Textgrafik: Alle Professorinnen und Ihre Partnerinnen sind herzlich willkommen.

Fühlen Sie sich durch die vermeintlich geschlechtsneutralen Textgrafiken angesprochen? Bei welcher fühlen Sie sich mitgemeint?

Sprache ist Ausdruck des Bewusstseins. Sie beeinflusst maßgeblich unser Denken und das Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen. Sprache ist ein Produkt der Kultur. Sie spiegelt Norm- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft wider.

Textgrafik: Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit

Welches Bild haben Sie im Kopf wenn Sie den Satz hören: „Die Arbeitsbelastung von Chirurgen ist hoch.“ Sind die Personen männlich oder weiblich? Die Begründung für das „generische Maskulinum“ lautet: Frauen sind ja mitgemeint. Salopp formuliert: Eine männliche Fliege würde ja auch nicht zum Flieger. Personenbezeichnungen die das menschliche Miteinander betreffen haben jedoch sowohl eine weibliche und eine männliche Form. Also: Warum die weiblichen Formen unterschlagen?

Textgrafik: 99 Sänger plus eine Sängerin sind gleich 100 Sängerinnen

Aus der Sprachforschung ist bekannt, dass sich Frauen bei der Verwendung männlicher Formen, z. B. durch Begriffe wie Professorenschaft, Politiker, oftmals nicht angesprochen fühlen. Die thematisierten Aspekte werden auch von Männern häufig nicht mit Frauen in Verbindung gebracht. So verschleiert eine ausschließliche Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen, in denen Frauen lediglich mitgedacht werden, die Präsenz von Frauen. Unzutreffende Vorstellungen werden so auch begünstigt, z.B. technische Berufe seien nichts für Frauen.

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten Sprache geschlechtergerecht zu verwenden – wie etwa

  • konsequent beide Formen wählen (Lehrer und Lehrerinnen)
  • das Binnen-I (z. B. LehrerInnen)
  • der Schrägstrich (Lehrer/in)
  • der Unterstrich (Lehrer_in): Diese Schreibweise stammt aus der Queer Theory und soll auf die Vielfalt von Identitäten jenseits der Zweiteilung Frau/Mann verweisen. Mit der Leerstelle gilt es Raum für Menschen zu schaffen, die sich in Bezug auf ihr Geschlecht nicht festlegen wollen oder können.
  • geschlechtsneutrale Bezeichnungen: z. B. Studierende, Reisende, zu behandelnde Personen (anstelle von PatientInnen), ärztlich Tätige

Dazu zählt nicht die berühmte Fußnote, die darauf verweist, dass aufgrund der „besseren Lesbarkeit“ eines Textes Frauen mitgemeint seien. Im Laufe der Lektüre gerät der Verweis eher in Vergessenheit. Mathematikprofessor Stephan Hußmann hat sich in seiner Dissertation für die weibliche Schreibweise entschieden – Männer seien hier konsequent mitgemeint. Dies widerspricht zwar einer geschlechtergerechten Schreibweise, setzt hingegen ein (frauen)politisches Statement.

Beispiele und Checklisten gibt es unter der Rubrik Arbeitshilfen hier auf dieser Seite.

Gisela Steins, Professorin für Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie der UDE diskutiert, zusammen mit Norbert Nothbaum, an einem Textbeispiel die oben genannten Möglichkeiten. Sowohl die Nennung beider Formen, also z. B. Ärztinnen und Ärzte, als auch das Binnen-I und der Schrägstrich machen ihrer Meinung nach den Text schwerfällig. Geschlechtsneutrale Bezeichnungen lassen sich nicht immer finden und lassen einen Text schnell fade, nach „Behördendeutsch“ klingen.

Lösungsvorschlag von Steins:

Die Stochastische Genuswahl

Hierfür ist eine Münze vonnöten. Immer wenn ein Substantiv auf eine gemischtgeschlechtliche Gruppe verweist, so Steins, soll der Münzwurf entscheiden ob die männliche oder weibliche Form Verwendung findet.

Der Vorteil: Sowohl Frauen als auch Männer werden sprachlich abgebildet, der Text erscheint weniger aufgebläht.

Im Beispiel von Steins und Nothbaum sieht es dann so aus:

Die medizinisch-praktische Ausgestaltung des Versicherungs- und Versorgungssystems in der Bundesrepublik Deutschland ist durch individualistische Begriffe geprägt wie „Therapiefreiheit“ oder „freie Ärztinnenwahl“, und das Verhältnis zwischen Ärztin und Patient wird mit dem Begriff „Arzt-Patientinnen-Verhältnis“ in eine sehr persönliche individuelle Beziehung gesetzt mit Betonung der Freiheitsgrade beider Beziehungspartner. Dabei wird eine relative Unabhängigkeit der Patientinnen und ihres Arztes von gesellschaftlichen Bindungen suggeriert. (...) Die Sozialmedizinerin muss mit ihrer Beratung und Begutachtung vermitteln zwischen der Medizinerin, die symptom-, befund- diagnose- und therapieorientiert vorgeht und dem rechtsanwendenden Juristen oder der Verwaltungsexpertin, die Krankheit im Blick auf die Rechtsfolgen, die gesetzlich aus diesem Zustand abzuleiten sind, betrachtet. (...) Mit diesem Begutachtungsergebnis wird gleichzeitig auch die Beratungsfunktion des Gutachters sowohl für die Erkrankte als auch für den Versicherer deutlich.

Literatur: Nothbaum, Norbert; Steins, Gisela (2010): Nicht sexistischer Sprachgebrauch: die stochastische Genuswahl, in: Steins, Gisela: Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Online im internen Netz der UDE verfügbar unter: www.springerlink.com

Lesen Sie auch den Klassiker: Pusch, Luise F. (1990): Das Deutsche als Männersprache, Suhrkamp-Verlag

Rechtliche Grundlagen

Universität Duisburg-Essen: Zentraler Rahmenplan zur Gleichstellung
Die Universität Duisburg-Essen (UDE) versteht die Verwirklichung von Chancengleichheit von Frauen und Männern als Qualitätsmerkmal und wichtiges Kriterium für die Entwicklung der Hochschule. Die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist dabei ein wichtiger Bestandteil der Gleichstellung. So heißt es in der Präambel des Zentralen Rahmenplans zur Gleichstellung der UDE, dass "die Texte, die die von der Universität veröffentlicht werden (z. B. dienstlicher Schriftverkehr, Mitteilungen, Ordnungen, Konzepte, Projektbeschreibungen, Berichte, Protokolle, Broschüren, Homepage)" in einer geschlechtergerechten Sprache zu formulieren sind. Es besteht die Möglichkeit eines entsprechenden Weiterbildungsangebots. Link: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/zentralverwaltung/verkuendungsblatt_2019/vbl_2019_35.pdf

BRD: Bundesgleichstellungsgesetz

Die sprachliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes und im dienstlichen Schriftverkehr ist im Bundesgleichstellungsgesetz § 1 verbindlich geregelt. Verbindliche Regelungen für die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern auch an der Hochschule sind im Landesgleichstellungsgesetz des Landes NRW (LGG) im § 4 festgelegt. Dort heißt es:

"Gesetze und andere Rechtsvorschriften sollen sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung tragen. Im dienstlichen Schriftverkehr ist auf die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu achten. In Vordrucken sind geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu verwenden. Sofern diese nicht gefunden werden können, sind die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden."

NRW

Seit 1993 ist geschlechtergerechte Sprache gemäß eines Runderlasses des Justizministeriums (1030 - II A. 325, vom 24. März 1993), in der Amts- und Rechtssprache verpflichtend.

Cover des Leitfaden der Uni Köln

Arbeitshilfen zur geschlechtergerechten Sprache

"Ausgesprochen Vielfältig", Diversitätssensible Kommunikation in Sprache und Bild, Eine Handlungsempfehlung der Koordinierungsstelle zur Förderung der Chancengleichheit an sächsischen Universitäten und Hochschulen, 3. durchgesehene und ergänzte Auflage (2018).

Checkliste für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des BMFSFJ , Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005).

"Geschlechtergerechte Sprache. Handreichung", hg. v. Gleichstellungsbüro der RWTH Aachen (2019).

"Geschlechtergerecht in Sprache und Bild" Leitfaden der Freien Universität Berlin, hg. von der Zentralen Frauenbeauftragten der FU Berlin (o.J.).

"Gleichstellung von Frau und Mann in der Rechtssprache" Leitfaden des Justitzministeriums des Landes Nordrhein Westfalen (2008).

"Leitfaden gendergerechte Sprache", Ludwig Maximilians Universität München (LMU) (2011).

"Leitfaden geschlechtergerecht in Text und Bild", Universität Zürich (2018) .

"ÜberzeuGENDERe Sprache" Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache, hg. von der Gleichstellungsbeauftragten der Universität zu Köln, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage, (2017).

Linktipps

Ein Blogeintrag zu Einwänden gegen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Der Autor favorisiert übrigens den Gender Gap anstelle des Binnen-I oder Begriffen wie "Studierende": http://blog.adrianlang.de/?p=848

Bildnachweis

Münze: Dieses Werk stellt eine Abbildung einer durch die Europäische Zentralbank (EZB) herausgegebenen Währungseinheit dar. Das graphische Design ist durch die EZB urheberrechtlich geschützt, „darf [jedoch] ohne vorherige Genehmigung der EZB verwendet werden [...], solange Reproduktionen in der Werbung oder in Illustrationen nicht mit echten Banknoten verwechselt werden können.“ (EZB/2003/4 und EZB/2003/5 vom 20. März 2003)

Screenshot einer Vortragsfolie

Vortrag über Sprache, Ungleichheit und Unfreiheit

Ein lohnender Vortrag des Berliner Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch über die Eigenheiten der deutschen Sprache, ihrer Geschichte und den Bias in der Argumentation von Verfechter*innen eines sozialen Status Quo, verfeinert mit Vergleichen und Metaphern aus Programmiersprachen - siehe auch Screenshot-Grafik. Gehalten wurde er Ende 2012 auf dem 29. Chaos Communication Congress [29c3] des Chaos Computer Club [CCC].

https://www.youtube.com/watch?v=pWOVJ3SoB38

Englischer Satz liguistisch beschrieben.

Sprache und Denken

Denken und Sprechen - zwei untrennbare Aspekte menschlichen Zusammenlebens: Wie diese zusammenhängen, zeigt Lera Boroditsky auf. Sie ist Assistant Professor für kognitive Psychologie an der Stanford University und Chefredakteurin der Fachzeitschrift "Frontiers in Cultural Psychology". Ihr Labor erforscht weltweit den Einfluss der Sprache auf die Kognition. Dies betrifft so ziemlich jeden Aspekt vermeintlich kulturübergreifender Phänomene wie etwa Raum- und Zeitvorstellungen, Erinnerungen oder die Lerngeschwindigkeit. 

Link: www.spektrum.de

Die neue Grundordnung der Uni Leipzig Generisches Femininum

Wo früher in der Grundordnung der Universität Leipzig die sogenannte Schrägstrich-Variante genutzt wurde, also etwa Professor/Professorin, steht künftig ausschließlich die weibliche Personenbezeichnung. Mit dieser sind alle Geschlechter mitgemeint:  Eine Fußnote weist explizit darauf hin. Diese Entscheidung fiel im Senat der Universität mit großer Mehrheit. Wie kam es zu dieser bundesweit ersten hochschulinternen Regelung zum generischen Femininum? Hierzu gibt ein Artikel der DUZ mehr Infos: "Bei der Diskussion um die Novelle der Grundordnung störten sich einige der 77 Senatsmitglieder an der Schrägstrich-Variante. Diese hemme die Lesbarkeit, warfen vor allem die Juristen ein. Weil er der zeitraubenden Diskussion im Gremium leid war, machte der Physikprofessor Dr. Josef Käs den Vorschlag, ausschließlich die weibliche Form einzusetzen."

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Rassismuskritische Sprache

Der neu erschienene "Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch zur Handreichung für JournalistInnen" wird herausgegeben vom AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln des Vereins Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.

Die Handreichung beleuchtet die Berichterstattung über unterschiedliche Personengruppen und gibt Tipps, wie versehentliche Diskriminierungen vermieden werden kann.

Die Autor*innen des Leitfadens geben neben konkreten Tipps Einblicke in die Geschichte: Wie entstanden Afrikabilder in Deutschland aus kolonialhistorischer Perspektive? Woher kommt antimuslimischer Rassismus? Oder Abwertung und Ausgrenzung von Sinti und Roma?

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