GUIDE - Gründungsszene und Geschlechterforschung

Start-up Coffee Talk #4Women Entrepreneurship – Erfolgsfaktor für Gründungen?

Wie sind Frauen in der Gründungsszene vertreten und welchen Input können wir für eine optimale Unterstützung von Women Entrepreneurs aus den Erkenntnissen der Geschlechterforschung ziehen? Diese und weitere Fragen hat Gründungscoach Jennifer Raab im Gespräch mit Dr. Maren A. Jochimsen, Geschäftsführerin des Essener Kollegs für Geschlechterforschung an der Universität Duisburg-Essen erörtert.

Die Erhebung des Female Founders Monitors 2020 zeigt, dass der prozentuale Anteil von Gründerinnen zwar im 6. Jahr in Folge gestiegen ist, dennoch liegt ihr Anteil an Start-up Gründungen derzeit nur bei 15,7 %. Um die Gründe für die aktuelle Situation verstehen und auf dieser Basis geeignete Ansatzpunkte und Maßnahmen zum Anstoß von Veränderungen identifizieren zu können, können analytische und konzeptionelle Ansätze aus der Geschlechterforschung einen wertvollen Beitrag leisten.

So können mit dem analytischen Instrumentarium der Geschlechterforschung Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aus mehrdimensionaler Perspektive betrachtet und deren teils komplexe Ursachen entlang der strukturellen (agency and institutions), symbolischen (representation, interpretation, cognition), subjektiven (performance, experience, identity) und materiellen/körperlichen (bodies, bio-medicine) Dimensionen von Geschlecht untersucht werden.

Wege zur Chancengerechtigkeit

Als mögliche Ansätze, der ungleichen Repräsentanz von Gründerinnen entgegenzuwirken und Chancengerechtigkeit im Start-up-Bereich herzustellen, können die strategischen Zugänge zur Förderung von Chancengerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung eine Anregung sein. Diese werden auf nationaler und internationaler Ebenen von den beteiligten Akteur*innen in unterschiedlichem Ausmaß und auch zeitgleich beschritten: „Fix the Numbers“ zur Erhöhung der Teilnahme und Teilhabe durch Unterstützung des Individuums, „Fix the Institutions“ im Sinne eines strukturellen Wandels in den Forschungsinstitutionen und „Fix the Knowledge“ als Verankerung von Geschlechterwissen in Forschung und Gesellschaft.

Chancengerechtigkeit im Gründungs- und Start-up-Bereich stellt sich aus Sicht der Geschlechterforschung nicht nur als eine Frage gerechter Teilnahme und Teilhabe, sondern auch als eine Frage der mit den hergestellten Produkten und Dienstleistungen verbundenen Qualität dar. Beispielsweise können in divers zusammengesetzten Teams unterschiedliche Perspektiven bereits von Anfang an bedacht werden. Auf diese Weise können oft Entwicklungsschritte vor der Markteinführung bereits berücksichtigt werden, wie das Beispiel einer Stimmsteuerung für ein Garagentor zeigt, die den Frequenzbereich der weiblichen Stimme in der Entwicklung nicht berücksichtigte und somit initial nur für tiefe Stimmen funktionierte. Erst wenn über Geschlechterunterschiede diskutiert und genauer hingeschaut wird, können umfassende wissenschaftliche und produktionsbezogene Erkenntnisse gewonnen werden. Als anschauliches Beispiel nannte Dr. Jochimsen die Entwicklung von Medikamenten, deren Wirksamkeit bei Frauen in der Entwicklung unzureichend berücksichtigt wurde und die somit Gefahr laufen, für diese weniger wirksam, wenn nicht gleich gänzlich ungeeignet zu sein.

Maßnahmen mit Potenzial

Welche Maßnahmen können wir nun aus der Sicht der Genderforschung ergreifen, um Genderungleichheiten im Entrepreneurship zu begegnen und eine gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter und eine geschlechtergerechte Qualität der hergestellten Produkte und Dienstleistungen zu sichern?

Zur Steigerung des Anteils von Gründerinnen können gemäß dem Ansatz „Fix the Numbers“ auf der individuellen Ebene spezielle Angebote für (potentielle) Gründerinnen wie Fortbildungsangebote, Mentoring Programme, Sichtbarkeit von Vorbildern, Vernetzungsmöglichkeiten entwickelt und bereitgestellt werden. Hier setzen Programme wie Grace Accelerator, Women Entrepreneurs in Science, encourageventures e. V. an. Parallel dazu gilt es, durch das Individuum nicht beeinflussbare Geschlechterungleichheiten auf der strukturellen Ebene zu adressieren. So erfordert beispielsweise die Bearbeitung der Ungleichbehandlung der Geschlechter bei der Vergabe von Startkapital durch kreditvergebende Institutionen gemäß dem Ansatz „Fix the Institutions“ den Einbezug der Institutionen des Finanzsektors in die Ursachenanalyse wie auch in die Entwicklung von Lösungen. Unterstützt durch die Erhebung empirischer Daten könnten hier vorhandene – oft unbewusste – stereotype geschlechterspezifische Vorbehalte (gender bias) gegenüber einer Kreditvergabe an Gründerinnen z. B. über in der Fördermittelvergabe von Forschungsförderinstitutionen erprobte Vorurteilsbewusstmachungsprogramme (unconscious bias training modules) bearbeitet und abgebaut werden. Im Sinne des Ansatzes “Fix the Knowledge” schließlich könnten Maßnahmen überlegt werden, den Start-up-Sektor und seine Akteur*innen für geschlechtersensible Produkt- und Dienstleistungsinnovationen zu begeistern, um die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen, von denen alle Geschlechter profitieren, sicherzustellen.

 

Weiterführende Informationen

EKfG

Gendered Innovations

Female Founders Monitor 2020

Start-up Monitor 2020

Women Entrepreneurs in Science

Female Business Essen

Encourage Ventures

Female Founders Impact Hub

Female Academic Entrepreneurs@RUB