Nicaraguanische Transgender im Portrait

Philipp Heesen und Max Meßling haben im März 2012 in Nicaragua Transgender fotografiert und interviewt: 'Biologische' Männer, die sich mit dem 'weiblichen Geschlecht' identifizieren oder ihr Leben ganz oder teilweise als Frau verbringen wollen.
Die nicaraguanische Mehrheitsbevölkerung ist geprägt von einem stereotypischen Geschlechterbild. So werden in der Öffentlichkeit oft typische Bilder vom Mann als Landarbeiter vermittelt, der sich von seiner im Haushalt arbeitenden Frau versorgen lässt, die zudem die gemeinsamen Kinder hütet. Der verbreitete christliche Glaube, aber auch die Sicherheit, welche die Institution Familie verspricht, fördern dieses stereotype Bild. Auch hier spiegelt sich eine patriarchalische Trennung von Geschlechtern in typischen Berufsbildern für Männer und Frauen wider. So findet man in Berufen wie Landarbeiter, Handwerker, Sicherheitsbedienstete oder Taxifahrern maßgeblich Männer. Dahingegen sind in Berufen wir Lehrer, Bankangestellte oder angestellte Hausangestellte meistens Frauen zu finden, die neben der Führung des eigenen Haushaltes, einer Anstellung nachgehen. Personen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, wie Homosexuelle, Transgender, Transvestiten oder Bisexuelle werden häufig ausgegrenzt und sind vielfach von physischer und psychischer Gewalt betroffen. Letztere Form der Diskriminierung erscheint in einer großen Vielfalt von Schimpfwörtern. So sind geläufige Schimpfwörter für nicht-­‐ Heterosexuelle: Maricón (übersetzt: Schwuchtel), Gay (übersetzt: Schwuler), Comelón (übersetzt: Vielfraß), Mano Quebrada (übersetzt: Gespaltener Bruder), Chupa Huevos (übersetzt: Eierlutscher), Flor (übersetzt: Blume), La Loca (übersetzt: die Verrückte), Tragón (übersetzt: Vielfraß) oder Culo Flojo (übersetzt: Lockerer Arsch).
Eine Vielzahl von Menschen, die nicht heterosexuellen Norm entsprechen oder sich bewusst dieser widersetzen, will sich nicht verstecken. Sie zeigen sich bewusst in der Öffentlichkeit, gründen Gruppen, Netzwerke und Organisationen um für Anerkennung und Menschenrechte zu kämpfen. Dies trägt mit zu einem, wenn auch langsam voranschreitenden, Bewusstseinswandel bei. So unterstützt beispielsweise das Familienministerium finanziell Einrichtungen, welche die Interessen nicht-­‐Heterosexueller Menschen vertreten (wie beispielsweise die ANIT) und startet Aufklärungskampagnen.
Die Bilder der beiden Studenten zeigen sieben Personen, die sich im Frühling 2012 als Models und Gesprächspartner zur Verfügung gestellt haben. Ihre Lebensgeschichten sind mitunter dramatisch. Sie machen täglich Erfahrungen mit Ausgrenzung oder polizeilicher Willkür und haben nicht selten schon als Kinder sexuellen Missbrauch erlitten. Auf den Bildern wird ihr selbstbewusster Kampf um Anerkennung sichtbar. Die Fotografien zeigen Menschen, für die das eigentlich selbstverständliche Sich-­Zeigen wichtig aber auch zugleich leider immer noch riskant ist.

Ludwika Vega

Die 29-jährige Ludwika [bürgerlicher Name: Guillermo Vega] identifiziert sich seit ihrer Kindheit als Frau. Mit 17 Jahren klärt sie ihre Familie über ihre Neigung auf, was die Missachtung ihres Vaters bis heute zur Folge hatte. Auch von ihrem nachbarschaftlichen Umfeld und von der Polizei muss sie ständig mit verbalen oder gar gewaltsamen Attacken rechnen. Bei ihrer Tätigkeit als Präsidentin der Organisation ANIT (nicaraguanische Vereinigung der Transgender) informiert Ludwika über unterschiedliche soziale Medien von den Motiven der ANIT und initiiert Demonstrationen in der Hauptstadt Nicaraguas, Managua. Seit ihrer Position als Vorsitzende des Vereins erfährt sie mehr und mehr Akzeptanz durch ihren Vater.

Nataly Estreynerth

Nataly [bürgerlicher Name: Elvis Moreno], 23 Jahre, lebt im Norden Nicaraguas und führt dort einen Schönheitssalon. Ihren Alltag lebt sie in der Rolle eines Jungen aus. Doch für anstehende Wettbewerbe wie Miss Nica Trans wirft sie sich gerne in eine weibliche Schale. Ihr Umfeld toleriert diese Eigenschaft und auch Ihre Homosexualität, zu der sie sich mit 13 Jahren bekannt hat. Gerne möchte sie weitere Erfahrungen als Transvestit sammeln. Ihr Lebensziel ist es als Englischlehrerin in einem College zu arbeiten und ist mit ihrem Englischstudium auf einem guten Weg.

Brittany Gallardo

Nach sehr frühen sexuellen Erfahrungen, auch Erfahrungen von Vergewaltigungen durch ihren 12 Jahre älteren Bruder, outet sich Brittany [bürgerlicher Name: Eduard Gallardo], 20 Jahre, mit 12 Jahren, sich als trans* zu fühlen. Von ihren Freunden wird sie mit ihrer sexuellen Neigung akzeptiert. Ein halbes Jahr lang hat Brittany auf dem Straßenstrich gearbeitet und kam mit Heroin in Verbindung. Seitdem sie in der Familie einer Freundin aufgenommen wurde, hat sie sich aus diesem Umfeld zurückgezogen. Damit ihre Rechte als Transgender weiter gestärkt werden, engagiert auch sie sich auf Demonstrationen für ihre Rechte. Ihr Traum ist einen ordentlichen Beruf zu lernen, in dem sie soviel verdient, dass sie sich eine Hormonbehandlung leisten kann. Ob sie diesen Schritt der Hormonbehandlung wagen würde ist nicht klar, da sie noch große Ängste davor verspürt.

Nicole

Die 18-jährige Straßenverkäuferin und Prostituierte Nicole [Bürgerlicher Name: unbekannt] lebt seit 9 Jahren als trans*. Als vier Jährige zog sie zu ihrem Vater, bei dem sie Opfer regelmäßiger Gewalt war. Ihre ersten sexuellen Erfahrungen machte Nicole als 11 Jährige mit ihrem damals 19-jährigen Cousin. Durch diese Erfahrungen glitt sie schließlich im frühen Teenager-Alter ab in die Kinderprostitution.

Paris Naomi Hilton Chanel

Mit 12 Jahren verkündet die heute 23 jährige Paris Naomi [bürgerlicher Name: Luis Estrada], sich mit dem weiblichen Geschlecht zu identifizieren. – Sie glaubt als Frau geboren zu sein. Von ihrer Mutter erfährt sie seither Rückhalt. Um den Lebensunterhalt ihrer Familie mit zu bestreiten geht Paris Naomi mit 16 Jahren in die Hauptstadt Managua, um dort als Prostituierte zu arbeiten. Diese Arbeit, so sagt sie, sei Gewöhnungssache: Es komme hin und wieder vor, dass sie Kunden mit obszönen Wünschen besuchen oder ihren Dienst nicht entlohnen wollen. Um sich die Situation angenehm zu gestalten, versorgt sie sich regelmäßig mit Gras, Alkohol und Crack. Gewalt und verbale Demütigung erlebt auch sie täglich auf den Straßen Managuas. So sei sie zuletzt von einem Polizisten entführt worden und zum Oralverkehr erpresst worden. Um solchen Schandtaten ein Ende zu setzen, engagiert sie sich in der ANIT und nimmt an Demonstrationen teil. Einer ihrer innigsten Wünsche ist eine Hormonbehandlung, welche sich jedoch bisher zu kostspielig gestaltet. So weicht sie weiter aus auf günstige Varianten wie das Tragen einer Polsterhose, die ihrem Po einen weiblichen Proportionen verleiht.

Yadira Carillo

Yadira [bürgerlicher Name: Yader Gomez] erzählte ihrer Mutter erstmals mit 9 Jahren, dass sie sich mit dem weiblichen Geschlecht identifiziere. Darauf wurde sie von ihr vertrieben. Unterschlupf fand das Kind bei ihrer Tante. Ihre erste Beziehung ging sie mit 10 Jahren mit einem 17 jährigen Jungen ein, was sie aus heutiger Sicht für viel zu früh hält. Gewalt spielte in ihrer Umgebung eine sehr große Rolle. So wurde sie in ihrem Viertel von einem Betrunkenen mit einer Machete angegriffen wodurch sie beinahe eine Hand verlor. Auch von der Polizei wurde Yadira regelmäßig mit Schlagstöcken angegriffen. Heute, so beobachtet sie, habe sich die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Transgender zum positiven gewandelt. Sie engagiert sich heute gegen Kinderprostitution. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich durch eine Arbeit in einem Schönheitssalon und durch unregelmäßige Prostitution. Ihr Ziel ist das Abitur zu absolvieren. Derzeit besucht sie das erste Schuljahr in einer Einrichtung für Erwachsenenbildung.

Britany Hogdson

Ihre Mutter erkannte bereits bei ihrer Geburt das Weibliche in Moises David, so berichtet Britany [bürgerlicher Name: Moises David Hogdson]. Als sie im Grundschulalter die Jungen in den Umkleiden sieht, spürt sie sich schon damals von ihnen angezogen und hat im selben Jahr noch die erste sexuelle Erfahrung mit einem 18 jährigen Jungen, zu dem sie auch noch heute den Kontakt pflegt. Als 12 Jährige erklärt sie ihrer Familie ihre Neigung zur Identifikation mit dem weiblichen Geschlecht. Um ihr Leben zu bezahlen, beginnt Britany mit 15 Jahren als Prostituierte zu arbeiten. „Ein harter Job, an den es sich zu gewöhnen gilt. Das geht am besten mit Koks und Alkohol.“ so Britany. Am liebsten würde sie als Köchin arbeiten allerdings wird sie in keinem Restaurant so akzeptiert wie sie ist. Sogar der Gang zu einem Einkaufszentrum ist für Britany keine Selbstverständlichkeit. Nicht selten wird sie von dem hiesigen Wachpersonal aus dem Zentrum vertrieben. Derzeit strebt sie das Abitur an, um dann ein psychologisches Studium anzuschließen. Hier liegt ihre Hoffnung auf ein etabliertes Leben in der Gesellschaft. Ihr großer Traum ist auch die körperliche Wandlung durch hormonelle Präparate.

Zum Hintergrund dieser Seite

Diese Seite ist im Rahmen des Blended-Learning-Seminars “Gender is […] something you do...” entstanden. Studierende haben hier im Gender-Portal Raum, ihre Arbeitsergebnisse und Lern- bzw. Forschungsinteressen vorzustellen.
Wir danken den Autoren Philipp Heesen und Max Meßling, dass sie uns ihr - unabhängig von diesem Semninar durchgeführten - Projekt hier im Gender-Portal präsentieren.

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