PORTRAIT: Prof. Dr. Nicole Krämer

© Essener Kolleg für Geschlechterforschung / Prof. Dr. Nicole Krämer

Juli 2020Im Interview:

Prof. Dr. Nicole Krämer ist Professorin für Sozialpsychologie, Medien und Kommunikation an der Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Ingenieurwissenschaften und leitet die Abteilung für Angewandte Informatik und Kognitionswissenschaften. Im Januar 2016 wurde ihre Professur durch das NRW Landesprogramm für geschlechtergerechte Hochschulen um die Genderteildenomination „unter Einschluss von Genderperspektiven im Umgang mit neuen Technologien“ erweitert.

Nicole Krämer und ihr Team forschen seit vielen Jahren zu sozialpsychologischen Aspekten der Mensch-Technik-Interaktion und der computervermittelten Kommunikation. Der Schwerpunkt liegt auf dem Umgang mit und der Wirkung von Social Media und sogenannten „Fake News“ sowie der Interaktion mit Robotern und Agenten. Die Professorin legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Geschlechterperspektive.

Welche Rolle spielte das EKfG bei der Einwerbung Ihrer Genderdenomination?

Als ich durch das EKfG auf die Ausschreibung aufmerksam wurde, war schnell klar, dass ich einen Antrag stellen möchte, da ich mich nicht nur in meinen gegenwärtigen Forschungskontexten, sondern schon seit meiner Studienzeit als wie auch in meinem Dissertationsvortrag mit der Geschlechterperspektive beschäftigte. Im Laufe der Antragstellung war der Austausch mit dem EKfG über mögliche Ausgestaltungen und Unterstützungen dann sehr intensiv, sodass ich die Kooperation mit dem Kolleg in meinen Antrag einbauen konnte. Auch zielte die Ausschreibung ja explizit darauf, neue Felder für die Geschlechterforschung zu erschließen und Disziplinen anzusprechen, die noch vergleichsweise geringe Berührung mit Geschlechterforschung hatten. Gemeinsam konnten wir auf diesem Weg also eine der wenigen Genderteildenominationen in den Ingenieurwissenschaften einwerben und Geschlecht als multidisziplinären Forschungsgegenstand sichtbar machen.

Welche Veränderungen hat die Erweiterung der Denomination mit sich gebracht?

Ich versuche zu verstehen, wie Menschen sich Technologien nähern. Die Förderung hat uns die Möglichkeit eröffnet, den Fokus der Forschung erstmals auf die Kategorie Geschlecht zu legen und Geschlecht nicht nur als eine zusätzliche Variable mit zu betrachten. Somit konnten wir Studien durchführen, die auch von der theoretischen Ausrichtung und Planung her darauf zugeschnitten waren, Geschlechterunterschiede zu testen. Durch die Genderteildenomination war es möglich, für drei Jahre eine Postdoktorandin zu beschäftigen, die einige der fünf Studien durchführte, die wir während des Förderungszeitraums veranlassten.

In der größten Studie führten wir eine Vollbefragung der Master-Studierenden, Doktorandinnen und Doktoranden und der Post-Docs durch, um die Schere zwischen den Geschlechtern im wissenschaftlichen Bereich und die Frage, wie viel trauen sich Frauen zu, wie viel Männer und wie beeinflusst dies die Wahl ihres Weges durch die wissenschaftliche Karriere, zu untersuchen. Gerade vor dem Hintergrund des Diversity-Schwerpunktes der Universität Duisburg-Essen und meiner damaligen Position als Vorsitzende der Gleichstellungskommission des Senates war mir  die Frage, warum bei Zunahme der Qualifikationsstufe der Beschäftigten die Anzahl der Frauen abnimmt, besonders wichtig. Durch die Menge an erhobenen Daten bietet die Studie außerdem großes Potenzial für weitere für die Geschlechter- und Diversityforschung relevante Untersuchungen und Auswertungen, das genutzt werden könnte und sollte.

In einer anderen Studie zur Selbsteinschätzung von Frauen und Männern in der Interaktion mit Technologien hat die Förderung ermöglicht, herauszufinden, dass sich Frauen zwar durchschnittlich im Umgang mit Technologie als weniger kompetent einschätzten als Männer, sich aber kein Unterschied in Bezug auf ihr tatsächliches Können oder ihre tatsächlichen Fähigkeiten im Umgang mit Technologien feststellen ließ.

Im Zuge der Erweiterung der Denomination hat sich auch die Sichtbarkeit der Geschlechterforschung in meiner eigenen Disziplin verändert. Die Genderteildenomination habe ich an bestimmten Stellen mit besonderem Stolz hervorgehoben. Das hängt damit zusammen, dass mir die Sichtbarkeit und die Thematik der Geschlechterforschung schon lange ein persönliches Anliegen ist. Außerdem hat die Denomination dazu verholfen, stärker auf den Genderaspekt in unserer Forschung verweisen zu können.

Seitdem die Projektförderung im Juni 2019 endete, verfolge ich weiterhin das Ziel, die Genderperspektive kontinuierlich zu beforschen, da Geschlecht in unserem Forschungskontext eine Variable ist, die unbedingt mitbedacht werden muss. So ist gerade seitens einer Lehrerin an mich herangetragen worden, doch einmal die Verteilung von Mädchen und Jungen bei der Wahl bestimmter technikaffiner Schulfächer, wie z. B. iPad-Klassen, zu untersuchen. Dass die Erweiterung der Denomination allerdings zu einer direkten Ansprache von Kolleg*innen nach dem Motto „Da müssen wir uns noch besser aufstellen, da haben Sie ja offensichtlich Expertise“ oder dergleichen geführt hätte, kann ich allerdings nicht berichten.

Wie beurteilen Sie die Bedeutung der Geschlechterforschung für Ihre Disziplin?

In der empirischen Forschung zur Interaktion mit Technologien scheint Geschlecht eine wichtige Einflussgröße zu sein, das sehen wir immer wieder. Hierbei haben wir den Eindruck, dass vor allem die Selbstwirksamkeit bei Frauen und Männern eine große Rolle spielt. Doch woher kommen die Unterschiede in der Selbstwirksamkeit? Wenn wir an dieser Stelle weiterforschen, stoßen wir auf Variablen wie Erziehung, gesellschaftliche Einflüsse und Zuschreibungen durch andere Personen und erkennen, dass nicht primär das biologische Geschlecht dafür verantwortlich ist, wie und ob man mit Technologien interagiert. Es ist viel mehr die Umwelt, die den Umgang mit Technologien durch ihre Erwartungen an ein Geschlecht beeinflusst. Geschlecht ist jedoch die Variable, die diese sozialen Einflussgrößen sichtbar macht und uns hilft, sie besser zu verstehen. Auch aus diesem Grund ist Geschlecht ein unabdingbarer Forschungsgegenstand.

Was schätzen Sie an Ihrer Mitgliedschaft im Essener Kolleg für Geschlechterforschung besonders?

Einer der Vorteile, Mitglied im EKfG zu sein, sind die weitreichenden Vernetzungsmöglichkeiten. Man trifft auf Wissenschaftler*innen, die sich zwar derselben Thematik widmen, sich aber wechselseitig durch ihre verschiedenen wissenschaftlichen Hintergründe einen ganz neuen Blick auf Gender vermitteln können. Meine Fachdisziplin ist beispielsweise sehr weit von den Geisteswissenschaften entfernt, allerdings lerne ich durch ihre Perspektiven viel über kulturwissenschaftliche und philosophische Auseinandersetzungen mit Geschlecht. Durch das interdisziplinäre Aufeinandertreffen von Wissenschaftler*innen und ihren Disziplinen, wird mir die Relevanz der Geschlechterforschung nicht nur immer wieder deutlich gemacht – wir können auch viel voneinander lernen. Aber auch konkrete Forschungsvorhaben sind das Ergebnis des bereichernden Austauschs im EKfG. So konnte ich erst vor kurzem gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen des EKfG aus der Soziologie und der Betriebswirtschaft einen vielversprechenden Forschungsantrag im Bereich Geschlecht – Gesundheit – Digitalisierung ausarbeiten.

Auf der einen Seite kann also durch die Vernetzung im Kolleg auf Basis von gemeinsamen Interessen so etwas praktisch Relevantes wie ein gemeinsames Projekt entstehen. Auf der anderen Seite stellt das EKfG für mich eine kleine Insel im doch sehr auf Output bedachten Forschungsalltag dar, in dem das gemeinsame Nachdenken oft zu kurz kommt. Ich würde mir wünschen, dass dieser inspirierende Austausch im EKfG in Zukunft noch häufiger stattfindet, beispielsweise bei „Thementagen“ oder bei einem gemeinsamen „Gender-Brainstorming“.

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