Interviewreihe mit Dr. Caroline Richter (3. Teil)

Interviewreihe mit Dr. Caroline Richter (3. Teil)„Vielfalt ist für mich Realität.“

Traumjob Uni? Dr. Caroline Richter ist glücklich an der UDE, aber Forschung und Lehre halten immer wieder Herausforderungen bereit. Hier berichtet sie über ihre Arbeit am Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ), wofür sie sich einsetzt und warum es auch spannend sein kann, ein Haus zu sein.

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Bildung, Entwicklung und sozialer Teilhabe am IAQ und in ein Drittmittelprojekt zum Thema Schule und Schulsozialarbeit involviert. In der Lehre habe ich gerade das Lehrforschungsprojekt „Kind und Karriere im Homeoffice: Digitalisierung in der Arbeitswelt aus Genderperspektive“ angeboten, davor gab es andere Seminare, Veranstaltungen, Vorträge und Publikationen. Außerdem berate ich gemeinsam mit einem Kollegen „nebenbei“ noch Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Ich bin seit 2018 an der UDE und habe seitdem drei Versuche in Sachen Drittmittelantrag unternommen; alle liefen leider aus unterschiedlichen Gründen bei den Fördermittelgebern ins Leere. Sehr viel Arbeit für umsonst.

Ihre wichtigste wissenschaftliche Erkenntnis bisher?

„Keep it simple“ und wissenschaftliche Neugier wecken sind das Wichtigste und Schwierigste zugleich. Beides zusammen erlebe ich auf Konferenzen und Sitzungen selten, zolle aber allerhöchsten Respekt für die Wenigen, die das virtuos beherrschen.

Wie bringen Studierende Sie zur Weißglut, wie in Hochstimmung?

Zur Weißglut bringen mich Studierende bislang Gott sei Dank gar nicht. Aber sie können mich durchaus erschrecken, vor allem mit der Erwartung, dass die „1,0“ die jedem Menschen qua Geburt zustehende Basisnote ist, für die jeder Abzug gerechtfertigt werden muss. Zu sehen, wie kränkend eine „2,0“ erlebt wird, ist schon beinahe Mitleid erregend. Ich fände es toll, wenn die Güte von Arbeit, Erkenntnis und Leistung nicht nur von den Bestnoten abhängig gemacht werden würde. Aber das ist sicher auch ein Zeichen der Zeit.

In Hochstimmung verfalle ich in der Lehre und bei der Betreuung von Praktika oder Abschlussarbeiten immer wieder. Entwicklung zu sehen, dabei zu sein, wenn eine Einsicht entsteht oder eine Erfahrung beflügelt und Studierende plötzlich für eine Facette von Wissenschaft Feuer fangen, das berührt mich.

Was wären Sie, wenn Sie nicht Arbeitssoziologin geworden wären? Was würden Sie einen Experten aus diesem Bereich gerne einmal fragen?

Ich weiß nicht, ob ich das wirklich geworden bin oder nicht in Teilen schon immer war. Meine Mutter erzählte mal, dass ich als Kind beim „Vater-Mutter-Kind-Spielen“ im Kindergarten immer nur „das Haus“ sein wollte. Auch als angehende Sozialarbeiterin habe ich mir immer die Strukturen, die Zusammenspiele der Professionen und die Abläufe von Kommunikation und Vereinbarungen in den jeweiligen Settings angeschaut. Dass ich damit mein Geld verdienen darf, ist großartig. Ich fühle mich genau an der Stelle, an der ich sein soll und an der ich gut bin.

Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Wissenschaft im Allgemeinen und Soziologie im Speziellen grenzen Arbeit und Freizeit gar nicht so stark voneinander ab, wie es in anderen Tätigkeitsfeldern der Fall sein kann. Bei mir ist das sehr fluide. Deshalb muss ich mich immer wieder mit meinem Umgang mit Entgrenzungsfragen auseinandersetzen, aber für akademische Selbsterfahrung gibt es wohl eh ein „nie genug“. Mein Kind ist meine liebste Beschäftigung! Klassische Hobbys und Freizeitbeschäftigungen sind Wandern und Tanzen.

Wofür setzten Sie sich ein?

Bildung ist für mich die zentrale Antwort auf zahlreiche gesellschaftliche Herausforderungen. Deshalb engagiere ich mich mit Fortbildungen und Workshops auch außerhalb der Hochschule. Mein liebstes Ehrenamt ist, als ehemalige Stipendiatin und mittlerweile auch Stifterin in einer Gemeinschaftsstiftung beim Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds mitzuwirken. Der Stiftung – es geht um Bildung – habe ich es zu verdanken, dass ich vor vielen Jahren meinen Masterstudiengang finanziell stemmen und erfolgreich beenden konnte. Seit 2017 biete ich dort recht regelmäßig Knigge-Seminare in einem Programm für Jugendliche aus herausfordernden Kontexten an. Diese Erfahrungen mit außerhochschulischen Bildungsangeboten ohne Benotungsauftrag sind für mich eine extrem wertvolle Inspiration.

 Vielfalt ist für mich …

… Realität. Keine Option, keine Idee, sondern in vielerlei Hinsicht wunderbare, menschliche und produktive Realität, in Teilen aber auch Herausforderung und Reibung. Die Soziologie weiß das schon lange. Zum Beispiel sind Vorurteile unvermeidbar und sogar wichtig, der Umgang mit ihnen ist aber das Entscheidende.

In der Lehre und Forschung verfolge ich das Thema auch als eigenen Gegenstand immer wieder und mit großem Enthusiasmus, z.B. wenn es um Behinderung und Wissenschaft geht oder zuletzt als Sachverständige der Expertenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zum Thema „Digitalisierung und Verwirklichungschancen der Geschlechter“.

Vielfalt bietet viel Auseinandersetzungspotenzial. Sie braucht aber auch Toleranz gegenüber dem, was als anders, falsch und störend wahrgenommenen wird, und den Mut zur Auseinandersetzung. Gerade jetzt im Angesicht der QAnon und Querdenken-Demos merke ich wieder, wie schwer es auch mir fällt, tolerant zu bleiben.

Die Fragen stellte Cathrin Becker.
Stand: 6/2021

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