Wirtschaftsweiser und UDE-Professor Achim Truger
© UDE/Bettina Engel-Albustin

Wirtschaftsweiser Truger stellt Gutachten vor

„Es betrifft die Zukunft junger Menschen“

  • von Ulrike Bohnsack
  • 16.11.2023

Achim Truger ist einer der so genannten fünf Wirtschaftsweisen. Der UDE-Professor für Sozioökonomie gehört damit dem wichtigsten Beratungsgremium der deutschen Politik an. Vor wenigen Wochen hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie das Gremium offiziell heißt, sein 400 Seiten starkes Jahresgutachten an Bundekanzler Scholz übergeben. An der UDE stellt Achim Truger es am 21. November um 18 Uhr vor (LB 107, Campus Duisburg). Wir haben ihn vorab gesprochen.

Herr Truger, das Gutachten ging an die Bundesregierung. Warum sollte es uns alle interessieren?

Die Bundesregierung ist nur eine Adressatin. Laut unseres gesetzlichen Auftrags sollen wir „zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit“ beitragen. Das heißt, das betrifft ebenso die Parlamente wie auch die Bürger:innen. Und weil wir unabhängig sind, können wir unsere – wissenschaftlich begründeten – Auffassungen frei zum Ausdruck bringen. Dass wir niemandes Sprachrohr sind, macht uns besonders interessant.

Warum sollten junge Leute zu Ihrer Veranstaltung am 21. November kommen?

Viele politische Debatten sind wirtschaftlich dominiert. Denken Sie etwa an Zuwanderung, Umweltpolitik, Bildung. Außerdem ist die wirtschaftliche Entwicklung enorm relevant für die künftigen Job-, Einkommens- und Rentenaussichten. All das betrifft die Zukunft junger Menschen. Deshalb finde ich es auch toll, dass in diesem Jahr wieder eine Schüler:innengruppe aus Mülheim meine Präsentation des Jahresgutachtens in Duisburg besucht!

Was können wir wirtschaftlich von 2024 erwarten?

Die Aussichten sind nicht wirklich gut: Nach einer realen Schrumpfung der deutschen Wirtschaft um 0,4 Prozent in diesem Jahr erwarten wir für 2024 lediglich eine schwache Erholung mit einem Wachstum von 0,7 Prozent. Deutschland hat sich damit immer noch nicht von der Coronakrise und der Energiepreiskrise erholt. Die kommenden Jahre werden nicht nur sehr herausfordernd, weil die Industrie weiter unter den hohen Energiepreisen leidet. Auch der Fachkräftemangel, die schlechter werdende Infrastruktur und immer noch bestehende Lücken bei Kinderbetreuung und Bildung wirken sich auf die Wachstumsaussichten aus. Man kann aber etwas dagegen tun. Mögliche Lösungen und Reformen haben wir im Gutachten analysiert.

Wie arbeitet man in einem solchen Gremium?

Wir sehen uns jeden Monat für mindestens zwei Tage, meistens in Wiesbaden im Statistischen Bundesamt, in dem wir unseren offiziellen Sitz haben. Mehrmals auch in Berlin, wo wir uns mit Vertreter:innen von Kanzleramt, Ministerien und Verbänden treffen. Wir werden von einem 20-köpfigen Stab von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und der Geschäftsstelle entscheidend unterstützt.

Im Frühjahr legen wir die Themen für das im November erscheinende Jahresgutachten fest. Jedes Themenkapitel durchläuft dann drei bis vier Schleifen. Und von September bis Oktober treffen wir uns fast wöchentlich für mindestens drei Tage und erstellen die Endversion des Jahresgutachtens – durchaus auch in Nachtarbeit. In der heißen Phase im Oktober haben wir uns eine Schweigepflicht zu wirtschaftspolitischen Themen auferlegt, damit wir nicht abgelenkt werden oder uns durch öffentliche Positionierung intern zu stark binden.

Streiten Sie sich auch mal?

Wir sind uns meistens einig. Alle Wirtschaftsweisen haben aber das gesetzliche Recht zu Minderheitsvoten, wenn sie von der Mehrheit der Fünf abweichen. Das ist auch sinnvoll, denn die Wirtschaftswissenschaft ist eine Gesellschaftswissenschaft, und da gibt es nicht die eine Wahrheit, sondern durchaus unterschiedliche, wissenschaftlich begründbare Positionen. Im aktuellen Gutachten 2023 waren wir uns in fünf von sechs Kapiteln einig. Im Rentenkapitel gab es aber gleich zwei Minderheitsvoten, eines davon von mir.

Die Wirtschaftsweisen erstellen jedes Jahr ein solches Gutachten. Haben Sie das Gefühl, dass Sie von der Politik auch gehört werden?

Ja, das Gefühl habe ich. Wir treffen mehrmals im Jahr mit wesentlichen Entscheidungsträger:innen wie Bundeskanzler, Kanzleramtsminister, Fachminister:innen und Staatssekretär:innen zusammen. Die Bundesregierung ist außerdem gesetzlich verpflichtet, im Jahreswirtschaftsbericht im Januar auf unser Jahresgutachten Bezug zu nehmen. Das tut sie auch – zuletzt sogar besonders intensiv. Aber natürlich sind wir keine Ersatzregierung, und die Politik trägt die demokratische Verantwortung. Wir sollen zur Meinungsbildung beitragen, aber nicht die Politik bestimmen.

Ärgert es Sie, wenn Sie der Politik Lösungen nennen, die nicht umgesetzt werden?

Manchmal ärgere ich mich zwar schon, ich trage aber auch nicht die politische Verantwortung und muss auch keine Abwahl oder einen Verlust meiner Position als Beamter und Universitätsprofessor befürchten. Unabhängige Beratung dient demokratisch legitimierter Politik. Es wäre schrecklich und verantwortungslos, seine Unabhängigkeit zu missbrauchen, denn das schürt letztlich Politik- und Demokratieverdruss. Da haben wir eine hohe moralische Verantwortung, der wir uns gewachsen zeigen müssen.

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