Teilprojekt 2

‚Neophytes‘, ‚renegados‘, ‚creoles‘: Dynamiken der (Dis-)Ambiguierung in nordamerikanischen Diskussionen des Wandels vom Kolonialismus zur Nationalstaatlichkeit

Drei Denkfiguren, die sich in Diskursen über indigene oder afro-amerikanische christliche Neophyten, Renegaten und Kreolen niederschlagen, begleiten den langsamen Übergang vom kolonialen zum nationalstaatlichen Nordamerika. Diese Denkfiguren stellen die gängige Erzählung in Frage, die diesen Übergang als einen Paradigmenwechsel von kolonialer Ambiguität zu nationaler Disambiguierung beschreibt. Mindestens bis ins späte 19. Jahrhundert blieb Nordamerika ein globaler Knotenpunkt für Transkulturationsprozesse und grundlegende Verfahren linguistischer, religiöser, kultureller und ethnischer Übersetzung und Übertragung. In der Frühneuzeit waren Identifikations- und Unterscheidungsgesten epistemologische Übungen die mit programmatischen Repertoires der Ungewissheit und der Unlesbarkeit zusammenfielen. Die oft zu beobachtende Spannung zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Zugehörigkeit und Abgrenzung ist konstitutiv für textuelle und visuelle Ausdrucksformen der Kolonialität und Nationalität.

Die im Teilprojekt untersuchten Figurationen bewohnen eine „Grauzone“ zwischen kulturellen, politischen und religiösen Zugehörigkeiten. Sie scheinen mit dem Transkulturationsprozess eng verbunden zu sein. Die Untersuchung betrachtet diese textuellen Phänomene durch das Brennglas der Ambiguität, bedient sich jedoch des Begriffs der Ambiguierung, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Großteil des Materials Narrative über und nicht von Renegaten, Kreolen oder Neophyten enthält. Diese Beobachterposition macht eine Selbstbeschreibung unmöglich und verweist diese Figuren an die Ränder des Textes, der sie von außen beschreibt. Die Analysebegriffe Ambiguierung und Disambiguierung betonen Fragen der Akteurschaft und verlagern das Gewicht auf die Wahrnehmung und Repräsentation von Subjekten, die sich nicht in die identitären Kategorien fügen, die dem jeweiligen Erzähler zur Verfügung stehen. Die betrachteten Figurationen wandeln sich deutlich, während sie die Jahrhunderte, die Ozeane und die geographischen Settings durchqueren. Um die Fluidität ihrer Bedeutungen am besten einzufangen, wenn Wörter wie „convert“, „renegade“ und „creole“ durch Zeit und Raum wandern, bedient sich das Teilprojekt des Begriffs der „Deklinationen“ als methodische Klammer.

Der geographische Rahmen des Teilprojekts ist interamerikanisch und transatlantisch in der Auswahl seines Materials (d.h. es werden in französischer, spanischer, niederländischer und deutscher Sprache verfasste Dokumente untersucht) und transhistorisch in diachroner Perspektive (d.h. der früheste Primärtext ist Alvar Nuñez Cabeza deVacas La Relation von 1573; George Wasington Cables The Grandissimes von 1880 ist der Schlusspunkt). Dieser breite Rahmen gestattet eine systematische Betrachtung des Kulturtransfers zwischen benachbarten kolonialen, nationalen und imperialen Systemen und ihren Ausdrucksökonomien.