Eine Rezension zu Verena Fiebiger "Gedichte" Humor und Tiefsinn zwischen Abstraktion und Deutlichkeit

(von Helen Beckers)

Verena Fiebigers Gedichte werden von der Lektorin Julia Graf, die die Texte der 1983 geborenen Autorin für den 21. open mike auswählte, als Lyrik mit „Tempo, Drive und Spannung“ angekündigt und dieses Versprechen hält Fiebiger – mindestens.

Inhaltlich lassen sich die einzelnen Gedichte kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen, jedoch kehren bestimmte Motive häufig wieder. So wird Zweisamkeit in ihrer unromantischen Form beschrieben, die sich beispielsweise in einer häufig verwendeten direkten Ansprache an ein „Du“ durch das lyrische Ich äußert und eher pessimistisch wirkt. So reimt sich „Liebelei“ (S. 32) in Amore nur auf „entzwei“ (ebd.) und in 48 Stunden nach Acapulco wird eine Beziehung folgendermaßen beschrieben: „Dann lagen wir auch mal im Zimmer / Am Strand da war es noch zu kühl / Dort schrieb er in den Sand – für immer / Ich wartete auf mein Gefühl“ (S. 38). Auch die Motive Flucht  („Sich nicht finden / Sondern loswerden“ (S. 30), aus: Mein schönes kurzes Leben), Suche und Ankommen („Wissen Sie, wo´s langgeht? / So überhaupt, so ganz grundsätzlich / Und nach Warnemünde-“ (S. 27), aus: Ostsee) oder Gar-nicht-erst-Aufbrechen („Weißt du, ich bin zu schwach zum Koffer packen“ (S. 30), aus: Mein schönes kurzes Leben) sowie die damit häufig verbundene Passivität und Orientierungslosigkeit ziehen sich durch Fiebigers Poesie. Auch das Thema Tod ließe sich mit diesem Motivkomplex in Beziehung setzen (Henker Tom, Dancing with Devils).

Fiebiger, die als Journalistin, Autorin und Sprecherin von Radio- und Fernsehbeiträgen arbeitet, inszeniert ihren Vortrag gekonnt und scheint – ebenso wie bei ihren Gedichten –viel Wert auf Transparenz und eine gewisse Ordnung zu legen. Dazu gehört zum einen, dass sie einige Gedichte kurz einleitend kommentiert, obwohl dies zum Verständnis gar nicht unbedingt nötig gewesen wäre, aber den ironischen und zum Teil absurd erscheinenden Charakter von Inhalt und Stimmung unterstreicht. So bezeichnet sie das Gedicht 48 Stunden bis Acapulco als „zur Entspannung“ geeignet, um gleich darauf von einer Reise des lyrischen Ichs mit einem „Mädchenschänder“ (S. 38) zu berichten. Auch gleichbleibender Reim und Rhythmus des Gedichtes vermitteln eine gewisse Harmonie, die im Gegensatz zum Inhalt steht. Der ironische Bruch deutet jedoch auch ein Eingerichtetsein in den verzwickten Umständen und gestörten Beziehungen an. Mädchenschänder und lyrisches Ich landen schließlich keineswegs in Acapulco, sondern in einem „Hotel hinter Ravenna“ (ebd.). Die Lektorin spricht in Bezug auf den Klang der Lyrik von einem „Parlando-Stil“, das heißt von einer dem Gesang verwandten Vortragsweise mit entsprechendem Rhythmus.

Darüber hinaus sorgt Fiebiger auch durch die Reihenfolge der Gedichte für eine gewisse Rahmung. Das lyrische Ich richtet sich im humorvollen ersten Gedicht Welcome in direkter Ansprache an einen Einbrecher, dem es leicht gemacht wird, das Eigentum des Ichs zu stehlen („Deshalb lass mich / Den Schlüssel auf die Fußmatte legen […] / Mach dir keine Sorgen  / Die Alarm-App ist aus […] / Bedien dich“ (S. 26)).

Fiebiger nur als lyrische Geschichtenerzählerin mit allzu konkreten sprachlichen Bildern und einem Prosaduktus zu beschreiben, würde jedoch zu kurz greifen. Dagegen sprechen alleinstehende Phrasen und Aneinanderreihungen von Begriffen, die Assoziationen hervorrufen, ohne den RezipientInnen eindeutige Bilder vorzugeben. So werden die entstehenden Eindrücke einmal mehr, einmal weniger gesteuert.

Die von Julia Graf als „rotzig“ bezeichneten Bilder sind sicherlich frech, aber nicht allzu provozierend, sodass der humorvoll ironische Ton eher subtil unterstützt wird.

Eine melancholische Grundstimmung wird in den Gedichten ebenso geschaffen wie ein unterschwelliges Unwohlsein, irgendetwas scheint nicht zu stimmen – sei es der Zimmerhügel, der sich beim „Horten für Fortgeschrittene“ angehäuft hat, oder das Leben der Frau ohne Eigenschaften. Die geschilderten Geschichten und Eindrücke sind zum Teil humorvoll absurd, wie das Reh im Eisfach, das in Amore mit seinem „zärtlichen“ Mörder spricht.

Kritik könnte sich auf den ersten Blick gegen die Fixierung auf Befindlichkeiten und Beziehungen und eine unpolitische Haltung richten, dies wird jedoch mindestens ironisch aufgegriffen, wenn nicht gar von der Lyrik selbst kritisch beleuchtet, beispielsweise in den Gedichten Ostsee („ICH MUSS WOHIN / Mein Mai war zu viel BRD“ (S. 28)) und Rocker („Ich sag bleib hier / Du sagst ich kann dich / Leider akustisch nicht verstehn / Wir werden hier gefilmt, gefoltert / Wenn einer gehn muss, muss er gehn.“ (S. 33)). Das lyrische Ich flüchtet somit bewusst vor der (politischen) Verantwortung.

Fiebigers Gedichte zeigen anschaulich, dass man nicht immer aufwendige und kryptische Metaphern braucht und durch Lyrik auch zum Nachdenken über „bekannte“ und deutlich scheinende Ausdrücke und Phrasen anregen kann. Als einfaches Beispiel sei hier der ambivalent zu verstehende Titel des fünfstrophigen Gedichtes Liebe, so schön wie die Liebe genannt („Wenn du mit mir fertig bist / Wird man meine Reste auf der Landstraße finden“ (S. 37)).

Verena Fiebigers Gedichte stechen aus der sonstigen Lyrik des 21. open mike positiv hervor, weil sie weniger verkopft, aber in ihrer Konkretheit keineswegs aufdringlich in Bezug auf mögliche Interpretationen sind.

Eine Rezension zu Verena Fiebiger "Gedichte" Wissen Sie, wo’s langgeht?

(von Veronika Firmenich)

Verena Fiebiger wurde 1983 geboren und lebt in München. Sie arbeitet als Journalistin und produziert als Autorin für den BR Radio- und Fernsehbeiträge. Für ihren Beitrag Nimm mich mit in den Swingerclub gewann sie 2012 den ‚Goldenen Bobby‘.

„Wissen Sie, wo’s langgeht?“, fragt die Person in dem Gedicht Ostsee immer wieder. Diese direkte Ansprache ist eine besondere Eigenart der Gedichte von Fiebiger und knüpft eine starke Verbindung zum Leser. So ist es nicht nur die Frage nach dem Weg nach Warnemünde, die sich hier stellt, sondern auch nach dem Weg „so überhaupt, so ganz grundsätzlich“. Eine Frage also nach dem eigenen Lebensweg?  Die Antwort in Ostsee lautet: „Das ist ganz einfach / Der Legende nach immer geradeaus / Keine Umwege / Kein Geröll / Weder Stöcke noch Steine“. Doch das Gedicht beschreibt auch, dass es eben nicht immer so einfach ist und so heißt es zum Schluss doch noch: „Bitte wenden“.

Diese direkte und kritische Auseinandersetzung mit der Realität und auch die immer wieder auftauchende Frage nach der Richtung, in die man gehen will und die auch kein Navigationsgerät beantworten kann, steht auch in den weiteren Gedichten im Vordergrund. Dabei lässt Fiebiger Bilder und ganze Szenen im Kopf entstehen, ohne dabei den Raum der Vorstellung einzugrenzen. Ihre Gedichte haben eine Leichtigkeit in ihrem Rhythmus und sind sehr melodisch. Die Gedichte enthalten immer auch Brüche, die die Melodie der Texte erst spannend werden lässt. Sie geben den Gedichten ihren speziellen Charakter. So erschaffen die ersten Verse des Gedichts Liebe, so schön wie die Liebe eine romantisch-träumerische Stimmung, wenn hier „die Laternen entlang der Serpentinen leuchten / Wie Girlanden auf einem Ausflugsdampfer“. Das Wort „Liebe“ und der nachfolgende Gedankenstrich stellt hier den Höhepunkt und gleichzeitig den Bruch dar, da die nachfolgende Vorhersage „Wenn du mit mir fertig bist / Wird man meine Reste auf der Landstraße findendie Verletzbarkeit und das Risiko, die mit der Liebe einhergehen, im deutlichen Kontrast zur anfänglichen romantischen Stimmung darstellt.

Der Bruch mit der Realität und Fiebigers provozierende und direkte Art lässt die Leser*innen oft stutzen: man ist entweder dazu geneigt sich noch einmal mit dem Gelesenen auseinanderzusetzen oder aber dazu, sich von den Texten abzuwenden. Es ist eine Gratwanderung: Da wird von einer Reise erzählt, die grundsätzlich nach einem Liebesausflug klingt, auf der der männliche Partner jedoch ein Mädchenschänder ist und auch direkt zu Beginn des Gedichts so betitelt wird. Da heißt ein Gedicht Amore und ein Reh sehnt sich – eingefroren im Eisschrank – nach der Liebe des Jägers. Es gibt aber auch den Mann, der morgens die Milch schäumt – Next to the fridge, die Überstunden, von denen man abgeholt wird, die Wäscheleine, die das lyrische Ich gerne in ihrem Garten hätte etc. Es sind all diese vermeintlich ganz alltäglichen Dinge, die Fiebiger klingen lässt, als seien sie etwas Außergewöhnliches und Wunderbares.

Den Ausdruck „klingen lassen“ kann man bei Fiebigers Vortrag beim open mike 2013 durchaus sehr genau nehmen, da sie ihre Gedichte genauso melodisch und klar vorträgt, wie sie die Wörter in den Gedichten formt. Ihr Vortrag war sehr überlegt und durchdacht (vielleicht schon etwas zu gewollt) und sie hat als einzige Lyrikerin ihre Texte mit einem Satz anmoderiert, um ihnen einen Rahmen zu geben.
Auch wenn die Jury durch die abweichende Reihenfolge zwischen Buch und Vortrag irritiert war und sich ein wenig aus dem Konzept gebracht fühlte, empfand ich diese Moderation als sehr gelungen!

Wissen Sie, wo’s langgeht? – Verena Fiebiger wird ihren Weg bestimmt gehen, auch wenn sie mal wenden muss.

Bibliographische Angabe:
Verena Fiebiger: Gedichte. In: 21. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2013. S. 26-41.