Erklärungen zu den verwendeten Fachbegriffen stehen im Glossar.

3D-Organoide als in vitro-Modelle zur Ergänzung bzw. zum Ersatz von Tierversuchen in der Schlaganfallforschung (3DOS)

Der ischämische Schlaganfall ist eine Volkserkrankung, die das Gefäßsystem, Nervenzellen und Stützzellen des Gehirns betrifft. Weltweit werden beträchtliche Anstrengungen unternommen, um neue Therapien zu entwickeln, durch die betroffenen Patient:innen infolge eines Schlaganfalls Linderung verschafft werden kann. Die Testung neuartiger Therapien wird üblicherweise an Tieren durchgeführt, bei denen unter definierten Bedingungen im Labor ein Schlaganfall hervorgerufen wird. Mit dem Ziel der Entwicklung einer Ersatzmethode, mit welcher Tierversuche langfristig reduziert werden können, versucht ein Forscherteam, in Zellkulturschalen sogenannte 3D-Organoide zu entwickeln. Diese bestehen aus Hirngefäßzellen, Stütz- sowie Nervenzellen und sollen das Mikromilieu des Gehirns möglichst detailgetreu widerspiegeln. An diesem Modellsystem sollen Konsequenzen eines Schlaganfalls nachgestellt werden und Einflüsse innovativer Therapien untersucht werden.

Abbildung: Schematische Darstellung von dreidimensionalen Organoiden, die aus bis zu sechs unterschiedlichen Zelltypen bestehen. Die Anordnung erfolgt zum einen spontan, kann aber auch durch eine sequentielle Gabe der Zellen kontrolliert werden.

Methoden der Schlaganfallforschung im NeuroScienceLab

Der Schlaganfall ist weltweit eine der häufigsten Ursachen für dauerhafte Behinderungen oder frühzeitigen Tod. Bei einem Schlaganfall werden Teile des Gehirns von der Blutversorgung getrennt, was zu einem sofortigen Absterben der betroffenen Hirnareale führt. In den meisten Fällen verschließt ein abgelöstes Blutgerinnsel eine Hirnarterie (ischämischer Schlaganfall). Weniger häufig ist die Hirnblutung. Die beste und einzige Therapie bislang ist die schnellstmögliche Wiederherstellung der Blutversorgung bei gleichzeitiger Behandlung der auftretenden Ausfallerscheinungen:

  • Körperliche Folgen: Lähmungen, Schluckstörung, Muskelverkrampfungen, epileptische Anfälle, Demenz
  • Neuropsychologische Folgen: Sprach-, Seh-, Wahrnehmungs-, Planungs-, Konzentrations-, Aufmerksamkeitsstörungen sowie Persönlichkeitsveränderung
  • Psychologische Folgen: Depression, Angststörungen

In der Neurologie wird der häufig auftretende ischämische Schlaganfall nach einem Gefäßverschluss entweder in der Zellkultur oder im Tiermodell untersucht. Das Tiermodell ist leider unverzichtbar, da nur so die komplexen Wechselwirkungen, z.B. zwischen unterschiedlichen Gehirnzellen oder Arealen miteinander, Gehirn und anderen Organen, Gehirn und Blutkreislauf oder Gehirn und Immunsystem untersucht werden können. Die eingesetzen Tiere werden engmaschig von geschultem Personal untersucht und bekommen wie menschliche Patient:innen, schmerzlindernde Medikamente. Die körperlichen Ausfälle werden bestmöglich kompensiert, z.B. durch besser erreichbares und weicheres Futter und eine warme und ruhige Tierhaltung.

Es werden möglichst viele Untersuchungen an einem Tier durchgeführt, z.B. werden das Schlaganfallvolumen, mögliche Wassereinlagerungen oder Blutungen mittels MRT untersucht. Immunsystemveränderungen werden in Blutproben gemessen, die Ausfallerscheinungen nach einem Schlaganfall durch Verhaltenstests ermittelt. Alle erwähnten Methoden können im lebenden (eventuell narkotisierten) Tier durchgeführt werden. Das wichtigste Gewebe bleibt aber das Gehirn, welches daher am Versuchsende entnommen werden muss, um detailliert studiert zu werden. Hierbei wird festgestellt, was in einer bestimmten Zelle, auf Protein- oder auch auf DNA-Ebene nach einem Schlaganfall im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, verändert ist.

Mediaokklusion in der Maus – Auslösen eines Schlaganfalls

Ein steriler Silikonfaden wird über die Halsarterie der narkotisierten Maus eingeführt und vorsichtig bis zur Abzweigung der mittleren Hirnarterie geschoben. Der Blutfluss wird dadurch unterbrochen. Nach einer bestimmten Zeit wird der Faden gezogen und alle Wunden wieder vernäht. Bevor die Maus aus der Narkose erwacht, werden Schmerzmittel verabreicht und die Tiere wachen in einem warmen Käfig unter Beobachtung auf. Anschließend werden folgende Untersuchungen durchgeführt:

  • Auswertung des Schlaganfalls
    • Schlaganfallgröße, Wassereinlagerungen oder Blutungen, um den Vergleich mit Patient:innen zu haben
    • Gefäße: Blutgerinnsel im Gefäß, Gefäßneubildung, Blut-Hirn-Schrankenstörungen
    • zelluläre Fragestellungen im Gehirn: wie viele Zellen X gibt es, wo befindet sich Zelle Y, welche Zelle ist tot
    • Methoden: MRT und Histologie des Hirngewebes, PCR, Western Blot, ELISA
  • Verhaltenstest für motorische oder psychische Veränderungen
    • Koordinations- oder Ängstlichkeitsauffälligkeiten, Methoden: Labyrinth Test (Open Field, Elevated Plus Maze)
    • Koordination, Muskelschwächen, Gangauffälligkeiten, Methoden: Rotarod, Pfotenstärke, Balkentest, Tesa Test, Laufverhalten
  • Inflammation (Entzündung)
    • Allgemeiner Immunstatus, Methoden: Blut-, Lymphknoten-, Milzproben
    • Inflammation im Gehirn, Methoden: Durchflusszytometrie, Histologie, Western Blot, PCR, ELISA

Auslösen eines Schlaganfalls in der Maus durch Mediaokklusion

Schmatische Darstellung (links), isoliertes Mausgehirn mit sichtbarem Faden und Schlaganfallbereich (Mitte),  und Anfärbung des Schlaganfallbereiches und MRT-Aufnahmen (rechts).

Verhaltenstest: Rotarod

Kurz nach dem Schlaganfall leiden die Tiere unter Koordinationsstörungen und können sich schlecht auf dem Rad halten. Mit fortschreitendem Heilungsprozess lässt sich eine deutliche Verbesserung der Koordination beobachten.
 

Gewebeschnitt nach Schlaganfall

An Gewebeschnitten können viele verschiedene Färbungen durchgeführt werden. Hier ist eine Immunfluoreszensfärbung zu sehen. Intakte Nervenzellen sind lila angefärbt, Astrozyten grün.

Diagnostik mittels Durchflusszytometrie

Es wurden Zellen aus dem Gehirn isoliert, die an der Heilung des Schlaganfalls beteiligt sind. Jeder Punkt steht für eine Zelle. Mit Antikörperfärbungen lassen sich bestimmte Zelltypen unterteilen und bezüglich ihrer Funktion untersuchen.

Sauerstoff- und Zucker-Entzug bei Zellen (englisch: OGD = Oxygen Glucose Deprivation)

Hierbei handelt es sich um Experimente mit Zellkulturen und somit um eine Ergänzungsmethode bzw. Ersatzmethode zum Tierversuch. Neuronale Zellen werden in einem zuckerreduzierten Medium bei gleichzeitigem Sauerstoffentzug für eine bestimmte Zeit kultiviert um die schlaganfallbedingte Unterversorgung der Neurone zu simulieren. Je nach Länge der Inkubationszeit sterben die Zellen oder sind lediglich geschwächt. Je nach Fragestellung kann nun ein Stoff oder eine andere Zellart hinzugefügt werden. Ausgewertet wird die Zellzahl, der Anteil toter Zellen oder die Reaktion der Zellen mittels Antikörperfärbungen von spezifischen Proteinen, PCR, Western Blot, ELISA u.w.