Hintergrund

Das Professionswissen von Lehrkräften wird als eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreichen Unterricht diskutiert (Oelkers, 2008). Seit Shulman (1987, vgl. auch Bromme, 1997) werden drei Dimensionen des Professionswissens von Lehrkräften unterschieden: das Fachwissen (content knowledge: CK), das fachdidaktische Wissen (pedagogical content knowledge: PCK) und das pädagogische Wissen (pedagogical knowledge: PK).

Während für den Bereich der Mathematik das Fachwissen und das fachdidaktische Wissen von Lehrkräften bereits im Rahmen der COACTIV-Studie per Leistungstests erhoben wurden (Baumert et al., 2006), existiert im deutschsprachigen Raum für Lehrer in den Naturwissenschaften bisher weder ein Modell für Professionswissen, noch gibt es geeignete Testinstrumente, um die drei Dimensionen zu erfassen und ihre Zusammenhänge im Rahmen von Unterrichtsqualität zu klären.  

 Die drei Dimensionen des Professionswissens

Das Fachwissen (content knowledge: CK) stellt eine Grundvoraussetzung für erfolgreichen Fachunterricht dar (vgl. z.B. Ball, Lubienski, & Mewborn, 2001; Rowan, Chiang, & Miller, 1997; Shulman, 1986; Shulman, 1987). Dennoch fand es in der empirischen Unterrichtsforschung bisher wenig Berücksichtigung. Stattdessen wird es - nach Analysen von Baumert und Kunter (2006) - häufig indirekt über Drittvariablen wie staatliche Zertifizierungen, Abschlussnoten oder die Zahl der besuchten Fachkurse operationalisiert.

Das fachdidaktische Wissen (pedagogical content knowledge: PCK) hilft der Lehrperson, Fachwissen zu vermitteln, also Lerngelegenheiten zum Wissensaufbau zu schaffen. Shulman (1987, S. 8) sieht das fachdidaktische Wissen als Verschmelzung von Fachwissen und pädagogischem Wissen an.

 Pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge: PK) umfasst nach Shulman (1986) Wissen über allgemeine Prinzipien der Klassenorganisation und des Klassenmanagements. Etwas detaillierter definiert die auf den Mathematikunterricht begrenzte COACTIV-Studie pädagogisches Wissen als deklaratives und prozedurales Professionswissen, das für den reibungslosen und effektiven Ablauf des Unterrichts und für die Aufrechterhaltung eines lernförderlichen sozialen Klimas in der Klasse grundlegend ist (Krauss et al., eingereicht). Pädagogisches Wissen wird in diesen Definitionen als „allgemein" bezeichnet, was bedeutet, dass es fachunabhängig bzw. fächerübergreifend konzipiert ist.


 

 Abb.: Konzeptualisierung der drei Dimensionen des professionellen Wissens von Lehrkräften

Bisher gibt es kein integrierendes Modell

 Im Bereich der Naturwissenschaften existieren international zwar diverse Tests, die die einzelnen Dimensionen des Professionswissens unabhängig voneinander erfassen. Allerdings wurden die einzelnen Dimensionen in keiner Untersuchung an Lehrern bislang ausreichend in einem Modell integriert.

 Früher gebräuchliche Verfahren zur normativen Beschreibung des Lehrerhandelns (siehe Meyer, 2005) stützen sich auf allgemeine didaktische Theorien des Unterrichts und eignen sich kaum als Ansatzpunkte für die Analyse von Beziehungen zwischen Professionswissen, Unterricht, Lernvorgängen und Lernergebnissen (Oser & Baeriswyl, 2001a). Der Begriff Professionswissen bezieht sich zunächst auf alle Formen theoretisch fundierter Wissensbestandteile, die während einer Ausbildung zum Lehrer erworben werden können. Zum Professionswissen gehören aber auch Fertigkeiten, die sich entweder durch systematisches Üben (teilweise in der zweiten Phase der Lehrerausbildung) oder durch unterrichtliche Praxis als ausgebildeter Lehrer entwickeln (Clandinin & Connelly, 1995; Schön, 1987). Zusätzlich werden Persönlichkeitsmerkmale wie Einstellungen, Überzeugungen und Emotionen als Elemente oder Korrelate des Professionswissens angesehen (Barnett & Hodson, 2001; Dann, 1989; Moallem & Moallem, 1998). Professionelles Lehrerwissen über Unterricht ist demnach kein fest gefügter Fundus an definierbaren Wissenselementen, die klar abgegrenzt und auf alle Arten von Unterrichtspraxis angewendet werden können, sondern geht darüber hinaus. Zudem kann das potenziell verfügbare Wissen einer Lehrperson nicht uneingeschränkt als handlungsrelevant angesehen werden, da nur Teile des Professionswissens im Unterricht zur Handlungsregulation genutzt werden (vgl. Dann, 1994; Fischler, Schröder, Tonhäuser, & Zedler, 2002; Wahl, 1991).

ProwiN - eine Studie in zwei Phasen

 In einem ersten Schritt will die ProwiN-Studie - in enger Anlehnung an die COACTIV-Studie (Brunner et al., 2006a; Krauss et al., 2004) - ein valides Modell für die drei genannten Dimensionen des Professionswissens von Lehrpersonen der naturwissenschaftlichen Fächer entwickeln und evaluieren. Außerdem sollen Testinstrumente zur modellkonformen Erfassung des Professionswissens entwickelt und evaluiert werden (Phase 1). Das Modell und die entwickelten Testinstrumente werden dann in einem zweiten Schritt im Rahmen einer Videostudie genutzt, um Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Dimensionen des Professionswissens und dem Lehrerhandeln im Unterricht zu untersuchen sowie differenzierte Vorhersagen über die Wirkung des Professionswissens auf den Lernzuwachs bei Schülerinnen und Schülern ableiten zu können (Phase 2). Damit weitet das geplante Projekt den Ansatz der COACTIV-Studie auf die naturwissenschaftlichen Fächer aus und geht dabei forschungsmethodisch deutlich über die COACTIV-Studie hinaus, in der unterrichtliches Handeln nicht direkt erfasst wurde, sondern durch nachträgliche Sichtung von Aufgaben rekonstruiert werden musste.

Die Lehrerausbildung profitiert

 Als Ertrag werden - neben der Validierung des Modells sowie reliablen und validen Testinstrumenten zur Erfassung des Fachwissens, des fachdidaktischen Wissens und des pädagogischen Wissens für die Fächer Biologie, Chemie und Physik - Erkenntnisse über die Struktur des Professionswissens von Lehrkräften der Naturwissenschaften sowie über den Zusammenhang zwischen Professionswissen, Handeln im Unterricht und Lernergebnissen von Schülerinnen und Schülern erwartet. Als Beitrag zur Unterrichtsqualitätsforschung sollen die Ergebnisse Lehrenden an Schulen, Hochschulen und Fachseminaren kommuniziert werden, um sie in allen Phasen der Lehrerausbildung (vom Studium bis zur Fort- und Weiterbildung) nutzbar zu machen.