Eine Rezension zu Lennart Schaefer "Arche Arndt" Von existenziellen Problemen und dem Bau einer Arche

(von Lea Bittner)

Lennart Schaefers Text Arche Arndt handelt von einem Mann mittleren Alters, der in einer Krise steckt. Er ist von Frau und Tochter verlassen worden und weiß nicht, was er mit seinem Leben noch anfangen soll.

Schaefer, der mit seinen 20 Jahren übrigens der jüngste Teilnehmer des 26. open mike ist, erzählt in seinem Prosatext die Geschichte von Arndt Benecke, einem Mann um die 40, dem eines Nachts mitten in seinem Wohnzimmer Gott erscheint, der ihn auffordert, eine Arche zu bauen; die titelgebende Arche Arndt. Arndt hat von diesem Moment an einen Monat Zeit, ein ausreichend großes Boot zu zimmern, von jeder Tierart ein Pärchen zu sammeln und sich zu überlegen, welche Frau er mitnehmen möchte. Bezeichnender Weise stellt ihn die Entscheidung für eine Frau vor größere Schwierigkeiten als die Auflistung sämtlicher Tierarten und deren Beschaffung. Damit macht Schaefer direkt zu Beginn deutlich, dass es eigentlich um die persönliche Lebenskrise des Mannes geht, die sich als Gotteserscheinung zeigt. Ihm läuft die Zeit davon, seinem Leben wieder eine Richtung zu geben und die Beziehung zu seiner Tochter zu reparieren, bevor es dafür zu spät ist. Neben seiner Exfrau Emelie und seiner Tochter Lara gibt es noch die Supermarktkassiererin Frau Schulz, über die sich Arndt mehr Gedanken macht, als er sollte, da er eigentlich überhaupt keine Verbindung zu dieser Frau hat.

Der Bau der Arche, für die Arndt nur begrenzt Zeit hat, kann als Sinnbild für die Beziehung zu seiner Tochter gelesen werden: lässt der Protagonist noch mehr Zeit verstreichen, ohne sich ihr wieder anzunähern, und verpasst noch mehr Episoden ihres Lebens, haben sie sich irgendwann so weit voneinander entfernt, sodass nichts mehr die Beziehung zu retten vermag. „Lange Zeit hatte Arndt das bekommen, was er wollte, aber nicht das, was er brauchte, und in einer Folge dessen irgendwann gar nichts mehr von beidem, sodass es schon ausreichte, wenn er lediglich bekam, was er wollte. Und nun bekam er nach Jahren der Prokrastination endlich das, was er brauchte: eine Aufgabe, die ihn zunächst völlig überforderte. Endlich waren da keine Möglichkeiten mehr, es gab nur den einen Weg, keine Abzweigungen, einen Monat lang Geradlinigkeit.“ (S. 154) Für den Protagonisten besteht nur noch eine Option, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und das ist die Aufarbeitung seiner Beziehung zu seiner Tochter. Dass er nach einem Monat, an dem von ihm selbst gesetzten letzten Tag, schließlich immer noch nicht mit seiner Tochter gesprochen hat und erkennen muss, dass er nichts geschafft hat, außer sich mit der Kassiererin des Supermarktes zu unterhalten, weint Arndt eine einzelne Träne. (Vgl. S. 160) Diese Träne ist der Inbegriff der Sintflut, die über Arndt hereinbricht, weil er sich nicht aus seiner Lage zu befreien weiß. Dass diese Träne nie zu Boden fällt, sondern mit dem Ende der Erzählung in der Luft hängen bleibt, ist ein poetisches Schlussbild, das Arndts Lage beschreibt. Wie die Träne verharrt auch er in der Schwebe, gefangen in seiner Situation.

Schaefer entwirft in seiner Erzählung ausführlich die Szene, in der Arndt Gott als flackerndes Hologramm erscheint, genau um 00:57 Uhr, mitten in seinem Wohnzimmer, zwischen Pizzakartons, Kaffeefiltern und einer FC-Köln-Fahne. Er schildert das Szenario detailliert, indem er nicht nur das Aussehen und die Stimme Gottes beschreibt, sondern auch Arndts veraltete und verstaubte Möbel und Habseligkeiten, die den Zustand des Protagonisten spiegeln. In einer skurrilen Unterhaltung mit komödiantischem Ton versucht Arndt herauszufinden, wieso Gott ihn ausgesucht hat und was er von ihm erwartet. Dabei wird deutlich, dass Schaefer in seiner Erzählung die Gegenwart kritisch betrachtet. Es handelt sich um eine Gegenwart, in der das Umfeld durch die Globalisierung zu groß geworden ist. Der Protagonist bringt aktuelle Thematiken zur Sprache, als er Gott fragt, ob er die Erde wegen Erdogan und Trump überfluten müsse. (Vgl. S.153) Schaefer siedelt seine Figuren in der gegenwärtigen, globalisierten Welt an, in der einzelne Individuen verloren gehen. Die Figur Arndt stellt nur einen von vielen Menschen da, die in diesem Prozess auf der Strecke bleiben, vereinsamen und von ihrer Umwelt als Verlierer wahrgenommen werden. Arndt steht stellvertretend für eine große Anzahl an Menschen, die wie er kurz vor dem Zusammenbruch stehen, aber nicht eigenverantwortlich aus ihrer Krise herausfinden.

Episodenweise stellt Schaefer seinen Protagonisten auch direkt vor seinen eigentlichen Konflikt: die Probleme mit Frau und Tochter. Um diese zu verdeutlichen, wird ihre gemeinsame Vergangenheit beschrieben. Arndt erinnert sich wehmütig an die glücklichen Zeiten mit seiner Frau Emelie, die lange zurück liegen, und die Geburt seiner Tochter Lara, als er nach dem Aufwachen zwei Fotos an der Wand betrachtet. (Vgl. S. 155) Die Fotos dienen als Erinnerungsträger und zugleich als Mahnungen an das Verlorene. Verloren hat Arndt seine Tochter und seine Frau; zugleich gilt seine Sehnsucht einer anderen Frau, der Supermarktkassiererin Katharina Schulze. Arndt glaubt in diese Frau verliebt zu sein, die er eigentlich überhaupt nicht kennt und deren Bekanntschaft nicht über das übliche Geplänkel zwischen Kunde und Kassiererin an der Kasse hinausgeht. Frau Schulzes Kasse ist sein Fluchtort, der sich in erreichbarer Nähe seiner Wohnung befindet. Als er es am letzten Tag seines Ultimatums noch immer nicht zu Lara geschafft hat, stellt er nach einem Telefonat mit ihr fest, dass er nicht einmal ihre Telefonnummer weiß. Nach drei Jahren hatte Lara ihn unerwartet angerufen, ein leerer Akku verhindert jedoch eine Konversation zwischen ihnen. Dies ist symptomatisch für die Problematik dieser Figur. So flieht er zu Frau Schulze in den Supermarkt: „Er musste zu Frau Schulze. Die war näher dran [als Lara] und der zweitwichtigste Mensch. Er schrie weiter nach Lara, schrie, dass er sie liebte, dass es ihm leid tat“ (S. 160).

Bibliographische Angaben:
Lennart Schaefer: Arche Arndt. In: 26. open mike. Wettbewerb für junge Literatur. München 2018. S. 151-161.