Forschungsverbund "Kulturen des Kompromisses"
Bericht zur Internationalen Tagung „History and Theory of Compromises“
Der Bericht zur Internationalen Tagung „History and Theory of Compromises“ ist nun auf H-Soz-Kult verfügbar.
Abendvortrag von Martin Kobler (Botschafter a.D.)„Kompromiss um jeden Preis?“ – Erfahrungen aus der Praxis
Der ehemalige Diplomat Martin Kobler sprach in seinem Vortrag am 26.10.2023 über die Rolle des Mediators in der Aushandlung von Kompromissen. Dabei ermöglichte er tiefe Einblicke in seine praktischen Erfahrungen als UN-Sondergesandter am Verhandlungstisch. Kobler betonte eines der wichtigsten Merkmale der Konfliktlösung: Ohne gemeinsame Vision, gewissermaßen ohne Konsens über den Kompromiss, ist eine Lösung nicht nachhaltig.
In ihrer Vorstellung zum Gast des Abends hob Prof. Dr. Ute Schneider (Geschäftsführerin des Verbundes und Professorin für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Duisburg-Essen) die wesentlichen Fragen des Forschungsverbundes hervor, der die Praxis der Mediation und Kompromissfindung in den Blick nimmt.
Die Kunst des nachhaltigen Kompromisses aus der Sicht des Praktikers
Mit einer Art rückblickender Auseinandersetzung zu den Möglichkeiten und Grenzen des Kompromisses in der Berufspraxis hob Kobler insbesondere die Techniken der Kompromissfindung hervor. Eine Anbahnung von Konflikten sei meist schon im Vorfeld ersichtlich, sodass zwischen Meinungsverschiedenheiten frühzeitig vermittelt werden könne und die Intervention durch Dritte zur Deeskalation beitrage. Kontinuierliche Interaktion sei bei jedem dieser Schritte unbedingt nötig.
Zu beobachten seien stets typische Muster: Die Zersplitterung von Staaten, gewaltsamer Konfliktaustrag und ein politischer Prozess bis zu Verhandlungen und Bemühungen um Frieden. Dennoch existieren meist keine nachhaltigen Kompromisse, weil beispielsweise wichtige Parteien und Konfliktgegenstände ausgeschlossen sind, es Widerstände bei der Kompromissanbahnung gäbe, Kompromisse an der Realpolitik vor Ort scheiterten oder diese Prozesse ohne Produkt blieben.
„Wer vermitteln möchte, darf nie mit doppelter Zunge sprechen“
Zu Beginn seiner Karriere, Anfang der 1990er Jahre in Jericho, habe es parallele Verhandlungen im Nahostkonflikt gegeben: Friedensgespräche in Madrid und die Geheimverhandlungen zwischen Rabin und Arafat in Oslo. Hierbei habe Kobler vor allem gelernt, dass man als Mediator in der internationalen Konfliktregulierung einen Weg finden müsse, mit allen Beteiligten gleichermaßen aufrichtig zu sprechen. Auf dem Weg zu möglichen Kompromissen sei es demnach nicht wichtig, die Unvereinbarkeit der Positionen zu koordinieren, sondern parallele Strukturen zu bearbeiten, um überhaupt zu Ergebnissen gelangen zu können. Gemäß dem Credo Rabins habe Kobler mit der Unvereinbarkeit von Zielkonflikten umzugehen gelernt: „Bekämpfe den Terrorismus, als ob es keinen Friedensprozess gäbe, aber verfolge den Friedensprozess, als ob es keinen Terrorismus gäbe.“
„Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“
Kobler skizzierte schließlich entlang verschiedener Stationen seiner Tätigkeiten, wie wichtig es ist, sich der Komplexität eines Konfliktes zu stellen. Dazu gehöre es, abseits des eurozentrischen Blickes auf die Konfliktgrundlagen und Ansätze zu schauen, und lokale Interessen und Gewohnheiten in die Techniken der Regulierung zu integrieren. Schauen und Zuhören sind dabei unabdingbare Grundtechniken. Konfliktprävention folge dabei grundsätzlich eher einer 80:20 Regel, bei der zu 80 Prozent meist kein Gelingen garantiert sei, so Kobler: „In der Regel geht es schief.“ Dennoch sei es wichtig, an nachhaltigen Beilegungen von Konflikten festzuhalten und deren Lösungsreife nicht aus dem Blick zu verlieren. Diese könne dann zu gegebener Zeit durch verschiedene Techniken der Kompromissfindung unter Berücksichtigung der UN-Charta unterstützt werden. Oft gelte es jedoch dabei, rote Linien einzuhalten, denn eine unparteiliche Vermittlung garantiere nicht zwangsläufig die Neutralität der eigenen Position.
Daniel Bar-Tal: Öffentlicher Vortrag mit Buchvorstellung und Workshop
22.-25. Januar 2024
Vom 22. bis 25. Januar 2024 ist Prof. em. Daniel Bar-Tal (School of Education/Tel Aviv University) zu Gast in Münster und Essen. In einem öffentlichen Vortrag (Universität Münster) wird er sein aktuelles Buch vorstellen und schließlich im Rahmen eines Workshops (Universität Essen) inhaltlich weiteren Austausch ermöglichen.
Daniel Bar-Tal zeichnet sich insbesondere durch seine Forschungen über die sozialpsychologischen Grundlagen und die Dynamik von unlösbaren Konflikten aus. Nicht zuletzt beschäftigt er sich mit dem israelisch-arabisch-palästinensischen Konflikt und hat umfassende soziopolitische psychologische Analysen seiner Entstehung, Fortdauer und Aufrechterhaltung vorgelegt. Darüber hinaus entwickelte er in Zusammenhang mit unlösbaren Konflikten einen konzeptionellen Rahmen für das Verständnis der politischen Sozialisierung von Kindern und zur Friedenserziehung. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Arbeit im Themenfeld der internationalen Beziehungen.
Bar-Tal, Daniel: Sinking Into the Honey Trap of the Intractable Conflict: The Case of the Israeli-Palestinian Conflict, translated by Barbara Doron, Washington, DC: Westphalia 2023, ISBN: 978-1637237168
Internationaler Workshop„Kompromisse in pluralen Welten. Japan und Europa im Vergleich“
7./8. März 2024
Organisation: Jan-Hendryk de Boer, Mariko Jacoby (beide Universität Duisburg-Essen) und Manon Westphal (Universität Münster)
Im Rahmen des Workshops „Kompromisse in pluralen Welten. Japan und Europa im Vergleich“ sollen am 7. und 8. März 2024 in Essen die besonderen Formen der Konfliktregulierung in Japans Geschichte und Gegenwart behandelt werden. Diskutiert wird insbesondere, welche Rolle der Kompromiss in Japan spielt, in einer Gesellschaft, in der konsensuale Übereinkünfte einen hohen Wert darstellen und offener Konfliktaustrag nicht gern gesehen ist. Dabei wird stets ein Vergleich zu Europa gezogen, um jeweilige Spezifika und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Für die Vorträge konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus Tokyo, Hiroshima, Osaka, Leiden, Sheffield sowie Frankfurt am Main gewonnen werden.
Den Abendvortrag am 7. März 2024 wird Prof. Dr. Masaki Taguchi (Rechtsgeschichte, Universität Tokyo) halten.
Ein detailliertes Programm und weitere Informationen folgen im November.
Aktuelles
Oktober 2023Interview: Prof. Dr. Barbara Buchenau zur Lage der US-Politik - Deutschlandfunk
„Kompromisse gelten als Schwäche“ - Prof. Dr. Barbara Buchenau im Gespräch mit Mascha Drost von Deutschlandfunk zur Lage der US-Politik. Das vollständige Interview vom 08. Oktober 2023 können Sie hier nachlesen.
August 2023Interview: Kultur des Kompromisses - „Kein einfaches Geschäft“ (WELT Kultur)
Prof. Dr. Ute Schneider gab im Interview mit Christiane Hoffmans, Kulturredakteurin der WELT, Einblicke ins Forschungsprojekt „Kulturen des Kompromisses“. Das vollständige Interview vom 07. August 2023 können Sie hier nachlesen.
Juli 2023Rezensionsaufsatz „Der Kompromiss in Geschichte und Gegenwart“ erschienen
In der Neuen Politischen Literatur ist der Rezensionsaufsatz „Der Kompromiss in Geschichte und Gegenwart. Politische und historische Perspektiven“ (2023) von Dr. Jan-Hendryk de Boer und Dr. Manon Westphal erschienen. Verfügbarkeit: Open Access.
Juli 2023Ankündigung: Workshop-Reihe „Kompromisse im Mittelalter, Teil III“, 14.07.2023 - 9-13 Uhr (Zoom)
Am Freitag, den 14. Juli 2023, 9-13 Uhr laden Dr. Jan-Hendryk de Boer (Universität Duisburg-Essen), Dr. Jessika Nowak (Bergische Universität Wuppertal) und Prof. Dr. Shigeto Kikuchi (Tokio/Freie Universität Berlin) alle Interessierten wieder herzlich zur Zoom-Workshop-Reihe ein.
Das Programm als PDF finden Sie hier.
Um Anmeldung wird gebeten unter jan-hendryk.de-boer@uni-due.de.
Internationale Tagung des Forschungsverbundes „Kulturen des Kompromisses“
Vom 21.-23. Juni 2023 widmen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in verschiedenen Panels und drei Keynote-Lectures im Rahmen der Tagung „History und Theory of Compromises“ dem Phänomen des Kompromisses.
Weitere Informationen zur Anmeldung und das Programm zur Internationalen Tagung finden Sie hier.
Universität Duisburg Essen„Kompromisslos? Die politische Struktur des spätmittelalterlichen Frankreichs zwischen Konsensfiktion und offenem Konflikt“
Kolloquium am 15. Juni 2023, 16-18 Uhr c.t. (Campus Essen, ZOOM)
Welche Rolle spielen Kompromiss und Konsens im spätmittelalterlichen Frankreich? Dieser Frage widmen sich Prof. Dr. Georg Jostkleigrewe (Halle) und PD Dr. Christoph Mauntel (München) in einem Doppelvortrag.
Das 14. Jahrhundert zeigt sich dabei als Zeit, in der die politische Kultur noch weitgehend funktionierte und Übereinkünfte innerhalb der adligen Führungsschicht möglich wären. Im 15. Jahrhundert erodierte jedoch die Funktionsfähigkeit der Mechanismen, die zuvor die politische Landschaft befriedet hatten. Diese Entwicklung erlaubt, die Frage nach den Voraussetzungen von Kompromissfähigkeit anhand eines konkreten Fallbeispiels der mittelalterlichen Geschichte neu zu stellen.
Organisiert wird die Kolloqiumssitzung von Dr. Jan-Hendryk de Boer. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
Weitere Informationen erhalten Sie mit der Anmeldung.
Interview mit Jonathan FloydPublic Political Philosophy and Its Uses for Thinking About Compromise
In seinem Vortrag am 10. Mai 2023 zum Thema „Public political philosophy in theory and practice“ stellte Dr. Jonathan Floyd (University of Bristol) seinen Ansatz einer öffentlichen politischen Philosophie vor. Es ging um die Frage, was es bedeutet, politische Philosophie nicht nur für die akademische, sondern auch für die allgemeine Öffentlichkeit zu betreiben.
Mathis Knospe, Student im Fach Comparative Public Governance and European Studies an der Universität Münster und studentischer Mitarbeiter im Forschungsverbund „Kulturen des Kompromisses“, hat Jonathan Floyd anschließend für ein Gespräch getroffen.
Das Interview können Sie hier nachhören.
Mai 2023Artikel erschienen: Der „Asylkompromiss“
Im Onlinemagazin Geschichte der Gegenwart ist der Artikel „Der 'Asylkompromiss'. Historische Verortung eines aktuellen Schlichtungsversuchs“ von Dr. Stefan Zeppenfeld erschienen.
Lesen Sie mehr im Rückblick zum „Asylkompromiss“ des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1993.

Mai 2023Artikel „Cultures of Compromise in Britain and Germany after 1945“ erschienen
Im Bulletin des German Historical Institute London ist der Artikel „The Genius of Parliament: Cultures of Compromise in Britain and Germany after 1945“ - vol. 45 (2023), no. 1, 3-38 - von Prof. Dr. Constantin Goschler erschienen.

Februar 2023Zoom-Workshop „Kompromisse im Mittelalter, Teil II“
Am 3. Februar 2023 fand der zweite Zoom-Workshop zu Kompromissen im Mittelalter statt. Organisiert worden ist er erneut von Dr. Jan-Hendryk de Boer (Duisburg-Essen), Dr. Jessika Nowak (Wuppertal) und Dr. Shigeto Kikuchi (Tokio). Ziel war es, eine genauere Vorstellung von Voraussetzungen und Wirkweisen des Kompromisses in unterschiedlichen Feldern zu gewinnen.

Januar 2023Möglichkeiten und Grenzen der Modellierbarkeit von Kompromissen
Der Kompromiss in den Wirtschaftswissenschaften
Im Kolloquiumsvortrag am 19. Januar 2023 von Dr. Karsten Mause geht es darum, wie es gelingt, die Phänomene der Kompromissfindung aus ökonomisch-politischer Perspektive zu erforschen und von Konzepten des Tauschs bzw. Deals abzugrenzen.
Weiteres zum Vortrag
Wie aus anderen Disziplinen bereits festgehalten werden konnte, gilt auch für die Wirtschaftswissenschaften, dass bisher keine systematischen Analysen zum ökonomischen Kompromiss oder dem Kompromiss in der Ökonomie vorliegen und er keine Untersuchungskategorie als solche bildet.
Dr. Karsten Mause skizzierte in seinem Vortrag drei mögliche Zugänge.
So lassen sich, ausgehend von der Korporatismusforschung, die zugrundeliegenden Bedingungen und Gründe für Zusammenkünfte etwa in Tarifverhandlungen und runden Tischen auch unter dem Aspekt des Kompromisses berücksichtigen, an die übergeordnet epochale und kulturelle Vergleichsstudien anknüpfen können.
Ausgehend vom Forschungsfeld der Verbände- und Lobbyismusforschung könnten zudem Meinungs- und Entscheidungsprozesse einen möglichen Ansatz bieten, da diese an der Ökonomischen Theorie der Politik anlehnen und erweiterte Themenbereiche, wie die Umwelt- und Klimaschutzpolitik, integrieren können. Rückbindend an die ökonomischen Konflikttheorien ließen sich weitere Aspekte berücksichtigen.
Zugleich müssen in Hinblick auf eine wirklichkeitsnahe Messiness und der Rational Choice die Grenzen der Modellierbarkeit bedacht werden.
Januar 2023Lützerath und Kompromiss
„Der Kampf um Lützerath: Klimakipppunkt oder Kohlekompromiss?“ (In: Geschichte der Gegenwart). In seinem Artikel bietet Prof. Dr. Constantin Goschler, Mitglied des Forschungsverbundes, eine historische Einordnung des „Kohlekompromisses“ um Lützerath.
Einen Hörbeitrag zur „Kultur des Kompromisses“ gibt es zudem auf WDR 3 - Resonanzen.