Mercator in Sachbüchern

Wissenspopularisierung? Mercator in Sachbüchern

Die Einführung von Sachbüchern entstand Mitte des 19. Jahrhunderts, als Produkt der Wissenschaftspopularisierung in Europa und Nordamerika. Nach Daum grenzt sich ein Sachbuch sowohl von der fiktionalen als auch von der wissenschaftlichen Literatur ab und dient dazu, auf unterhaltsame und belehrende Weise, ein Thema für ein breites Laienpublikum verständlich zu vermitteln1.

Demnach kann das Sachbuch als Mittel zur Vergesellschaftung von Wissen verstanden werden. Als Vorreiter des Sachbuchs gilt die Hausväterliteratur, die sich auf das Nützlichkeitsdenken fokussiert und somit auch als Gebrauchsliteratur betitelt werden kann. Die Popularisierung von Wissen konzentrierte sich im 19 Jahrhundert hauptsächlich auf den Bereich der Naturwissenschaften, deren Anfänge einem wissenschaftshistorischen Narrativ zufolge mit einer Revolution im 17. Jahrhundert einsetzten. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts differenzierten sich die Naturwissenschaften in Fachgebiete aus. Die naturwissenschaftlichen Errungenschaften aus dem 19. Jahrhundert, die nicht nur mit den Namen Charles Darwin und Ernst Haeckel verbunden werden müssen, boten aufgrund ihrer Aktualität und Lebensnähe ausreichend Stoff zur gesellschaftlichen Verbreitung an. Vor allem in England, Frankreich und den USA ist die Geschichte der Popularisierung ein anerkanntes Forschungsfeld.2

In Deutschland aber waren die Widerstände größer: Wissenschaft und Allgemeinbildung sollten weiterhin voneinander geschiedene Bereiche mit eigenen Darstellungsformen bleiben. Es war sogar von einer sogenannten „Popularisierungsseuche“ die Rede.3

Demnach wäre ein Mangel an deutschen Sachbüchern, die zusätzlich auch noch Informationen über Mercator enthalten, zu vermuten. Sollte es aber auch nur einige Sachbücher geben, die z.B. das Gebiet der Geographie abdecken oder anschneiden, wäre es interessant zu wissen, ob Mercator erwähnt wird und falls ja, in welchem Zusammenhang?

Die Vermutung, dass es nur eine geringe Anzahl geographischer Sachbücher mit dezidiertem Bezug zum Thema „Mercator“ im 19. und 20. Jahrhundert gab, bestätigte sich und somit müssen sich die Untersuchungen auf zwei Sachbücher aus dieser Epoche beschränken.

Heilmaiers „kurze Geschichte der Erfindung […]“ von 1812 ist zum einen für wissbegierige Kinder geschrieben und diente zum anderen, als Nachschlagewerk für Eltern aus dem Mittelstand. Es ist ein Versuch das „Handbuch der Erfindungen“ von G.C. Busch und das„Technologische Wörterbuch“ von Jacobsons zu einem preiswerten und verständlichen Buch für den Mittelstand zu vereinen, sodass dieser sein historisches Wissen erweitern konnte.4 Es enthält Erklärungen und eschreibungen von Erfindungen, die hauptsächlich im Alltag verwendet werden bzw. wurden, wie z.B. die Egge oder die Dampfmaschine.

Die einzige Erwähnung Mercators ist unter dem Abschnitt „Erfindungen in Hinblick auf den Handel“ mit dem Unterpunkt „Landkarten“ zu finden. „Gerhard Mercator, der im J. 1594 starb, brachte den ersten Atlas mit guten Karten zu Stande, den Jodocus Hondius vermehrte, und im J. 1604 zu Amsterdam herausgab.“5 In dieser Erwähnung wird Mercator als die Person dargestellt, die als erste einen Atlas mit guten Landkarten anfertigte. Es wird nicht deutlich, dass Mercator selbst den Namen „Atlas“ prägte. Er wird in einer Reihe mit Sebastian Münster, Abraham Ortelius und Jodocus Hondius gestellt. Sebastian Münster war wie Mercator Kosmograph. Er wurde am 20.1. 1488 in Nieder-Ingelheim geboren und verstarb am 26.5.1552 in Basel. Diejenigen, die sich die deutsche Mark noch ins Gedächtnis rufen können, erinnern sich bestimmt noch an den blauen 100 D-Mark-Schein: Auf der Vorderseite war das Portrait von Sebastian Münster abgebildet.

Ein 100 DM-Schein

100 DM-Schein: Sebastian Münster.

Laut Krünitz legte er mit seiner Weltbeschreibung „Cosmographia“ von 1550 den Grundstein zum Zeichnen von Landkarten, welche ihren Ursprung in den ptolemäischen Karten hatten.6 Auch bei Heilmeier legte Münster im Jahr 1550 den Grund zur Verbesserung der alten Landkarten.7 Demnach nimmt Münster eine herausragende Rolle bei der Wiederentdeckung der ptolemäischen Geographie im 16. Jahrhundert ein. Die Wiederentdeckung der antiken Geographie durch Münster und nahezu gleichzeitig stattfindende Verbesserung durch Mercator beendete – so das gängige Narrativ- das ’’finstere Mittelalter’’ und gab den Startschuss für die Renaissance. Über ein Jahrhundert nach Heilmeier, lässt sich eine ausführlichere Darstellung von Mercator in Isenbörgers Sachbuch „Die Erde ist rund. Die abenteuerliche Geschichte der Landkarte.“ von 1963 finden. Isenbörgers Werk vermittelt auf kindgerechte Art und Weise ein Stück der Kulturgeschichte. Es thematisiert die Entstehung, Entwicklung und Nutzung von Landkarten und reicht von Herodot über Marco Polo bis hin zu Kolumbus. Mercator findet im letzten Kapitel, unter dem Titel „Ausblick“, auf einigen Seiten Erwähnung. Hier wird Mercator als herausragender, einfallsreichster Kartograph, Globenhersteller und moderner Denker beschrieben8. Auch Duisburg, als Ort des Ablebens wird erwähnt, jedoch nicht Rupelmonde, dafür entstammte er angeblich einer flämischen Kartenmacher-Familie. Hervorgehoben werden vor allem die Europakarte von 1554, der Atlas bzw. die Erfindung dessen und die Weltkarte von 1568 bzw. die Mercatorprojektion. Selbst die Weltkarte in Herzprojektion und die Beschriftung der Karten finden Erwähnung.

Eine besondere Bedeutung wird der Mercatorprojektion, im Hinblick auf die Navigation zu See beigemessen. Die Projektion wird in dem Buch ausführlich erklärt und es wird der Anschein geweckt, dass Mercator sogar selbst die Formel für die Projektion berechnet habe. Über die Person „Mercator“ erfährt man auch hier nur sehr wenig. Isenbörger versucht zwar einen menschlichen Bezug herzustellen, allerdings nie getrennt von den Werken Mercators. Da es sich um ein Kindersachbuch handelt, gilt dieser Versuch wahrscheinlich einem besseren Verständnis bzw. einer interessanten Gestaltung der Thematik. Die außerordentliche Leistung Mercators wird in den letzten beiden Sätzen des Kapitels nochmals verdeutlicht. „Es war eine große Leistung, in einem so aufregenden und aufgeregten Jahrhundert wie dem Zeitalter der Entdeckungen, sachlich zu bleiben und das Abenteuer in Wissen umzumünzen. Männer wie Behaim und Mercator haben die kühne Eroberung der Welt zu einem dauernden Besitz für die Welt gemacht.“9 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Mercators Werke werden zwar erst im Abschlusskapitel beschrieben, gleichzeitig wird ihnen damit aber auch der nötige Nachdruck verliehen. Da die Werke Mercators in diesem Buch als letztes aufgeführt werden, werden diese dem Leser vermutlich am längsten im Gedächtnis bleiben.

In den geographischen Sachbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts erfährt man über die Person „Mercator“ nur sehr wenig, allerdings scheint er in Verbindung mit seinen Werken zeitlos zu sein. Bei Heilmeier wird Mercator zwar nur beiläufig erwähnt, in Verbindung mit dem Atlas wird er aber in einen wichtigen Zusammenhang gebracht , nämlich der Wiederentdeckung und Verbesserung der ptolemäischen Karten im 16. Jahrhundert, kurz nach dem Ende des Mittelalters. Wie auch Sebastian Münster war damit Mercator- so die naheliegende Schlussfolgerung- an der Entstehung und Verbreitung der Gedanken der Renaissance beteiligt. Eine ähnliche Vermutung legt auch Isenbörger nahe, die Mercator und seine Werke, vor allem die Projektion, in besonderem Maße hervorhebt. Wie aus dem oben zitierten, letzten Satz des Kapitels hervorgeht, ist es Mercator wegen seiner Projektion zu verdanken, dass die Eroberungen aus dem 16. Jahrhundert festgehalten und verbreitet wurden. Mercator wird als "Erneuerer" verstanden, der das "finstere Mittelalter" beendete und den Grundstein für die moderne Kartographie in der Renaissance legte. Bei Isenbörger stellt die Mercatorprojektion somit einen Erinnerungsort dar. Demgegenüber wird bei Heilmeier Mercator nur kurz in Verbindung mit dem Atlas gebracht, gleichzeitig wird er indirekt aber auch im Zusammenhang mit einem wichtigen Ereignis erwähnt: Die Verbesserung der ptolemäischen Karten, an denen Mercator mitwirkte und welche wegweisend für die moderne Kartographie waren. Hier ist es also weniger die Person und ihr Werk, als vielmehr die Epoche, die zum Erinnerungsort wird. Allerdings sollte der anfangs erwähnte Mangel an Sachbüchern nicht in Vergessenheit geraten. Das bedeutet, dass es nur eine geringe Auswahl an Büchern gab, die z.B. das Thema Landkarte oder Kartographie behandeln und somit die beiden Bücher im Hinblick auf die Frage nach einem Erinnerungsort nur geringe Aussagekraft besitzen.

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1 Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, München, 1998, S.246.

2 Daum: Wissenschaftspopularisierung, S.15.

3Daum: Wissenschaftspopularisierung, S 2.

4 Heilmeier, Michael Ernest: Kurze Geschichte der ersten Erfindung vorzüglich solcher Gegenstände, die zur Befriedigung der Bedürfnisse, zum Nutzen und zur Bequemlichkeit der Menschen am mehresten beitragen. Ein nützliches und unterhaltendes Lesebuch für die Jugend, wie auch für den Bürger und Landmann, Ingoldstadt, [1812], S.1ff.

5 Heilmeier: Kurze Geschichte, S.91.

6 Krünitz Ökonomische Enzyklopädie, 1773ff., Bd. 60, S.87.

7 Heilmeier: Kurze Geschichte, S.91.

8 Isenbörger, Ina: Die Erde ist rund. Die abenteuerliche Geschichte der Landkarte, Mainz, 1963, S.153.

9 Isenbörger: Die Erde ist rund, S. 157.