Teil 1: Ein Chemiker in der Physik: Verschiedene Ansätze, ein Ziel

Teil 1: Ein Chemiker in der Physik: Verschiedene Ansätze, ein Ziel

Herr Stein, Sie sind seit April 2021 an der UDE? Wie sind Ihre Eindrücke nach fast einem Jahr?

Ich fühle mich sehr wohl. Die Gruppe läuft, die ersten von vier Doktoranden sind da, eine Post-Doktorandin wird bald anfangen und auch die Lehre ist angelaufen, die mir sehr viel Freude macht. Ich finde es auch toll, dass ich endlich persönlichen Kontakt zu den Studierenden habe und nicht nur virtuell wie in den letzten Semestern unter Coronabedingungen.

Was genau hat Sie überzeugt, mit einem Rückkehrstipendium im Rücken an die UDE zu gehen?

Es passte von der Forschungsausrichtung her, da Fragestellungen, die mich als theoretischen Chemiker bewegen, hier in der Physik stark vertreten sind. Diese Grenzflächen- und Oberflächenphänomene werden an der UDE von vielen Kolleg:innen untersucht. Und dann gibt es ja noch die Anbindung an den Exzellenzcluster RESOLV, der für meine Thematik auch sehr relevant ist. Zu RESOLV-Arbeitsgruppen hatte ich sogar schon vorher, als ich noch in Kalifornien war, Verbindungen. Zu guter Letzt hat mich auch die interdisziplinäre Ausrichtung an der UDE überzeugt. Es ist ja kein Zufall, dass ich jetzt im NETZ-Gebäude bei CENIDE sitze, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Chemie, Physik und den Ingenieurwissenschaften zusammengebracht werden. Auch den Studiengang Energy Science, den meine Fakultät anbietet, fand ich unglaublich attraktiv. Er passt genau zu dem, was mein Themengebiet ausmacht. Ich finde es toll, dass es quasi einen ganzen Studiengang gibt, der die Leute auf etwas vorbereitet, was für mich und meine Arbeit relevant ist – also zumindest in großen Teilen (lacht).

Warum haben Sie sich selbst eigentlich für Chemie als Studienfach entschieden?

Dass es die Naturwissenschaften werden, war sehr, sehr früh klar. Ich habe damals schon zwischen Physik und Chemie geschwankt und fand die Fragestellungen der Chemie, also Stoffumwandlungen und insbesondere die Katalyse, schon immer spannend. Dass man Arzneimittel beispielsweise gezielt generieren kann, aber auch, dass man großindustrielle Prozesse kontrolliert steuern und optimieren kann. Gleichzeitig fand ich aber immer die Methodik der Physik, diesen stringenten theoretischen Unterbau, sehr attraktiv. Am Ende stand es 51:49 für die Chemie. Ich bin aber froh, dass ich doch die Balance bis jetzt halten und die Fächer verbinden kann. Und ehrlich gesagt: Aus meinem Blickwinkel und für meine Arbeit ist der Unterschied zwischen den beiden Disziplinen gar nicht so groß.

Sie arbeiten an theoretischen Beschreibungen von physikochemischen Prozessen an Grenzflächen. Wie erklären Sie Ihre Forschung in wenigen Sätzen?

Mein Team und ich, wir beschäftigen uns mit Prozessen, die an Grenzflächen stattfinden. Grenzflächen finden Sie z.B. in Ihrem Auto. Im Katalysator ist das im einfachsten Fall eine Metalloberfläche, wo die schädlichen Abgase drüberfliegen. Dort finden dann Reaktionen statt, die diese oft giftigen Stoffe in unschädlichere Stoffe umwandeln. Genau diese Prozesse wollen wir untersuchen, verstehen und optimieren.

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​Der erste Schritt für uns ist immer das Verständnis: Was passiert da jetzt auf molekularer Ebene genau? Warum klappt das mit bestimmten Temperaturen bei bestimmten Materialien deutlich besser als bei anderen? Wenn wir dieses mikroskopische Verständnis erreicht haben – genau für diesen Teil schreiben wir Programme –, dann hoffen wir, dass wir mehr Wissen über die Abläufe gewinnen und sie verbessern können. Während wir uns in der Grundlagenforschung mit dem Verständnis dieser Prozesse beschäftigen, können wir anschließend im besten Fall Vorschläge für deren Optimierung machen. Dann geht es allerdings in die Kooperation mit anderen Gruppen, die die Umsetzung in technische Produkte wirklich angehen können.

Wie lässt sich Ihre Grundlagenforschung in die Praxis bringen? Gibt es Beispiele, wie Ihre Forschung den Weg aus dem Labor in die Praxis findet oder ist das gar nicht Ihr Job?

Das würde ich so bisher nicht sagen. Wir haben angefangen und es auch intensiviert, z.B. mit Prof. Doris Segets (Verlinkung zu: https://www.forschungstalente.de/doris-segets/) und ihrem Team zusammenzuarbeiten, die sich ja um die Übertragung in die Praxis kümmert. Wir sind einen Schritt vor ihr in der Kette, aber für Prof. Segets sind unsere Ergebnisse wichtig und für uns ist toll zu sehen, dass wir auch was machen können, was dann letztendlich zu einem Produkt führt. Wir sind verschiedene Kettenglieder, aber Teil eines gemeinsamen Prozesses.

Sie haben auch Software(-Ergänzungen) veröffentlicht. Wie passt das noch zusätzlich in das Profil des Chemikers in der Fakultät für Physik?

Das ist gar nicht so verwunderlich. Ich bin ausgebildeter Theoretischer Chemiker und jetzt halt in der Physik, aber das ist genau das, was wir machen: Wir lösen unsere Probleme mit Hilfe von Computerprogrammen, die sehr komplex sind. Die haben sehr viele Module, die aufeinander aufbauen. Einige Programmbausteine wurden schon vor 30 Jahren entwickelt und wir fügen dann aktuelle Ergänzungen aus unserer Forschung hinzu. Es ist eben häufig so, dass man nicht versucht, alles komplett neu zu schreiben, sondern man trägt über die großen Verbundprojekte seinen Teil dazu bei. Diese komplexen Programme erlauben es uns, diese Grenzflächenprozesse auf molekularer Ebene zu simulieren und bestenfalls auch zu verstehen.

Die Fragen stellte Cathrin Becker.

Stand: 3/2022

Bildnachweis: Bettina Engel-Albustin