IAQ-Forschung (Kurzinfo)

IAQ-Forschung 2020-04Bildungswege in der Sekundarstufe I – Potenziale der Durchlässigkeit im Schulsystem

Stöbe-Blossey, Sybille / Rohling, Isabell / Micheel, Brigitte / Niehoff, Annika / Thul, Vincent

Einführung

Forderungen nach (mehr) Durchlässigkeit im Schulsystem, nach der Ermöglichung von passgenauen Bildungswegen für die einzelnen Schülerinnen und Schüler und nach der individuellen Vorbereitung und Begleitung von Übergängen sind zentrale Themen in der Bildungspolitik, seit Anfang der 2000er Jahre die Ergebnisse der PISA-Studie eine Diskussion über die Abhängigkeit der Bildungserfolge von der sozialen Herkunft ausgelöst haben. In diesem Kontext wird immer wieder die Bedeutung der Übergangsentscheidung am Ende der Grundschulzeit diskutiert; so gibt es zahlreiche Publikationen, die sich vor allem mit der Grundschulempfehlung, den sie beeinflussenden Faktoren und ihrer Prognosequalität befassen, sowie Projekte, die eine gute Vorbereitung und Begleitung des Übergangs zum Ziel haben.

Die hohe Aufmerksamkeit für den Übergang nach der Grundschule hängt damit zusammen, dass vielfach davon ausgegangen wird, die Übergangsentscheidung am Ende der Grundschulzeit determiniere den weiteren Bildungsweg und den Schulabschluss und wirke somit langfristig sozial selektiv. Eine Korrektur sei, wenn überhaupt, meistens eher „nach unten“ als „nach oben“ möglich. Grundsätzlich jedoch sind Korrekturmöglichkeiten in beide Richtungen im Schulsystem – insbesondere in Nordrhein-Westfalen – durchaus angelegt; das Schulsystem ist so gestaltet, dass auch ein Schulformwechsel auf eine Schule mit geringerem Anforderungsniveau keine Sackgasse für die Bildungslaufbahn bedeuten muss; ein Übergang in einen gymnasialen Bildungsgang der Sekundarstufe II ist grundsätzlich von allen Schulformen der Sekundarstufe I aus möglich. Im Schulsystem sind demnach zahlreiche Elemente der Durchlässigkeit enthalten, welche die Gestaltung von individuell passgenauen Bildungswegen ermöglichen. Bislang ist jedoch wenig darüber bekannt, wie Bildungswege in und nach der Sekundarstufe I tatsächlich verlaufen, wie die Potenziale der Durchlässigkeit genutzt werden und welche Faktoren zu einer passgenauen Gestaltung individueller Bildungswege beitragen können.

Diese Fragen hat die Forschungsabteilung „Bildung, Entwicklung, Soziale Teilhabe“ (BEST) des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen von 2018 bis 2020 in der von der Wübben Stiftung und der Stadt Mönchengladbach geförderten Studie „Bildungswege in der Sekundarstufe I – Potenziale der Durchlässigkeit im Schulsystem“ untersucht. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen und den Stand der Diskussion um Schulformwechsel gegeben (Kapitel 1). Anschließend erfolgt eine Analyse der veröffentlichten Daten der NRW-Schulstatistik im Hinblick auf die Entwicklung der Übergangsquoten nach der Grundschulzeit, die erzielten allgemeinbildenden Schulabschlüsse und die Bildungsverläufe in und nach der Sekundarstufe I (Kapitel 2). Dabei wird deutlich werden, dass die Rekonstruktion von Bildungsverläufen nur begrenzt und auf der Basis von Schätzungen und Vorannahmen möglich ist. Einige Lücken, die sich dabei zeigen, können anhand der Auswertung von Schulverwaltungsdaten geschlossen werden. Eine solche Auswertung wurde exemplarisch anhand der Daten eines Gymnasiums, einer Realschule und einer Hauptschule in Mönchengladbach vorgenommen, die gemeinsam einen Schulverband bilden und eine schulformübergreifende Kooperation aufgebaut haben (Kapitel 3). Dieser Schulverband war auch Gegenstand von vertiefenden Analysen, bei denen Interviews mit Schüler*innen und Eltern mit Schulformwechsel-Erfahrungen im Mittelpunkt standen. Bei diesen Interviews ging es darum, die subjektive Perspektive von Schüler*innen und Eltern zu erfassen, ihre Erfahrungen mit der Vorbereitung und Begleitung von Schulformwechseln auszuwerten und auf diese Weise Schlussfolgerungen über die Potenziale von Schulkooperationen zur Förderung von Durchlässigkeit abzuleiten (Kapitel 4). Abschließend werden separat Empfehlungen für Kommunen und für Schulen zusammengestellt (Kapitel 5).

Die Kapitel 2 und 3 enthalten jeweils ein Abschlusskapitel, in dem die Grenzen der vorgenommenen Datenanalysen dargestellt und daraus Anforderungen an die Weiterentwicklung der NRW-Schulstatistik (2.5) und Empfehlungen für die Nutzung von Schulverwaltungsdaten für ein schulisches und kommunales Bildungsmonitoring (3.9) abgeleitet werden. Darüber hinaus gibt es in den Kapiteln 2, 3 und 4 jeweils ein Fazit (2.4, 3.8, 4.5), das den Leserinnen und Lesern für einen schnellen Überblick über zentrale Ergebnisse und Schlussfolgerungen empfohlen sei.