Einführung

Schnell könnte sich der Verdacht aufdrängen, dass die Mathematik eine reine "Männerdomäne" sei. Doch Mathematik wurde und wird von Frauen gemacht, ob in der Antike (Hypathia), im Mittelalter (z.B. Hildegard von Bingen), der Aufklärung oder der Gegenwart.

Aktuelle, kulturvergleichende Studien zum Lernverhalten zeigen, dass der Lernerfolg in der Schule sowie die zukünftige Berufswahl von Mädchen und Frauen vom kulturellen Kontext abhängt. Die Geschlechterkluft in der Mathematikleistung hängt mit sozialen und kulturellen Faktoren zusammen, so die Kernaussage einer Studie europäischer Wissenschaftler. In Ländern, in denen Männer und Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Möglichkeiten haben, existiert dieser so genannte Gender-Gap nicht.

Als Frauen vor etwa hundert Jahren in Deutschland erstmals offiziell zum Studium zugelassen wurden, wählten sie Mathematik als Studienfach deutlich häufiger als geisteswissenschaftliche Fächer. Insgesamt waren 1930 waren 16 Prozent aller Studierenden weiblich, der Anteil von Frauen im Fach Mathematik lag aber über diesem Schnitt bei 22 Prozent. Kontext und Kultur spielen also eine wesentliche Rolle in der Beliebtheit eines Faches sowie in der "individuellen Performace" in Schule, Studium und Beruf.

Mehr Infos:
-Artikel "Culture, Gender, Math" von Paola Sapienza, Luigi Guiso et. al., pdf, 220 KB; siehe auch Artikel "Geschlechterkluft ade", ZEIT vom 2.6.2008).

-Interview mit Prof. Dr. Andrea Blunck (Uni Hamburg) mit ZEIT online.

Gender-Aspekte im Mathestudium

Zunehmend werden Frauen in der Mathematik wahrgenommen sowie historische Ausgrenzungsprozesse sichtbar gemacht. Dies schlägt sich auch in Hochschullehre nieder.  

Eine geschlechtergerechte Didaktik der Mathematik nimmt Frauen dieses Métiers, ihre Forschungsleistungen - aber auch ihre Biographie und zeitgeschichtlichen Lebenskontext - in den Blick. Mit Leben gefüllt werden diese Aspekte  außerdem durch

-Studien über die Entwicklung der wissenschaftlichen Institutionen wie Universitäten, Akademien und Fachgesellschaften insbesondere der Mathematik und die Geschlechterverhältnisse in diesen Institutionen.
-Studien über Frauenbildung und Frauenstudium insbesondere in Bezug auf Mathematik
-Studien über die Entwicklung des Mathematikunterrichts insbesondere für Mädchen.
-Studien über die Berufswege von Mathematikerinnen und Mathematikern, insbesondere auch außerhalb des Bildungsbereichs, im ersten Drittel des 20sten Jahrhunderts.

Darüber hinaus werden zunehmend
-Konstruktionsprozesse der Geschlechterordnungen in den und durch die Natur- und Technikwissenschaften in ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Kontext,
-das Wissenschaftsverständnis der Naturwissenschaften, die Vorstellung von objektivem Wissen sowie die
-Einschreibung von Geschlechterverhältnissen in naturwissenschaftliches Wissen
in die Lehrpläne aufgenommen.

Ein Beispiel, in dem mit den oben genannten Kriterien bereits erfolgreich gearbeitet wird, finden Sie in folgenden Abschnitten dieser Seite.

Weitere Informationen:
Curricula Mathematik: Gender in gestufte Studiengänge, Prof. Irene Pieper-Seier

==> Glaubitz, Michael (2011): Mathematikgeschichte lesen und verstehen - eine theoretische und empirische Vergleichsstudie, Dissertation an der Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Mathematik.

Bild: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Germain.jpeg (Ben Tillman)

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Ada Lovelace

Beispiel eines Seminars Frauen in der Geschichte der Mathematik und Informatik im 19. und 20. Jahrhundert

Im Zentrum des Seminars von Prof. Dr. Anina Mischau an der FU Berlin steht die Erarbeitung der Lebensgeschichten und des Wirken einiger bedeutender Mathematikerinnen und Informatikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, z. B. das Leben und Werk von Sophie Germaine (1776-1831), Ada Lovelace (1815-1852), Sonja Kovalevskaya (1850-1891), Emmy Noether (1882-1935), Ruth Moufang (1905-1977), Grace Murray Hopper (1906-1992). Darüber hinaus werden weitere, nicht so bekannte Wissenschaftlerinnen untersucht.

Zentrales Anliegen ist die Einbettung der Lebensgeschichten im zeitgeschichtlichen Kontext und den damit verbundenen Aus- und Einschlüssen von Frauen. Im Seminar geht es nicht darum, diese Frauen als "Ausnahmeerscheinung" hervorzuheben. Dies würde sie lediglich auf einen „Exotinnenstatus" festschreiben und damit die Vorstellung unterminieren, Frauen könnten nur "ausnahmsweise" im Bereich der Mathematik schaffend wirken. Dies erlaubt die Entwicklung neuer Sichtweisen auf die tradierte Kulturgeschichte beider Disziplinen.

Didaktischer Ansatz: Das Seminar basiert auf der Herangehensweise eines „forschenden" oder „entdeckenden" Lernens, d.h. die Studierenden werden selbständig in Gruppenarbeiten einzelne Seminarthemen vorbereiten und präsentieren. Diese Präsentationen werden dann im Seminar diskutiert.

Im Studienjahr 2011/2012 ist Anina Mischau Gastprofessorin an der FU Berlin mit der Denomination "Genderstudien in der Mathematik" am Institut für Mathematik und Informatik. Das Ziel der Gastprofessur ist es, stärker als bisher genderspezifische Inhalte und Aspekte in der Lehre zu verankern.

Aufgrund der hohen Nachfrage im Sommersemester 2011 wurde das Seminar als Block ein zweites Mal angeboten.

Bild: Ada Lovelace, WikiCommons: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Ada_Lovelace.jpg&filetimestamp=20070522220500

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Beispiel einer Vorlesung: Mathematik in der Gesellschaft

Was haben Gender und Mathematik gemeinsam? Dieser und anderer Fragestellungen wird in der interdisziplinären Lehrveranstaltung "Mathematik in der Gesellschaft (unter Berücksichtigung von Genderaspekten)" von Prof. Dr. Christine Scharlach an der TU Berlin nachgegangen.

Inhalte der Lehrveranstaltung:
- Erscheinungsbild der Mathematik in unserer Gesellschaft aus verschiedenen Blickwinkeln und unter besonderer Berück­sichtigung von Genderaspekten.
- Texte zur Mathematik aus verschiedenen Bereichen: Beruf, Genderforschung, Philosophie, Geschichte, Politik, Schule, Film, Werbung,...
- Befragung von MathematikerInnen aus der Praxis

Eine besondere Methode zur Reflexion von Rollenbildern ist hier die „Mathematische Autobiographie“ - siehe Link unten.

Zahlen und Gender: Eine produktive und lustvolle Verknüpfung von Mathematikphilosophie und Gender Mathematik und Gender Studies konnte im Workshop "(Un)Möglichkeiten einer Begegnung. Transdisziplinarität als Begriffsarbeit anhand der „Zahl“" erlebt werden. Der Workshop von Christine Scharlach fand im Rahmen der Berliner Tagung  "Impuls – Innovation – Intervention. Gender Studies im Visier" statt.

Weitere Informationen:
Lehrveranstaltung: Mathematik in der Gesellschaft (unter Berücksichtigung von Genderaspekten)

Ein weiteres Beispiel ist die Vorlesung von Prof. Dr. Andrea Blunck  im WiSe 2005/2006 "Frauen in der Geschichte der Mathematik" an der Uni Hamburg.

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Fachdidaktisches Seminar Ausgewählte Kapitel aus der Mathematikdidaktik I

Im Seminar von Prof. Dr. Anina Mischau an der FU Berlin wird die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für das Lehren und Lernen von Mathematik in der Schule u.a. entlang ausgewählter Fragestellungen beleuchtet. Dies sind unter anderem:

  • Welche geschlechtsbezogenen Unterschiede im Fach Mathematik lassen sich empirisch in internationalen Vergleichsstudien belegen?
  • Welche Erklärungsansätze werden in diesem Zusammenhang diskutiert?
  • Inwiefern trägt die Gestaltung des schulischen Mathematikunterrichts selbst zur Entstehung geschlechtsbezogener Unterschiede bei?
  • Welche Rolle spielen (bewusste oder unbewusste) geschlechterstereotype Einstellungen auf Seiten der Lehrkräfte? Was können Mathematiklehrerinnen und -lehrer konkret tun, um dies zu vermeiden?

Im Seminar werden zum einen empirische Befunde, wissenschaftliche Theorien und interdisziplinäre Diskussionszusammenhänge zum Thema Mathematik, Schule und Geschlecht diskutiert. Zum anderen stehen die Lehrerfahrungen der Studierenden sowie das eigene Verhältnis zur Mathematik und die damit verknüpften Geschlechterbilder im Mittelpunkt.

Didaktischer Ansatz:

Vermittlung von Genderkompetenz

"methodischer Doppeldecker“

Im Studienjahr 2011/2012 ist Anina Mischau Gastprofessorin an der FU Berlin mit der Denomination "Genderstudien in der Mathematik" am Institut für Mathematik und Informatik. Das Ziel der Gastprofessur ist es, stärker als bisher genderspezifische Inhalte und Aspekte in der Lehre zu verankern.

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Prof. Dr. Helene Esnault

Forschung, Formeln & Frauen in Gegenwart und Geschichte Weibliche Mathematikerinnen

Mit Prof. Dr. Hélène Esnault forscht und lehrt eine der renommiertesten Mathematikerinnen in Deutschland an der UDE. Sie erhielt, zusammen mit ihrem Mann Eckard Viehweg, 2003 den Leipniz-Preis der DFG (Link zur Laudatio). Ihr Arbeitsgebiet innerhalb der Mathematik sind Algebraische und Arithmetischen Geometrie. Was ist für sie das besondere an der Mathematik? Anlässlich der Preisverleihung zum Leipniz-Preis schrieb sie:


"Der Alltag des Mathematikers ähnelt manchmal dem eines Dichters oder Philosophen. Man sitzt, mit einem Bleistift, malt kleine Buchstaben, stoppt, denkt, malt wieder und schaut. Dann wiederholt sich das Ganze. Manchmal ist dies sehr trocken. Nichts mehr versteht man, jeder Schritt ringt nur Dunkelheit. Und irgendwann empfindet man das starke Gefühl, Licht sei in Reichweite. Diese kurzen Sekunden Verstehens sind die Krönung des Lebens eines Mathematikers.“

Mehr: Newsletter der Gleichstellungsbeauftragten der UDE 02/2007
Ihr Buch zu "Lectures on Vanishing Theorems" ist online hier (pdf, 1,3 MB) abrufbar.

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Berühmte Rollenmodelle: Mathematikerinnen der Geschichte und Gegenwart

Sofja Kowalewskaja (*1850 in Moskau) war 1874 die erste Frau die in Mathematik promovierte. 1869 reiste Sofja Kowalevskaja nach Heidelberg, um Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren. Dort jedoch erfuhr sie, dass Frauen zum Studium nicht zugelassen wurden. Die Universitätsleitung musste mühsam überrredet werden, sie inoffiziell am Unterricht teilnehmen zu lassen. Am Ende ihrer Karriere wurde sie Professorin an der Universität Stockholm.

Ada Lovelace (*1815 in London) wurde als die erste Schreiberin eines Computerprogramms bekannt. Sie  entwickelte Techniken wie Schleifen, Rekursion, if-then-Abfragen und Programme zur Berechnung der Bernouille-Zahlen. Nach ihr sind in der Gegenwart nicht nur das Programm ADA benannt, sondern auch zahlreiche Projekte für die Nachwuchsgewinnung.

Emmy Noether (*1882 in Erlangen) wird als eine der bedeutendsten Mathematikerinnen aller Zeiten betrachtet. Sie gilt als die "Mutter der modernen Algebra". Ihre Arbeitsschwerpunkte waren die Invariantentheorie, kommutative Algebra, nichtkommutative Algebra und Darstellungstheorie u.v.m. Das wissenschaftliche Umfeld ließ mit der Anerkennung auf sich warten... Ihre Ausgrenzung innerhalb der 'Mathe-Community' äußerte sich zum Beispiel dadurch, dass sie nicht offizielles Redaktionsmitglied der Mathematischen Annalen wurde - und das, obwohl sie Tätigkeiten einer Redakteurin ausübte.

Ruth Moufang (*1905) trug wesentlich zur Entwicklung eines Spezialpapiers der algebraischen Analyse projektiver Ebenen bei. Sie stützte sich dabei auf Algebra und Geometrie und stellte Untersuchungen darüber an, was heute als Moufang-Ebene bekannt ist. Darüber hinaus entwickelte sie sogenannte Moufang-Loops (nicht-assoziative Systeme). Außerdem veröffentlichte sie diverse Artikel auf dem Gebiet der theoretischen Physik.

Ramdorai Sujatha vom Tata Institute of Fundamental Research in Mumbai, Indien, forscht zur Arithmetik zu Algebraischen Variationenzur nicht-kommutativen Iwasawa-Theorie. Sie erhielt hierfür im Jahr 2006 den Ramanujan Preis, benannt nach dem bedeutendsten Mathematiker  (Srinivasa Ramanujan, 1887-1920) Indiens des 19. Jahrhundert.

Quellen:
Prof. Dr. Andrea Blunck, Professorin für Mathematik und Gender Studies an der Universität Hamburg. Siehe auch Unterlagen Vorlesung im WiSe 2005/2006 "Frauen in der Geschichte der Mathematik".

Women and Mathematics EMS Committee 

Biographien von Mathematikerinnen

 

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Studie: Mathematik und Geschlecht in der Schule Wissenswertes für das Lehramt

Die Studie „Mathematikunterricht und Geschlecht“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beschäftigt sich mit den Fragen: Welcher Erkenntnisstand existiert zu Unterschieden in der Leistung von Jungen und Mädchen im Fach Mathematik? Wie sieht der Unterricht - aus Sicht der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte - aus? Welches Image hat Mathematik?
Die Studie kommt unter anderem zu folgenden Ergebnissen:

  • mathematischer Unterricht in Deutschland ist lehrkraftzentriert, lebensweltfern und zu wenig auf eigenständiges und kreatives Denken ausgerichtet
  • er verstärkt tendenziell die vorhandenen Geschlechterunterschiede, anstatt sie abzubauen. Dies gilt sowohl für die Leistungen als auch für das Selbstkonzept
  • ein lebensweltbezogener und „sinnstiftender“ Mathematikunterricht böte gute Möglichkeiten, Jungen und Mädchen für Mathematik zu interessieren

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MP2 – Erfolgreiches Studium in den MINT-Fächern Starthilfe für Studierende

Mathematik bereitet vielen MINT-Studierenden Kopfschmerzen, besonders in den ersten Semestern. Das Projekt MP2 – Mathe/Plus/Praxis an der Ruhr-Universität Bochum soll jetzt Studienanfängern mit Schwierigkeiten in Mathematik den Start erleichtern. Es gehört zu den Siegern des Wettbewerbs „Nachhaltige Hochschulstrategien für mehr MINT-Absolventen“ und wird vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft sowie der Heinz Nixdorf Stiftung mit rund 260.000 Euro für zwei Jahre gefördert.

Das Projekt richtet sich an zwei Gruppen von Studierenden: StudienanfängerInnen, die noch keine Lernstrategien für ein erfolgreiches Studium entwickelt haben, erhalten im Programm Mathe1Plus eine strukturierte Begleitung. Studierende, deren Motivation und Leistungsbereitschaft abnimmt, weil ihnen der Anwendungsbezug fehlt, erhalten im Programm Mathe2Praxis die Möglichkeit, auf Basis ihrer neuen Kenntnisse in der Höheren Mathematik Praxisfragen aus dem Ingenieurwesen zu lösen. Beide Maßnahmen wurden vom Servicezentrum Mathematik der RUB in enger Kooperation mit dem Rektorat und der Stabsstelle Interne Fortbildung und Beratung entworfen und sollen dem Schwund in der Studienanfangsphase entgegenwirken.

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