Prof. Dr. Dr. Nele Noesselt
Inhaberin des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt China/Ostasien
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Aktuelles DFG-Forschungsprojekt:
Noesselt, Nele (Antragstellerin & PI) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/238920157
Rollenwandel und Rollenkontestationsprozesse in der VR China: Globalisierung "chinesischer" Ordnungskonzeptionen?
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 238920157
Das Forschungsprojekt beleuchtet die globalen Implikationen, die aus den institutionellen Reformen und der Neuausrichtung des chinesischen Entwicklungsweges seit 2013 resultieren. Bei der Re-Kalibrierung des chinesischen Partei-Staates werden - wie die Auswertung der innerchinesischen Debatten zu Governance-Formen und Entwicklungswegen (2002-2017) gezeigt hat - Veränderungen des globalen Handlungsumfeldes reflektiert und mögliche Spill-Over-Effekte auf die VR China kalkuliert. Zugleich aber impliziert die verstärkte globale Präsenz der VR China und ihre neue Wirtschaftsstärke, daß chinesische Governance-Konzeptionen an Einfluß auf die Reform der internationalen Institutionenordnung gewinnen könnten. Die "Neue Seidenstraßen"-Initiative ist nur ein Beispiel, wie nationale Entwicklungsmodelle der VR China auf regionale und globale Räume umgeschrieben werden.Innerhalb der VR China liegen zahlreiche konkurrierende Konzeption von politischer Herrschaft, Ordnungsprinzipien und Chinas globaler Rolle vor, die unter den Faktionen innerhalb der Kommunistischen Partei wie auch den zahlreichen epistemischen Gemeinschaften kontrovers debattiert werden. Chinas offizielles nationales Rollenset durchläuft eine umfassende Rekonfiguration. Untersuchungen zu dem Phänomen der Rollenkontestation haben sich bislang primär auf demokratisch pluralistische Systeme konzentriert. Rollenkontestationsprozesse in modernen Autokratien sind weiterhin untertheoretisiert; die Rekonfiguration des offiziellen Rollensets der VR China und der damit verbundenen Konzepte Identität und (globaler) Status ist noch nicht umfassend systematisch aufgearbeitet worden. Das Forschungsprojekt möchte diese Lücke schließen. Hierzu sollen vertikale und horizontale Rollenkontestationsprozesse und die Rekalibrierung des offiziellen nationalen Rollensets der VR China unter Berücksichtigung der (Rollen-)Interaktionen mit zentralen anderen Staaten untersucht werden. Änderungen hinsichtlich offizieller Rollenansprüche oder Modifikationen hinsichtlich der strategischen globalen Positionierung eines Akteurs müssen nicht - wie die Forschung zu Rollenkontestationsprozessen in demokratisch-pluralistischen Systemen gezeigt hat - aus globalen Strukturveränderungen resultieren. Vielmehr können diese auch Paradigmenwechsel und die partielle Substituierung von Leitideen im nationalen Kontext abbilden. Dies hat unmittelbare Implikationen für den Bereich der Politikanalyse und Politikberatung: Eine systematische theoriebasierte Analyse der Rollenkontestationsprozesse der VR China wird vor diesem Hintergrund zu einer unverzichtbaren Grundlage für die Bestimmung der treibenden Kräfte und Determinanten hinter den offiziellen Rollenansprüchen der VR China und ihrer strategischen Positionierung in bilateralen Interaktionen und auf weltpolitischer Ebene.
English Summary:
Role Change and Role Contestation in the People's Republic of China: Globalization of "Chinese" Concepts of Order?
This project analyzes the global implications resulting from the institutional reforms and the re-steering of the PRC’s development model since 2013. The recalibration of the Chinese party-state – as the evaluation of the inner-Chinese debates on modes of governance and development roadmaps (2002-2017) evidences – reflects changes at the global level and calculates potential global-local spill-over effects. At the same time, China’s increased global presence and its economic power might imply that Chinese governance concepts and normative ordering principles will play a more prominent role in the reform of the institutional backbones of the world system in the near future. The “New Silk Road” initiative is just one example how core elements of China’s domestic development blueprints are exported to the regional and global level. Various competing views on political rule, ordering principles, and China’s global role co-exist among factions inside the Chinese Communist Party as well as among China’s epistemic communities. China’s official national role set is currently undergoing major reconfigurations, which mirror material and ideational changes at the domestic and the global level of “Chinese” politics. Studies on role contestation have so far been focused on democratic pluralist political systems – role contestation in modern autocracies has remained undertheorized; the reconfiguration of China’s official role sets and related concepts such as system identity and global status has remained underresearched. This project seeks to overcome these lacunae by undertaking a case study based analysis of the PRC’s internal and global role contestations. It will examine the ideas and normative ordering principles underlying the ongoing vertical and horizontal role contestation and the re-calibration of the PRC’s official role set – by also including China’s role interactions with “significant” other global players.Changes in terms of (role) claims or modifications of actors’ global positions do not necessarily result from global structural changes, but can – as outlined in studies on the re-bargaining of national role sets in democratic systems – be inspired by paradigm changes and the substitution of policy ideas at the domestic level. This has direct implications for the sector of policy advice and political consultation: A systematic theory-guided analysis of China’s domestic role contestations is a necessary prerequisite for assessing the drivers behind the PRC’s role claims and its strategic positioning in bilateral interactions as well as in the context of world politics.
DFG-Forschungsprojekt (Antragstellerin und Projektleiterin):
Konzeptionen von politischer Herrschaft und Entwicklungswegen in den Studien chinesischer Politikwissenschaftler
Concepts of Political Change and Legitimate Modes of Governance in the People’s Republic of China in the Studies of Chinese Political Scientists
Laufzeit: 2014-2017
Nur wenig ist bekannt über die internen Policy-Debatten sogenannter geschlossener Systeme wie der VR China und das Zusammenwirken zwischen politischen Führungseliten und Politikwissenschaftlern in der Entwicklung handlungsorientierter politischer Ideen. Zumeist ruht der Analysefokus allein auf dem sichtbaren Handeln der politischen Führungselite und ihren offiziellen politischen Stellungnahmen. Die ihrem Agieren unterliegenden Kalkulationen und Ideen werden oftmals ausgeblendet.Das vorliegende Forschungsprojekt versucht, diese Lücke durch eine systematisch-strukturierte Analyse der in der chinesischen Politikwissenschaft geführten Diskurse zu Konzeptionen politischer Herrschaft und Entwicklungswegen der VR China zu schließen. Aufgrund der engen Kopplung zwischen Politikwissenschaft und Politik in der VR China ist zu erwarten, daß die Debatten der chinesischen Politikwissenschaftler mitunter eine herrschaftslegitimierende Funktion erfüllen. Angesichts der unter den politischen Eliten der VR China weit verbreiteten Ansicht, daß Reformen für die Persistenz des politischen Regimes unverzichtbar sind, werden aber auch abstrakte theoretische Überlegungen zu alternativen Entwicklungswegen vorliegen, die auf eine Neugestaltung und zugleich Re-Legitimierung des Ein-Parteien-Systems abzielen. In diesen Überlegungen werden Elemente der chinesischen Staatsphilosophie, Beobachtungen anderer politischer Systeme und strategische Kalkulationen zusammengeführt. Die Debatten sind jedoch nicht ideologisch vereinheitlicht, vielmehr entsprechen sie dem Bild der hundert miteinander wettstreitenden Schulen.Der Kernuntersuchungszeitraum umfaßt zwei Phasen: 2002-2012 (Amtszeit Hu Jintaos) und 2012-2015 (die ersten Amtsjahre der neuen fünften Führungsgeneration). Nachdem zunächst allgemein zentrale Themen und Ideen der politikwissenschaftlichen Debatten identifiziert worden sind, soll in einem zweiten Schritt überprüft werden, welche Ideen zu politischen (Mit-)Gestaltungsideen werden und welche Faktoren hierbei ausschlaggebend sind. Im Sinne eines nested design-Ansatzes (Liebermann 2005) werden zur Analyse der politikwissenschaftlichen Debatten und ihrer rekursiven Wechselwirkung mit der chinesischen Politik qualitative und quantitative Analyseverfahren mit Fallstudien (process tracing) und vergleichenden Verfahren (fsQCA) kombiniert. Das Forschungsprojekt ist primär ein Beitrag zur Grundlagenforschung. Es eröffnet Einblicke in die moderne chinesische Staatsphilosophie, die Funktionsweisen der chinesischen Politik und die Lern- und Adaptionsprozesse autoritärer Regime. Es schlägt hierbei eine Brücke zwischen moderner Chinaforschung und Politikwissenschaft. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind aber zugleich auch Basisbausteine für die politikberatende China-Analyse: Das Projekt zeigt politische Ideen auf, welche die politikwissenschaftlichen Debatten prägen und möglicherweise in naher Zukunft zu neuen Gestaltungsideen werden könnten.
English summary:
Configurations of Governance and Development Paths in the Studies of Chinese Political Scientists
The internal policy debates of closed systems, such as the China (PRC), and the interplay between political leaders and political scientists are still an underresearched domain of Chinese politics. The analysis of Chinese politics is often restricted to the visible dimension of political actions and speech acts. The underlying considerations and reflections that shape the political decision-making process and guide political action are often neglected.The research project tries to overcome these lacunae by conducting a systematic analysis of Chinese political science debates on modes of governing and development paths of the PRC. Given the interrelation of political science and politics in the PRC, one could expect that these debates, first of all, fulfill a legitimating, confirmative function. However, a closer look at the current constellations shows that the Chinese political elites are well aware that reforms are necessary for the persistence and restabilization of the political system. Encouraged by the political authorities, Chinese political scientists have started to develop abstract ideas of political governance and economic development, which aim at a re-organization and (!) restabilization of one party rule. They eclectically combine elements of Chinese traditions, observations of other political regimes and strategic calculations. Currently, the field of political science in China reminds one of hundred contending schools, it is no longer dominated by one single unified ideologically inspired research approach.The time frame under research can be subdivided into two periods: 2002-2012 (period in office of Hu Jintao) and 2012-2015 (the first years of the new administration). The project will identify the central themes and ideas that prevail in Chinese political science debates. Furthermore, it will investigate the factors and channels, which catalyze the integration of these ideas into policymaking. Following a nested design-approach (Liebermann 2005), the analytical frame integrates elements of qualitative and quantitative analysis, process tracing and comparative approaches (Fuzzy Set Qualitative Comparative Analysis).The research project contributes to the basic understanding of modern Chinese political philosophy, the mechanisms of politics in contemporary China and learning processes of authoritarian regimes. It initiates a dialogue between Modern Chinese Studies and Political Science. The project has also implications for the sector of policy advice and political consultation: It outlines the central ideas of the political science debates that might guide and determine Chinese politics in the years to come.
„Chinesische Schule“ der Internationalen Beziehungen und „chinesische“ Weltordnungsentwürfe
Based on academic debates among political scientists in China, this project outlines basic structures and guiding principles of Chinese foreign policy. In particular, it focuses on the Chinese discussion on the possibility or even necessity to construct a "theory of International Relations (IR) with Chinese characteristics". The analysis of these scientific discussions allows insights into the ideas and principles underlying China's foreign policy behaviour. Most importantly, it also illustrates the function of IR theory as a key element of a nation's international positioning strategy in general. The analysis of the inner-Chinese IR discussion provides not only insights into China's global strategy, but also into China's ongoing nation-building programme.
Publications (selection):
Noesselt, Nele (2016), Mapping the world from a Chinese perspective?, in: Zhang, Yongjin/Chang, Teng-chi (eds.) (2016), Constructing a Chinese School of International Relations: Ongoing debates and sociological realities. London; New York: Routledge, 98-112.
This edited volume offers arguably the first systemic and critical assessment of the debates about and contestations to the construction of a putative Chinese School of IR as sociological realities in the context of China’s rapid rise to a global power status.
Contributors to this volume scrutinize a particular approach to worlding beyond the West as a conscious effort to produce alternative knowledge in an increasingly globalized discipline of IR. Collectively, they grapple with the pitfalls and implications of such intellectual creativity drawing upon local traditions and concerns, knowledge claims, and indigenous sources for the global production of knowledge of IR. They also consider critically how such assertions of Chinese voices and articulation of their ambition for theoretical innovation from the disciplinary margins contribute to the emergence of a Global IR as a truly inclusive discipline that recognizes its multiple and diverse foundations.
Reflecting the varied perspectives of both the active participants in the Chinese School of IR debates within China and the observers and critics outside China, this work will be of great interest to students and scholars of IR theory, Non-Western IR and Chinese Studies.
Nele Noesselt (2010), Alternative Weltordnungsmodelle? IB-Diskurse in China. Wiesbaden: VS Verlag.
Die innerchinesische Auseinandersetzung mit Modellen der Internationalen Beziehungen und die Konzeption alternativer Ordnungsvorstellungen sind in der westlichsprachigen Literatur bislang noch nicht aufgearbeitet worden. Damit schließt das Buch eine Lücke im Bereich der IB-Forschung, die sich bislang weitgehend auf westliche Modellentwürfe beschränkt, bietet aber auch dem Sinologen und dem an China interessierten Leser Einblick in diejenigen strategischen Diskurse, die der Ausgestaltung der chinesischen Außenpolitik und der Selbstpositionierung Chinas im Weltgeschehen unterliegen.
Nele Noesselt (2015), Revisiting the Debate on Constructing a Theory of International Relations with Chinese Characteristics, in: The China Quarterly, 222, 430-448.
After decades of policy learning and adoption of “Western” theories of international politics, the Chinese academic community has (re-)turned to the construction of a “Chinese” theory framework. This article examines the recent academic debates on theory with “Chinese characteristics” and sheds light on their historical and philosophical foundations. It argues that the search for a “Chinese” paradigm of international relations theory is part of China's quest for national identity and global status. As can be concluded from the analysis of these debates, “Chinese” theories of international politics are expected to fulfil two general functions – to safeguard China's national interests and to legitimize the one-party system.