkeit des Mentorings an die spezifischen beruflichen Entwicklungsbedürfnisse von Lehrkräften, die an Schulen in sozial benachteiligter Lage unterrichten.

Hypothesen

Im Rahmen des policy experiment‘s wird Mentoring auch innerhalb von Bildungssystemen verfügbar gemacht, die derzeit nur wenig professionelle Erfahrung mit dieser Art der Unterstützung von Lehrernachwuchs haben. Für alle teilnehmenden Bildungssysteme erhöht das Projekt die Zugänglichkeit von Mentoring, insbesondere an benachteiligten Schulen. Durch das zielgenaue Mentorentraining wird die Anpassungsfähigkeit des Mentorings an sozial benachteiligte Schulkontexte erhöht. Während der Durchführung des adaptiven Mentorings wird das Projekt die Akzeptanz des neuen Ansatzes analysieren. Dabei werden im Kern die folgenden Hypothesen getestet:

  1. Die erste Interventionsgruppe der geschulten Mentorierenden wird eine höhere Fähigkeit zeigen, mit beginnenden Lehrkräften an Schulen in sozial benachteiligter Lage zu arbeiten, als mentorierende Lehrkräfte in der Kontrollgruppe, die von Zeit zu Zeit Mentoring anbieten, ohne vorher ein spezifisches Training erhalten zu haben.
  2. Die zweite Interventionsgruppe der beginnenden Lehrkräfte wird die Einhaltung von Kriterien für professionelles Mentoring durch ihre Mentorierenden signifikant höher einschätzen als eine Vergleichsgruppe von beginnenden Lehrkräften, denen allenfalls Mentorierende ohne zusätzliche Qualifikation zur Verfügung stehen.
  3. Beginnende Lehrkräfte an Schulen in sozial benachteiligter Lage, die ein adaptives Mentoring erhalten, werden signifikant positivere Ergebnisse in Bezug auf mehrere Outcome-Indikatoren zeigen (wie z.B. höhere Fähigkeiten und Effektivität in Bezug auf schwer erreichbare Lernende, Stressresilienz und Arbeitszufriedenheit) im Vergleich zu beginnenden Lehrkräften, die kein solches Mentoring erhalten haben.

Forschungsmethoden und -design

Die Evaluation von NEST nutzt ein quasi-experimentelles Design mit mindestens zwei Messzeitpunkten (siehe Abbildung 1) für Mentorierende und beginnende Lehrkräfte (jeweils in Interventions- und Kontrollgruppe) - in jedem der teilnehmenden Bildungssysteme. Erfahrene Lehrkräfte werden über einen Zeitraum von zwei Schuljahren verfolgt. Da in einzelnen Bildungssystemen eine höhere Fluktuation der beginnenden Lehrkräfte in den ersten Jahren erwartet wird, werden diese lediglich über ein Schuljahr beobachtet. Folglich werden zwei aufeinanderfolgende Kohorten von beginnenden Lehrkräften untersucht: eine Kohorte für das Schuljahr 2021/2022 und eine Kohorte für das Schuljahr 2022/2023. Jede Kohorte besteht aus einer Interventionsgruppe (die adaptives Mentoring erhält) und einer Kontrollgruppe (die gegebenenfalls das im jeweiligen Bildungssystem übliche Mentoring erhält).

Forschungsdesign Nest

Abbildung 1: Quasi-experimentelles Design NEST 

Entwicklung der Messinstrumente

Die Evaluation des policy experiment‘s beinhaltet das Design und die Implementierung von Datenerhebungsinstrumenten einschließlich der Fragebögen für beginnende Lehrkräfte und Mentorierende. Die Instrumente und Datenerhebung erfolgen in Anlehnung an Methoden internationaler Lehrerbefragungen, die bereits in den teilnehmenden Ländern durchgeführt wurden (z. B. TALIS 2018). Indem die Fragebögen auf etablierte Instrumente aufbauen, kann ein Vergleich zu einer externen repräsentativen Gruppe mit unvoreingenommenen, standardisierten Instrumenten hergestellt werden.

Stichprobe

Die Stichprobe besteht aus zwei verschiedenen Gruppen von Teilnehmenden: erfahrene Lehrkräfte als Mentorierende und beginnende Lehrkräfte. Die Gruppe der erfahrenen Lehrkräfte, die ein spezifisches Mentorentraining als Intervention erhalten, bilden die Interventionsgruppe der Mentorierenden. Die beginnenden Lehrkräfte, die von diesen Mentorierenden ein adaptives Mentoring als Intervention erhalten, bilden die Interventionsgruppe der beginnenden Lehrkräfte. Um die Hypothesen zu testen ist es notwendig, eine Kontrollgruppe von erfahrenen Lehrkräften, die kein spezielles Training erhalten (Kontrollgruppe der mentorierenden Lehrkräfte), und eine Gruppe von beginnenden Lehrkräften, die von eben diesen unterstützt werden (Kontrollgruppe der beginnenden Lehrkräfte), zu implementieren. Die Stichprobengröße variiert je nach Land. Die größte Stichprobe an beginnenden Lehrkräften wird im bulgarischen Bildungssystem erhoben. 

Projektteam

Prof. Dr. Hermann Josef Abs
Eva Anderson-Park, M.A.
Dr. Myrte van Veldhuizen

Internationale Projektpartner​

Länder           Nationale Teach For All Organisationen Bildungsadministration und weitere nationale Projektpartner

Belgien

Teach For Belgium

Ministère de l’Education de la Fédération Wallonie-Bruxelles (FWB)

Brussels Education Centre (OCB), agency of the Flemish Community Commission (VGC),

Secrétariat Général de l'Enseignement Catholique (SEGEC)

Bulgarien  

Zaedno v chas

Ministerium für Bildung und Wissenschaft,

Lehrergewerkschaft “Podkrepa”

Österreich

Teach For Austria

Bildungsdirektion für Wien

Rumänien

Teach For Romania

Ministerium für Bildung und Forschung

Spanien

Empieza por Educar

Consejería de Educación y Juventud

Departament d’Educació de la Generalitat de Catalunya

Während die nationalen Teach For All Organisationen für die Durchführung der Intervention verantwortlich sind, liegen die Zuständigkeiten der Ministerien und anderen nationalen Projektpartner darin, den Zugang zu den Bildungssystemen zu ermöglichen und bei der Rekrutierung von Kontroll- und Interventionsgruppen sowie der Verbreitung von Projektinformationen und -ergebnissen zu unterstützen. Zaedno v chas verantwortet zusätzlich die Projektkoordination innerhalb des NEST Projektes.

Finanzielle Förderung​​

​Das Projekt wird als "policy experiment" im Rahmen der Leitaktion 3 von Erasmus+ durch die Europäische Union gefördert,  Förderkennzeichen: 626151-EPP-1-2020-2-BG-EPPKA3-PI-POLICY

Interview

Ein Interview zu den europäischen Projekten der Lehrerbildungsforschung aus der Arbeitseinheit finden Sie hier: Link

Literatur

European Commission/EACEA/Eurydice, 2013. Key Data on Teachers and School Leaders in Europe. 2013 Edition. Eurydice Report. Luxembourg: Publications Office of the European Union.

Ingersoll, R. and M. Strong (2011). The impact of induction and mentoring programs for beginning teachers: A critical review of the research, Review of Educational Research 81(2), 201-233, http://dx.doi.org/10.3102/0034654311403323.

Kraft, M. A., Blazar, D. & Hogan, D. (2018). The effect of teacher coaching on instruction and achievement: A meta-analysis of the causal evidence. Review of Education Research 88, 547-588.

Richter, D., Kunter, M., Lüdtke, O., Klusmann, U., Anders, Y., Baumert, J. (2013). How different mentoring approaches affect beginning teachers’ development in the first year of practice. In: Teaching and Teacher Education36, 166-177.

Tomasêvski, K, (2001). Human rights obligations: making education available, accessible, acceptable and adaptable. Right to Education Primers no.3.a