Chemie, Sozialwissenschaften und Ingenieurwissenschaften: Studienerfolg und Studienabbruch

Hintergrund und Ziele der Studie

Während alle Hochschulen das Ziel verfolgen, bei möglichst hohem akademischen Standard eine hohe Studienerfolgsquote zu erzielen, stehen dem aktuell auffällig hohe Abbruchquoten – insbesondere in den MINT-Fächern – entgegen. Insbesondere für die MINT-Studiengänge wird hinsichtlich des akademischen Lernens eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Hochschulseite und den entsprechenden Voraussetzungen auf der Studierendenseite berichtet. Das hier beantragte Projekt zielt darauf, institutionelle und individuelle Variablen zu untersuchen, die den Studienabbruch beeinflussen. Mit Hilfe der im Projekt gewonnenen Daten wird es möglich sein, Bedingungen zu beschreiben, die einen Studienabbruch mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Dazu sollen auf institutioneller Seite zwei verschiedene Hochschultypen an Beispielen miteinander verglichen werden – nämlich Universitäten und Fachhochschulen, um fachbezogen Hinweise auf institutionsspezifische Abbruchgründe zu bekommen. Außerdem sollen zwei typische Vertreter der MINT-Fächer, Ingenieurwissenschaften und Chemie, mit Sozialwissenschaften als einem Fach verglichen werden, das möglichst andere Anforderungen an die Studierenden stellt, um so fachspezifische Abbruchgründe und Erfolgsparameter identifizieren zu können. Aufgrund der besonders großen Quote an Bildungsinländern und -ausländern[1] in Nordrhein-Westfalen sollen diese Gruppen bei der Auswertung der Daten besondere Beachtung erfahren.

Alle drei ausgewählten Fächer haben relevante Abbruchquoten; diese unterscheiden sich jedoch im Umfang des Studienabbruchs sowohl zwischen den Fächern als auch zwischen den Hochschultypen. An der Universität haben die drei ausgewählten Fächer alle hohe Abbruchquoten (Chemie 41 %, IngWi 36 %, SoWi 30 %), an den Fachhochschulen sind die Abbruchquoten insgesamt geringer, unterscheiden sich aber insbesondere in den Sozialwissenschaften massiv von den Quoten an der Universität (NaWi[2] 34 %, IngWi 31 %, SoWi 7 %) (Heublein, Richter, Schmelzer, & Sommer, 2014). Gleichzeitig werden zwischen den Fächern sehr unterschiedliche Gründe für den Studienabbruch genannt. Für die Universitäten liegen dabei fachbezogene Zahlen vor (Heublein, 2010), für die Fachhochschulen sind diese noch genauer zu ermitteln, da bei Heublein nur Fächergruppen berichtet werden. Wie in Abbildung 1 dargestellt, werden im Fach Chemie hauptsächlich Leistungsprobleme als Abbruchgrund angegeben, die auch in den Ingenieurwissenschaften den wichtigsten Grund darstellen. In den Sozialwissenschaften spielen Leistungsprobleme hingegen für den Abbruch fast keine Rolle – hier ist vor allem eine mangelnde Studienmotivation für den Abbruch von Bedeutung. Als generelle Tendenz lässt sich beobachten, dass mangelnde Studienmotivation an den Fachhochschulen eine weniger wichtige Rolle einnimmt. Aufgrund der Gruppierung von Fächern (z. B. NaWi) in bestimmten Anteilen der Daten der Heublein-Studie ist jedoch ein präziser Fächervergleich nicht möglich. Bei den Ingenieurwissenschaften liegen allerdings vergleichbare Zahlen vor, hier liegen an der Universität mangelnde Studienmotivation (25 %) und Leistungsprobleme (20 %) fast gleichauf, während an der Fachhochschule mangelnde Studienmotivation (9 %) nur eine nachrangige Rolle einnimmt. Die Leistungsprobleme (24 %) unterscheiden sich jedoch kaum von den Zahlen der Universität.   

Abbildung 1: Auswahl der untersuchten Studienfächer

Das erste Ziel des hier beantragten Projektes ist, bisher fehlende Daten zu den fachspezifischen Studienabbruchgründen zu erheben und mit diesen Daten modellbasiert die fach- und hochschultypspezifische Relevanz unterschiedlicher Faktoren für den Studienabbruch und Studienerfolg zu überprüfen. Dadurch, dass in den untersuchten Fächern unterschiedliche Gründe für den Studienabbruch eine Rolle spielen, sollen so universelle von fachspezifischen Gelingensfaktoren unterschieden werden. Dass die Abbruchgründe nicht zwangsläufig fachimmanent sind, zeigt sich vor allem dadurch, dass zwischen den Hochschultypen Universität und Fachhochschule z. T. innerhalb eines Fachs deutliche Unterschiede in den Studienabbruchquoten und -gründen bestehen.

So unterscheidet sich z. B. die Verteilung der unterschiedlichen Arten der Studienberechtigung an den beiden Institutionen deutlich. An der Universität beginnen 96 % mit der allgemeinen Hochschulreife, an der Fachhochschule nur 55 %. Die Fachhochschulstudierenden verfügen zu 37 % über die Fachhochschulreife und zu 5 % über die fachgebundene Hochschulreife (Scheller, Isleib, & Sommer, 2013). Zudem wurde die Studienberechtigung bei Studienanfängerinnen und -anfängern an Fachhochschulen nur zur Hälfte an Gymnasien oder Gesamtschulen erworben (Uni: 86 %), während ein Drittel über die Fachoberschule und berufsbildende Schulen an die Fachhochschule gekommen sind (Uni: 4 %). Erhebliche Unterschiede findet man auch im Bildungshintergrund. 40 % der Eltern von Studienanfängerinnen und -anfängern an Universitäten verfügen selbst über einen Universitätsabschluss, bei FH-Studienanfängern sind dies lediglich 27 % (Scheller et al., 2013). Demgegenüber verfügen 40 % der Studienanfängerinnen und -anfänger an Fachhochschulen über eine abgeschlossene Berufsausbildung (Uni: 11 %), weshalb sie im Schnitt bei Studienbeginn auch ca. eineinhalb Jahre älter sind als ihre Kommilitonen an den Universitäten.

Aus Studierendenstatistiken und -befragungen ist darüber hinaus bekannt, dass über alle Studiengänge hinweg Studierende mit Migrationshintergrund größere Probleme im Studium haben als Studierende ohne Migrationshintergrund. Dies gilt sowohl für Bildungsinländer, die bereits in Deutschland ihren Schulabschluss erworben haben, als auch für Bildungsausländer. Betrachtet man die reinen Abbruchquoten über alle Fächer (hier berechnet ohne Studiengangswechsler), beenden nur 24 % der deutschen Studierenden des Abschlussjahrgangs 2008 das Studium ohne Abschluss, bei den Bildungsinländern hingegen sind es schon 41 % und bei den Bildungsausländern sogar 50 % (DAAD, 2011). Die in diesem Antrag betrachtete Fächerauswahl ist für diese Gruppe von Studierenden besonders relevant. An Fachhochschulen entscheiden sich Bildungsinländer zu 79 % für ein rechts-, wirtschafts- und sozialwissenschaftliches oder ein ingenieurwissenschaftliches Studium. Die nächstgrößte Quote erreicht die Gruppe der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer. An den Universitäten zeigt sich ein ähnliches Bild, allerdings ist die Quote in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen geringer (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Studienanfänger unter Bildungsinländern (Studierende mit Migrationshintergrund, die die Hochschulreife in Deutschland erworben haben) nach (DAAD, 2011)

Das hier beantragte Vorhaben soll in Nordrhein-Westfalen (NRW) durchgeführt werden. 2010 war NRW das Bundesland mit der größten Gesamtzahl an Bildungsinländern und Bildungsausländern unter den Studierenden, prozentual liegt NRW hinter Hessen auf Platz 2 (DAAD, 2011). Eine Befragung von über 5.000 Studierenden an der Universität Duisburg-Essen zeigt, dass ausländische Studierende und Studierende mit Migrationshintergrund[3] in allen für das Lernen relevanten Kategorien (z. B. Lehrveranstaltungen folgen, Referate halten, Hausarbeiten verfassen, Prüfungsvorbereitung) größere Schwierigkeiten berichten als die Vergleichsgruppe deutscher Studierender (Müller & Kellmer, 2011).

Das zweite Ziel des hier beantragten Projekts ist es daher, zu untersuchen, welche individuellen und institutionellen Variablen den Studienerfolg und Studienabbruch insbesondere in der Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund vorhersagen und inwiefern studiengangs- und hochschulartspezifische Unterschiede vorliegen. Die Gruppe der Bildungsaufsteiger wird in diesem Zusammenhang getrennt analysiert.

 

Forschungsfragen und Methoden

Forschungsfragen.

  1. Wie unterscheidet sich die Bedeutsamkeit der im Studienabbruchmodell nach Heublein (2015) formulierten Faktoren           
    a) zwischen den Fächern
    b) zwischen den Hochschultypen,
    und c) wie interagieren diese miteinander?

Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen und der unterschiedlichen bekannten Abbruchgründe werden hier fachspezifische Ausprägungen erwartet. Insbesondere durch den Einsatz von fachspezifischen Leistungstests können Abbruchgründe im Bereich der Leistungsprobleme über die Selbstauskunft hinaus erfasst werden.

  1. Welche besonderen Gefährdungsmerkmale bzw. Probleme weisen Studierende mit Migrationshintergrund (Bildungsinländer und Bildungsausländer) und Bildungsaufsteiger auf?

Die Gruppen der Studierenden mit Migrationshintergrund und der Bildungsaufsteiger haben in ganz Deutschland, aber insbesondere in NRW, eine große Bedeutung. Die zahlenmäßig relativ großen Gruppen weisen eine hohe Affinität zu naturwissenschaftlich-technischen Fächern auf, haben aber gleichzeitig besondere Probleme im Studium.

Design. Vorgesehen ist eine Längsschnittstudie mit 4 Messzeitpunkten: Beginn des Studiums, Ende des 1. Semesters, Ende des 2. Semesters und Ende des 3. Semesters. Eine Auswertung der Modulhandbücher hat ergeben, dass die Reihenfolge der in den ersten 3 Semestern angestrebten Kompetenzen an den Hochschulen variiert, dass aber zum Ende des 3. Semesters ähnliche Kompetenzen erwartet werden. Erfasst werden Studierende der Chemie, der Ingenieurwissenschaften (am Beispiel des Maschinenbaus) und der Sozialwissenschaften, die in den jeweiligen Studiengängen an der Universität Duisburg Essen, an je einer weiteren Universität und an je zwei Fachhochschulen eingeschrieben sind, wobei hier die Hochschule Niederrhein für alle drei Studiengänge gewählt wird und jeweils eine weitere Hochschule hinzukommt. Es handelt sich um ein 3x2x4-Design mit den between-subjects-Faktoren „Studienfach“ (dreistufig) und „Hochschultyp“ (zweistufig) sowie dem within-subjects-Faktor „Messzeitpunkt“ (vierstufig).

Probanden. Je Studienfach und Hochschule werden 100 Studienanfänger akquiriert, was ein Gesamt-N von 1.200 ergibt. Mit einer Schwundquote von 15 % pro Semester sollten am Ende des dritten Semesters noch ca. 120 Studierende je Studienfach und Hochschulart in der Stichprobe verblieben sein. Die universitäre Stichprobe wird an der Universität Duisburg-Essen und einer weiteren Universität (Chemie: Universität Bonn, IngWi: RWTH Aachen, SoWi: Universität Bonn) installiert, die nicht-universitären Stichproben an den Fachhochschulen Niederrhein (alle Fächer), Köln/Düsseldorf (SoWi), der Hochschule Ruhr West (IngWi) sowie der Westfälischen Hochschule (Chemie). Von allen Projektpartnern sind entsprechende Letter of Intent vorhanden, zum Teil bestehen bereits Kooperationsverträge zwischen den betroffenen Fakultäten. Aufgrund der Erstsemesterzahlen der letzten Jahre ist anzunehmen, dass die Anfangsstichprobe von 1.200 Studierenden erreicht werden kann. Die Schwundquote von 15 % pro Semester basiert auf Erfahrungen in der Pilotstudie der DFG-Forschergruppe ALSTER an der Universität Duisburg-Essen.

Variablen. Zentrale Kriteriumsvariablen sind die Studienabbruchsintention und der tatsächlich erfolgte Studienabbruch bzw. der Verbleib im Studium. Als Prädiktoren werden Variablen des individuellen Studienprozesses erhoben (Studienverhalten, Studienmotivation, Studienleistungen und allgemeine Ressourcen) sowie die individuelle Wahrnehmung der Studienbedingungen, des Informationsstandes, der Lebensbedingungen und etwaiger Alternativen zum Studium. Als Prädiktoren hinzukommen kognitive Grundfähigkeiten, das fachliche Vorwissen zu Beginn des Studiums sowie die Entwicklung des fachlichen Wissens im Verlauf des Studiums, gemessen über fachliche Wissens- und Leistungstests. Zusätzlich werden als demographische Variablen das Geschlecht, die Abiturgesamtnote, die letzten schulischen Fachnoten (in Chemie, Physik, Technik, Mathematik, Sozialwissenschaften; Angabe der Jahrgangsstufe), die Kurswahlen in der schulischen Oberstufe (in Chemie, Physik, Technik, Mathematik, Sozialwissenschaften) und die Schulform bzw. der Bildungsgang erhoben. Ebenfalls erfasst werden der höchste Bildungsabschluss der Eltern, Geburtsland der Studierenden und der Eltern, sowie der Ort des Schulabschlusses.

 

 

[1] Bildungsinländer: Ausländische Studierende, die in Deutschland ihre Hochschulzugangs­berechtigung erworben haben; Bildungsausländer: Ausländischen Studierende, die für das Studium aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind; Studierende mit Migrationshintergrund: Bildungsinländer und Bildungsausländer.

[2] Chemie wird nicht getrennt ausgewiesen, die Quote dürfte etwas höher liegen als für alle Naturwissenschaften zusammen, da das Fach Biologie geringere Abbruchquoten bei vergleichsweise hoher Studierendenzahl hat.

[3] In der UDE-Befragung werden die Bildungsausländer als „ausländische Studierende“ bezeichnet, die Bildungsinländer als „Studierende mit Migrationshintergrund“. Bei Daten, die direkt aus dieser Studie berichtet werden, wird diese Benennung übernommen, ansonsten gilt die Definition aus Fußnote 1.

 

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