Deutungsmuster von Arbeitslosigkeit im generationellen Wandel

Hintergrund

„Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft!“ Mit dieser Äußerung hat der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Beginn der 2000er Jahre eine weitreichende „Faulenzerdebatte“ ausgelöst. Diese manifestierte sich auch in der Gesetzgebung unter dem Leitbild des „Förderns und Forderns“ (langzeit-)arbeitsloser Menschen und beschreibt, wofür der modernisierte Sozialstaat auch heute noch steht. In den letzten Jahren rückte die Aufregung um den „faulen Arbeitslosen“ weitgehend in den Hintergrund und wurde u.a. durch mediale und politische Debatten zum Grundeinkommen und verstärkter Kritik an "Hartz IV" (dem Arbeitslosengeld II) abgelöst.

Solche Diskurse prägen auch die öffentliche Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit und Arbeitslosen in unserer Gesellschaft. Dagegen ist bislang nur sehr wenig darüber bekannt, was Menschen in Deutschland über Arbeitslosigkeit denken. Genau diese Frage untersucht nun ein Forschungsteam der Universität Duisburg-Essen im Forschungsprojekt „Deutungsmuster von Arbeitslosigkeit“.

 





Dmal Projekt Bild



Forschungsprojekt

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt befasst sich mit sogenannten Deutungsmustern von Arbeitslosigkeit. Es wird also untersucht, welche Wahrnehmungen und Deutungen von Arbeitslosigkeit in der Bevölkerung verbreitet sind und wodurch das "Bild" der Arbeitslosen geprägt wird. Neben den je individuellen Sichtweisen auf das Thema geht es dabei vor allem um soziale, d.h. von vielen Menschen geteilte, Deutungsmuster. Gesamtgesellschaftlich stellen diese „Bilder“ von Arbeitslosigkeit einen wichtigen Teil sozialpolitischer Handlungsspielräume dar. Es macht für politische Entscheidungen beispielsweise einen großen Unterschied, ob die Ursachen für Arbeitslosigkeit bei den individuellen Arbeitssuchenden oder zum Bespiel in wirtschaftlichen Veränderungen gesehen werden.

Soziale Deutungsmuster von Arbeitslosigkeit wurden für (West)Deutschland erstmals in den 1980er Jahren (Brenke und Peter 1985) erhoben, seitdem jedoch nicht mehr in dieser Intensität. Die Ergebnisse der damaligen Forschung lassen vermuten, dass Arbeitslosigkeit heute anders wahrgenommen und erklärt wird und dass Arbeitslose entsprechend auch anders beurteilt werden. Ob dies wirklich so ist, soll im Forschungsprojekt untersucht werden.

 

Methodisches Vorgehen

Zu diesem Zweck werden Personen mittels „diskursiver Interviews“ (Ullrich 2019) intensiv zu den Themen Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit befragt. Diese werden aus Zufallsstichproben ausgewählter Gemeinden in NRW bestimmt und eingeladen, sich am Projekt zu beteiligen. 

Dabei wird Wert daraufgelegt, Personen zu befragen, die im unterschiedlichen Maße mit Arbeitslosigkeit in Berührung gekommen sind: direkt durch eigene Arbeitslosigkeit, indirekt über das soziale Umfeld (z.B. arbeitslose Verwandte oder Kolleg/innen), als "Bedrohung am Horizont" (z.B. drohende betriebsbedingte Kündigung) oder auch überhaupt nicht.

Die sozialen Deutungsmuster werden schließlich kontrastierend analysiert. Dabei werden durch ein systematisches Vergleichen der individuellen Deutungen und Wahrnehmungen die gemeinsamen Vorstellungen bzw. „Bilder“ zu den verschiedenen Aspekten von Arbeitslosigkeit herausgearbeitet. Erste Ergebnisse sind Mitte 2020 zu erwarten.

 

Projektteam

Prof. Dr. Carsten G. Ullrich (Projektleitung)

Dominik Spreen

Nils Rottgardt

 

Literaturhinweise

Brenke, Karl; Peter, Michael (1985): Arbeitslosigkeit im Meinungsbild der Bevölkerung. In: Michael von Klipstein und Burkhard Strümpel (Hg.): Gewandelte Werte - Erstarrte Strukturen. Wie die Bürger Wirtschaft und Arbeit erleben. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft, S. 87–127.

Ullrich, Carsten G. (2019): Das Diskursive Interview. Methodische und methodologische Grundlagen. Wiesbaden: Springer VS.

 

 

Hinweis

Das Projekt wird durch ein Folgeprojekt fortgesetzt.