Teil 2: „Die Studierenden sollen denken: Das kann ich auch!“

Teil 2: „Die Studierenden sollen denken: Das kann ich auch!“

2015 haben Sie einen Lehrpreis erhalten. Nun lehren Sie im aktuellen Wintersemester „Newtonsche Mechanik und spezielle Relativitätstheorie“. Nicht gerade Erstsemesterstoff. Was macht für Sie gute Lehre aus – gerade wenn es sich um sehr theorielastige Inhalte handelt?

Es ist tatsächlich als Erstsemester-Vorlesung konzipiert. Die Studierenden sollen die Experimentalphysik und die Theoretische Physik kennenlernen und das gleich im ersten Semester, anders als an anderen Unis. Die Studierenden kennen Vieles natürlich nicht aus der Schule, aber das muss ja nicht schlecht sein. Die meisten wollen jetzt unbedingt an die Uni, wollen was Neues lernen. Ich finde, man kann den Stoff sehr gut vermitteln. Es ist mir auch wichtig, diese Angst oder zumindest Unsicherheit bezüglich der Theorie den Studierenden ein bisschen zu nehmen. Sie sollen ja gerade nicht denken, dass es etwas ist, was sie nicht können. Sondern es geht genau darum zu sagen: Das könnt ihr auch! Es macht Spaß und ihr braucht die Theorie, um die Physik zu verstehen.

Was ist für Sie in der Lehre wichtig?

Was ich sehr wichtig finde, gerade wenn es um Erstsemester geht und viele Studierende in der Vorlesung sitzen, ist der persönliche Kontakt. Das hat mir im Studium oft gefehlt. In den USA hingegen war das ganz anders, da gab es überhaupt keine Hemmungen, den Professor oder die Professorin direkt zu fragen, wenn irgendwas nicht ganz klar war oder nicht direkt verstanden wurde. Wir versuchen hier mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen und ich biete jede Woche eine zweistündige Sprechstunde an, wo es wirklich nur darum geht: Das habe ich nicht verstanden, können Sie mir das noch einmal erklären?

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​Am Anfang waren die Studierenden noch recht scheu, da sind so ein, zwei Leute auf mich zugekommen, jetzt ist das ganz anders. Heute waren 25 Leute da, die mir noch Fragen gestellt haben. Das ist super, weil für mich so der Kontakt enger ist und ich das Feedback viel direkter bekomme. Auf der anderen Seite kommen so auch die Studierenden untereinander ins Gespräch und können sich gegenseitig helfen. Wenn man so eine Atmosphäre aufbauen kann, mit einer direkten Betreuung und den Studierenden gleich vom ersten Semester an das Gefühl gibt, dass sie etwas dazulernen und ernstgenommen werden, dann macht das in meinen Augen gute Lehre aus, die ich mit einem wirklich tollen Team umzusetzen versuche.

Sie waren zuvor in der Schweiz und in den USA an den renommierten Universitäten ETH Zürich und UC Berkeley tätig. Was zeichnet diese Einrichtungen aus, und was hat die Länder für Sie als Forscher interessant gemacht?

Die Freiheiten, die man in den USA als selbstständiger Wissenschaftler hat, sind enorm. Andererseits gibt es auch einen starken Druck, dass Drittmittel eingeworben werden müssen – und das bei höheren Ablehnungsraten als bei uns in Deutschland. Wobei auch hierzulande inzwischen immer mehr über Drittmittel finanziert wird.

Ich habe meinen Aufenthalt in den USA als sehr angenehm empfunden, allerdings muss man sagen, dass das eventuell nur für die Top-Unis gilt. Es gibt eine unglaublich weite Lücke zwischen den Top10-Unis und den nächsten dreißig, die gerne dazugehören würden. Danach kommt noch alles, was vermutlich leider niemals eine große wissenschaftliche und auf der Lehre basierende Relevanz haben wird und auch oft hoffnungslos unterfinanziert ist. Natürlich kann man sich fragen, ob man in so einer Gesellschaft leben will, wenn nur ein ganz kleiner Teil überhaupt eine Chance bekommt. Gerade deshalb finde ich es in Deutschland sehr gut, dass wir ein System bzw. Netzwerk von Universitäten haben, die in der Lehre alle auf einem ähnlichen Niveau und auch in der Forschung wettbewerbsfähig sind. Das Schweizer System unterscheidet sich gar nicht so sehr von unserem.

Was ich noch glaube: Eine Promotion in den USA hat für die Studierenden keinen großen Vorteil. Als Wissenschaftler, der schon halbwegs selbstständig ist, also als Post-Doc, habe ich die Zeit in den USA sehr genossen, als Doktorand wäre das wahrscheinlich nicht so gewesen. Bei einem derart auf Erfolg getrimmten System geht manchmal die eigene Ausbildung etwas unter, da muss man schon ein bestimmter Typ sein. Jemand, der diesen Druck u.a. zu publizieren, aushalten kann. Es ist eine hohe Arbeitsbelastung an einer Stelle in der Forschungslaufbahn, wo man vielleicht noch nicht das Selbstbewusstsein und auch nicht die Kompetenz hat, das alles aushalten zu können.

Was wären Sie, wenn Sie nicht Naturwissenschaftler geworden wären? Was würden Sie einen Experten aus diesem Bereich gerne einmal fragen?

Ich spiele gerne Gitarre, aber ich hätte mir jetzt nicht zugetraut, Musiker zu werden. Dafür reicht es wahrscheinlich nicht (lacht). Ich habe als Schüler nebenher noch recht lange in einer Maschinenbaufirma gearbeitet und fand ich den Beruf des Schlossers auch spannend, hatte dann aber wenig Talent in die Richtung. Deswegen bin ich wahrscheinlich im Chemielabor auch einfach nicht gut gewesen. Ich habe zwei linke Hände, die Theorie ist eher meins.

Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Musik – hören und selber spielen. Wie gesagt, als Jugendlicher konnte ich mir sehr gut vorstellen, Musiker zu werden. Das hätte ich damals wahrscheinlich cooler gefunden als an einer Uni zu arbeiten (lacht). Mein bester Freund, mit dem ich bis heute immer mal wieder in einer Band spiele, hat dann tatsächlich auch Musik studiert. Es ist bis heute ein Hobby geblieben und ein guter Ausgleich zum Job, vielleicht etwas kreativer. Wobei ich denke, dass auch Forschung und Lehre kreativ sein können, aber eben anders. Zudem gehe ich sehr gerne wandern und reise allgemein gerne.

Befristete Verträge, unsichere Berufsaussichten: Viele Forschende beklagen gerade am Anfang ihrer Karriere die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie sieht es da bei Ihnen aus?

Ich bin verheiratet, aber Kinder gibt es noch keine. Meine Frau, die auch Wissenschaftlerin ist, habe ich während meiner Promotion in Zürich kennengelernt. Anschließend sind wir dann zusammen in die USA gegangen und danach zusammen hier hin. Jedes Mal zu organisieren, dass beide einen Job haben, ist schon eine enorme Herausforderung. Mit Kindern möchte ich mir gar nicht vorstellen, wie das hätte gehen sollen.

Wofür setzen Sie sich ein?

Dass meine Mitarbeitenden eigenständige Forschungspersönlichkeiten werden und hoffentlich im Anschluss erfolgreich eigene Forscherkarrieren starten können. Zudem ist mir wichtig, dass die auch die Studierenden alle Unterstützung bekommen, die sie benötigen, um selbstbewusste Wissenschaftler*innen oder wissenschaftlich denkende Individuen zu werden.

Die Fragen stellte Cathrin Becker.

Stand: 3/2022

Bildnachweis: Bettina Engel-Albustin