Dossier: Gebärdensprache - Kurse an der UDE

Gebärdensprache lernen an der UDE „Schwieriger als Spanisch oder Französisch“

Wie am Geschehen teilnehmen, wenn man taub ist? Wie sprechen, wenn die gemeinsame Sprache fehlt? Für eine bessere Verständigung zwischen hörenden und gehörlosen Menschen bietet der IOS-Fremdsprachenbereich seit dem Sommersemester 2013 Kurse in Deutscher Gebärdensprache (DGS) an – mit bisher knapp 1.800 teilnehmenden Studierenden. Die Kursleiterinnen Stephanie Zouhair und Melanie Martelock über das Sprechen mit den Händen.

Frau Zouhair, Frau Martelock: Warum lernen Menschen an der UDE Gebärdensprache?

Melanie Martelock: Es ist ganz unterschiedlich. Einige Studierende wurden in ihrem Umfeld darauf aufmerksam, erlebten etwa Gehörlose in der Bahn und wurden neugierig auf die Sprache. Einige Lehramtsstudierende möchten aber auch die Gebärdensprache lernen, um später im Schulalltag besser aufgestellt zu sein. Seit dem WiSe 2014/15 haben sie an der UDE die Möglichkeit, eine Zusatzqualifikation: „Sprachbildung in mehrsprachiger Gesellschaft (ZuS)“ zu erwerben. Hierbei geht es darum, Studierende auf die sprachliche Heterogenität in ihren zukünftigen Klassen vorzubereiten. Seit dem Wintersemester 2020/21 wird ebenfalls Gebärdensprache für die Zusatzqualifikation anerkannt.

Ist es schwierig, die Deutsche Gebärdensprache zu lernen?

Zouhair: Es braucht zwar keine Vorkenntnisse, um den Kurs zu besuchen. Die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen, ist aber eher schwieriger als Fremdsprachen wie Spanisch oder Französisch. Wer etwa sein Englisch vertiefen möchte, reist in ein englischsprachiges Land oder schaut sich Filme und Serien auf Englisch an. Die Gebärdensprache ist nicht alltäglich und überall zu finden.

Martelock: Viele Studierende haben sich die Sprache einfacher vorgestellt. Wie bei jeder anderen Fremdsprache ist es wichtig, sich einzufühlen, besonders auch bei der Gebärdensprache, da diese eine rein visuelle Sprache mit viel Mimik und Gestik und ebenfalls mit eigener Grammatik ist. Im Gegensatz zu anderen Sprachkursen lernen wir nicht nur die Sprache selbst, sondern ein Teil des Kurses bezieht sich auch auf den Hintergrund der Gehörlosenkultur.

Wie läuft der Kurs praktisch ab?

Martelock: Jeder Kurs beginnt mit Mimikübungen, dem deutschen Fingeralphabet und den ersten Vokabeln für die Vorstellungsrunde. Anfangs ist es tatsächlich ein wenig ungewohnt für viele, sich so sehr auf die Finger und Hände zu konzentrieren und dabei lautlos mitzusprechen. Aber je mehr man übt, desto einfacher wird es.

Wie viele Teilnehmer:innen gibt es pro Kurs?

Martelock: Die Nachfrage nach den Kursen ist enorm. Wir können pro Kurs maximal 15 Studierende aufnehmen, um ein effektives Lernen zu ermöglichen.

Sollte das Angebot weiter ausgebaut werden und präsenter in der UDE sein?

Zouhair: Ich persönlich würde es begrüßen, wenn sich der DGS-Kurs nach GERS [Anm. d. Red.: Gemeinsamer Europäischen Referenzrahmen für Sprachen] orientiert. Dann würde mehr Unterricht stattfinden, mehr Wörter gelernt und DGS 1 kann mit A1 gleichgesetzt werden. Das bedeutet aber auch mehr Aufwand für die Studierenden

Martelock: Ja, das Angebot sollte auf jeden Fall präsenter an der Universität sein. Nicht nur bei den Studierenden, sondern auch bei den Dozent:innen. Ich freue mich, dass das Thema in der Lehre im DaZ-Modul [Anmerk. D. Red. Deutsch als Zweit- & Fremdsprache] im Lehramt-BA verankert ist. Seit dem SoSe 2017 übernehme ich eine Sitzung in einer der ausgewählten Übungen, und es findet eine erste Sensibilisierung für das Thema statt.

Frau Zouhair, Sie sind gehörlos, wie verständigen Sie sich mit nicht gehörlosen Menschen, die keine Gebärdensprache können?

Zouhair: Wenn kein:e Dolmetscher:in für Gebärdensprache und Deutsch eingesetzt werden kann, gehe ich mit der Person so um, dass ich mit ihr schriftlich, also per Handy, Papier und E-Mail oder mit der Körpersprache – z.B. auf etwas zeigen – kommuniziere. Manchmal klappt es mit dem Ablesen vom Munde gut, aber in meisten Fällen ist es nicht so. Denn die Missverständnisse sind groß, weil das Mundbild – wie Butter vs. Mutter – sehr ähnlich aussieht. Zweitens ist es schon anstrengend, mich darauf zu konzentrieren.

Frau Martelock, Sie als hörender Mensch, wie sind Ihre Erfahrungen?

Martelock: Ich stelle immer wieder fest, wie schwierig es für Gehörlose ist, sich mit Hörenden zu unterhalten. Hörende sind in diesen Situationen schnell überfordert. Der Gehörlose bemüht sich sehr, mit Hilfe des Lippenlesens den Hörenden zu verstehen. Es ist wichtig, dass zwischen beiden ein gutes Sichtfeld vorhanden ist. Oft denken Hörende, dass sie extra lauter sprechen oder überdeutlich artikulieren müssen, aber das hilft dem Gehörlosen nicht. Es reicht der direkte Blickkontakt, ein normales, nicht zu schnelles Sprechen und das Verwenden einfacher Gesten und Körpersprache.

Wünschen Sie sich verpflichtende Kurse für die DGS in der Schule?

Zouhair: Wir – die tauben Menschen – stoßen im Alltag täglich auf Kommunikationsbarrieren. Daher begrüßen wir es, wenn in jeder Regelschule das Pflichtfach „Gebärdensprache“ wie andere Fremdsprachen auf dem Stundenplan steht.

Martelock: Es sollte schon viel früher auf das Thema Gehörlosigkeit eingegangen werden, bereits im Kindergarten. Auch hörende Kinder können die Gebärdensprache lernen, zumal die Sprache eine sehr natürliche Sprache ist.

Gibt es regionale/internationale Unterschiede in der Gebärdensprache?

Zouhair: Ja, in der Lautsprache ist es auch nicht anders, da gibt es das „Kölsch“ das „Bayrisch“. In der Gebärdensprache sind die Dialekte eventuell größer als in der Lautsprache. Wenn ich in ein anderes Land reise und einer tauben Person begegne, die keine Deutsche Gebärdensprache beherrscht und ich ihre Gebärdensprache in ihrer Landessprache nicht spreche, verständigen wir uns dann in „International Sign“. Wir sprechen in Bildern, mit Mimik und Körpersprache.

Wie ist die Grammatik aufgebaut?

Zouhair: Die Grammatik ist in der Deutschen Gebärdensprache anders aufgebaut als in der Lautsprache. Das Prädikat (Verb) steht am Ende eines Satzes (Subjekt – Objekt – Prädikat) und viele Wörter werden durch Mimik „ersetzt“. Die Gebärdensprache ist kompakt.

Martelock: Auch die Fragewörter stehen immer am Ende des Satzes. Und es gibt in der Gebärdensprache keine Hilfsverben wie sein, haben oder werden.

Wie kann man neue Wörter kreieren?

Zouhair: Wenn ein neues Wort verbreitet ist, wird es am Anfang meistens gefingert (Fingeralphabet) oder der erste Buchstabe als „Hilfsmittel“ gebärdet. Im Laufe der Zeit finden wir dann die passende Gebärde. Es kommt auch vor, dass in Bayern eine andere Gebärde bevorzugt wird als im Norden.

Kann man Gendern?

Zouhair: Darüber wird in der Community noch diskutiert. Das Wort „Gender“ ist in der Gebärdensprache vorhanden. In der Gebärdensprache sprechen wir alle „geschlechtsneutral“. Wenn wir über eine bestimmte Person, z.B. Dozentin sprechen wollen, gebärden wir so: „DOZENT FRAU“. Sollten wir alle ansprechen wollen, gebärden wir so: „DIE PERSONEN“.

Erleichtert die digitale Welt Ihr Leben?

Zouhair: Auch in der digitalen Welt stoßen wir auf Barrieren, weil nicht alle Informationen in der Gebärdensprache zu sehen sind. Die schriftliche Sprache ist für uns die Fremdsprache.  Wenn ich zurückblicke, hat sich die Zeit schon verbessert. Jedoch ist „barrierefrei“ noch ein langer Weg.

Martelock: „Können Gehörlose telefonieren?“ Das ist eine Frage, die ich den Studierenden im Kurs stelle. „Klar mit dem Handy – Videotelefonie“. Doch seit wann existiert diese Möglichkeit? Was war davor? Den Studierenden wird erst an dieser Stelle bewusst, wie wichtig die Erfindung oder auch Weiterentwicklung des Handys für Gehörlose ist, da hier endlich eine barrierefreie Kommunikation möglich ist. Doch schaut man auf die alltäglichen Dinge, sieht das anders aus. Nicht überall sind TV-Filme mit Untertiteln möglich, Kinofilme mit Untertiteln werden nur gezeigt, wenn eine Kinovorstellung mit „Original mit Untertitel“ angeboten wird. Live-Sendungen werden sehr verzögert und sparsam untertitelt und am Bahnhof werden Verspätungsanzeigen nicht immer gezeigt, sondern lediglich durchgesagt. Es sind oft Dinge, die uns Hörenden gar nicht bewusst sind – sofern wir nicht darauf sensibilisiert sind.

Die Fragen stellte Jennifer Meina

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Stephanie Zouhair ist in einer tauben Familie aufgewachsen, ihre Eltern und ihre ältere Schwester sind ebenfalls taub. Die Gebärdensprache ist daher Ihre Muttersprache.

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Melanie Martelock hat mit 17 Jahren den Film „Jenseits der Stille“ gesehen. Er hat sie so fasziniert, dass sie sich seitdem intensiv mit dem Thema auseinandersetzte. Im Studium (Erziehungswissenschaften) an der UDE hat sie das Pflichtpraktikum in der Zentrale für Gehörlose e.V. in Köln absolviert und später auch ihre Diplomarbeit zum Thema ‚Entwicklung gehörloser Kinder und Jugendlicher‘ geschrieben. Nebenher hat sie an der VHS Gebärdenkurse besucht.

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Die Deutsche Gebärdensprache

Die DGS ist seit 2001 gesetzlich anerkannt und im Bereich Rehabilitation im Sozialgesetzbuch SGB IX geregelt. Gehörlose Menschen haben erst seitdem einen gesetzlichen Anspruch auf eine Begleitung durch eine:n Gebärdensprachdolmetscher:in in medizinischen Zusammenhängen, wie bei Arztbesuchen und Therapien. 2002 wurde das Bundesgleichstellungsgesetz verabschiedet, mit dem die Deutsche Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkannt wurde. Dadurch erfuhr auch die Gebärdensprachlehre Anerkennung. Stephanie Zouhair betont jedoch: „Wir streben die Anerkennung der DGS als Amtssprache an. Nur so können die Kommunikationsbarrieren abgebaut werden.“