Allgemeines

Das Institut für Turkistik gründete 2018 das Transnationales Literaturarchiv, welches das türkisch-deutsche kulturelle Erbe als Forschungsgegenstand herausarbeitet. Damit entwirft das Institut erstmals einen Rahmen für die systematische Erforschung eines bisher vernachlässigten, jedoch zentralen Teils der Literaturgeschichte Deutschlands. Das Archiv bildet ein Forum, in dem Bedeutungszusammenhänge transnationaler Literatur in Deutschland in den Vordergrund gestellt werden und eine komparatistisch angelegte Erforschung von Literatur in seinen mehrsprachigen Dimensionen ermöglicht wird. Ziel des Literaturarchivs ist, das türkisch-deutsche kulturelle Erbe durch eine Reihe von Materialien erschließbar zu machen und mit neuen Forschungsperspektiven zu verknüpfen. 

Zu den Archivmaterialien gehören vor allem Vor- und Nachlässe von Autor*innen, Verlagsarchive und Künstlervereinigungen mit Bezügen zu der Türkei und Deutschland. Diese Materialien sollen das literarische Leben im Ruhrgebiet seit dem Anwerbeabkommen mit der Türkei erschließen und das Ruhrgebiet in seiner Bedeutung als Ort des Exils verdeutlichen. Der Fokus des vorliegenden Projekts konstituiert sich im ersten Schritt durch die Erschließung der transnationalen Literatur im Ruhrgebiet. 

Zu den wissenschaftlichen Aufgaben des Archivs gehört, das transnationale literarische Netzwerk der Autor*innen mit Bezug zu der Türkei herauszuarbeiten, um Einblicke in die Bedingungen der literarischen Produktion vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeit, der Migration und des Exils in Deutschland zu gewinnen.  Die Erkenntnisse, die aus dem Archivvorhaben gewonnen werden, sind zentral für die nachhaltige Erforschung des durch Migration und Exil veränderten literarischen und kulturellen Lebens in Deutschland.

Der aktuelle Stand der Archivierung von transnationaler, türkisch-deutscher Literatur zeigt bereits in der Eruierungsphase, dass im Umgang mit multiplen Narrativen und mehrsprachigen Literaturnachlässen kaum Erfahrungen gesammelt wurden und demzufolge Expertise systematisch aufgebaut werden muss. Der Vor- und Nachlass, der in der deutschen und türkischen, aber auch vereinzelt kurdischen und armenischen Sprache verfasst ist, wurde bis auf einige wenige Ausnahmen bisher noch nicht in den Stadt-, Universitäts- und Literaturarchiven Deutschlands gesammelt und der Forschung zur Verfügung gestellt. 

Unter Leitung von Prof. Dr. Kader Konuk haben sich bisher Nesrin Tanç, Davut Yeşilmen, Sevengül Sönmez, Sevgi Aktaş und Elif Sofu an dem Aufbau des Archivs beteiligt

Der Archivbestand

Zum bisherigen Archivbestand gehören die Romane Kemal Yalçıns, seit 1980 in Bochum ansässig, der sich in seinen Werken vor allem mit dem assyrisch-armenischen Genozid sowie dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch beschäftigt. Seine dokumentarischen Werke, die auf herausragenden Zeitzeugen*innen-Interviews beruhen, haben international einen wichtigen Beitrag zur historischen Aufarbeitung der multiethnischen Vergangenheit der Türkei beigetragen. In Essen wurden neben Yalcıns Arbeitsnotizen, persönlichen Briefen, Fotos auch Tonaufnahmen von Überlebenden sowie weitere Dokumente und Objekte aus privaten Nachlässen archiviert.

Des Weiteren befinden sich Dokumente in osmanischer Sprache der Familie Karamanian im Archiv: Die Karamanians waren eine wohlhabende armenische Familie aus Adana, die 1915 um all ihren Besitz gebracht wurde. Zahlreiche offizielle Dokumente und Briefwechsel zwischen der Familie und zuständigen Behörden aus den Jahren 1880 und 1920  geben ein eindrucksvolles Zeugnis von der staatlich verordneten Entrechtung armenischer Familien zum ausgehenden Osmanischen Reich bzw. in der Gründungsphase der Republik Türkei.

Auch die Autorenvereinigung Türkiyeli Yazarlar Çalışma Grubu (Arbeitsgruppe türkeistämmiger Autoren) aus NRW hat dem Archiv ihre wichtigsten Dokumente und Materialien überlassen. Die Vereinigung um Fakir Baykurt, Halit Ünal, Molla Demirel und Kemal Yalçın, kam zwischen den Jahren 1986 und 1999 zu regelmäßigen Arbeitstreffen, Diskussionen und Lesungen zusammen. Die Protokolle und Materialien dieser Zusammenkünfte geben einen wichtigen Einblick in das transnationale Literaturschaffen im Ruhrgebiet. Eine weitere in diesem Zusammenhang zu nennende Vereinigung ist das Duisburg Edebiyat Kahvesi (Duisburger Literaturcafé), dessen Aktivitäten von den 1980er bis 2000er Jahren ebenfalls im Archiv dokumentiert sind.

Die persönlichen Vorlässe der Autoren Mevlüt Asar und Halit Ünal bilden einen weiteren bedeutenden Archivbestand. Ihre Werke und Arbeitsdokumente werfen ein Schlaglicht auf die literarische Produktion vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeit. Zu den besonderen Schätzen des Archivs zählen einige wichtige persönliche Dokumente und Briefe des Autors Fakir Baykurt, eine der zentralen Figuren transnationalen Literaturschaffens im Ruhrgebiet.

Die in Lasisch und Türkisch publizierende Autorin Selma Koçiva aus Dortmund hat ihre persönlichen Dokumente und Werke ebenfalls dem Archiv übergeben. Ihre Arbeiten sind zentral für die nachhaltige Erforschung einer transnationalen Frauenbewegung zwischen Türkei und Deutschland.

Über diese persönlichen Nachlässe und Dokumente einzelner Autor*innen hinaus steht den Besucher*innen des Archivs eine reiche Auswahl türkisch-deutscher Literatur aus dem Ruhrgebiet zur Verfügung.

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