Abschließender Kommentar

Was hat Günter Grass mit Mercator zu schaffen? Beim Blättern im Atlas

Im Rahmen der Arbeit im Hauptseminar kam einmal die Frage auf, welcher deutsche Schriftsteller für den Job geeignet ist, eine Mercator-Biographie zu verfassen – John Vermeulens Werk war als Roman von derartig faszinierenden Fiktionen durchsetzt, dass auch ein deutsches Pendant nicht fehlen dürfe. Die Wahl fiel eben nicht auf Günter Grass: Das Buch würde späterhin „Beim Blättern im Atlas“ heißen. Warum sollte Grass das Buch so nennen? Weil er den besten Titel für die Erforschung des Umganges mit Mercator leider schon verwendet hat: „Beim Häuten der Zwiebel“. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich das Zwiebelbuch (FAZ) nicht gelesen habe – vermutlich liegt es daran, dass ich nach der mühseligen Lektüre der Blechtrommel und dann auch noch Wassili Grossmanns „Leben und Schicksal“ dem Feuilleton der FAZ/FAS nicht mehr trauen wollte. Verzeihen Sie mir das umständliche Narrativ, aber alle Leute, die Texte schreiben, wissen, wie schwer es ist, einen Einstieg zu finden (Selbst im Nachlass von Demosthenes, dem wohl berühmtesten attischen Redner, fanden sich mehrere Redeeinleitungen, die ohne einen thematischen Bezug geschrieben wurden!).

Der Fall liegt hier anders, denn das Eingangsnarrativ eignet sich, um einen weiteren/andern Bogen zu schlagen. Unterschiedliche Zeiten, die sich mit der historischen Person Gerhard Mercators beschäftigt haben, haben verschiedene Antworten auf die Frage „Erinnerungsort Mercator?“ geliefert. Die Narration des Projektes stieg ein bei Walter Ghim und seiner „Vita Mercatoris“ aus dem 16. Jahrhundert. Er setzte dem Geographen (Bitte beachten Sie im Folgenden die Attribute, die ich Mercator hinzusetze nicht – ich weiß immer noch nicht, welches ich verwenden kann, um ihm insgesamt gerecht zu werden!) ein hagiogrpahisches Denkmal nach antikem Vorbild. In diese Zeit gebunden, stand Mercator wohl für den Typus des Gelehrten schlechthin. Hier verdichtete sich eine Erinnerung, die sehr wirkmächtig werden sollte. Die frühen Enzyklopädien greifen diese von Ghim gelegten Spuren auf, doch im internationalen Kontext tritt schnell die Person hinter der Projektion zurück – eine Entwicklung, die auf die Enzyklopädien im englischen Raum zurückgeht. Um den Geographen bleibt es dann lange ruhig, erst im 19./20. Jahrhundert setzt mit den Stadtgeschichten und (National-) Enzyklopädien eine erneute Beschäftigung mit dem Geographen ein. Der Diskurs über die Benennung der Duisburger Hochschule und die damit verbundenen Symposien rufen zum Teil alte Bilder wieder hervor und sehen Mercator als Symbol für Weltoffenheit und Toleranz. Die modernen Medien (hier: Internet) verweisen dabei besonders auf das Projektionswerk.

Ghim fungiert vielleicht als eine Art „Mercator-Urmythos“, um den sich dann die weiteren Schichten der Zwiebel anlagern. Die Aufgabe, die sich dieses Projekt gesetzt hat, bestand nun darin, die Schichten wieder abzutragen und zu analysieren. Dabei mussten die Bezüge, die Zeitgenossen der jeweils betrachteten Zeit herstellten, identifiziert werden. Sie wählten immer nur eine Perspektive auf die Person, die so viele Anknüpfungspunkte bietet.

Um das Projekt steht es an dieser Stelle nicht anders: Auch hier musste eine Auswahl getroffen werden, einige Kontexte, in denen Mercator auftaucht, außen vor gelassen werden. Das gilt zum Beispiel für das religiöse Schrifttum Mercators. Der Fokus war zwar nicht rein national gewählt, hat jedoch einige entscheidende internationale Diskurse (noch ein inflationär gebrauchter Begriff neben „Mercator, der berühmte Geograph“) außen vor gelassen. Die Verarbeitung Mercators durch Menschen in seinem belgischen Geburtsland (in einer sehr lesenswerten Biographie von Jean van Raemdonck), die nationale Vereinnahmung von Breusing (und das darauf folgende Pamphlet von Raemdonck) im 19. Jahrhundert haben in unserem Projekt leider noch nicht thematisiert werden können. Ein zweiter großer Zwist, der sich um den Kartographen herausbildete, war die Debatte um das Weltbild, welches die Mercator-Karte prägte – angestoßen durch Arno Peters (Wie Arthur Breusing auch verbunden mit Bremen – Zufall?). Doch nicht nur Belgier und Deutsche beschäftigten sich mit Mercator und seiner Karte – auch der angeslächsische Sprachraum Raum nimmt Positionen um die Erinnerung ein: Mal präsentiert durch das Bild vom Commonwealth, welches Margret Atwood im 20. Jahrhundert beschreibt; mal durch die Positionen, die die berühmte Geographin (dieses Attribut funkrioniert auch bei anderen als Mercator!) E.G.R. Taylor im Disput zwischen Breusing und Raemdonck bezieht. Ein paar Hinweisen zur Rezeption Mercators in seiner Zeit ,und vor allem vor seinem Tod, gilt es auch noch nachzugehen: Der Widmungsbrief des Onuphrius Panvinius in der Chronologia, der die Vorzüge des Werkes preist, oder ein Blick in die „Prosopographia Heroum“ von Heinrich Pantaleon.

Vorerst sei festzuhalten, dass Grass wohl kein Mercator-Zwiebel- oder Atlasbuch schreiben kann. Eine Ordnung in diese Erinnerungsfetzen zu bringen, das wird wohl noch eine lohnende Aufgabe für Historikerinnen und Historiker sein.