Chronik der Gesamthochschulgründungen in Duisburg & Essen

Collage verschiedener Bilder aus der Geschichte der Gesamthochschulen

Einleitung

Ebenso wie die 2003 durch Fusion errichtete Universität Duisburg-Essen sind auch die 1972 erfolgten Gründungen ihrer beiden Vorgängereinrichtungen – der Gesamthochschulen Duisburg und Essen – im Zusammenhang der damaligen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu sehen.

 Mehr zu den Hintergründen erfährt man hier:

 Bildungspolitische Aufbruchstimmung in NRW

Seit den 1960er Jahren beschäftigte sich die Politik in Nordrhein-Westfalen intensiv mit der Frage nach dem Ausbau der Universitäten und einer planvollen Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Ausgelöst wurde dieser Prozess durch mehrere Faktoren:

  • die Schockreaktion in der westlichen Welt auf den Start des ersten künstlichen Satelliten – gestartet durch die Sowjetunion in der Hochphase des Kalten Kriegs am 4. Oktober 1957 (Sputnikschock),
  • die Erkenntnis, dass die seit Jahren kontinuierlich steigende Zahl von Studierenden in Deutschland keine Ausnahme, sondern die Regel bilden würde,
  • den Niedergang des Steinkohlebergbaus Ende der 1950er Jahre im Ruhrgebiet (Kohlekrise).

Bis 1970 führte dies zur Gründung von vier neuen Universitäten allein in unserem Bundesland. Dabei profitierte mit der Errichtung der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Dortmund sowie mit der Umwandlung der regional angesiedelten Pädagogischen Akademien in die Pädagogische Hochschule Ruhr und der Folkwangschule in Essen in die Hochschule für Musik, Theater und Tanz insbesondere das Ruhrgebiet. Die Region zeigte sich somit bereits recht gut aufgestellt angesichts der von dem Philosophen und Pädagogen Georg Picht 1964 ausgelösten berühmt-berüchtigten Diskussion um die „deutsche Bildungskatastrophe“: Sie drückte die Sorge aus, dass die Bundesrepublik im internationalen Bildungsvergleich überaus schlecht abschneiden würde.

Literatur zum Thema:

Georg Picht: Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Olten 1964. In der UB finden

 Gründung der Fachhochschulen 1971

Der hochschul- und wissenschaftspolitische Konjunkturtrend sollte sich weiter fortsetzen. Maßgeblich getragen wurde dieser durch den Modernisierungskurs der regierenden sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP seit 1966, die auf weiter steigende Studierendenzahlen und lauter werdende Forderungen der Studierenden nach besseren Studienbedingungen und Qualifikationen reagieren musste. Die Neuerungen betrafen hierbei zunächst den Bereich der angewandten Wissenschaften, der insbesondere Kurzstudiengänge anbieten sollte:

1971 wurde die stark ausdifferenzierte Fachschullandschaft in Nordrhein-Westfalen, bestehend aus den praxisorientierten Ingenieurschulen, höheren Fachschulen und Werkkunstschulen, in insgesamt 15 neuerrichtete Fachhochschulen (FH) überführt. Vor allem sollten die FH das nicht mehr zeitgemäße Ingenieurstudium in Praxis und Theorie reformieren und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Absolvent:innen auf dem (inter-)nationalen Arbeitsmarkt verbessern.

Allein fünf dieser neuen Einrichtungen waren im Ruhrgebiet verortet.

Literatur zum Thema:

Werner Mayer: Bildungspotential für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Die Entstehung des Hochschultyps "Fachhochschule" in Nordrhein-Westfalen 1965-1971. Düsseldorf 1997. In der UB finden

 Die Gesamthochschule als neuer Hochschultyp

Mit dem „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975“ legte die Landesregierung im März 1970 die weiteren Entwicklungslinien fest. Demnach sollten acht sogenannte Gesamthochschulen über das ganze Bundesland verteilt entstehen, die – wie der Name schon andeutet – ein umfassendes Lehrangebot realisieren würden. Kern der Einrichtungen sollten jeweils eine „alte“ Universität bzw. Technische Hochschule sein sowie eine neue Universität mit erziehungswissenschaftlichem Schwerpunkt.

Diese Pläne gab der neue Minister für Wissenschaft und Forschung, Johannes Rau, allerdings schon im Dezember wieder auf – angesichts des Konfliktpotentials, das sich aus der Ressourcenverteilung zwischen alten und neuen Universitäten ergeben würde. Stattdessen beschloss die Landesregierung im April 1971, fünf „integrierte Gesamthochschulen“ zu errichten, und zwar in Abkehr von dem zuvor angedachten Prinzip einer „Metropolisierung“ an den folgenden Standorten ohne „alte“ Universitäten:

  • Duisburg
  • Essen
  • Paderborn
  • Siegen
  • Wuppertal.

Unter dem Motto: gleiche Bildungschancen für alle, sollte die neue Hochschulform den Studierenden Perspektiven eröffnen durch

  • Studienreform (Neuordnung des Studien- und Prüfungswesens),
  • ein erweitertes Studienplatzangebot (Verdoppelung der Studienplätze bis 1980 auf 219.000),
  • Verortung der Hochschulen an Standorten, die bislang über keine oder wenige Hochschuleinrichtungen verfügten („Regionalisierung“).

Organisatorisch bedeutete das eine Zusammenfassung von bestehenden Hochschuleinrichtungen an einem Standort unter einem Dach (Universitäten, Pädagogische Hochschulen, Fachhochschulen); inhaltlich die Bündelung der an wissenschaftlichen und Fachhochschulen realisierten Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium. Gleichzeitig sahen diese Zielvorgaben einen massiven Ausbau des tertiären Bildungssektors in geographisch und sozial benachteiligten ländlich oder industriell geprägten Regionen vor.

 Die Studienreform als Kern

Eng mit dem Ziel der Chancengleichheit in der Bildung für alle war die sogenannte Studienreform verbunden. Dem neuen Hochschultyp der Gesamthochschule sollte der Auftrag mitgegeben werden, abgestufte und aufeinander bezogene Studiengänge einzurichten. Dies stellte den Kern der Studienreform dar.

Mit der Ausrichtung der Studiengänge sollte erreicht werden, dass Studierende im tertiären Bildungsbereich

  • stärker auf konkrete Tätigkeitsfelder hin ausgebildet werden, z.B. bei der bislang eher theoretisch geprägten Gymnasiallehrer:innenausbildung,
  • wissenschaftliche Arbeitsmethoden vermittelt bekommen (und nicht nur Wissensstoff), um eigenständig Lösungswege zu erarbeiten (forschendes Lernen)
  • zwischen (Fach-)Hochschulstudiengängen wechseln und Studieneinheiten kombinieren und austauschen können,
  • in kürzerer Zeit ihren Abschluss erlangen.

Literatur zum Thema:

Gerhard Rimbach: Vom Reformmodell zur modernen Universität. 20 Jahre Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1992. In der UB finden

Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen: Zur Gründung von fünf neuen Gesamthochschulen. Hg. v. Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Wuppertal 1972. In der UB finden

Die Ereignisse im zeitlichen AblaufDas Gründungsjahr 1972

Die Pläne der Landesregierung wurden am 1. August 1972 konkret:

Insgesamt wurden fünf Gesamthochschulen errichtet in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal (die heutige Fernuniversität Hagen wurde ebenfalls als Gesamthochschule gegründet, allerdings erst 1974).

Diese Seite wird 2022 regelmäßig mit neuen Inhalten gefüllt. Tagesaktuell werden hier Beiträge zu den wichtigsten Stationen aus dem Gründungsjahr der beiden Gesamthochschulen Duisburg und Essen vor 50 Jahren freigeschaltet.

Es lohnt sich also, regelmäßig reinzuschauen!

Januar 1972

Von der Stadt Duisburg veröffentlichtes Werbematerial (1970)

DuisburgEine Hochschule für Duisburg?

Schon einmal – von 1655 bis 1818 – ist Duisburg Universitätsstadt gewesen. Anfang der 1970er Jahre bemühten sich Vertreter der Stadt an diese Zeit anzuknüpfen und wieder eine Volluniversität nach Duisburg zu holen.

Als das Jahr 1972 begann, waren diese Versuche bereits weitestgehend mit Erfolg gekrönt worden: Im Laufe des Jahres will die Landesregierung hier eine der fünf neuen Gesamthochschulen errichten.

Bild: Von der Stadt Duisburg veröffentlichtes Werbematerial (1970)

 

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Dass Duisburg eine eigene „vollwertige“ Hochschule erhalten soll, ist zu Beginn des Jahres 1972 beschlossene Sache – zumindest auf dem Papier. Dabei sah das „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975“ der sozialliberalen Landesregierung vom März 1970 zunächst vor, eine „Rhein-Universität“ als Gesamthochschule zu errichten. Sie sollte die Standorte Düsseldorf, wo bereits seit 1965 eine „alte“ Universität bestand, sowie Duisburg und Wuppertal einbeziehen. An den letzten beiden Orten sollte dann ein erziehungswissenschaftlicher Schwerpunkt liegen.

Die Stadt Duisburg, die aufgrund der bereits seit 1968/69 bestehenden Abteilung der Pädagogischen Hochschule (PH) Ruhr über einen solchen erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkt verfügte, bemühte sich allerdings von Anfang an, eine eigenständige „Volluniversität“ mit naturwissenschaftlich-technischen Zweigen zu erhalten. Unterstützung erhielt sie dabei von Kultusminister Fritz Holthoff (1915-2006), der als ehemaliger Beigeordneter und Schuldezernent der Stadt für diese Wahl großen Einsatz zeigte. Durch die Wiedererlangung des Status als Universitätsstandort – von 1655 bis 1818 existierte in Duisburg bereits eine Universität – erhofften sich die Stadtväter folgende Vorteile:

  • Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit,
  • Hebung des Bildungsniveaus in der Region,
  • Bereicherung des angesichts des Strukturwandels tristen, von Kohle- und Stahlindustrie geprägten Ortsbilds mit neuen Wirtschaftsstrukturen.

Als im Dezember 1970 der neue Minister für Wissenschaft und Forschung Johannes Rau die Pläne für die „Rhein-Universität“ im Zuge der Errichtung von „integrierten Gesamthochschulen“ aufgab, wurde Duisburg tatsächlich eine eigenständige universitäre Einrichtung in Aussicht gestellt – wenn auch nicht in der Gestalt, wie es die Vertreter*innen der Stadt vor Augen hatten. Denn das reformorientierte Konzept der Gesamthochschulen entsprach kaum dem Aussehen einer traditionellen Universität. Dennoch war das Echo auf die Errichtungspläne – zumindest seitens der bestehenden akademischen Einrichtungen – positiv: Der PH-Dekan und zukünftige Gründungsrektor der Gesamthochschule Duisburg, Prof. Helmut Schrey, zeigte großes Engagement bei der Überführung der bereits bestehenden Fachhochschule sowie der PH Abteilung in die zu gründende Einrichtung.

Karte des Stadtplanungsamt Essen mit in Betracht bezogenen Standorten für die Gesamthochschule Essen (1970)

EssenDie einzige Gesamthochschule mit Medizinstudium

In Essen hat man sich schon seit den 1960er Jahren um die Errichtung einer Universität bemüht. Die Stadt unterliegt aber im Standortwettbewerb zunächst gegenüber Bochum und Dortmund. Erst 1972 soll auch hier eine Gesamthochschule die Bildungslandschaft des Ruhrgebiets ergänzen.

Ein Alleinstellungsmerkmal der Essener Gesamthochschule ist die geplante Möglichkeit eines Medizinstudiums. Ermöglicht wird dies durch die Integration des Universitätsklinikums Essen der Universität Bochum. Ermöglicht wird dies durch die Integration des Universitätsklinikums Essen der Ruhr-Universität Bochum. Besonders die dortigen Professor:innen zeigen sich aber wenig begeistert von den Plänen der Landesregierung.

Bild: Plan des Standtplanungsamts Essen zur Standortfindung der Gesamthochschule Essen (1970)

 

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Zu Beginn des Jahres 1972 ist – wie auch in Duisburg – klar, dass Essen eine vollwertige Hochschule erhält: Schon im März 1970 sah die Landesregierung den Einbezug in die Gesamthochschulplanung vor. Zusammen mit der Universität Bochum soll hier gemäß dem „Nordrhein-Westfalen-Programm ´75“ ein Schwerpunkt im Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin entstehen.

Als wichtiger politischer Akteur für diese Standortwahl erweist sich Hans-Joachim Bargmann (1928-1972), der als SPD-Kulturausschussvorsitzender des Landtags und Dezernent für das Schul-, Hochschul- und Sportamt der Stadt Essen hohen persönlichen Einsatz für die Errichtung der Gesamthochschule zeigt. Zur Realisierung der Gesamthochschulgründung hatte die Stadt Essen u. a. einen Sachverständigenbeirat eingerichtet, der sich mit der konkreten Detailplanung befassen sollte. Als prominente Vertreter sind u. a. der Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich Freiherr von Weizsäcker, Neffe des gleichnamigen späteren Bundespräsidenten, sowie der Soziologe Helmut Schelsky (1912-1984) Mitglieder des Gremiums.

Als Standort innerhalb des Stadtgebietes hatte man sich für das Segeroth-Viertel im Norden entschieden – eine Entscheidung, die nicht unumstritten ist. Denn der Stadtteil besitzt als Arbeiter*innenviertel ein eher schlechtes Image innerhalb der Stadt, soll aber den Einbezug auch von bildungsfernen Schichten ermöglichen. Zudem setzen sich Studierende dafür ein, den Standort der neuen Hochschule weiter in das westliche Ruhrgebiet zu verschieben, um die Forderung nach Bildungschancengleichheit zu untermauern. Schlussendlich wird es jedoch beim Bau des Campus im Segerothviertel bleiben.

Der Lehrbetrieb wird zum Wintersemester 1972/73 aufgenommen werden können. Dabei wird allerdings insbesondere die Integration des 1963 errichteten Universitätsklinikums zu vom „Standesdünkel“ motivierten Widerständen führen. So sehen die Vertreter*innen des Fachbereichs ihren wissenschaftlichen Rang angesichts der Zusammenführung von Fachhochschullehrer*innen und Universitätsprofessor*innen unter dem Dach des neuen Hochschultyps gefährdet, den sie sich in den Jahren zuvor insbesondere im Bereich der Tumorforschung erworben hatten.

Reinhard Bulitz (1986, Stadtarchiv Duisburg)

Duisburg24. Januar – Keine Hindernisse mehr für die Gesamthochschule Duisburg?

Stellvertretend für die SPD-Fraktion der Stadt Duisburg stellt Ratsherr Reinhard Bulitz am 24. Januar den kommunalen Haushaltsplan seiner Fraktion vor. Die noch in der Konzeption befindliche „Universität Duisburg“ fand nur nebenbei Erwähnung. Berichtet wurde aber u.a. „dass der Geländeerschließung in diesem Jahr nichts mehr im Wege steht.“

Tatsächlich sollte sich die Erschließung des Baugrundstückes im Laufe des Jahres zu einem Problem entwickeln, an dem die Duisburger Hochschule fast scheitert.

Bild: Reinhard Bulitz (1986, Stadtarchiv Duisburg)
Das heutige Gebäude BA am Campus Duisburg, ehemaliger Sitz der Fachhochschule (25.06.1973)

Duisburg26. Januar – Ingenieursausbildung mit Tradition

Am 26. Januar 1972 wird mit Dipl.-Ing. Günther Engelhardt ein neuer Rektor für die Fachhochschule Duisburg gewählt. Dass Engelhardt eine äußerst kurte Amtszeit bevorsteht, ist ihm bewusst: Die gerade erst gegründete FH Duisburg soll bereits im Laufe des Jahres in der neuen Gesamthochschule Duisburg aufgehen.

Bild: Das heutige Gebäude BA am Campus Duisburg, ehemaliger Sitz der Fachhochschule (25.06.1973)

 

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Der neue Rektor der in der Duisburger Bismarckstraße ansässigen Fachhochschule, Dipl.-Ing. Günther Engelhardt, wird gewählt. Ihm und seinem Stellvertreter (Prorektor), Dipl.-Ing. Josef Elfert, ist allerdings angesichts der Gesamthochschulplanungen nur eine kurze Amtsdauer beschieden. Die gesamte Hochschulleitung wird daher schon am 31. Juli zurücktreten.

Die Ausbildung von Ingenieur*innen hat in Duisburg eine Tradition, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Mit der zunächst in Bochum ansässigen Maschinenbau- und Hüttenschule verfügte die Stadt bereits seit 1891 über eine bedeutende Einrichtung zur Ausbildung von Werkmeistern für die Industriebetriebe im Ruhrgebiet. Seit 1938 als staatliche Ingenieurschule geführt, ging sie 1971 in der neugegründeten Fachhochschule Duisburg auf, mit Sitz in der Bismarckstraße (im Lageplan der Universität Duisburg-Essen heute B-Bereich).

Anders als viele der anderen zu Beginn der 1970er Jahre gegründeten FH war die Lebensdauer der Duisburger (und auch der Essener) FH allerdings nur von kurzer Zeit. Denn die Landesregierung hatte schon für 1972 die Errichtung einer Gesamthochschule vorgesehen, in der diese zusammen mit der Abteilung Duisburg der Pädagogischen Hochschule Ruhr vereint werden sollten.

Für das Studium der Ingenieurwissenschaften sind dem integrierten Gesamthochschulkonzept folgend sowohl Kurzstudiengänge (entsprechen der anwendungsorientierten FH-Ausbildung) als auch Langstudiengänge (entsprechen der forschungsbezogenen Ausbildung an einer Technischen Hochschule) vorgesehen. Die Studierenden beider Studiengänge sollen das gleiche Grundstudium absolvieren, erst für das Hauptstudium entscheidet man sich für eine Fachrichtung (sog. YModell). Das Prinzip der Chancengleichheit für alle Studierenden sollte durch eine entsprechende Durchlässigkeit der Studiengänge gewahrt werden.

Februar 1972

Plakat zu den Duisburger Universitätstagen

Duisburg01. Februar – Alte und neue Universität

Anders als in Essen kann man in Duisburg auf die Tradition einer „alten Universität“ zurückblicken. Obwohl diese 1818 geschlossen wurde, werden bereits vor Gründung der Gesamthochschule Duisburg Parallelen zwischen alter und neuer Hochschule gesucht.

Auch Prof. Helmut Schrey, Dekan einer Abteilung der Pädagogischen Hochschule in Duisburg, setzt sich in einem Vortrag anlässlich der am 1. Februar 1972 gestarteten „Duisburger Universitätstage“ mit der Beziehung zwischen der neuzeitlichen Universität und der kommenden Reformhochschule auseinander.

Bild: Plakat für die Duisburger Universitätstage 1972

 

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Mit den „Duisburger Universitätstagen“ eröffnet die „Gesellschaft der Freunde der Niederrheinischen Universität“ am 1. Februar 1972 eine Veranstaltungsreihe zur künftigen Hochschule. Gründungsrektor Prof. Helmut Schrey hält einen Vortrag zur Beziehung von alter und neuer Universität Duisburg mit dem Untertitel: „1655 – 1818 – 1972“. Wie diese Jahreszahlen verraten, hat Duisburg gegen- über den anderen NRW-Städten, an denen 1972 Gesamthochschulen errichtet wurden, eine Besonderheit: Es gab schon früher einmal eine Universität.

Von 1655 bis 1818 forschten und lehrten an der klevischen Landesuniversität insgesamt 109 Professoren an den vier – damals für eine Volluniversität üblichen – Fakultäten für Theologie, Jura, Medizin und Philosophie. Ihre Hauptgebäude lagen im Bereich der Universitätsstraße in der Duisburger Altstadt. Wie auch heute viele Hochschulen mit knapper werdenden Ressourcen umgehen müssen, so hatte auch die alte Universität Zeit ihres Bestehens mit einer zu geringen Finanzausstattung zu kämpfen. Und so setzte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der allmähliche Verfall ein, wozu eine immer kleiner werdende Studierendenzahl sowie die politischen Umbrüche um 1800 infolge der Napoleonischen Kriege ihr Übriges taten.

150 Jahre nach der Schließung der alten Universität fanden mit der zuvor in Kettwig ansässigen Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr zunächst 1968 und dann mit der Gründung der Gesamthochschule 1972 wieder wissenschaftliche Einrichtungen in Duisburg ihren Platz. Dass es überhaupt zu dieser Entwicklung kam, ist auch auf das Engagement interessierter „Bürger*innen zurückzuführen. Diese fanden sich 1949 in einer Universitätsgesellschaft zusammen, um sich für den Hochschulstandort Duisburg stark zu machen. 1971 ging dieser Verein zusammen mit dem Förderverein für die Abteilung der Pädagogischen Hochschule in Duisburg in der „Gesellschaft der Freunde der Niederrheinischen Universität“ auf.

In seinem Vortrag hebt Schrey hervor, dass schon die alte Universität und nun die neue Gesamthochschule in erster Linie den Auftrag für die Lehre wahrnimmt angesichts der politisch geforderten Erweiterung des Studienplatzangebots in NRW. Gleichzeitig mahnt er aber auch, dass der Forschungsauftrag nicht zu kurz kommen dürfe und mittelfristig entsprechend Ressourcen bereitgestellt werden müssten, um die Langstudiengänge auszustatten. Mit dem „Regionalprinzip“ weist der Gründungsrektor zudem auf die Funktion der neuen Hochschule hin, vorwiegend Studierende der Umgebung auszubilden – ganz ähnlich also, wie es schon die alte Universität in der Frühen Neuzeit hinsichtlich der Ausbildung der regional ansässigen Beamten, Ärzte und Pfarrer tat.

Düsseldorf01. Februar – Gesamthochschulen: NRW reformiert das Studium

Während in Duisburg die „Universitätstage“ beginnen wird es mit der juristischen Verankerung der geplanten Gesamthochschulen ernst. Am selben Tag beschließt das Nordrhein-Westfälische Kabinett einen ersten Entwurf des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG) in den Landtag einzubringen.

Der neue Hochschultypus soll Fachhochschule und Universität unter einem Dach vereinen, und doch mehr als die Summe seiner Teile sein.

Bild: Gesamthochschulplanung der Landesregierung NRW

 

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Die Landesregierung stellt am 1. Februar 1972 den Entwurf des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG) vor.

Als Errichtungsdatum für die neuen Gesamthochschulen in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal wird der 1. August 1972 festgelegt. In Duisburg sollen dabei die lokale Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr sowie die Fachhochschule in die neue Hochschule übergeleitet werden; in Essen hingegen die „Abteilungen für Theoretische und Praktische Medizin der Universität Bochum“, die ansässige Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr sowie die Fachhochschule. Gleichzeitig sollen zudem sogenannte „Gesamthochschulbereiche“ eingerichtet werden an den bestehenden Hochschulstandorten Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Köln und Münster.

Das GHEG definiert u. a. die Aufgaben und Organisation der künftigen Gesamthochschulen, die Gründungsmodalitäten, die Entwicklung weiterer Gesamthochschulen sowie die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen. Kernpunkt ist die unter dem Begriff der „Integration“ verstandene Zusammenfassung der von den wissenschaftlichen Hochschulen und der von den Fachhochschulen wahrzunehmenden Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium unter einem Dach. Entsprechend sollen in den Fächern nach Studiendauer gestufte Abschlüsse angeboten werden.

Die Entwicklung dieses Konzepts, das nun im GHEG rechtsverbindlich wird, wurde in den 1960er Jahren angestoßen. Ausgehend von dem vernichtenden Urteil des Philosophen und Pädagogen Georg Picht von 1964 über die „deutsche Bildungskatastrophe“, das der Bundesrepublik im internationalen Bildungsvergleich ein überaus schlechtes Zeugnis ausstellte, bemühte sich die NRW-Landesregierung in der Folge um die Reform des Hochschulstudiums. Kernstücke sind dabei v. a. die Herstellung gleicher Bildungschancen für alle Schichten der Bevölkerung, die Durchlässigkeit und Flexibilität zwischen den Studiengängen, die Förderung der beruflichen Mobilität sowie mehr Qualität und Effizienz. Die praktische Umsetzung soll v. a. mit den integrierten Studiengängen realisiert werden, die im GHEG verankert sind.

Plenarsitzung im Landtag am 23.02.1972. Am Rednerpult: Landtagsabgeordnete und spätere Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD). (Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, Fotografin: Eva Tüsselmann)

Düsseldorf23. Februar – Rau wirbt für sein Reformprogramm

„Die Ziele der Studienreform, oft zitiert und oft ausgerufen – Chancengleichheit, Durchlässigkeit, Förderung der beruflichen Mobilität, Flexibilität –, können nach unserer Überzeugung nur durch ein neues Studiengangsystem verwirklicht werden, das die Grenzen der herkömmlichen Hochschularten überwindet.“

So stellt Wissenschaftsminister Johannes Rau bei einer programmatischen Rede vor dem Nordrhein-Westfälischen Landtag sein ambitioniertes Reformprogramm vor.

Anlass hierfür war die erste Lesung des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG). Nach Jahren der Planung sollte die viel beschworene Integrierte Gesamthochschule bald an fünf Standorten in NRW – in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal – Wirklichkeit werden.

Bild: Plenarsitzung im Landtag am 23.02.1972. Am Rednerpult: Landtagsabgeordnete und spätere Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD). (Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, Fotografin: Eva Tüsselmann)
Modell der Baustufen I und II (September 1972, Landespresse- und Informationsamt NRW)

Duisburg23. Februar – Hochschulbau mit Hindernissen

Als „Hochschulfestung“ bezeichnete Gründungsrektor Prof. Helmut Schrey einmal die ursprüngliche Bauplanung für die Gesamthochschule Duisburg. Am 23. Februar werden diese Pläne der Öffentlichkeit präsentiert.

Dass der geplante Gebäudekomplex nie realisiert werden sollte, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand der Anwesenden. Die Planer:innen von Kommune und Land hatten die Rechnung ohne einen auf dem Baugelände ansässigen Sportclub gemacht.

Bild: Modell der Baustufen I und II der Gesamthochschule Duisburg an Mülheimer und Lotharstraße (September 1972, Landespresse- und Informationsamt NRW)

 

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In ihrem Vortrag zum Hochschulbau im Rahmen der „Duisburger Universitätstage 1972“ berichten die Architekten Heido Stumpf (1928-1993) und Karl-Peter Schliewe (1929-2014) sowie der Landtagsabgeordnete Rudi Bahr (1920-1999) am 23. Februar über die Bauplanungen für die Duisburger Gesamthochschule. Nachdem Duisburg aufgrund der günstigen Verkehrsanbindung als Hochschulstandort ausgewählt worden war, musste im nächsten Schritt ein citynahes Gelände gefunden werden. Die Wahl fiel schließlich auf das infrastrukturmäßig gut erschlossene Gelände südlich der Mülheimer Straße an der Lotharstraße im Stadtteil Neudorf, wo auch die Gebäude der schon existierenden Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr lagen (heute die Gebäude LA, LB, LC und LD im L-Bereich des Campus). Die Hochschule mit flachen, sich an das umliegende Wohngebiet anpassenden Gebäuden soll „stadtwärts“ gewandt gebaut werden als Betonung dafür, dass die Bürger*innenschaft durch Abendveranstaltungen und Erwachsenenbildung am Hochschulleben teilhaben würden. Optimistisch schließen die Vortragenden mit der Einschätzung, dass noch 1972 der Baubeginn erfolgen werde.

Die reale Entwicklung sah jedoch rückblickend anders aus, die Bebauungsplanung sollte sich noch lange Zeit verzögern. Denn zum einen kam es zu Konflikten mit den Anwohner*innen, die erhebliche Beeinträchtigungen durch den Hochschulbetrieb fürchteten. Zum anderen hatte man die Rechnung ohne den auf dem Baugelände ansässigen Tennis- und Hockey-Club Raffelberg e.V. gemacht. Dieser hatte nämlich einen Mietvertrag mit der Stadt Duisburg, der ihm sein Grundstück auf Jahre zusicherte. Aus diesem Vertrag wollte der Verein nicht aussteigen. Als Clubhaus fungierte das auf dem Gelände befindliche Gerhard-Mercator-Haus – heute Gebäude LR am Campus Duisburg.

Dieser Umstand führte dazu, dass erst 1978 die Bebauung des Geländes nördlich des Forsthausweges, mit einem alternativen Bauplan, angegangen werden konnte. 1986 dann – 14 Jahre also nach der Gründung der Gesamthochschule Duisburg – konnten die letzten Bauten im Campusbereich M in Betrieb genommen werden, die Mensa im Gebäude MM mit Verzögerung sogar erst 1991. Das Raffelberger Grundstück wurde im Übrigen erst in den 1990er Jahren verkauft – aufgrund von Geldsorgen des Clubs. Erst danach konnte hier die Planung weiterer Hochschulbauten in Angriff genommen werden.

März 1972

Standort der Fachhochschule Essen an der Schützenbahn, heute Gebäude S-A und S-H der Universität Duisburg-Essen (ohne Datum)

Essen14. März – Die Konsolidierung der Essener Hochschullandschaft

Mit der konstituierenden Sitzung des Senats findet im März 1972 ein wichtiger Schritt zur Errichtung der im vorangegangenen Jahr gegründeten Fachhochschule Essen statt. Dabei soll es die Essener FH in wenigen Monaten bereits nicht mehr geben, sie ist als Gründungskern der kommenden Gesamthochschule vorgesehen.

Aber auch die Fachhochschule Essen entstand nicht aus dem Nichts. Tatsächlich kann die Ingenieursausbildung in der Ruhrgebietsstadt auf eine Geschichte zurückblicken, die schon im frühen 20. Jahrhundert begann.

Bild: Standort der Fachhochschule Essen an der Schützenbahn, heute Gebäude S-A und S-H der Universität Duisburg-Essen (ohne Datum)

 

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Am 14. März 1972 findet die konstituierende Sitzung des Senats der Fachhochschule Essen statt. Die Fachhochschule wurde erst zum 1. August des Vorjahres errichtet und sollte nicht lange Bestand haben: Aufgrund des Gesamthochschulerrichtungsgesetzes wird sie schon bald in der neuen Hochschulform der Gesamthochschule aufgehen.

Für die Umsetzung dieser zeitlich knappen und organisatorisch aufwändigen Maßnahmen berät ein Planungsausschuss den zuständigen NRW-Wissenschaftsminister, bestehend aus Lehrenden, Studierenden und weiteren Mitgliedern. Der Ausschuss befasst sich u. a. mit der Hochschulverfassung, der Fachbereichsgliederung, Studien- und Prüfungsordnung und der räumlichen Unterbringung. Dabei laufen alle Maßnahmen hierzu schon auf die Gründung einer Gesamthochschule in Essen hinaus.

An der Fachhochschule sind insgesamt zehn Fachbereiche vorgesehen, die allesamt schon zuvor an Vorgängereinrichtungen unterrichtet wurden: Architektur, Bauingenieurwesen, Chemie, Gestaltung – Kunsterziehung, Elektrotechnik, Maschinenbau, Sozialwesen, Verfahrenstechnik, Vermessung und Wirtschaft. Die gemeinsamen Wurzeln von Architektur, Bauwesen, Maschinenbau und Vermessung gehen dabei zurück auf die 1901 gegründete Staatlich-Städtische Gewerbeschule. 1908 wurde das Bauwesen mit der Errichtung der Königlichen Baugewerkschule in einer eigenen Einrichtung in der Robert-Schmidt-Straße verortet, mit der 1911 eröffneten Königlichen Maschinenbauschule an der Schützenbahn wurde Ähnliches auch für dieses Fach realisiert. Vor der Überführung in die neue Fachhochschule firmierten diese Einrichtungen seit 1954 als Ingenieurschulen.

Daneben gab es eine Höhere Fachschule für Wirtschafts- und Sozialwesen sowie die Folkwangschule für Gestaltung, die ebenfalls in der neuen Fachhochschule aufgehen. Die Gebäude, in denen diese Fächer unterrichtet werden, sind über das gesamte Essener Stadtgebiet verstreut. Das Gleiche gilt für das Klinikum und die Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr, die neben der Fachhochschule in die Gesamthochschule zu integrieren sind. Bei dieser Sachlage sollte eine gute Anbindung der neu zu errichtenden Gebäude der Hochschule gewährleistet werden – unter Einbezug des strukturschwachen Essener Nordens.

Sportanlagen des Club Raffelberg an der Lotharstraße (15.05.1973)

Duisburg14. März – Die Duisburger Hochschulplanung gerät ins Wanken

Die Gesamthochschule Duisburg soll entlang der Lotharstraße gebaut werden, darüber sind sich Land und Kommune einig. Damit dies gelingen kann, muss der alteingesessene Hockey- und Tennis-Club Raffelberg, dessen Sportstätten mitten auf dem zukünftigen Campus liegen, weichen.

Bisher ist das Konfliktpotential in der Standortplanung heruntergespielt worden. Das Angebot eines Ausweichgrundstücks an den Club soll eine für alle Betroffenen befriedigende Lösung herbeiführen. Am 14. März lehnt dessen Mitgliederversammlung den Alternativstandort allerdings einstimmig ab. Die Planung der Duisburger Gesamthochschule droht zu entgleisen.

Bild: Sportanlagen des Club Raffelberg an der Lotharstraße (15.05.1973)

April 1972

Stellenanzeige für Rektorenstellen an den neuen Gesamthochschulen

Düsseldorf22. April – Gründungsrektor:in gesucht

Noch vor Verabschiedung des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes werden Stellen für Gründungsrektor:in, Gründungskanzler:in, Hochschullehrer:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an den fünf neu einzurichtenden Gesamthochschulen ausgeschrieben.

Aus den Bewerber:innen wählt das Ministerium für Wissenschaft und Forschung die Gründungsrektor:innen aus. Berufen werden können diese allerdings erst mit dem Einvernehmen der überzuleitenden Einrichtungen – eine Klausel, die in Essen noch für Ärger sorgen wird.

Luftaufnahme der Abteilung Duisburg der Pädagogischen Hochschule Ruhr mit der eingeplanten Baufläche (ca. 1970)

Duisburg24. April – Mit dem Auto zum Studium

Voller Zuversicht, dass der Bau der Gesamthochschule schnell vorangetrieben werden kann, beschließt der Rat der Stadt Duisburg am 24. April den Bebauungsplan für das Hochschulgrundstück.

Bis zum Jahre 1980 soll die erste Aufbauphase abgeschlossen sein und 10.000 Studierenden Raum bieten. Kosten für Maßnahmen wie die Erweiterung der Straßenbahn, Straßenbau und der Verlagerung von Sportanlagen schätzt die Kommune auf über 10 Million Deutsche Mark ein. Besonders pendelnden Studierenden wollte man mit ca. 4.300 Stellplätzen entgegenkommen, ganze 1.500 davon sollten in Parkhäusern untergebracht werden.

Bild: Luftaufnahme der Abteilung Duisburg der Pädagogischen Hochschule Ruhr mit der eingeplanten Baufläche (ca. 1970)
Studierende und Dozenten der PH verfolgen die Fernsehübertragung aus Bonn (27.04.1972, Rheinische Post)

Duisburg27. April – Eine Hochschule schaut fern

Am 27. April 1972 kennt man in Westdeutschland nur ein Thema: Das gegen Bundeskanzler Willy Brandt eingeleitete Misstrauensvotum.

Auch im Audimax der Abteilung Duisburg der Pädagogischen Hochschule Ruhr verfolgen Studierende und Dozent:innen live die Diskussion und Abstimmung im Bundestag, von der die Zukunft der Bundesregierung abhängt. Mittags steht schließlich fest, dass die von der CDU erhoffte Mehrheit gegen Brandts Ostpolitik nicht zustande gekommen ist.

Bild: Studierende und Dozenten der PH verfolgen die Fernsehübertragung aus Bonn (27.04.1972, Rheinische Post)

Mai 1972

Bauschild der Gesamthochschule Duisburg und städtisches Straßenschild zur „Universität“ (15.06.1976)

Düsseldorf09. Mai – Gesamthochschule oder Universität?

Die sprachliche Unterscheidung zwischen „Universität“ und „Gesamthochschule“ sorgt bereits 1972 für Verwirrung. In einigen Städten will man die kommenden Gesamthochschulen auch namentlich zu Universitäten machen.

Die Landesregierung nimmt gegenüber solchen Vorhaben eine ablehnende Haltung ein. Besonders die Essener Gesamthochschulleitung wird sich davon aber noch unbeeindruckt zeigen.

Bild: Bauschild der Gesamthochschule Duisburg und städtisches Straßenschild für die „Universität“ (15.06.1976)

 

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Ein fortdauernder Streitpunkt stellt die Namensgebung der bald zu errichtenden Gesamthochschulen in Duisburg und Essen dar: Soll man den neuen Hochschultyp – zumindest durch einen Namenszusatz – nicht in die jahrhundertealte und vor allem international bekannte Tradition der „Universität“ stellen? Die Landesregierung hat dazu eine klare Meinung, die sie über alle Debatten hinweg beibehalten wird:

Um die mit dem Gesamthochschulkonzept intendierten bildungspolitischen Ziele nicht zu verwässern, rät das Kabinett in seiner Sitzung vom 9. Mai 1972 davon ab, den neuen Hochschulen zu gestatten, sich als Universitäten zu bezeichnen.¹ Von dieser Richtlinie aus Düsseldorf lassen sich die beiden neuen Hochschulstandorte Duisburg und Essen aber wenig beeindrucken, die Diskussion um mögliche Namenszusätze ist bei den Stadtverwaltungen und den Hochschulen bereits in vollem Gange. Um die Gleichrangigkeit gegenüber „alten“ Universitätsstandorten wie Köln oder Bonn zu betonen, beruft sich etwa ein Vorschlag aus Duisburg auf den berühmten Kartographen Gerhard Mercator (1512-1594), der einen Großteil seines Lebens und Schaffens in der Stadt am Niederrhein verbracht hatte („Mercator-Universität“). Ein weiterer Vorschlag – zur Betonung der Regionalität – stammt vom Stadtrat: „Universität Duisburg – Niederrheinische Gesamthochschule“. Praktisch umsetzen wird die Stadt dies im Herbst 1972 mit der Verwendung von Straßenschildern mit der Bezeichnung „Universität“. Die Landesregierung sieht diese Bestrebungen allerdings weiterhin kritisch. Im Frühjahr 1973 wird sie daher der Stadt Duisburg mit Hinweis auf die Grundordnung der neuen Gesamthochschule mitteilen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Namensänderung nicht erwünscht sei.

Die Essener Verantwortlichen sind ebenfalls aktiv in der Namensfindung. Das dortige Rektorat wird nach der Errichtung der GH etwa den Vorschlag „RheinischWestfälische Universität Essen-Gesamthochschule“ einbringen. Gegen einen Vorschlag zur Benennung in „Albert Schweitzer Universität – Gesamthochschule Essen“ werden jedoch Bedenken seitens des Gründungssenats geäußert – vermutlich, weil der berühmte Arzt keinen direkten Bezug zur Stadt besaß. Vor allem das in die neue Hochschule integrierte Klinikum legt großen Wert auf die Führung der Bezeichnung Universität. Allerdings wird schließlich auch die vom Gründungssenat beschlossene Benennung in „Universität Essen – Gesamthochschule“ zu Beginn des Jahres 1973 vom zuständigen Wissenschaftsministerium aufgrund rechtlicher Bedenken verworfen.

¹ Vgl. Kabinettsprotokoll der NRW-Landesregierung (1.124 Sitzung) v. 9. Mai 1972 (Nr. III.1): http://protokolle.archive.nrw.de/texte/_1124x.html

Raum des – jetzt geeinten – AstAs der Gesamthochschule Duisburg im B-Trakt (Dezember 1974)

Duisburg16. Mai – Studierendenkooperation

Noch gibt es zwei Allgemeine Studierendenausschüsse in Duisburg. In Verhandlungen befinden sich aber bereits die AStAs der Fachhochschule Duisburg und der Duisburger Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr.

Am 16. März findet ein erstes gemeinsam organisiertes Konzert statt, auf der Bühne stehen die britische Bluesrockband Band „Steamhammer“ und die Gruppe „Golgatha“ aus Oberhausen.

Bild: Raum des – jetzt geeinten – AstAs der Gesamthochschule Duisburg im B-Trakt (Dezember 1974)
„Blick in den Plenarsaal während der Abstimmung über das Gesamthochschulentwicklungsgesetz (GHEG)“ (Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, Fotografin: Eva Tüsselmann)

Düsseldorf18. Mai – Die Gesamthochschule wird Gesetz

Während der dritten und letzten Lesung des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG) im Landtag geraten die Regierungskoalition aus SPD und FDP sowie die in der Opposition befindliche CDU noch einmal aneinander.

Besonders das Schicksal der Deutschen Sporthochschule in Köln, welche nach dem GHEG Teil der Gesamthochschule Köln werden sollte, will man in der CDU-Fraktion nicht akzeptieren.

Schlussendlich wird der Gesetzesentwurf gegen die Stimmen der CDU verabschiedet. Die Gründung von fünf neuen Gesamthochschulen in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal ist damit offiziell auf den Weg gebracht.

Bild: „Blick in den Plenarsaal während der Abstimmung über das Gesamthochschulentwicklungsgesetz (GHEG)“ (Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, Fotografin: Eva Tüsselmann)

Juni 1972

Stellungnahme der Hochschulberatergruppe der Stadt Essen

Essen12. Juni – Anleitung zur Hochschulgründung

Um bis zur Konstituierung des Gründungssenats eine fachkundige Beratung der Stadt Essen zu gewährleisten, wurde bereits im Frühjahr 1971 eine Hochschulberater:innengruppe ins Leben gerufen.

Am 12. Juni 1972 kann sie den an der Gründung der Gesamthochschule involvierten städtischen Gremien die „Stellungnahme der Hochschulberatergruppe der Stadt Essen“ an die Hand geben. In dem rund 52 Seiten umfassenden Heft finden sich u.a. Empfehlungen zum Ablauf der Gründungsphase, der interdisziplinären Vernetzung von Fachbereichen sowie ein theoretischer Ansatz zum Studium ohne Abitur für Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.

Senatssitzung der Gesamthochschule Duisburg, Baumann (rechts) und Schrey (zweiter von rechts) (Oktober 1975)

Duisburg15. Juni – Gründungsrektor und Gründungskanzler

Weniger als zwei Monate sind es noch, bis zur vorgesehenen Gründung der Gesamthochschulen am 1. August. Höchste Zeit also, die Spitzenämter der neuen Hochschulen zu vergeben.

Genau das macht das Ministerium für Wissenschaft und Forschung NRW Mitte Juni und gibt u.a. die Besetzung der Duisburger Rektorenstelle mit Prof. Dr. Helmut Schrey bekannt. Dr. Rudolf Baumanns wird erster Kanzler der Gesamthochschule Duisburg werden.

Bild: Senatssitzung der Gesamthochschule Duisburg, Baumann (rechts) und Schrey (zweiter von rechts) (Oktober 1975)

 

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Zum Gründungsrektor der Gesamthochschule Duisburg ernennt das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen eine weithin bekannte Persönlichkeit: Prof. Dr. Helmut Schrey (1920-2012) war zuvor Dekan der Pädagogischen Hochschule Ruhr, Abteilung Duisburg und hat sich in dieser Funktion stark für den Hochschulausbau am Niederrhein eingesetzt.

In Odenkirchen (heute Mönchengladbach) geboren, studierte Schrey Anglistik, Germanistik, Philosophie und evangelische Theologie und wurde als Gymnasiallehrer, später als ordentlicher Professor an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen tätig. Als Gründungsrektor und damit als Dienstvorgesetzter aller Beschäftigten wird er bis 1975 wirken, im Anschluss noch 10 weitere Jahre bis zu seiner Emeritierung als Professor für Anglistik an der Gesamthochschule.

Zugleich wird der Kanzler als Leiter der Hochschulverwaltung und Haushaltsbeauftragter bekanntgegeben: Diese Position wird ab dem 1. August 1972 Dr. Rudolf Baumanns (1929-2021) innehaben. Der gebürtige Hamburger studierte und promovierte im Bereich der Rechtswissenschaften. Im Anschluss war er bei der Finanzbehörde der Hansestadt sowie im Hochschulamt u. a. als Referent für Forschungsangelegenheiten tätig. Dort machte er schnell Karriere, bevor schließlich die Versetzung als Leitender Regierungsdirektor an den Niederrhein folgte.

Als Gründungskanzler ist er Beauftragter für den Haushalt und gleichzeitig Leiter der Hochschulverwaltung.¹

¹ Kanzler Dr. Baumanns. In: Die Hüttenschule. Mitteilungen der Gesamthochschule Duisburg 25 (1973), H. 2, S. 35.

Kanzler Dr. Dieter Leuze (ohne Datum)

Essen15. Juni – Der Gründungskanzler

Auch in Essen wird am 15. Juni 1972 ein Teil der Hochschulspitze besetzt. Mit Dr. Dieter Leuze wird aber zunächst nur der kommende Kanzler der Gesamthochschule Essen ernannt. Die Auswahl des Gründungsrektors läuft noch weiter.

Bild: Kanzler Dr. Dieter Leuze (ohne Datum)

 

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Am 15. Juni 1972 wird als Gründungskanzler der Essener Gesamthochschule Dr. jur Dieter Leuze vom Wissenschaftsministerium ernannt. Der Kanzler ist gleichzeitig Beauftragter für den Haushalt sowie Leiter der Hochschulverwaltung.

Leuze wurde 1933 in Heilbronn geboren, studierte Jura in München und Tübingen, wo er schließlich promoviert wurde. Seine Karriere begann er als Ministerialbeamter in Baden-Württemberg, bevor er schließlich in das Ruhrgebiet wechselte. Bis 1991 wird er den Posten des Verwaltungschefs der Essener Hochschule innehaben, bevor er mit der Berufung zum Professor für Verwaltungsrecht dort seine Hochschulkarriere 1998 abschließen wird. Er verstirbt am 1. Mai 2022.¹

Besonderes Verdienst Leuzes ist es – so das spätere Urteil über ihn –, die Gesamthochschule zu einer anerkannten deutschen Hochschulform entwickelt zu haben. Sein Auftakt als Gründungskanzler sollte jedoch zunächst überschattet werden durch Vorbehalte gegen das Ernennungsverfahren: Insbesondere der Senat der Fachhochschule sowie die Abteilungskonferenz der Pädagogischen Hochschule in Essen kritisieren, dass die Personalentscheidung bereits vom Ministerium gefällt worden sei – ohne die Möglichkeit einzuräumen, Einspruch zu erheben. Hintergrund ist hierbei u. a., dass das Amt des Kanzlers im Ruf steht, als verlängerter Arm der Landesregierung zu fungieren.

¹ Universitätsarchiv Duisburg-Essen, E2.4.1.01 Nr. 1: WAZ-Artikel v. 16.06.1972.

Durchschlag eines Berichts vom Rektor der FH Essen an den Minister für Wissenschaft und Forschung NRW vom 23.06.1972

Essen19. Juni – Kanzler von Gnaden des Ministeriums?

Von der Benennung Dieter Leuzes als Gründungskanzler zeigt sich der Senat der Fachhochschule Essen wenig begeistert. Bereits in seiner konstituierenden Sitzung hat der Senat einen anderen Kandidaten als Kanzler ausgesprochen, weshalb man nun am 19. Juni 1972 gegen das Verfahren zur Prüfung des Kandidaten Protest einlegt.

Bild: Durchschlag eines Berichts vom Rektor der FH Essen an den Minister für Wissenschaft und Forschung NRW vom 23.06.1972
L uftaufnahme des Essener Klinikgeländes (1980)

Essen21. Juni – Verunsicherung bei den Mediziner:innen

Die Gründung der Gesamthochschule (GH) Essen wird nicht überall herbeigesehnt. Besonders an den in Essen ansässigen Medizinischen Fakultäten der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ist die kommende Überleitung zur GH mit Ängsten vor einem Verlust von Status und Privilegien verbunden.

Neben den Professor:innen sind auch die Vertreter:innen der Studierenden verunsichert. Sie befürchteten, die verfasste Studierendenschaft der Medizinischen Fakultäten würden nach Ausscheiden aus der RUB ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechtes verlieren. Um eine Klärung des Rechtsstatus während der Übergangszeit herbeizuführen, stellen die Studierenvertreter:innen am 21. Juni die Mitarbeit im Fakultätsrat ein.

Bild: Luftaufnahme des Essener Klinikgeländes (1980)
Angehörige der Pädagogischen Hochschule Ruhr Abteilung Essen stehen für die Wahlen des Gründungssenats der GH Essen Schlange (22.06.1972 Fotograf: Klaus Schlitzer)

Essen23. Juni – Die ersten Wahlen

In den Gründungssenat der Gesamthochschulen müssen für jede überzuleitende Einrichtung zwei Hochschullehrer:innen, ein/e Studierende/r und jeweils ein/e wissenschaftliche/r und ein/e nichtwissenschaftliche/r Mitarbeiter:in gewählt werden. So sieht es das Gesamthochschulerrichtungsgesetz vor.

Noch während der beiden Wahltage läuft das Buhlen um die Stimmen an Pädagogischer Hochschule und Fachhochschule Essen mit Plakaten und Flugblättern weiter.

Den gewählten Mitgliedern des Gründungssenats sitzt eine gleiche Anzahl an vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung ernannten Personen gegenüber. Einer Verwirklichung der in Studierendenprotesten oft geforderten paritätisch besetzten Gruppenuniversität wird an den Gesamthochschulen nicht nachgekommen.

Prof. Peter Hartmann (Mitte) stellt sich Vertretern der Pädagogischen Hochschule Ruhr Abteilung Essen und der Fachhochschule Essen vor (30.06.1972, Fotograf: Hermann Ewers)

Essen26. Juni – Gründungsrektor Peter Hartmann

Professor Peter Hartmann (1923-1984) soll an der Spitze der neuen Hochschule mitten im Ruhrgebiet stehen. Der Linguist mit einem Lehrstuhl an der Uni Konstanz kann Minister Rau von sich überzeugen, den Aufbau der Essener Gesamthochschule besser als die anderen Bewerber:innen voranzureiben.

Zur Bestätigung des neuen Rektors muss nur noch das Einvernehmen der überzuleitenden Einrichtungen eingeholt werden. Ein Formalitätsakt, so scheint es.

Bild: Prof. Peter Hartmann (Mitte) stellt sich Vertreter:innen der Pädagogischen Hochschule Ruhr Abteilung Essen und der Fachhochschule Essen vor (30.06.1972, Fotograf: Hermann Ewers)
Konstituierende Sitzung des Essener Gründungssenats vor anwesender Presse (01.08.1972)

Duisburg & Essen28. Juni – Die Gründungssenate

Viele Grundsatzfragen zur weiteren Entwicklung der Gesamthochschulen (GH) blieben zum Zeitpunkt ihrer Errichtung offen. Gerade den Senaten als zentralen Gremien fiel während der Gründungsphase eine wichtige Rolle zu.

Nach der erfolgreichen Durchführung der Senatswahlen an jenen Einrichtungen, die in die GHs übergeleitet werden sollten, konnten am 28. Juni die Mitglieder des Duisburger Gründungssenats bekanntgegeben werden.

Bild: Konstituierende Sitzung des Essener Gründungssenats vor anwesender Presse (01.08.1972)

 

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Am 28. Juni 1972 stehen die Mitglieder des Gründungssenats der Gesamthochschule in Duisburg fest. Als Vorsitzender fungiert der Gründungsrektor Prof. Helmut Schrey. Die Mitglieder sind je fünf gewählte Vertreter*innen der ehemaligen Fach- und Pädagogischen Hochschule sowie die vom Wissenschaftsminister berufenen Fachvertreter*innen für die neu einzuführenden Studiengänge. Der Kanzler Dr. Rudolf Baumanns nimmt als beratendes Mitglied teil.

In Essen ist der Gründungssenat zahlenmäßig etwas größer aufgestellt: Neben Gründungsrektor Prof. Walter Kröll und Kanzler Dr. Dieter Leuze sind die Vertreter*innen der in die Gesamthochschule integrierten Fachhochschule und der Pädagogischen Hochschule sowie Mitglieder aus der Medizin bestellt. Als prominente Persönlichkeit ist der Biologieprofessor Ernst Ulrich Freiherr von Weizsäcker zu nennen, Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.

Aufgaben der Gründungssenate sind die Entscheidung über Grundsatz- und Koordinierungsangelegenheiten von Lehre, Studium und Forschung, Berufungsvorschläge, Zulassungsbeschränkungen, Struktur-, Entwicklungs- und Ausstattungspläne. Das zahlenmäßige Übergewicht der Hochschullehrer*innen gegenüber den übrigen Hochschulgruppen wird auf Kritik stoßen, da entsprechende Einflussmöglichkeiten als gefährdet betrachtet werden. Hinzu kommt eine im Laufe der Zeit immer geringere Legitimation der Gremienmitglieder, da Wahlen für Hochschulorgane in der Gründungsphase nicht möglich sind. Erst 11 Jahre später, im Jahre 1983, konnten in Essen und in Duisburg sogar erst 14 Jahre nach der Gründung (1986) die Gründungsphasen abgeschlossen werden.

Juli 1972

Klinikum der Universität Essen-Gesamthochschule, Essen, in der unter anderem die Fachbereiche für Theoretische und Praktische Medizin untergebracht sind (1980)

Essen06. Juli – Die Medizinischen Fakultäten stellen sich quer

Bevor Peter Hartmann als Gründungsrektor der Gesamthochschule Essen bestätigt werden kann, muss das Einvernehmen der überzuleitenden Einrichtungen eingeholt werden.

Zur Vorstellung bei der Fachhochschule, der Pädagogischen Hochschule und beim Universitätsklinikum reist Hartmann eigens im Juni nach Essen. Seine Sympathien für Reformprojekte wie die drittelparitätische Besetzung der Hochschulgremien oder dem Studium ohne Abitur sichert ihm dort die Zustimmung der Studierendenschaft.

Allerdings kann der Linguist auf keine positive Resonanz zu diesen Plänen bei den Professor:innen der medizinischen Fakultäten hoffen. In einer gemeinsamen Sitzung der Fakultätsräte sprechen sie sich ohne Gegenstimmen dafür aus, Hartmann nicht als Gründungsrektor zu empfehlen.

Bild: Klinikum der Universität Essen-Gesamthochschule, Essen, in der unter anderem die Fachbereiche für Theoretische und Praktische Medizin untergebracht sind (1980)
Luftaufnahme des eingeplanten Hochschulgeländes mit Sportanlagen des Club Raffelberg (ca. 1980)

Duisburg06. Juli – Beistand von der Landesregierung

Mit den Duisburger Problemen bei der Erschließung des Hochschulgeländes befasst sich mittlerweile sogar die Landesregierung. 

Noch will sie an den bisherigen Bauplänen festhalten. In einer Kabinettssitzung sichert die Runde um Ministerpräsident Heinz Kühn Unterstützung für weitere Bemühungen zu, den Tennisklub Raffelberg in die Nähe des Duisburger Zoos zu verlegen.

Bild: Luftaufnahme des eingeplanten Hochschulgeländes mit Sportanlagen des Club Raffelberg (ca. 1980)
Peter Hartmann während seines Besuchs bei den zur Gesamthochschule überzuführenden Einrichtungen in Essen (Juli 1972)

Essen18. Juli – Hartmann wirft das Handtuch

Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung, aber auch die Studierendengremien wollen den reformwilligen Linguisten Peter Hartmann als Essener Gründungsrektor sehen.

Die Dozent:innen der medizinischen Fakultäten lehnen Hartmann aber einstimmig ab, und bei den Professor:innen der Pädagogischen Hochschule fällt die Akzeptanz ebenfalls gering aus. Aus diesen Gründen lehnt Hartmann die Übernahme der Leitung der neuen Gesamthochschule schließlich ab. Nur wenige Wochen vor Gründung der Gesamthochschule Essen steht diese damit wieder ohne Gründungsrektor:in da.

Bild: Peter Hartmann während seines Besuchs bei den zur Gesamthochschule überzuführenden Einrichtungen in Essen (Juli 1972)
Portraitaufnahme von Walter Kröll (20.03.1975)

Essen26. Juli – Ein neuer Gründungsrektor

Nach dem Ausscheiden Peter Hartmanns wird am 26. Juli die Stelle des Essener Gründungsrektors (vorerst kommissarisch) an Prof. Walter Kröll vergeben.

Der gerade einmal 34 Jahre junge Physiker lehrt an der Ruhr Universität Bochum und steht damit den in Essen ansässigen Mediziner:innen nahe, welche bald von der Bochumer Hochschule zur Gesamthochschule Essen überführt werden. Auch aufgrund seiner Ablehnung der drittelparitätischen Besetzung kann die kommissarische Ernennung Krölls als Entgegenkommen des Wissenschaftsministeriums gegenüber den Essener Mediziner:innen gesehen werden.

Bild: Portraitaufnahme von Walter Kröll (20.03.1975)

 

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Der Linguist Peter Hartmann hatte als designierter Gründungsrektor der Gesamthochschule Essen angesichts der erheblichen Widerstände gegen seine Person aus verschiedenen Hochschulkreisen die Entscheidung getroffen, nicht länger für das Amt zur Verfügung zu stehen.

Als kommissarischer Gründungsrektor wird nun im Juli 1972 der Physiker Walter Kröll benannt. Auch gegen Kröll bestehen seitens der Allgemeinen Studierendenausschüsse Bedenken, da er sich für eine Stimmenmehrheit der Hochschullehrer*innen in den Hochschulgremien ausspricht. 1938 in Waldbreitbach geboren, studierte Kröll Mathematik und Physik an der Universität Bonn, wo er 1964 seine Promotion abschloss. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen u. a. im Bereich der theoretischen Plasmaphysik. Ab 1967 hatte er dann eine Professur für Theoretische Physik an der Ruhr Universität Bochum inne, bevor er nach Essen in das Amt des Gründungsrektors wechselte.

In dieser Funktion wird er bis 1979 tätig sein. Während seines Wirkens erweist sich der in der Öffentlichkeit sehr präsente Gründungsrektor als souveräne Persönlichkeit in den teils hitzigen Diskussionen etwa um die Ausgestaltung von Studiengängen oder den Status der Hochschullehrer*innen während der Anfangsphase der Gesamthochschule. Sein Amt wird Kröll, der zuletzt in einer heftigen Auseinandersetzung mit der Studierendenschaft aufgrund persönlicher Angriffe gestanden hat, niederlegen, da er die ursprünglich auf drei Jahre angelegte Gründungsphase nach nunmehr sechs Jahren für beendet ansieht.

Als Präsident der Universität Marburg sowie als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luftund Raumfahrt (DLR) wird er anschließend seine Karriere fortsetzen.¹

Nachfolger von Kröll in Essen wird Prof. Dr. Peter Neumann-Mahlkau.

¹ Vgl. https://www.helmholtz.de/ueber-uns/wer-wir-sind/praesident/der-ehemalige-praesident-prof-dr-kroell/; Essener Hochschuljournal. Nachrichten und Mitteilungen aus der Gesamthochschule Essen 11 (Dezember 1978).

August 1972

Ministerpräsident Heinz Kühn spricht bei der Gründungsfeier vor dem Auditorium  (01.08.1972)

Essen01. August – Essen feiert

Nach Monaten der Vorbereitung ist es am 1. August 1972 endlich soweit: In fünf Städten – Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal – werden die Gesamthochschulen gegründet!

Am gleichen Tag findet in Essen die erste Eröffnungsfeier statt. Mit dabei sind u.a. Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) und Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD). Begleitet wird das Zeremoniell von Studierendenprotesten gegen die neue Grundordnung: Die mit dem Projekt „Gesamthochschule“ verbundenen Reformabsichten werden schon zu Beginn als zu zaghaft kritisiert.

Bild: Ministerpräsident Heinz Kühn spricht bei der Gründungsfeier vor dem Auditorium  (01.08.1972)

 

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Bei der konstituierenden Sitzung des Gründungssenats in Essen in der Mensa der Pädagogischen Hochschule fordern sowohl Gründungsrektor Prof. Dr. Walter Kröll als auch Wissenschaftsminister Johannes Rau zu konstruktiver Hilfe und Mitarbeit beim Aufbau der Gesamthochschule auf. Der Sprecher der Assistent*innen des Essener Klinikums Dr. Feldmann fragt daraufhin bei Rau nach, ob es möglich sei, Änderungen an der vorläufigen Grundordnung vorzunehmen. Rau bejaht dies grundsätzlich. Hintergrund der Frage ist die vorgesehene Stimmengewichtung, bei der die Hochschullehrer*innen die Hälfte der Stimmen in den Selbstverwaltungsgremien auf sich vereinigen. Das wird aber insbesondere von den Studierenden abgelehnt, die eine paritätisch organisierte Gruppenuniversität fordern.

Nach der Sitzung „begrüßen“ Essener Studierende Kröll mit Pfiffen. Zudem werden Flugblätter verteilt, die sich gegen den Gründungsrektor richten. Anlass ist seine Befürwortung der vorläufigen Grundordnung in der jetzigen Fassung.

Im Anschluss wird mit einer Feierstunde die Eröffnung der Hochschule im Essener Saalbau begangen. Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) stellt bei dieser Gelegenheit das hochschulpolitische Konzept seiner Regierung vor. Er betont das Ziel, die Chancengleichheit für alle durch die neuen Hochschulen zu verbessern.

Um den Protesten gegen die Grundordnung zu begegnen, bittet Kröll im Anschluss alle Hochschulangehörigen, diese zunächst in der aktuellen Form zu akzeptieren. Änderungen könnten dann im Nachgang immer noch vorgenommen werden.¹

¹ Universitätsarchiv Duisburg-Essen, E2.2.1 Nr. 1: Ergebnisprotokoll der konstituierenden Sitzung des Gründungssenats am 01.08.1972.

Eröffnungsfeier der Gesamthochschule Duisburg, Bürgermeister Josef Krings am Rednerpult (07.08.1972)

Duisburg07. August – Duisburg feiert

Knapp eine Woche nach dem offiziellen Gründungsdatum wird auch in Duisburg die Errichtung der Gesamthochschule feierlich begangen. Anders als auf der Essener Veranstaltung ist Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) diesmal nicht persönlich zugegen. An der Gründungsfeier und der konstituierenden Sitzung des Senats nimmt aber Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) teil.

Nicht zuletzt die anwesenden Vertreter:innen der Stadt Duisburg haben diesen Tag herbeigesehnt: Mit der Gründung der Gesamthochschule sehen sie ihre lang gepflegte Ambition, Duisburg endlich wieder zu einer Universitätsstadt zu machen, Realität werden.

Bild: Eröffnungsfeier der Gesamthochschule Duisburg, Bürgermeister Josef Krings am Rednerpult. In der ersten Reihe sitzen u.a. Johannes Rau (Dritter von rechts) und Gründungsrektor Helmut Schrey (Zweiter von rechts) (07.08.1972)

 

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Nachdem die Mitglieder des Gründungssenats am 28. Juni benannt worden waren, kann ca. einen Monat später die konstituierende Sitzung in Duisburg stattfinden. Neben Gründungsrektor Prof. Helmut Schrey, Gründungskanzler Dr. Rudolf Baumanns sowie den gewählten und ernannten Mitgliedern nimmt als Gast der Minister für Wissenschaft und Forschung, Johannes Rau, teil.

Als ersten Punkt auf der Tagesordnung hält der Minister seine Einführungsansprache und wünscht der Arbeit des Gremiums gutes Gelingen. Im Anschluss wird im Namen der studentischen Vertreter*innen eine Erklärung verlesen, die die Konzeption der Gesamthochschule zwar befürwortet, ihre konkrete Umsetzung in NRW aber viele Wünsche zur Erreichung von Chancengleichheit und Reform des Hochschulstudiums durch integrierte Studiengänge nicht erfüllt. Vor allem das Übergewicht von Hochschullehrer*innen gegenüber der verfassten Studierendenschaft in allen Gremien stößt auf Protest.

Die Eröffnungsrede im Rahmen der Gründungsfeierlichkeiten hält – anders als zuvor in Essen, Siegen, Paderborn und Wuppertal – nicht der Ministerpräsident Heinz Kühn bzw. Wissenschaftsminister Johannes Rau, sondern der Innenminister Willi Weyer (FDP).¹

¹ Universitätsarchiv Duisburg-Essen, D2.2.1 Nr. 1: Niederschrift über die erste Sitzung (Eröffnungssitzung) des Gründungssenats am 07.08.1972.

Rektor Walter Kröll bei einer Podiumsdiskussion des Fachbereich 1 in den Räumen der Volkshochschule Essen an der Hollestraße (1973)

Essen10. August – Gründungsrektor Kröll

Die Hochschullehrer:innen der medizinischen Fakultäten hatten bereits einen vorgesehenen Gründungsrektor zu Fall gebracht. Sorgen, das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger zu erleiden, muss sich der kommissarische Gründungsrektor Walter Kröll nach dem 10. August 1972 nicht mehr machen:

Einstimmig sprechen sich die Professor:innen des gemeinsamen Fakultätsrats für Kröll aus. Widerstand kommt dafür dieses Mal aus der Studierendenschaft. Die AStAs der ehemaligen Essener Fachhochschule und der medizinischen Fakultäten sprechen Kröll u.a. aufgrund seiner unscharfen Haltung zur Paritätenfrage nicht das Vertrauen aus. Davon unbeeindruckt, nimmt der 34 Jahre junge Physiker die Berufung an.

Bild: Rektor Walter Kröll bei einer Podiumsdiskussion des Fachbereich 1 in den Räumen der Volkshochschule Essen an der Hollestraße (1973)
Gründungsrektor Helmut Schrey wird der Schlüssel zum Aufbau- und Verfügungszentrum übergeben. Im Vordergrund ist das Modell für die ursprüngliche Bauplanung zwischen Mülheimer Straße und Forsthausweg (18.12.1974)

Duisburg14. August – Anliegerbedenken

Mehr als 20 Privatpersonen und Vereine reichten 1972 Bedenken und Anregungen zum städtischen Bebauungs- und Flächennutzungsplan für das zukünftige Gesamthochschulgelände in Duisburg ein.

Einsprüche der Anwohner gegen das Vorhaben, wie etwa das Zubauen von Grünflächen, steigende Verkehrsbelastung oder eine Abwertung der Umgebung durch das erhebliche Bauvolumen, wurden allerdings im August vom Stadtrat abgewiesen.

Bild: Gründungsrektor Helmut Schrey wird der Schlüssel zum Aufbau- und Verfügungszentrum übergeben. Im Vordergrund ist das Modell für die ursprüngliche Bauplanung zwischen Mülheimer Straße und Forsthausweg  zu sehen (18.12.1974)
Schwarzes Brett an der Gesamthochschule Duisburg (Dezember 1974)

Essen18. August – Wohnung gesucht

Beim AStA der ehemaligen Fachhochschule Essen häufen sich im August die Anfragen nach Studierendenwohnungen.

Nach Abschluss des Ausbaus am Campus sollen in Essen mindestens 10.000 Personen studieren können, doch bereits vor der Gründung der Gesamthochschule finden nicht alle an Fach- und Pädagogischer Hochschule Eingeschriebenen auch eine ortsnahe Unterkunft.

Ein vom Land geförderter breiter Ausbau der Studierendenwohnheime soll Abhilfe schaffen, doch 1972 muss sich der AStA zunächst mit einem Aufruf an die Vermieter:innen der Stadt zur Meldung freier Wohnungen behelfen.

Bild: Schwarzes Brett an der Gesamthochschule Duisburg (Dezember 1974)
Duisburger Senatssitzung mit v. l. n. r. den Konrektoren Walter Confurius und Werner Schubert, Gründungsrektor Helmut Schrey, Gründungskanzler Rudolf Baumann und Konrektor Martin Fiebig (Oktober 1975)

Essen29. August – Die Konrektoren

Auch einen Monat nach der Gründung der Gesamthochschulen gibt es noch Spitzenämter zu besetzten. Drei Konrektoren (heute Prorektor:innen) als Vorsitzende je einer ständigen Kommission (heute zentrale Hochschulgremien) werden am 29. August vom Essener Gründungssenat gewählt.

Zuständig sind die Konrektor:innen für die Aufgabenbereiche „Struktur-, Entwicklungs- und Haushaltsplanung“, „Studium und Lehre“ und „Forschung“. Ein Pendant zum heutigen Hochschulgremium für „Gesellschaftliche Verantwortung, Diversität & Internationalität“ existiert 1972 noch nicht.

Bild: Duisburger Senatssitzung mit v. l. n. r. den Konrektoren Walter Confurius und Werner Schubert, Gründungsrektor Helmut Schrey, Gründungskanzler Rudolf Baumann und Konrektor Martin Fiebig (Oktober 1975)

September 1972

Studierende auf dem Campus der Gesamthochschule Duisburg (1972)

Duisburg01. September – Das erste Gesamthochschulsemester

Der 1. September ist der Startschuss für das erste Wintersemester an den Nordrhein-Westfälischen Gesamthochschulen.

Sowohl in Duisburg als auch in Essen ist der Alltag in Lehre, Forschung und Verwaltung von Improvisation geprägt. Gleichzeitig ist die Motivation aller Beteiligten, gemeinsam eine Reformhochschule neuen Typs zu gestalten, nie so hoch wie in diesen ersten Jahren.

Bild: Studierende auf dem Campus der Gesamthochschule Duisburg (1972)
Kopie eines Schreibens an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung mit von Ministerialangestellten durchgestrichenem „Universität Essen“ im Briefkopf

Essen04. September – Rheinisch-Westfälische Universität Essen?

In der ersten Sitzung des Essener Gründungsrektorats wird u.a. die Namensgebung der neuen Gesamthochschule thematisiert. Einig ist sich das Rektorat, dass der Titel „Universität“ nicht fehlen dürfe.

Der Vorschlag, sich den Namen „Rheinisch-Westfälische Universität Essen – Gesamthochschule“ zu eigen zu machen, steht im Raum. Tatsächlich beginnt die Gesamthochschule Essen schon bald damit, sich selbst als „Universität Essen – Gesamthochschule“ zu bezeichnen. Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung erkennt diese Bezeichnung nicht an, Gesamthochschulen und Universitäten sollen begrifflich nicht vermischt werden. Unbeeindruckt davon nennt sich die Gesamthochschule Essen trotzdem weiterhin „Universität“. 

Bild: Kopie eines Schreibens an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung mit von Ministerialangestellten durchgestrichenem „Universität Essen“ im Briefkopf
Die ersten Vorlesungsverzeichnisse der Gesamthochschulen Duisburg und Essen

Essen21. September – Die ersten Vorlesungsverzeichnisse

Ende September erscheint das erste Vorlesungsverzeichnis der Gesamthochschule Essen, bereits einige Tage vorher konnte man auch in Duisburg das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1972/73 den Studierenden bekanntgeben.

Beide Bände kommen äußerst schlicht daher, für die Einarbeitung der in späteren Jahrgängen vorhanden Bilddrucke und Karten ist im hektischen ersten Gründungsjahr offenbar noch keine Zeit. Lediglich eine Abbildung der beiden Stadtpatronen Essens - die heiligen Zwillingsbrüder Cosmas und Damian – schmückt die Titelseite des Essener Vorlesungsverzeichnisses.

Gemeinsame Kritik und Besprechung der Arbeitsergebnisse einer Aufgabe an der Folkwangschule für Gestaltung (Ca. 1960-61)

Essen27. September – Folkwang und die Gesamthochschule

Der Weg zur heutigen Folkwang Universität der Künste ist lang und verzweigt – und er kreuzt sich mit dem der Gesamthochschule Essen.

Bereits 1971 wurde die Folkwangschule für Gestaltung – unter Protest – in die neu gegründete Fachhochschule Essen eingegliedert. Als die FH ein Jahr später in der Gesamthochschule Essen aufgeht, wird die einst eigenständige Fachschule zum Fachbereich 4 für Kunsterziehung und Gestaltung.

Auch für die Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprache steht eine mögliche Eingliederung in die GH Essen zur Debatte, ihr Direktor spricht sich aber im September 1972 gegen einen solchen Schritt aus.

Letztendlich bleibt die Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprache eigenständig. Erst 2007 gibt die Universität Duisburg-Essen die Studiengänge der ehemaligen Folkwangschule für Gestaltung an die Kunsthochschule ab, womit die bereits Anfang der 1970er gehegte Hoffnung auf eine Vereinigung der beiden Folkwangschulen endlich Wirklichkeit wird.

Bild: Gemeinsame Kritik und Besprechung von Arbeitsergebnissen an der Folkwangschule für Gestaltung (ca. 1960-61)

 

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Der kommissarische Direktor der Essener Folkwang Hochschule Heinz von Dessauer spricht sich gegen eine Eingliederung seiner Einrichtung in die Gesamthochschule Essen aus. Die mit einem ähnlichen Namen versehene Folkwangschule für Gestaltung – mittlerweile als eigener Fachbereich in der Fachhochschule integriert – soll hingegen eingegliedert werden.

Der Name Folkwang leitet sich ab aus der nordischen Göttermythologie und wurde durch den Hagener Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus (1874-1921) für sein Konzept zum Verhältnis von Leben und Kunst verwendet. Gleich in mehreren Essener Institutionen ist der Begriff präsent, u. a. in:

  • Museum Folkwang, das die Sammlung von Osthaus verwahrt, 
  • Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprache, die 1927 errichtet wurde,
  • Folkwangschule für Gestaltung (ab 1927/28), die aus der 1908 errichteten Essener Handwerker- und Kunstgewerbeschule hervorging und Design von gewerblichen Erzeugnissen aus Handwerk und Industrie unterrichtete.

Unter dem Begriff Folkwang sollte ein alle Künste umfassendes kulturelles Angebot für die arbeitende Bevölkerung zusammengefasst werden. In Wirklichkeit aber haben die beiden „Folkwangschulen“ in der Folgezeit keine engere Verbindung zueinander gepflegt.

Während die Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprache seit 1963 den Rang einer eigenständigen Hochschule innehatte, blieb die Schwesterschule für Gestaltung eine höhere Fachschule. 1968 kulminierte dies in Bestrebungen vor allem seitens der Studierendenschaft, beide Einrichtungen in einer „Folkwang-Hochschule der Künste“ zusammenzufassen – allerdings ergebnislos. Auf einen anderen Weg führten schließlich die Planungen zur Errichtung einer Fachhochschule in Essen und der damit verbundenen Zusammenführung der vielfältigen Landschaft von praxisorientierten Ausbildungseinrichtungen.

1971 war es soweit: Die Folkwangschule für Gestaltung ging unter Protest der Studierendenschaft, die einen Statusverlust des mit dem Folkwang-Begriff verbundenen international bekannten Markenzeichens befürchtete, zusammen mit den Lehramtsstudiengängen aus der Essener Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr als Fachbereich 4 Gestaltung – Kunsterziehung in der Fachhochschule auf, kurz darauf in der Gesamthochschule. Mit der Entscheidung, die Folkwang-Hochschule nicht in die Gesamthochschule zu integrieren, findet allerdings keine Zusammenführung der beiden Schwestereinrichtungen statt – und damit die „Einheit der Künste“, die im Folkwang-Konzept vorgesehen sei. Erst 2007 – vier Jahre nach Gründung der heutigen Universität Duisburg-Essen als Nachfolgerin der Gesamthochschule Essen – wird dieser Gedanke realisiert, mit der Verlagerung der Studiengänge Industrial Design und Kommunikationsdesign zur Folkwang Hochschule (heute Folkwang Universität der Künste) in Essen.

¹ Vgl. http://www.osthausmuseum.de/web/media/files/keom/museum/Osthaus_Chronologie.pdf

Oktober 1972

Überfüllter Hörsaal im B-Trakt. (Dezember 1974)

Duisburg05. Oktober – Die Erstis kommen

Rund 600 Erstsemester kann die Gesamthochschule Duisburg für ihr erstes Wintersemester verzeichnen. Damit lag die Gesamtzahl der Eingeschrieben wie vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung vorausberechnet bei ca. 3.500.

Für die nächsten Jahre will man bis zu 10.000 Studienplätze bereitstellen, tatsächlich wird diese Zahl allerdings aufgrund der langen Bauverzögerung erst 1984 erreicht.

Bild: Überfüllter Hörsaal im B-Trakt (Dezember 1974)
Schwarzweißfotoabzug mit Ansicht vom L-Bereich am Campus Duisburg

Duisburg09. Oktober – Das Provisorium

Ohne Hausmeister läuft an Hochschulen nichts. Das weiß auch der Rat der Stadt Duisburg und beschließt als Ersatz für die bald abzureißenden Hausmeisterwohnungen der Gesamthochschule das Haus an der Lotharstraße 62 zu kaufen.

Bei der erwarteten „kurzfristig erforderlichen Unterbringung der Hausmeister für eine Übergangszeit“ ist es aber nicht geblieben – noch heute befinden sich im Gebäude LI Hausmeisterwohnungen der UDE.

Bild: Ansicht vom L-Bereich des Campus Duisburg an der Lotharstraße (ohne Datum)
Trauerfeier für Hans-Joachim Bargmann (25.10.1972)

Essen21. Oktober – Abschied von einem Gründungsvater

Der Landtagsabgeordnete Hans-Joachim Bargmann (SPD) gehört zu den wichtigsten Wegbereitern der Gesamthochschule Essen. Als Vorsitzender des Kulturausschusses des Landtags und Dezernent für das Schul-, Hochschul- und Sportamt der Stadt Essen ist Bargmann maßgeblich daran beteiligt, die Weichen für eine Hochschulgründung in Essen zu legen.

Ihren Aufbau sollte er aber nicht mehr erleben: Am 21. Oktober kommt Bargmann bei einem schweren Autounfall, zusammen mit drei weiteren Angestellten des Hochschulamts Essen, ums Leben.

Bild: Trauerfeier für Hans-Joachim Bargmann (25.10.1972)
Erster Spatenstich des Aufbau- und Verfügungszentrums begleitet von Studierendenprotesten (24.10.1972)

Essen24. Oktober – Vom Arbeiter- zum Hochschulviertel

Mit einem ersten Spatenstich beginnt Ende Oktober die Transformation des alten Essener Arbeiterviertels Segeroth zum Hochschulviertel.

Im Eiltempo werden bis 1977 mehr als 100.000 Quadratmeter Nutzfläche fertiggestellt.  Noch heute bilden diese Gebäude den Kern des Campus Essen der Universität Duisburg-Essen.

Bild: Erster Spatenstich des Aufbau- und Verfügungszentrums, begleitet von Studierendenprotesten, die sich für einen besser an das westliche und nördliche Ruhrgebiet angebundenen Standort aussprechen (24.10.1972)

 

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Am 24. Oktober 1972 ist es so weit: Der erste Spatenstich für das neue Allgemeine Aufbau- und Verfügungszentrum (AVZ) am Essener Campus wird gesetzt. Der heute unter dem Namen R12 bekannte Bau wird nach 16 Monaten am 15. Februar 1974 als erstes Campusgebäude fertiggestellt werden.

Nachdem die grundsätzliche Entscheidung getroffen war, in Essen eine Gesamthochschule zu errichten, musste zunächst ein Standort im Stadtgebiet gefunden werden. Ein von der Stadt einberufender Sachverständigenbeirat empfahl vier Standorte im Essener Stadtgebiet für die nähere Wahl: den Flughafen Essen-Mülheim, die Stadtteile Schuir oder Schönebeck und die City Nord. Im Januar 1971 entschied man sich einstimmig für die City Nord.

Hierbei war vor allem die Nähe zum Essener Stadtkern ausschlaggebend, die eine gute Verkehrsanbindung ermöglichen würde. Vermeiden wollte man nämlich eine Gründung „auf der grünen Wiese“, wie sie bei den anderen zur Wahl stehenden Standorten zwingend erforderlich gewesen wäre. Der neue Campus soll auch das soziale Gefälle zwischen dem von Bergwerkszechen geprägten Norden und den Vierteln im Süden nivellieren, in denen die Naherholungsgebiete gelegen sind.

Für den festgelegten Standort im alten Arbeiterviertel Segeroth ist geplant, bis 1980 insgesamt fast 100.000 Quadratmeter Nutzfläche für die Hochschule bereitzustellen. In der sogenannten „Baustufe 75“ werden nach Fertigstellung des AVZ bis Juni 1977 die weiteren Gebäude des Campus – heute die Komplexe T, S und V – errichtet. Eine letzte „Baustufe 80“ ist zwar geplant, wird aber nicht mehr realisiert.

Charakteristisch für die Gebäudestruktur sind die standardisierten Bauelemente, die zum Einsatz kommen. Sie werden industriell vorgefertigt und können in kurzer Zeit vor Ort und je nach Nutzungsbedarf zusammengesetzt werden. Dieses Baukastensystem wird auch in Paderborn, Siegen und Wuppertal angewendet, weshalb sich die Campusse vom Aussehen her bis heute ähneln.

Baubeginn des Westflügels des Bargmann-Hauses (1973)

Essen25. Oktober – Das Bargmann-Haus

Das Aufbau- und Verfügungszentrum (AVZ) soll nach dem tragisch infolge eines Autounfalls verstorbenen SPD-Politiker Hans-Joachim Bargmann benannt werden. Das beschließt der Essener Gründungssenat nur einen Tag nach dem ersten Spatenstich des AVZ. Mit der Widmung des Neubaus will man die Verdienste des Landtagsabgeordneten um die Hochschulgründung in Essen würdigen.

Im Laufe der Zeit wird der Namenszusatz „Bargmann“ fallengelassen, heute ist das erste am Campus Essen fertiggestellte Gebäude unter der Bezeichnung „R12“ bekannt.

Bild: Baubeginn des Westflügels des Bargmann-Hauses (1973)

November 1972

Ausstellungsstand der „Universität Essen“ Gesamthochschule (ohne Datum)

Essen01. November – Universität Essen

Im Essener Gründungsrektorat bleibt die Frage der Namensgebung weiterhin Thema.

Rektor Kroll will die gerade erst aus der Taufe gehobene Gesamthochschule am liebsten zur „Albert-Schweitzer-Universität – Gesamthochschule Essen“ machen. Am Ende einigt sich die Runde allerdings auf den neutraleren Namensvorschlag „Universität Essen – Gesamthochschule“.

Vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung wird diese Namensgebung später abgelehnt werden. 1973 folgt ein Beschluss der Hochschulleitung, sich ungeachtet davon nach innen und außen als Universität zu bezeichnen: Besonders in den medizinischen Fachbereichen kann man sich mit dem Begriff „Gesamthochschule“ nicht anfreunden.

Bild: Ausstellungsstand der „Universität Essen“ Gesamthochschule (ohne Datum)
Wahlen des Fachbereichs Sozialwesen der GH Essen in der damaligen Volkshochschule Essen (07.11.1972)

Essen08. November – Studierendenprotest in Essen

Schlechte materielle und personelle Ausstattung, zu wenig Studierendenwohnungen, eine mangelhafte Umsetzung der Studienreform: die Liste der vorgebrachten Vorwürfe von über 1.000 protestierenden Studierenden und Schüler:innen gegen die Verhältnisse in Essen sind lang.

Noch bevor es nachmittags zum Protestieren auf die Straße geht, findet die erste Vollversammlung der Studierenden seit Gründung der Gesamthochschule statt. Bereits einen Tag vorher wählt der von Dozierendenmangel und Überfüllung besonders stark betroffene Fachbereich Sozialwesen seine Vertreter:innen für die Fachbereichsversammlung.

Bild: Wahlen des Fachbereichs Sozialwesen der GH Essen in der damaligen Volkshochschule Essen (07.11.1972)
"Grabsteinniederlegung" protestierender Studierender anlässlich des ersten Spatenstichs des AVZ (15.11.1972)

Duisburg13. November – Duisburg streikt

Während man in Essen zum Protestieren auf die Straße geht, versuchen sich Duisburger Studierende mit einem Warnstreik Gehör zu verschaffen.

Anlass ist die vom Wissenschaftsministerium geplante Einführung einer neuen Rahmenprüfungsordnung für Fachhochschulstudiengänge, welche sich auch auf die neuen Gesamthochschulen auswirken würde.

Ein befürchteter Anstieg des Leistungsdrucks treibt zunächst die betroffenen Studierenden der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften dazu, alle Tätigkeiten niederzulegen. Am 14. November schließt sich aber auch die Studierendenschaft der ehemaligen Pädagogischen Hochschule dem Warnstreik solidarisch an.

Bild: Einen medienwirksamen Höhepunkt fand der Streik mit der "Grabsteinniederlegung" anlässlich des ersten Spatenstichs  für das Aufbau- und Verfügungszentrum (15.11.1972)
Erster Spatenstich für das Duisburger Aufbau- und Verfügungszentrum durch NRW-Finanzminister Wertz (15.11.1972)

Duisburg15. November – Baubeginn unter Protestrufen

An den anderen vier neuen Gesamthochschulstandorten sind die ersten Spatenstiche schon gefeiert worden, erst im November folgt auch Duisburg.

Die Aushebung für das heutige Gebäude LE wird nicht nur von Schaulustigen Anwohner:innen, sondern auch von protestierenden Studierenden zahlreich besucht. Angetrieben werden die Demonstrant:innen von der Angst, die Gesamthochschule würde eine „Universität 2. Klasse“ werden, der mangelnden materiellen und personellen Ausstattung und der geplanten Einführung einer verschärften Rahmenprüfungsordnung für Fachhochschulstudiengänge.

Finanzminister Hans Wertz (SPD) zeigt sich von „Aufhören! Aufhören!“-Sprechchören unbeeindruckt und erwidert: „Lasst euch mal was Neues einfallen. Singt doch mal.“

Bild: Erster Spatenstich für das Duisburger Aufbau- und Verfügungszentrum durch NRW-Finanzminister Wertz (15.11.1972)
Gruppenfoto des AStA der Gesamthochschule Essen (1973)

Essen27. November – Streik auch in Essen

Nach einem Warnstreik in Duisburg entscheiden sich auch über 2.000 Essener Studierende bei einer Urabstimmung dafür, in den Streik zu treten.

Mit der Niederlegung des Studiums vom 27. November bis zum 5. Dezember verschärft sich der Streit um die Gestaltung einer neuen Rahmenprüfungsordnung für Fachhochschulstudiengänge weiter. Forderungen wie etwa die unbeschränkte Wiederholbarkeit von Prüfungen oder die paritätische Besetzung von Prüfungsausschüssen können allerdings nie durchgesetzt werden.

Im gleichen Zeitraum werden auch andere Nordrhein-Westfälische Hochschulen bestreikt, in Duisburg entscheidet sich die Studierendenschaft allerdings diesmal gegen eine Teilnahme.

Bild: Gruppenfoto des AStA der Gesamthochschule Essen (1973)
Diskussion am Rednerpult zwischen Wissenschaftsminister Rau und dem Sprecher des Duisburger AStA Schön (22.10.1975)

Düsseldorf28. November – Schlichtungsversuche

Nach Beginn des Studierendenstreiks in Essen versucht Wissenschaftsminister Rau noch einmal seinen Standpunkt zur strittigen Rahmenprüfungsordnung für FH-Studiengänge darzulegen. Im direkten Dienstgespräch trifft er dazu Gründungsrektor Kröll und Detlef Jobst als Vertreter der Studierenden.

Gestreikt wird zunächst trotzdem weiter, erst am 7. Dezember wird der Vorlesungsstreik als beendet erklärt.

Bild: Diskussion am Rednerpult zwischen Wissenschaftsminister Rau und dem Sprecher des Duisburger AStA Schön (22.10.1975)

Dezember 1972

Luftaufnahme des Duisburger Hochschulgeländes an der Lotharstraße (ca. 1979)

Duisburg05. Dezember – Keine Lösung in Sicht

Kurz vor Ende des Jahres 1972 ist noch immer keine Lösung für die Bauplanung der Duisburger Gesamthochschule in Sicht. Erneut erreicht der Disput mit dem Sportclub Raffelberg sogar die Landesregierung.

Diese unterstützt einen Ersatzstandort für die „Raffelberger“ im Moning-Gelände an der Stadtgrenze zu Mülheim. Aber auch dieses Angebot bringt keine Einigung im Streit um den begehrten Standort für die Duisburger Hochschule.

Die zu Anfang des Jahres 1972 noch unscheinbar wirkende Problematik wird am Ende das Aus für die ursprüngliche Bauplanung bedeuten. Um der Gesamthochschule Duisburg doch noch ein angemessenes Zuhause zu geben, wird 1978 mit dem Bau der heute so markanten Rundbauten („Keksdosen“) begonnen.

Bild: Luftaufnahme des Duisburger Hochschulgeländes an der Lotharstraße (ca. 1979)
Baubeginn des Westflügels des Bargmann-Hauses (1973)

Essen08. Dezember – Bauprobleme – nicht nur in Duisburg

Auch in Essen muss man sich Sorgen um den Zeitplan für den Hochschulbau machen.

Vor versammelter Presse kündigt Gründungsrektor Kröll eine Bauverzögerung für das Bargmann-Haus – dem Kernstück der neuen Hochschule – an: Statt wie geplant zum Wintersemester 1973/74 wird frühestens im Februar 1974 mit einer Fertigstellung zu rechnen sein.

Schlussendlich kann das Bargmann-Haus tatsächlich wie angekündigt bezogen werden. Während sich der Ausbau der Gesamthochschule Duisburg bis in die Mitte der 1980er Jahre hinschleppen wird, bleibt man in Essen von weitreichenden Bauproblemen verschont.

Bild: Baubeginn des Westflügels des Bargmann-Hauses (1973)
Johannes Rau, Gründungsrektor Helmut Schrey 32. v. l.) und Gründungskanzler Rudolf Baumann (4. v. l.) auf der Eröffnungssitzung des Duisburger Gründungssenats im August.  Beim Treffen der Rektoren und Kanzler war der Minister für Wissenschaft und Forschung nicht anwesend

Düsseldorf15. Dezember – Forschungsschwerpunkte

Alle Rektoren und Kanzler der fünf neuen Gesamthochschulen (GH) in einem Raum: So ein Treffen findet zum ersten Mal Mitte Dezember auf Einladung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung (MWF) in Düsseldorf statt.

Nach einer ausgiebigen Begrüßung durch die Ministerialbeamten wird den Rest des Tages die Bildung von Forschungsschwerpunkten an den GH besprochen. Damit beginnt ein Prozess, der zwei Jahre später abgeschlossen sein wird.

Am Ende gehören u.a. „Geschichte und Religion des Judentums“ und „Erfassung, Ausbreitung, Minderung und Kontrolle von Verunreinigung und Lärm“ zum Duisburger Profil. Essen hat mit acht Themen die meisten Schwerpunkte. Dazu gehören etwa: „Partizipation, Sozialisation und Kommunikation“ oder „Umwelt und Gesellschaft“.

Bild: Johannes Rau, Gründungsrektor Helmut Schrey 32. v. l.) und Gründungskanzler Rudolf Baumann (4. v. l.) auf der Eröffnungssitzung des Duisburger Gründungssenats im August.  Beim Treffen der Rektoren und Kanzler war der Minister für Wissenschaft und Forschung nicht anwesend
Postkarte mit Blick auf die Städtischen Krankenanstalten

Essen17. Dezember – In einer Hand

30 Millionen Deutsche Mark Haushaltsentlastung: Dieses Geschenk macht das Land NRW der Stadt Essen, als es die Trägerschaft für die Städtischen Klinken (heute Universitätsklinikum Essen) übernimmt. Die Unterschrift der Übergabeverträge am 17. Dezember wird von Vertreter:innen der Stadt und des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung entsprechend mit Sekt gefeiert.

Zuvor existiert eine geteilte Trägerschaft: Die Medizinischen Fakultäten werden vom Land getragen, das Klinikum von der Stadt Essen. Ab dem 1. Januar 1973 befinden sich beide zum ersten Mal in einer Hand.

Bild: Postkarte mit Blick auf die Städtischen Krankenanstalten
Vorderseite eines Flyers für die Duisburger Universitätstage 1974

Duisburg18. Dezember – Universität Duisburg

Debatten zur Namensgebung der neuen Gesamthochschulen (GH) gibt es nicht nur in Essen. In Duisburg greift bereits vor der GH-Gründung die Lokalpresse den Namen „Mercator-Universität“ auf.

Auch der Stadtrat will das Prestige einer „Universität“ nicht missen und spricht im Dezember eine Empfehlung zur Umbenennung in „Niederrheinische – Universität Duisburg“ aus. Das Wissenschaftsministerium will aber die Grenzen zwischen Gesamthochschulen und Universitäten nicht verwässert sehen und lehnt daher diese wie auch alle anderen Vorschläge für Namensänderungen ab.

Bild: Sprachverwirrung in Duisburg: Flyer für die Universitätstage an der Gesamthochschule (1974)
 
Schematische Darstellung eines Wirtschaftsstudiengang-Modells nach Y-Schema

Düsseldorf21. Dezember – Der Weg zum Integrierten Studium

Die Erprobung neuer, durchlässiger Studienmodelle zählt zu den Kernaufträgen der Gesamthochschulen.

Ende Dezember erhalten die Rektorate in Duisburg und Essen einen Erlass vom Wissenschaftsministerium, welcher die Form dieser neuen integrierten Studiengänge vorgibt. Der sogenannte "Weihnachtserlass" beschreibt ein "Y-Modell", welches ein Studium von der Fachhochschulreife bis zur Promotion ermöglichen soll.

Bild: Von der Fachhochschulreife zur Promotion: Schematische Darstellung eines integrierten Studiengangs nach Y-Modell (1974)
 

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Kurz vor Weihnachten 1972 veröffentlicht der Wissenschaftsminister den Runderlass betreffend die „Einführung neuer Studiengänge an den Gesamthochschulen“, auch „Weihnachtserlass“ genannt. Hierin wird die Struktur „integrierter Studiengänge“ festgeschrieben. Diese sollen ab dem Wintersemester 1973/74 an den neuen Gesamthochschulen sukzessive eingeführt werden. Das gilt zunächst für die Lehramtsstudiengänge Deutsch, Englisch und Französisch sowie die Diplomstudiengänge in den Fächern Wirtschaftswissenschaft, Sozialwissenschaft, Mathematik und Physik, für Essen zusätzlich im Fach Chemie. Gemäß dem sogenannten Y-Modell sollen sich die Studierenden in den integrierten Studiengängen nach einem zweijährigen Grundstudium entweder für ein kurzes, praxisbezogenes Hauptstudium von einem Jahr (I) oder ein langes, theoriegeprägtes Hauptstudium von 2 Jahren (II) entscheiden. Neu sind die Zugangsvoraussetzungen zum Studium: Das Zeugnis sowohl über die allgemeine Hochschulreife als auch über die Fachhochschulreife wird anerkannt. Studierende mit Fachhochschulreife sollen aber „Brückenkurse“ besuchen, um gleichwertige Kenntnisse zu erlangen. Auch Übergange, etwa nach erfolgreichem Abschluss des Hauptstudiums I in das Hauptstudium II, sollen möglich sein.

Der Terminplan für die Einführung fällt straff aus, da die Studien- und Prüfungsordnungen für die integrierten Studiengänge rechtzeitig fertiggestellt werden müssen. Hierzu sollen Arbeitsausschüsse bestehend aus Vertreter*innen aller neugegründeten Gesamthochschulen gebildet werden, um sich untereinander abzustimmen. Gleichzeitig müssen die Fachbereiche vor Ort in Duisburg und Essen schnell aktiv werden, um rechtzeitig die Zustimmung des Senats und des Ministeriums für die Ordnungen vorliegen zu haben.

Die Einführung der integrierten Studiengänge stellt die praktische Umsetzung der Studienreformbestrebungen dar, die die Landesregierung unter der Prämisse Chancengleichheit in der Bildung anstrebte. Ob sich die Bemühungen bewähren, wird sich in den folgenden Jahren zeigen. Eine Studie zur Evaluation der integrierten Studiengänge an der Gesamthochschule Essen am Beispiel des Fachs Chemie wird 1981 hierzu immerhin feststellen, dass sowohl Abiturient*innen als auch Fachoberschulabsolvent*innen das Studium mit gleichem Erfolg durchlaufen.

Quellenverzeichnis

Verwendete Literatur und Quellen

Anordungen, Umordnungen: Hochschulbauten in Duisburg und Essen 1972-1982. Eine Ausstellung des Universitätsarchivs Duisburg-Essen. Duisburg 2012.

Börner, Paul: Von der Ingenieurschule über die Fachhochschule zur Gesamthochschule. In: 70 Jahre Staatliche Ingenieurschulen Essen, jetzt Fachhochschule Essen (Jubiläumsschrift 1901-1971). Essen 1971, S. 13-26.

Breuer, Gerda u.a. (Hrsg.): Lehre und Lehrer an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen. Von den Anfängen bis 1972. Berlin 2012.

Celebi, Timo: Essen als Hochschulstadt. Oder wie zu Beginn der 1970er Jahre eine Gesamthochschule nach Essen kam. In: Jens Adamski u.a. (Hrsg.): Forschung, Kultur und Bildung. Wissenschaft im Ruhrgebiet zwischen Hochindustrialisierung und Wissensgesellschaft, S. 277-293.

Die Universität Duisburg 1655-1818. Eine Ausstellung des Stadtarchivs Duisburg. Duisburg 1980.

Driller, Joachim: Zur Geschichte der Folkwangschule für Gestaltung. In: Essener Universitätsreden 10 (2002), H. 2, S. 8-57.

Evaluation integrierter Studiengänge an der Gesamthochschule Essen. Abschlussbericht des Forschungsprojektes (April 1978 bis Dezember 1981). Hrsg. v. Jürgen Klüver und Astrid Krameyer. Essen 1981.

Gesetz über die Errichtung und Entwicklung von Gesamthochschulen im Lande Nordrhein-Westfalen vom 30. Mai 1972. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 26 (1972), S. 134.

Friggemann, Hendrik: Technische Bildung im Spannungsfeld von Staat und Wirtschaft. Die Maschinenbauund Hüttenschule Bochum/Duisburg (1882-1910). In.: Jens Adamski u.a. (Hrsg.): Forschung, Kultur und Bildung. Wissenschaft im Ruhrgebiet zwischen Hochindustrialisierung und Wissensgesellschaft, S. 53-69.

Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen: Zur Gründung von fünf neuen Gesamthochschulen. Hrsg. v. Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Wuppertal 1972.

Iwers, Peter: Wo arbeiten wir eigentlich? Die Bauten der UDE an der Universitätsstraße (Die Kleine Form vom 24.04.2013) [Vortrag]. Veröffentlicht unter https://duepublico2.uni-due.de/receive/duepublico_ mods_00030975.

Mayer, Werner: Bildungspotential für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Die Entstehung des Hochschultyps „Fachhochschule“ in Nordrhein-Westfalen 1965-1971. Düsseldorf 1997.

Picht, Georg: Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Olten 1964.

Rimbach, Gerhard: Vom Reformmodell zur modernen Universität. 20 Jahre Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1992.

Sanfleber, Helmut u.a.: Die integrierte Ausbildung von Ingenieuren. In: Duisburger Universitätstage 1972. Veranstaltungsreihe der Gesamthochschule Duisburg, S. 89-106.

Schrey, Helmut: Pädagogische Hochschule in Duisburg auf dem Weg zur Gesamthochschule. In: Ingo Runde (Hrsg.): Lehrerausbildung an Rhein und Ruhr. S. 81-107.

Schrey, Helmut: Universität Duisburg: 1655 – 1818 – 1972. Orientierung und Vorausschau [Vortrag auf den Duisburger Universitätstagen 1972]. In: Gesamthochschule Duisburg. Etappen auf dem Weg zur Niederrheinischen Universität. Duisburg 1972, S. 16-28.

Stumpf, Heido u.a.: Hochschule – Hochschulgelände – Hochschulbau. Die bauliche Gestaltung der Duisburger Hochschule [Vortrag auf den Duisburger Universitätstagen 1972]. In: Gesamthochschule Duisburg. Etappen auf dem Weg zur Niederrheinischen Universität. Duisburg 1972, S. 29-35.

Das Cover der Publikation "Die Wurzeln der Universität"

Publikation

Die hier veröffentlichten Beiträge sind 2023 in die Publikation Die Wurzeln der Universität: Duisburg: Die Gründung der Gesamthochschulen vor 50 Jahren eingeflossen.

Die Veröffentlichung ist über die Publikationsplattform DuEPublico frei zugänglich.

Friggemann, Hendrik, Nils Ingenfeld, und Nicole Walger. Die Wurzeln der Universität Duisburg Essen 1972 : Die Gründung der Gesamthochschulen vor 50 Jahren. Duisburg ; Essen: Universitätsdruckzentrum, 2023