Erste Erkenntnisse über einen Zusammenhang gaspermeabler Störungszonen und bevorzugter Siedlungsplätze hügelbauender Ameisen in Skandinavien und Italien

Waldameisen auf tektonischen Störungen

Geländebefunde von Südeuropa bis Nord-Skandinavien belegen, dass es eine starke Affinität hügelbauender Waldameisen zu gaspermeablen, rezent aktiven tektonischen Störungszonen gibt (s. auch Schreiber et al. 2008). Die Zusammenhänge, bzw. die eigentliche Ursache ist noch nicht geklärt. Aber es gibt erste Hinweise, dass aufsteigenden Gase aus Störungszonen, die in der kalten Jahreszeit sehr kleinräumig eine Temperaturerhöhung im Boden bewirken, eine bedeutende Rolle spielen. Eine extreme Sensibilität für geringste Temperaturerhöhungen des Untergrundes konnte bei Formica polyctena in einer Laufarena bereits nachgewiesen werden (Dr. Stefan Hetz, Humboldt-Universität Berlin). In sehr trockenen Jahren bieten die Hohlräume der Störungen im oberflächennahen Bereich Kondensationsfeuchtigkeit, die von den Ameisen genutzt werden kann.
Ein komplexerer Zusammenhang könnte im Zusammenspiel Gasfluss/Erdgezeiten liegen. Aus der Überlagerung der Anziehungskräfte von Sonne und Mond auf die feste Erdkruste resultieren regelmäßig wiederkehrende Erdgezeitenmaxima, die ein Vielfaches des geringsten Wertes (wenige Zentimeter) ausmachen (Anhebung der Erdkruste im Maximum bis zu 40 cm zwei mal am Tag). Diese Bewegungen üben einen Einfluss auf aufsteigende Gase aus, deren Schwankungen in der Quantität möglicherweise von den Ameisen registriert werden können. In diesem Fall liegt neben der Tag/Nacht bzw. Temperatur-Steuerung der biologischen Uhr der Waldameisen ein weiterer Rhythmusgeber vor, ein Vorteil für Standorte mit hoher Schneebedeckung, bei denen über längere Zeit der Kontakt zu den äußeren Rhythmen abgeschnitten ist. Dieser hochinteressante Aspekt bedarf umfangreicher Forschungen durch Biologen verbunden mit der Frage, ob es weitere Tierarten geben könnte, die diesen Rhythmus nutzen.


Skandinavien

Jüngste Untersuchungen in Skandinavien (Inari-See, Oslo-Graben) haben eindrucksvoll den Zusammenhang von Störungen und Waldameisen belegt.
Das tief erodierte Grundgebirge in Nordskandinavien wird gerade im Umfeld des Inari-Sees von lang durchhaltenden Störungen durchzogen.
 
Durch geringe bzw. ganz fehlende Sedimentüberdeckung gelangen die Gase aus der Kruste ohne weitere Verzweigungen der Aufstiegswege direkt an die Oberfläche. Mit den gegebenen ökologischen Voraussetzungen haben sich unzählige Nester entlang dieser Störungszonen entwickelt (bis zur Barents-See!).

Abbildung: >> Höchstes Nest im Baumstamm auf NW-SE Störung südlicher Inari See

Abbildung: >> Verkrautetes Nest direkt im Sumpf am See, gegenüber am
Seerand weitere Nester


Abbildung: >> Zahlreiche Nester im Moor (Grabenanstich vorn). Ein Nest
vorn links, zahlreiche Nester über die gesamte Fläche verteilt. Nordrand
Inari-See

Besonders auffällig sind die Standorte direkt am Ufer der zahlreichen Seen, die hier bis in den Juni vereist sein können.



Abb.1: Ameisenbau unmittelbar im offenen Uferbereich des Inari-Sees

Im Uferbereich lassen sich durch manuelle Sedimentumlagerung erhebliche gespeicherte Gasmengen feststellen. Dieses Gas lässt sich im Wasser problemlos quantitativ (auf eine definierte Fläche bezogen) gewinnen. Hierdurch sind Aussagen über den kontinentalen Gasfluss aus gaspermeablen Störungen zu extrapolieren. Ein entsprechendes Forschungsprojekt wird in 2010 starten.
Im Oslo-Graben sind permische Vulkanite in großen Mächtigkeiten verbreitet. Die ehemaligen Wegsamkeiten der Schmelzen sind für Gase heute noch offen. Auch hier lassen sich die gleichen Zusammenhänge wie in Nordskandinavien erkennen.

Abbildung: >> Metamorpher Basaltgang > 10m mächtig (Amphibolit) im Grundgebirge, Norwegen, NE des Inari Sees an der Verbindungsstraße 893 zur E6,westlich Neiden (UTM 35 W 0588978 / 7734290)

Abbildung: >> Nest auf der Kuppe im Umfeld des metamorphen Ganges



Abb.2: Ameisenbau am See Retthelltjärn, östlich Sundvollen, 40 km nordwestlich Oslo


Abb.3: Gleiches Nest am See Retthelltjärn, Detailaufnahme

Erkenntnisgewinn für die Geologie

Der Zusammenhang von Waldameisenstandorten und gaspermeablen Störungszonen bietet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Geologie. Neben der Prospektion von Gangerzlagerstätten lassen sich offene Störungssysteme eingrenzen, die neben Stickstoff und CO2 auch Kohlenwasserstoffe führen. Für die Grundlagenforschung sind die quantitative Erfassung von Gasen aus der Kruste und speziell die Menge des daran beteiligten CO2 von Interesse.
Eine besondere Stellung nehmen die Erkenntnisse für die Katastrophenvorsorge ein. Anhand der Ameisenstandorte lassen sich Punkte festlegen, an denen Monitoring-Stationen zur Überwachung von Veränderungen in der tieferen Kruste (Platznahme von Magma, zu Erdbeben führende Spannungsveränderungen) installiert werden können (s.u.).


Erdbebengefährdung und Messmethoden

Für die Diskussion zur Standortwahl von Monitoringstationen, die kontinuierlich geogene Gase messen (Helium, Radon, CO2 u.a.), Mikroseismik und Stromflüsse überwachen, ist die Kenntnis rezent geöffneter (gaspermeabler) tief reichender Störungen von entscheidender Bedeutung. An diesen Positionen lassen sich Veränderungen in den Parametern direkt mit Prozessen in der Tiefe abgleichen.
Aus der Tatsache, dass hügelbauende Waldameisen eine strenge Affinität zu gaspermeablen Störungszonen besitzen, ist die Möglichkeit gegeben, geeignete Standorte für Überwachungsstationen zu bestimmen, an denen ein direkter „Informationskanal“ in die Tiefe besteht. Ein dichtes Netz von Stationen mit hoher Aussagekraft über Veränderungen in der Kruste sollte am ehesten die Möglichkeit bieten, Aussagen über die Wahrscheinlichkeit eines kurzfristig eintretenden Erdbebens zu zulassen.

Kommende Untersuchungen müssen zeigen, wie sich die Vorläuferphänomene in Abhängigkeit von der Art des Bebens unterscheiden. Erdbeben werden durch ruckartige Bewegungen an Störungen verursacht. Hierbei müssen Bewegungen unterschieden werden an:
1. Abschiebungen (z.B. an Grabenrändern)
2. Auf- oder Überschiebungen (z.B. bei Einengungen durch Plattenkollisionen)
3. Seitenverschiebungen (Vorbeigleiten von Krustenblöcken, z.B. San Andreas –Störung)

Hinzu kommen Bewegungen an Störungen von 1. und 2., die mit Seitenverschiebungen kombiniert sind.

Durch den Anstieg der Spannungen vor dem Bruch treten vor jedem Erdbeben Mikrorisse im tieferen Krustengestein auf (im weiteren Umfeld des künftigen Bebenherdes). Gleichzeitig werden aber auch bestehende Risse teilweise oder ganz geschlossen, womit Veränderungen in den Gasaustritten erklärbar werden. Die für Gase offenen Störungen haben sehr unterschiedliche Raumlagen. An den Seitenverschiebungen treten senkrecht stehende Verbindungswege auf, die die ganze Kruste durchschlagen können. Hierdurch liegen optimale Bedingungen für den Gasaufstieg bzw. Gasmessungen vor.
Anders sieht es bei Störungen vom Typ 1. oder 2. aus. Wegsamkeiten zur Oberfläche sind an kleinere Begleitstörungen geringerer Ordnung gebunden. Es ist zu erwarten, dass die Signale hieraus weniger deutlich ausfallen.
Somit können in Abhängigkeit von der Störungsart sehr unterschiedliche Vorläufereffekte auftreten für deren Deutung in jeder Region eine Langzeitstudie erforderlich ist.

In den tieferen Krustenabschnitten wird durch verschiedene Prozesse Quarz gelöst. Die Lösungen gelangen in die zum Teil geöffneten Störungsbahnen, wo Quarz wieder kristallisieren kann. Belege hierfür findet man in den tieferen durch Erosion freigelegten Stockwerken der Gebirge, wo über große Zeiträume mächtige Quarzgänge auf diese Weise gebildet wurden. Die gleichförmige Kristallisation des Quarzes in eine Richtung hat den Effekt, dass sich bei Aufbau einer tektonischen Spannung im Gestein (Einengung) eine Ladungsverschiebung in den Kristallgittern der Quarze ergibt (Piezo-Effekt). Hierdurch treten hohe elektrische Spannungen auf, die gleich wieder durch einen Stromfluss abgebaut werden. Vor einem Erdbeben sollten diese Ströme messbar sein.


Die Verhältnisse in Italien

In 2009 fand in der Region um L’ Aquila ein folgenschweres Erdbeben statt, das trotz einer relativ kleinen Magnitude von ML 5,8 erhebliche Schäden an den alten Gebäuden mit einer hohen Opferzahl hervorrief (Das Beben von Roermond im Jahre 1992 hatte eine Magnitude von 5,9). Die tektonischen Verhältnisse in Italien sind sehr komplex. Im Übergangsbereich zwischen zwei sich gegeneinander bewegenden Großplatten (Afrika, Eurasien) finden sowohl Subduktionsprozesse mit Einengung im Bereich des Appenin als auch Dehnung im Tyrrhenischen Meer statt.

Zur Überprüfung, ob die in anderen Teilen von Europa gefundene Gesetzmäßigkeit zwischen tektonischen Störungen und Waldameisen auch in den südlicheren Regionen auftritt, wurden im Sommer 2009 stichprobenartig Begehungen in der Region um L’Aquila zum südöstlich angrenzenden Nationalpark der Abruzzen durchgeführt.
Während in der unmittelbaren Umgebung von L’Aquila durch Zersiedelung und Landwirtschaft auf bekannten Störungen keine Nester gefunden werden konnten, war die Region weiter südlich in höheren Lagen besser geeignet.
Direkt auf dem Campingplatz am Lago di Scanno zwischen Villalago und Scanno konnten mehrere Nester (einer direkt unter einem Dauercamperwohnwagen, s. Abb., (33 T UTM 0405424 / 4641298) in Nord-Süd Richtung gefunden werden.


Abb.4: Ameisenbau unterhalb eines Wohnwagens am Lago di Scanno

Der prognostizierte Störungsverlauf nach Norden quert den Lago di Scanno. An entsprechender Stelle wurden regelmäßig aufsteigende Gasblasen beobachtet (33 T UTM 0405253 / 4648124). Weitere Nester wurden außerhalb des Campingplatzes in einer Reihe diagonal den Hang nach Südost verlaufend vorgefunden (Bsp. UTM 0405814 /4640557 und 0405882 /4640555). Der Campingplatz eignet sich durch die vorhandene Infrastruktur (Strom- und Internetanschlüsse) ideal für eine Monitoring-Station. Gleichzeitig ließe sich das Verhalten der Ameisen über Echtzeitaufnahmen mit einer IR-Kamera beobachten, um Verhaltensanomalien vor Erdbeben zu erforschen.


Erdbebenvorhersage

Eine zeitgenaue Erdbebenvorhersage ist nach Einschätzung aller Fachwissenschaftler nicht möglich. Dies hängt an zu vielen nicht erfassbaren Faktoren, die letztendlich zu einem Erdbeben führen. Langfristig kann man aus statistischen Untersuchungen eine Erdbebenwahrscheinlichkeit für eine Region abgeben, die allerdings nur einen sehr großen Zeitraum von Jahren oder Jahrzehnten angibt.

Vorstellbar ist aber, dass vergleichbar mit einem Netz von Wetterstationen, in einem gefährdeten Gebiet an mehreren Stellen charakteristische Parameter gemessen werden. Hierzu zählen Höhenveränderungen der Erdoberfläche (über GPS), Gasmessungen, Bestimmung geophysikalischer Parameter und vielleicht Veränderungen in der Tierwelt. Entscheidend ist die Auswahl der Standorte, die mit Hilfe der Waldameisen festgelegt werden sollten.

Am Beispiel Italien ließen sich über den Apennin (mit Waldlagen, in denen Waldameisen vorkommen) verteilt, 10 - 20 Stationen aufbauen, an denen kontinuierlich alle Messungen erfolgen. Veränderungen ließen sich in ständig aktualisierten „Gefährdungskarten“ darstellen, die Bereiche mit den stärksten Änderungen darstellen. Diese Karten sollten frei im Internet verfügbar sein.