UDE-Alumnus im Portrait: Dr. Markus Kamieth
Dr. Markus Kamieth
UDE-Alumnus Markus Kamieth begann 1990 sein Chemiestudium an der Universität Essen und promovierte 1998 mit einer Arbeit über „Tweezer-Moleküle“, molekulare Pinzetten. Anschließend ging er zum führenden Chemieunternehmen nach Ludwigshafen, BASF, begann in der Forschung und wechselte rasch in verschiedene Management- und Leitungsfunktionen im In- und Ausland. Heute ist er Vorstandsvorsitzender (CEO). Anlässlich eines Besuches an der Universität Duisburg-Essen sprach Astrid Bergmeister mit ihm über Dinslaken, Essen, Ludwigshafen und vieles mehr.
Arbeiterkind. Chemist. Chief Executive Officer.
Astrid Bergmeister: Herr Kamieth, Sie haben in Essen studiert und sind heute CEO von BASF, einem sehr großen Chemieunternehmen. Natürlich interessiert uns, was haben Sie bisher gemacht? Man wird nicht einfach so Vorstandsvorsitzender.
Markus Kamieth: Ja, das stimmt. Die Reise seit dem Absprung von der Uni Essen war ziemlich bunt. 1999 habe ich direkt nach meiner Promotion bei BASF in der Forschung angefangen. Ich hatte aber in meinen ersten zwei Jahren nicht gerade die beste Zeit, meine Forschungsprojekte haben mich nicht so richtig begeistert. Aber dann bekam ich die Chance, mich in Richtung Business Development zu entwickeln. Es ging um die Kombination aus wissenschaftlich-technischem Wissen und Geschäftstätigkeit. Das bedeutete, wenn neue Produkte entwickelt wurden, vielleicht nicht derjenige zu sein, der forschte, sondern der, der bestimmte, welche Forschungsprojekte gemacht werden sollten, damit wir wirklich erfolgreich waren. Dabei habe ich Spaß am Gestalten gefunden, an der Möglichkeit, die Geschicke des Unternehmens positiv zu beeinflussen. Und das hat recht gut funktioniert.
2004 kam der entscheidendste Anruf meines Bereichsleiters, mit dem Angebot, in die USA zu gehen. Aus den geplanten zwei Jahren sind dann fast acht Jahre geworden. Ich habe mich in den USA über verschiedenste operative Funktionen weiterentwickelt und bin 2012 nach Deutschland, nach Münster, zurückgekommen und habe den globalen Bereich für Lacke übernommen – das ist auch heute noch ein großer Bereich für BASF. 2017 bin ich in den Vorstand berufen worden und habe dann letztes Jahr den Vorsitz übernommen. Also insgesamt viel Veränderung. Ungefähr ein Dutzend Jobs würde ich sagen, achtmal umgezogen, in den USA gelebt, vier Jahre Hongkong. Ich habe dadurch die Welt und die Chemieindustrie gesehen und viele, viele Kundenindustrien kennengelernt.
Astrid Bergmeister: Würden Sie das als klassischen Bildungsaufstieg bezeichnen? Sie haben an anderer Stelle gesagt, Sie sehen sich als Kind des Bergbaus.
Markus Kamieth: Ja, ich komme aus einem Bergbaugebiet, aus einer Ruhrgebietsfamilie in Dinslaken. Mein Vater war etwa 35 Jahre unter Tage. Und in meiner Familie hatte vor mir noch nie jemand Abitur gemacht oder studiert. Die Möglichkeit, hier an der Uni Essen studieren zu können, war für mich eine Wahnsinnsgelegenheit. Für meine Eltern war es ein Abenteuer. Die waren unsicher und haben sich Sorgen gemacht, ob es klappt. Ich kann aber nur superdankbar sein, dass sie mir vertraut haben. Das Bildungssystem mit seinen Möglichkeiten hat mir die Tür aufgemacht. Das, in der Kombination mit der Liebe zur Wissenschaft, war meine Chance.
Ich bin schon in der Schule ein Chemie-Nerd gewesen. Chemie hat mich immer fasziniert, diese Kombination aus Kreativität und intellektueller Herausforderung. Man kann etwas machen, etwas „kochen“. Es ändert sich tatsächlich etwas in der realen Welt, und zugleich ist man auch intellektuell herausgefordert. Zu verstehen, wie Elektronen wirken, das hat mich immer schon begeistert. Das war die Motivation, mir selbst zu sagen: Wenn du das so gut findest, kannst du vielleicht auch Chemie studieren. Und mehr brauchte man eigentlich nicht. Es ist einfach, das zu tun, wenn die Eltern Vertrauen haben und einem auf den Weg mitgeben: Mach das mal, versuch das mal.
Und dann habe ich hier an der Uni ein Umfeld vorgefunden, das es mir erlaubt hat, mich selber zu entwickeln, mit viel Eigenständigkeit im Studium, mit Wahlmöglichkeiten. Ich hatte immer das Gefühl, weitgehend aussuchen zu können, was mir Spaß machte und worauf ich mich im Studium fokussierte. Ich empfand das Studium nie als verschult, sondern als Angebot, mir meinen Weg selbst zu gestalten. Und das hat mir viel gebracht. Aber klar, meine Werte, meine Persönlichkeit basieren natürlich immer auf den Wurzeln, wo ich herkomme
Astrid Bergmeister: Diese Entschlossenheit, die aus diesen Worten spricht oder auch Ihre Faszination für das, was Sie machen: Ist das so, dass Sie den wissenschaftlichen Blick noch haben?
Markus Kamieth: Ja, ich bin immer noch ein sehr neugieriger Mensch. Immer, wenn ich eine Möglichkeit habe, etwas Neues zu lernen, dann bin ich erst mal sehr aktiviert. Ich mag Routinen nicht. Dinge, die einfach funktionieren, begeistern mich weniger als solche, die nicht funktionieren oder wo es nicht klar ist, warum das eigentlich so ist. Neue Dinge faszinieren mich. Manchmal höre ich im Unternehmen, dass ich ein bisschen zu neugierig bin auf technische Details, hier und da. Es ist ja so, dass in einem Unternehmen Informationen häufig simplifiziert werden, damit das Management sie versteht. Ich bin aber immer auch an den Hintergründen interessiert, weil ich wissen will: Wie ist es denn jetzt tatsächlich und könnt ihr nicht mal eine Molekülformel aufschreiben, damit ich mir das auch merken kann. Ich glaube, manche Leute irritiert das, aber so ganz ablegen kann man es eben nicht. Ich bin immer noch im Herzen Wissenschaftler und fasziniert durch neue Technologien. Ich glaube, ein Herzblut-Wissenschaftler kann Führungskraft, Betriebswirtschaft, Finanzen und alles, was man so lernen muss, dazulernen. Umgekehrt ist es schwierig.
Astrid Bergmeister: Was ist denn letzten Endes erfolgsentscheidend für ihre Tätigkeit? Sie stehen sehr stark für diese Verbindung von Industrie und Wissenschaft. Was sind die Voraussetzungen für Innovationen, für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort?
Markus Kamieth: Für das Unternehmen BASF gibt es unheimlich viele Dinge, die erfolgskritisch sind. Das ganz Entscheidende ist, dass man in den Arbeitsgebieten, in denen man tätig ist, das Innovativste anbietet, was der Markt haben will. Das heißt bei uns Technologien: Prozesstechnologien – d.h. wie man Chemie oder Chemieprodukte produziert - oder Produkttechnologien. Wir stellen uns die Frage: Welche Eigenschaften von Produkten kann man aus Molekülen rauskitzeln, die einen Anwendungswert haben, und haben wir dazu Spitzenkompetenz im Unternehmen? Das gilt sowohl für die Entwicklung der Produkte oder Prozesse als auch in der Vermarktung, Anwendung und Beratung von Kunden. Darauf kommt es an. Und das bei einem breiten Produktportfolio. Vom Steamcracker bis zum Gemüsesaatgut gibt es nicht das eine Erfolgskriterium. Aber in der Innovation ständig vorne dran zu sein, ständig auch dem Kunden und dem Markt etwas Neues, etwas Verbessertes anzubieten, das ist seit 160 Jahren DNA unserer Firma. Nur: Was das Bessere ist, das verändert sich schnell. Vor vielen Jahren waren das fast ausschließlich physische Produkteigenschaften oder Kosten. Heute geht es immer mehr um den CO2-Gehalt und um Rezyklierbarkeit. Es kommen viele neue Eigenschaften dazu, die heute Marktwert haben. Erfolgskritisch ist es, uns als Unternehmen umzusteuern und uns in unseren Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten auf diese neuen Herausforderungen, auf die neuen Marktanforderungen, zu fokussieren. Das heißt, wir haben uns vorgenommen, auch in der grünen Transformation unseren Kunden immer das bevorzugte Produkt zu bieten. Das ist unsere Mission. “Nur billig“ oder „nur die beste Eigenschaft“ reicht heute nicht mehr. Man muss anders innovieren als früher, man muss heute grüner innovieren. Und man muss Lösungen bieten, die die Gesellschaft hoffentlich dann positiv aufnimmt und nutzt.
Astrid Bergmeister: Welche Pläne haben Sie dazu?
Markus Kamieth: Wir haben ambitionierte Pläne. Wir sind heute immer noch ein sehr forschungsintensives Unternehmen. Unser Forschungsetat liegt jedes Jahr über zwei Milliarden Euro, wir haben weltweit fast 10.000 Menschen in Forschung und Entwicklung beschäftigt, und der Großteil unserer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zielt heute auf das Thema Nachhaltigkeit ab. Es geht darum, entweder Stoffkreisläufe zu schließen oder ganze Prozesse und Wertschöpfungsketten zu dekarbonisieren. Das ist der Hauptteil unserer Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, und wir wollen als Unternehmen dadurch die grüne Transformation unserer Kundenindustrien ermöglichen. Das ist unser Auftrag. Ich sage mal ein bisschen überspitzt: BASF zu dekarbonisieren, ist eine große Aufgabe. Wir haben einen globalen CO2-Fußabdruck von rund 17 Millionen Tonnen. Andererseits ist das ist nicht mal der CO2-Ausstoß eines einzigen Kohlekraftwerks. So gesehen ist unsere Mission viel mehr: Wir wollen den CO2-Fußabdruck und die Zirkularität unserer ganzen Kundenindustrien positiv beeinflussen. Wir wollen Möglichmacher der grünen Transformation für alle produzierenden Industrien sein. Sie können heute auf der Welt, egal in welche produzierende Industrie Sie schauen, überall ein BASF-Produkt finden.
Ob das ein Halbleiter ist oder ein landwirtschaftliches Produkt, eine Maschine oder ein Auto, überall werden wir dazu beitragen, dieses Produkt grüner, nachhaltiger, zirkulärer zu machen. Das ist unser Anspruch.
Astrid Bergmeister: Sehen Sie Wege, wie eventuell Unternehmen und Universitäten gemeinsam Verantwortung übernehmen könnten?
Markus Kamieth: Verantwortung ist ein großes Wort. Ich glaube, wir stehen alle als Gesellschaft in der Verantwortung, die Transformation hinzubekommen. Und zwar so, dass sich dabei die Gesamtgesellschaft nicht verliert, das ist im Moment die Schwierigkeit. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen der Überambition einer Richtung, davon zu träumen, dass man durch das Setzen von Zielen irgendwie magisch eine Gesellschaft und eine Industrie transformiert, und der anderen Seite, die ignoriert, dass diese Transformation notwendig ist. Beides hilft nicht weiter. Man muss pragmatische Wege finden. Man muss einerseits sehen, dass man Dinge, die heute schon möglich sind, möglichst schnell skaliert und auch einen regulatorischen Rahmen schafft, der dies ermöglicht. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass noch nicht alle Technologien, die wir für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft brauchen, heute schon erfunden sind. Wir müssen weiter darauf setzen, dass Ingenieure, Chemiker, Physiker und alle weiteren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Dinge erfinden, die wir heute noch nicht haben. Und deshalb glaube ich, wird auch die Zusammenarbeit zwischen Academia und Wirtschaft weiterhin extrem wichtig sein. Aus unserer Sicht gibt es heute vielleicht eine etwas andere Herangehensweise in der industriellen Forschung. Die früher wichtigste Suche nach den ganz neuen Erfindungen, nach Moonshots, die ist, glaube ich, bei uns heute nicht mehr so wichtig. Es ist nicht mehr das erste Ziel, einen ganz neuen Kunststoff zu entwickeln, sondern uns leitet eher die Frage, wie wir eine Kunststoff-Wertschöpfungskette verändern, dekarbonisieren. Aber auch da werden wir weiterhin viele Grundlagen technischer und wissenschaftlicher Art brauchen, um neue Lösungen für die Anwendung zu entwickeln. Deshalb bin ich auch optimistisch, was die Transformation angeht. Man darf sie nur nicht durch eine zu enge Definition im Keim ersticken. Ich bin dagegen, dass Politiker versuchen, alles über Ziele zu regeln. Am Ende muss es Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Ingenieure und Ingenieurinnen mit neuen Ideen geben. Und Menschen, die große Dinge realisieren können.
Astrid Bergmeister: Globale Interaktion ist der Universität Duisburg-Essen wichtig, auch mit China. Wie bewerten Sie Chancen und Risiken des Austauschs, für Unternehmen und Universitäten?
Markus Kamieth: Sie sitzen in einem ganz ähnlichen Boot wie wir auch. Ich glaube, dass die Kunst, die richtige Balance zu finden, wahrscheinlich für die Wissenschaft ähnlich ist wie für die Industrie.
China ist mittlerweile so relevant, im Thema Wissenschaft wie bei vielen Technologien und Märkten. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Welt besser wird, wenn man sich von China abkoppelt. Man muss einen Weg finden, wie man das Beste erreicht für die Menschheit oder auch für Europa, in dem man auf smarte Weise mit China zusammenarbeitet, natürlich nicht naiv und blind. Es ist wichtig, China-Expertise zu haben, und zu wissen, was in China geht und was nicht. Ich halte es für zielführend, mit Selbstbewusstsein und Offenheit in Kooperationen mit China einzutreten. Ich bin der Meinung, dass China in vielen wissenschaftlichen Feldern relativ schnell führend sein wird, und da sollten wir uns nicht abschneiden. Am Ende müssen wir immer sehen, dass wir als Menschheit vorankommen, und nicht die Welt zerteilen. Genau dazu können vielleicht Wirtschaft und Wissenschaft einen Beitrag leisten. In der Politik ist es immer leichter, Grenzen zu ziehen als in der Wirtschafts- und Wissenschaftswelt. Deshalb werbe ich dafür, auch wenn es manchmal in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert wird, zu unserem Engagement in Asien zu stehen. Unsere Haltung ist, dass wir natürlich auch mit chinesischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammenarbeiten.
Astrid Bergmeister: Noch eine Abschlussfrage – unsere Universität ist führend in der Wasserforschung. Flüsse sind auch für Sie ein großes Thema. Ihr Unternehmen liegt am Rhein und spürt es, wenn es Niedrigwasser gibt. Wir forschen an der „Re-Invention“ von Flüssen, und BASF hat mit Wissenschaftlern von uns gemeinsam besondere Boote für die Logistik bei Niedrigwasser entwickelt. Haben Sie noch weitere Ideen, um uns im Klimawandel resilient zu machen?
Wir haben mit Ludwigshafen einen riesigen Chemiestandort am Rhein. Der Rhein ist die Lebensader dieses Standorts. Wir bringen unheimlich viele Produkte über den Rhein rein und raus. Und er ist Lieferant für Kühlwasser, das wir natürlich in großen Mengen brauchen. Man muss ganz ehrlich sagen, heute würden wir den Standort nicht mehr dort bauen, sondern irgendwo an der Küste. Aber Ludwigshafen ist einer der größten Chemie-Standorte der Welt, wir müssen uns mit den Gegebenheiten arrangieren. Und da, finde ich, müssen alle Möglichkeiten auf den Tisch. Man kann flachere Schiffe bauen, aber das löst das Problem nicht grundsätzlich. Auch zum Thema Fahrrinnenvertiefung sind wir in Diskussion, mit dem Land Rheinland-Pfalz, ein sehr komplexes und langwieriges Thema. Das große Thema ist jedoch, wie man es angesichts der Wetterphänomene schafft, den Wasserstand des Rheins auf einem gut schiffbaren Niveau zu halten. Ich bin kein Experte für Wasserwege, aber es wird unterschätzt, wie wichtig es ist, in Deutschland eine Infrastruktur zu haben, die ganzjährig gut befahrbar ist. Disruptionen in Lieferketten werden in der Zukunft immer größere Auswirkungen haben. Der Rhein ist eigentlich nur ein Proxy für das größere Thema Wasser. Das wird auch aus Sicht von Investoren immer interessanter. Sie glauben gar nicht, wie viele Investoren uns fragen, wie wir die Veränderungen der Wasserverfügbarkeit zukünftig handhaben werden. Also: Flüsse sind ein wichtiges Thema für uns und andere, und es gibt viele ungelöste Herausforderungen.
Astrid Bergmeister ist Leiterin des Ressorts Presse und Pressesprecherin der Universität Duisburg-Essen.